Woche 26/2024: Von keinerlei Fußballgetöse belästigt

Montag: Die zweite Urlaubswoche begannen wir mit einer längeren Radtour über Le Barroux, La Roque-Alric und Suzette, dank Elektrounterstützung auch in dieser herausfordernden Topografie wieder sehr vergnüglich. Das Fahrrad hat vier Fahrstufen, von wenig bis viel Schubkraft. Warum ausgerechnet die zweitstärkste Stufe „Sport“ heißt, erschließt sich nicht direkt.

Unterwegs hörte ich laut und deutlich eine Zikade zirpen. Das fand ich beruhigend, siehe meine vergangenen Dienstag geschilderten diesbezüglichen Ausfallerscheinungen.

Blick auf Le Barroux
La Roque-Alric
Drogenanbau bei Suzette mit Blick auf den Mont Ventoux
Provencepostkartenmotiv am Col de la Chaîne
Der Chronist in touristischer Betätigung

Nach Rückkehr in Malaucène suchten wir für das Belohnungsgetränk die Lieblingsbar auf. Von unserem Platz aus sahen wir auf einen Stromverteilkasten, der vermutlich nach heftiger Berührung mit einem Kraftfahrzeug völlig demoliert war, Techniker waren bereits mit der Behebung des Schadens beschäftigt. Dadurch fiel in den umliegenden Gaststätten der Strom aus. Nach einiger Zeit hatte die Techniker offenbar einen Weg gefunden, die Stromversorgung an dem zerstörten Verteiler vorbei wieder herzustellen, begleitet von einem allgemeinen erleichterten Aaah … gingen Lichter und Musik wieder an. Die Versorgung mit Kaltgetränken war zu jeder Zeit sichergestellt.

Abendessen erstmals in einem sehr netten Bistrot in Beaumont-du-Ventoux, hin und zurück mit den Fahrrädern. Während der Rückfahrt wurde beeindruckendes Abendrot geboten.

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Dienstag: Heute unternahmen wir eine Ausfahrt in Richtung Luberon, zunächst zur als Postkartenmotiv bekannten Abbaye de Sénanque. Auf die Idee waren augenscheinlich auch viele andere Touristen gekommen, es herrschte ein ungewöhnlich hoher Andrang an Menschen und Fahrzeugen, deshalb verzichteten wir auf einen Ausstieg; wir kennen den Ort von früheren Besuchen, sehr viel wird sich seitdem nicht verändert haben.

Archivbild von 2022

Weiter ging es nach Fontaine-de-Vaucluse, um einen Blick in das Quellbecken zu werfen. Dieser wurde dem geneigten Touristen verwehrt, etwa hundert Meter vor der Naturattraktion versperrt eine massive Holzbarriere den Weg wegen Steinschlaggefahr. Auch das war verschmerzbar, aus Vorjahren kennen wir die Quelle in allen Pegelständen. Ungetrübt dagegen das Vergnügen einer Einkehr in das nahe Restaurant Philip, eine der schönsten mir bekannten Gaststätten direkt an und mit Blick auf die soeben entsprungene Sorgue.

La Sorgue kurz nach dem Schlüpfen
Alte Elektrikerregel: immer schön im Stromkreis arbeiten

Wichtiger Bestandteil eines Urlaubs ist das Schreiben von Postkarten. Das erledigte ich nach Rückkehr in Malaucène, während ein paar Regentropfen fielen. Vielleicht kommen die Karten ja vor uns in Deutschland an.

Mittwoch: Das Ende des Urlaubs rückt näher. Nach Besuch des örtlichen Wochenmarktes sowie der Poststelle zum Erwerb von Briefmarken* unternahmen wir die letzte Radtour, morgen geben wir die Räder wieder ab. Diese führte durch den Nachbarort Entrechaux. Bei der Planung der Tour führte uns die Komoot-App gleichsam hinter die Fichte, ein Streckenabschnitt erwies sich als fahrraduntauglicher Waldpfad über groben Schotter, beinahe wäre der Liebste abgeworfen worden. Nach spontaner Umplanung wurde es dennoch ganz schön.

*Sondermarken mit Baguette-Motiv, die angeblich sogar danach riechen, wenn man daran reibt. Ich rieche allerdings nichts, jedenfalls nichts brotähnliches. Vielleicht ist nicht nur mein Gehör eingerostet.

