Unterwegs

Ein wesentliches Merkmal der menschlichen Spezies ist die Unruhe, nicht nur in akustischer Hinsicht, was sich besonders unangenehm in Form von Mobiltelefontönen, unentrinnbarem Geschwätz, Jan Delay oder Laubbläsern äußert, sondern insbesondere auch unter örtlichen Gesichtspunkten (also Gesichtspunkte im Sinne von Aspekten, und nicht etwa hässlichen, die Physiognomie verunstaltenden Pickeln); wer rastet, rostet, lautet das altbekannte Sprichwort, oder mit zeitgemäßen Worten: wir sind ständig unterwegs.

Unterwegs.

Früher war man unterwegs, wenn man sich zu Fuß, zu Pferd, mit dem Auto, dem Flugzeug, notfalls auch per Bahn von Ort A nach B begab, sei es geschäftlich oder auf dem Weg in den Urlaub und – unvermeidlich – auch wieder zurück. Das ist heute zwar auch noch so, gleichwohl nur die halbe Wahrheit. Hört man den Menschen zu, so bemerkt man, heute ist man auch ohne nennenswerten Ortswechsel unterwegs: Wir sind mit dem Projekt gut unterwegs, wir gehen mittags nicht in die Kantine, weil wir zurzeit „diättechnisch“ unterwegs sind, Studenten bereiten sich nicht mehr auf die Prüfung vor, sondern sind lernmäßig unterwegs, und der Wettermann verkündet, dass morgen nur ein paar harmlose Schönwetterwolken unterwegs sind. Ganz bequem auf dem Sofa liegend sind wir bei Facebook, Twitter und Co. unterwegs, dann am Wochenende partymäßig, und wenn es gut läuft, hinterher kopulationstechnisch, geben uns also einer Tätigkeit hin, die schon aus sich heraus keine größeren Ortswechsel zulässt, es sei denn, man tut es in einer Zug- oder Flugzeugtoilette.

Gestern im Aufzug wollte jemand wissen, in welcher Abteilung ich arbeite, stattdessen fragte er, wo ich denn unterwegs sei. Meine – zugegeben grammatikalisch nicht ganz korrekte – Antwort „Im Moment nach unten“ beendete das Gespräch sehr schnell, ich nehme an, er war gerade nicht humormäßig unterwegs.

Alle sind unterwegs, ohne sich von der Stelle zu bewegen, scheinbar ziellos, niemand kommt irgendwo an, der Weg ist das Ziel. Wo wollen sie nur alle hin? Ich für meinen Teil bleibe erst mal hier und werde dieses bedauernswerte, ständig missbrauchte Wort bis auf weiteres meiden. Zudem klingt „auf der Reise“ viel schöner.

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