Entrechaux

Daran schloss sich ein ruhiger, von sanftem Lufthauch umspielter Liegestuhlnachmittag an. Für das Abendessen hatten wir vormittags auf dem Markt eingekauft, im Haus waren ausreichend Getränke vorrätig, somit bestand kein Grund, das Grundstück heute noch einmal zu verlassen.

Einer der zahlreichen Vorzüge dieses Ortes: Man wird von keinerlei Fußballgetöse belästigt.

Donnerstag: Bezüglich des Wochentags gilt weiterhin der bereits in der Vorwoche geäußerte, mit noch deutlicherer Betonung auf och nö.

Ein sehr heißer Tag ohne nennenswerte Luftbewegungen. Nach dem Frühstück fuhr der Liebste zur Einkäufe-Erledigung nach Vaison, ich blieb im Schatten sitzen und widmete mich einer bereits vor drei Jahren begonnen, danach nicht mit gebotener Konsequenz weitergeführten Schreibarbeit. Der Schreibfluss stellte sich bald wieder ein, die Worte flossen zu Papier. In meinem Kopf ist die Geschichte, ganz ohne autobiografische Anteile, Liebesbeziehungsgewusel und Kopulationsanbahnungen, schon lange fertig, sie muss nur noch aufgeschrieben werden. Bis zu meiner Pensionierung könnte es geschafft sein, vielleicht auch erst wenig später. Es hat keine Eile.

Nachmittags brachten wir die Fahrräder zurück, anschließend kühlten wir uns innerlich unten im Ort per Getränke, ehe wir uns durch die Hitze wieder nach oben zu unserem Haus bemühten. Erstmals in diesem Urlaub erlag ich nach Rückkehr der Verlockung der äußerlichen Kühlung im Schwimmbecken und erwog kurz, auch das Abendessen darin einzunehmen.

Ich äußerte es bereits, wiederhole es aus gegebenem Anlass gerne: Roxanne von The Police ist ein ganz und gar furchtbares Lied.

Freitag: Auch den letzten Urlaubstag verbrachten wir ohne besondere Aktivität bei erheblicher Hitze. Nach dem Frühstück trug ich zum letzten Mal den Liegestuhl in den Garten unter die Zypresse, um mich der Lektüre zu widmen und am Dasein zu erfreuen. Die Rasenfläche drumherum ist übersät mit kleinen weißen Schnecken zwischen wenigen Millimetern und maximal etwa einem Zentimeter Größe. Nicht hunderte, es müssen tausende sein, die regungslos an den Halmen harren und dort die Hitze verschlafen, an manchen Büschen in größeren Gruppierungen. So viele, dass es nicht möglich ist, den Garten zu betreten, ohne einige von ihnen zu zertreten, wie sie, vergeblich, durch sanftes Knacken unter jedem Schritt kundtun. Tut mir leid.

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Nur der HERR hat sie gezählet

Nachmittags suchten wir zur äußeren Kühlung nochmals das Schwimmbecken auf, wo ich, als Karma-Ausgleich für die zertretenen Schnecken, mehrere Großameisen, Minigrashüpfer und einen Marienkäfer vor dem Ertrinken rettete. Die Grashüpfer waren allerdings zu blöd und hüpften gleich wieder rein.

Auf den Gang in den Ort zur inneren Kühlung verzichteten wir wegen der Hitze, erst abends gingen wir runter zur traditionellen Letztabendpizza.

Ansonsten lag die übliche Urlaubsendmelancholie über dem Tag. Die meisten Sachen sind gepackt, morgen früh verlassen wir diesen wunderbaren Ort mit der Aussicht auf Rückkehr für eine Woche Anfang Oktober. Falls bis dahin Reisen nach Frankreich noch ratsam erscheinen, keine neue Pandemie ausbricht oder anderes Ungemach droht, man muss ja leider mit vielem rechnen. Bis dahin ist es zu Hause in Bonn auch ganz schön.

Samstag: Vielleicht um den Abreiseschmerz zu lindern lag morgens gelblicher Dunst in der schon warmen Luft, die nächste Lieferung Saharasand. Über den Bergen dunkle Bewölkung, Vorboten der für heute erwarteten schweren Gewitter, insofern war der Abreisetag gut gewählt. Die Gelbfärbung blieb während weiter Strecken der Fahrt erhalten, ab und zu fiel etwas Regen, der sandige Pusteln auf dem Wagen hinterließ.

À bientôt! (Warum das Schild – nicht nur hier – umgedreht ist, können Sie bei Bedarf hier nachlesen.)

Die Außentemperatur lag laut Anzeige stets um die dreißig Grad, sogar noch am frühen Abend in der Eifel, was einen interessanten Widerspruch bildete zum trüben Himmel und der Klimaanlagenkühle im Wagen. Nur bei den Halten zum Fahrerwechsel bestätigte sich die Richtigkeit der Anzeige.

Nach zehneinhalb Stunden Fahrt kamen wir zu Hause in Bonn an, wo der Geliebte im Rahmen seiner Möglichkeiten Wiedersehensfreude zeigte.

Zur Nacht kamen auch hier heftige Gewitter auf.

Sonntag: Eines der nächtlichen Gewitter grummelte bis zum Mittag noch etwas nach.

Während des Brausebades sang Bob Marley im Radio „No Woman No Cry“. Wenn du wüsstest, rief ich ihm gedanklich zu.

Auch heute passten meteorologische Optik und Temperatur nicht zusammen. Nur selten zeigte sich kurz die Sonne, dennoch war es auch für eine wandelnde Frostbeule wie mich im T-Shirt draußen gut auszuhalten. Der erste Sonntagsspaziergang nach dem Urlaub fiel daher lang aus mit Einkehr in der Südstadt. Am Nebentisch unterhielten sich zwei junge Frauen mit dem üblichen Vokabular wie „krass“, „what?“ und „mega“. Außerdem fiel mehrfach „random“, das ich nachschlagen musste. Danach war ich mir nicht sicher, ob es immer passte.

Ein Blick über den Rhein auf das sonnenbeschienene Siebengebirge brachte schließlich erneut die Erkenntnis: So ganz schlecht ist es hier auch nicht. Und der Juli-Inseltag steht schon im Kalender.

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 33/2023: Menschen in der längeren Schlange

Montag: Eine Woche auf dem Rhein an Bord des Flussschiffs „Alisa“ liegt vor uns, wo wir, wie bei solchen Reisen üblich, durch unsere Anwesenheit den Altersdurchschnitt geringfügig senken. Noch ist das so, mit jedem Jahr verringert sich der Abstand, was will man machen. Nachdem wir gestern Nachmittag wie berichtet in Köln-Deutz losgefahren waren, legten wir nachts in Koblenz an. Dank Ohrstöpseln schlief ich gut und bekam weder von der nächtlichen Fahrt noch vom Anlegemanöver etwas mit.

Auf einen Landgang verzichteten wir, stattdessen nutzte ich die Zeit zum Lesen der Tageszeitung und Nachlesen der Blogs, wozu ich gestern nicht gekommen war, weil es ständig was zu kucken, essen oder trinken gab. Kurz vor Mittag legten wir in Koblenz ab mit Tagesziel Rüdesheim. Während der Fahrt fielen ein paar Tropfen Regen, die uns nicht vom Oberdeck vertreiben konnten, wo wir uns dem schauenden Genießen im Mittelrheintal hingaben.

Sankt Goarshausen

Nach Ankunft und Abendessen gingen wir eine kurze Runde durch Rüdesheim, unter anderem durch die für was und warum auch immer berühmte Drosselgasse. Es war überraschend warm geworden. Anschließend ließen wir den Abend an Deck ausklingen und gingen zeitig zu Bett.

Regionaltypisches Kunsthandwerk
Dämmerung über dem Mittelrhein, Blickrichtung Westen. Links Bingen, rechts Rüdesheim

Dienstag: Nach nächtlicher Abfahrt aus Rüdesheim hatte sich das Erscheinungsbild der vorüberziehenden Landschaft morgens grundlegend geändert. Anstelle von Mittelrheinromantik mit Burgen, pittoresken Orten und Weinbergen nun Industrieanlagen von BASF am Rheinufer, auf jeden Fall auch sehenswert.

BASF-Werk, Teilansicht

In Ludwigshafen legten wir direkt vor einem riesigen Einkaufszentrum an, in das man mühelos hinein und nur mit einigem Suchen wieder hinaus gelangte. (Welch Alptraum: gefangen in einem Einkaufszentrum.) Nachdem uns das gelungen war, besuchten wir die Innenstadt, an deren städtebauliche Ästhetik ich keine hohe Erwartung hatte; ich wurde nicht enttäuscht.

Das Rathaus. Fast so ästhetisch wie das Bonner Stadthaus.

Nachmittags nutzen wir den angebotenen Bustransfer ins nahe Mannheim, wo wir durch die berühmten Planquadrate flanierten und die Eisdiele aufsuchten, in der angeblich einst das Spaghettieis erfunden wurde. Zurück nach Ludwigshafen gings mit der Straßenbahn.

Planquadrat C4

Mittwoch: Heute standen wir unzeitig früh auf, da wir einen Ausflug nach Straßburg gebucht hatten. Zur Frühstückszeit legten wir gegenüber einem Containerumschlag an. Für mich ist es ein logistisches Wunder, wie es gelingt, die angelieferten Stahlblechkästen sinnvoll hochzustapeln und sie anschließend in angemessener Zeit auf die richtigen Schiffe, Eisenbahnwagen und LKW zu verladen. Wie hat man das früher gemacht ohne Unterstützung durch künstliche Intelligenz?

Mit unserem lagen insgesamt acht Hotelschiffe am Kai, jeweils in Zweierpaaren nebeneinander („Päckchen“, wie es nautisch korrekt heißt) festgemacht, auf dem Parkplatz davor mindestens genauso viele Busse. Es dauerte einige Zeit, bis die ausflugswilligen Touristen auf die Busse verteilt waren, mehrfach wurde durch die gleichbleibend gut gelaunten Reiseleiterinnen nachgezählt, auf die vorgesehene Schiff-Bus-Zuordnung hingewiesen und nachgefragt, ob Kabine 123 vollständig anwesend sei; insgesamt ein Vorgang, der dem Containerumschlag an Komplexität recht nahe kommt.

In der Straßburger Innenstadt ging es ähnlich weiter: Da vier der Busse ihre Fahrgäste zur selben Zeit am selben Ort aussetzten, liefen erstmal alle wild durcheinander und es dauerte einige Zeit, bis jede Gruppe und ihre jeweilige Stadtführerin zusammengefunden hatten.

Zweifellos.

Straßburg ist sehenswert, wenn auch touristisch etwas überlaufen, woran wir heute unseren Anteil hatten, wie ich selbstkritisch bekenne. In der Nähe des Münsters gibt es eine öffentliche Toilette, zu erreichen über einen Treppenabgang. Davor zwei Schlangen, eine kurze aus Männern mit zügigem Fortgang und eine lange mit größerem Geduldsbedarf aus Frauen, naturgegebene Ungerechtigkeit, oder Gender-Pee-Gap, wie es auf neudeutsch heißt. Frauen darf man auch nicht mehr einfach so sagen, wie gewisse Kreise fordern, deshalb mein Alternativvorschlag zu „Mensch:innen mit Gebärmutter“: Menschen in der längeren Schlange.

Die Weiterfahrt nach Basel gestaltete sich etwas ungemütlich, da wegen der beschränkten Durchfahrthöhen mehrerer zu passierender Schleusen immer wieder zwei der drei Sonnendächer an Deck ab- und wieder aufgebaut wurden, das dritte wurde gar nicht erst aufgestellt. Vor jeder Schleuse wurden die Reisenden unter den Segeln vertrieben, die Harten blieben oben und trotzten der stechenden Sonnenglut, die anderen flüchteten nach unten. Nach den Schleusen drängte man wieder mit Stuhl in die Schatteninseln. Immer in Bewegung bleiben, auch und gerade im Urlaub ganz wichtig.

Donnerstag: Ja, schon Donnerstag. In Arbeitswochen löst diese Erkenntnis regelmäßig Mundwinkelhebungen aus, in einer einwöchigen Urlaubswoche dagegen bedauerndes Staunen ob der Vergänglichkeit der Zeit.

Am Morgen erreichten wir Basel, den südlichen Endpunkt der Reise. Nach dem Frühstück erkundeten wir zu Fuß und ungeführt die linksrheinische Innenstadt, die sich durch mehrere Baustellen, wenig Auto-, dafür viel Straßenbahn- und Fahrradverkehr auszeichnet, wobei die Radfahrer verglichen mit Bonn insgesamt disziplinierter und rücksichtsvoller gegenüber Fußgängern erscheinen, vielleicht täuscht das auch, weil man im Urlaub entspannter und toleranter ist.

Eine Baseler Besonderheit ist das Rheinschwimmen. Während in Bonn und Umgebung immer wieder eindringlich davon abgeraten wird, weil schon viele nicht mehr lebend ans Ufer zurückkehrten, sind in Basel rechtsrheinisch längere Schwimmstrecken amtlich ausgewiesen. Wie ich vor längerer Zeit las, nutzen die Baseler das nicht nur zum Freizeitvergnügen, sondern auch zur regulären Fortbewegung von A nach B, auch als Arbeitsweg. Dafür wurde ein spezielles Hilfsmittel geschaffen, der sogenannte Wickelfisch, ein wasserdichter Beutel, in den man während des Schwimmens Kleidung und andere mitgeführte Gegenstände verstaut. Selbst wenn es in Bonn möglich und erlaubt wäre: Mir wäre es zu umständlich, mich nach einem Arbeitstag am Rheinufer zu entkleiden und nach Ankunft unter Passantenblicken zu trocknen und wieder anzuziehen. Und viel zu kalt.

Gewitter mit Kurzregenbogen hinter Basel
Das Schönste sind die getränkbegleiteten Abendfahrten.

Aus einem Zeitungsbericht über Restaurants in der Bonner Gegend: »Beide sind weiterhin beliebte Adressen für Foodies.« Mir vergeht der Appetit.

Freitag: Der Tag begann mit Nana Mouskouri und „Guten Morgen Sonnenschein“ aus dem Bordlautsprecher, das danach noch mehrere Stunden ohrwurmend nachhallte. Immerhin besser als Rammstein oder Max Giesinger.

Über Nacht waren wir in Breisach angekommen, wo sich der Anleger direkt vor einem Betrieb befindet, der Steinwürfel und -quader in diversen Größen und Split produziert. Nach dem Frühstück spazierten wir zum und durch den recht hübschen Ort, wo an ungefähr jedem dritten Gebäude eine Erklärtafel zur Geschichte des Bauwerks angebracht ist, was eine leicht museale Anmutung erzeugt.

Finde den Fehler

Da nach Rückkehr bis zum Mittagessen noch etwas Zeit war, gaben wir uns an Deck der Lektüre hin, derweil vor uns mehrere LKW mit Split beladen wurden; die aufgestapelten Steinwürfel blieben hingegen unangetastet. Mittags legten wir ab mit dem nächsten Ziel Worms.

Beachten Sie das Fabrikschild an dem Kran.

Samstag: Aufgewacht vor Worms. Auch hier flanierten wir vormittags durch die Stadt, deren Schönheit sich vermutlich, soweit ich es nach dieser kurzen Runde zu beurteilen mir anmaße, erst auf den zweiten oder dritten Blick offenbart; uns war heute nur der erste Blick gewährt.

Schöne Fliesen

Mittags legten wir ab nach Mainz. Wie bereits angedeutet, liegt der Altersdurchschnitt der Mitreisenden eher im Spätherbst menschlicher Lebenserwartung, nur drei Fahrgäste sind deutlich jünger, also auch jünger als wir. Darunter ein Mädchen mit permanent mürrischem Teenager-Gesichtsausdruck. Ich kann das gut verstehen. Hätten mich meine Eltern mit fünfzehn oder sechzehn dazu gedrängt, eine Woche mit ihnen und zahlreichen Greisen an Bord eines Schiffes zu verbringen, mit zielgruppenentsprechendem Unterhaltungsprogramm wie Bingo, einer Tombola und einem lethargischen Bordmusiker, der im Salon auf einem Keyboard eher deprimierende Melodien erzeugt, dazu womöglich Übernachtung mit den Eltern in derselben Kabine, hätte ich auch nicht anders geschaut.

Bei Ankunft in Mainz wurde das Schiff schmeißfliegengleich umschwirrt von diesen ein- bis zweisitzigen Wassermopeds, die ungefähr achtzig Prozent der eingesetzten Energie in Lärm umwandeln. (Der Postillion bezeichnete sie mal treffend als „Düsenbarke“.) Darauf zumeist dunkelhaarige, bärtige junge Männer, ähnlich denen, die in Bonn und anderen Städten mit auspuffknallenden Autos ihre Mitmenschen terrorisieren. Auch hier gilt: Offenbar ist Treibstoff immer noch zu billig. (Ja ich weiß, so ein Schiff verbraucht auch Treibstoff, und das nicht zu knapp.)

Mainz

Zu Mainz fällt mir ein alter, nun ja: Witz ein, der nur mündlich funktioniert. Er geht ungefähr so: „Sie finden, <beliebige Stadt> ist ein Drecksloch? Dann sollten Sie erstmal Mainz sehen.“

Sonntag: In den frühen Morgenstunden endete die Reise im Hafen von Köln-Deutz, wo sie eine Woche zuvor begonnen hatte. Nach dem Frühstück wurden vom Bordpersonal alle Koffer von Bord geschafft. Erst nachdem alle Gepäckstücke vor dem Schiff aufgereiht waren, durften es auch wir Fahrgäste verlassen. Der Koffer des Liebsten schien zunächst verschwunden, fand sich jedoch bald unter einer darauf abgelegten Fremdtasche ein.

Bereit zur Ausschiffung

Nach kurzer Regionalbahnfahrt trafen wir ungefähr zur an gewöhnlichen Sonntagen üblichen Frühstückszeit zu Hause ein, wo der Geliebte angemessene Wiedersehensfreude zeigte. So lag noch ein ganzer Sonntag vor uns, was es mir wesentlich erträglicher machte, bereits morgen wieder ins Werk zu müssen; üblicherweise lege ich auf einen freien Tag zwischen Rückkehr und Arbeitsbeginn großen Wert, aus für Sie völlig uninteressanten Gründen ist das dieses Mal nicht angezeigt.

Daher konnte ich nachmittags den üblichen Sonntagsspaziergang antreten mit Einkehr im Lieblingsbiergarten und der Erkenntnis: Hier in Bonn ist es auch schön, zumal auch hier der Rhein fließt.

Ein beliebtes Modewort in Wohlfühlkreisen ist „Entschleunigung“. So ein Schiffsaufenthalt ist auch sehr entschleunigend: Ich kann stundenlang ohne erkennbare Aktivitäten an Deck sitzen und die vorbeiziehenden Ufer betrachten, stundenlang vor einer Schleuse warten, bis es weitergeht, und im engen Flur hat man immer wieder Rollatornutzer vor sich, an denen man nicht vorbei kommt. Im Gegensatz zum letzten zweiwöchigen Südfrankreichurlaub, wo ich gerne noch viel länger geblieben wäre, genügt auf dem Schiff eine Woche. Irgendwann werden wir das wieder machen, nächstes Jahr wohl nicht, übernächstes … mal sehen. Spätestens, wenn wir den Altersdurchschnitt an Bord nicht mehr senken.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und mir einen nicht allzu trüben Start in den Alltag.

Woche 36/2021: Eine gewisse Würze und ausgefüllte Kästchen

Montag: „Ganz kurz nur.“ Schon als der Kollege das Gespräch mit vorstehenden Worten eröffnete, war klar: Das dauert etwas länger.

Meiner Freude über die wiedereröffnete Kantine verlieh ich bereits Ausdruck. Dort darf aus bekannten Gründen bis auf weiteres nur jeder zweite Sitzplatz benutzt werden, auf den freizuhaltenden Stühlen sind einlaminierte Hinweisblätter ausgelegt. Das hielt zwei Hungrige in meiner unmittelbaren Nähe nicht davon ab, sich an einen Zweier-, somit zurzeit Einzeltisch setzen zu müssen, obwohl ausreichend Mehrpersonentische frei waren; den Hinweiszettel legten sie gut sichtbar und ohne Unrechtsbewusstsein auf den Nebentisch. Den Sicherheitsmann, der wenige Meter daneben stehend über die Einhaltung der Platzregeln zu wachen hatte, interessierte es nicht. Mich immerhin genug, dass ich es notierte.

„Ich liebe Stachelbeeren“, hörte ich im Gehen einen Entgegenkommenden zu seinem Nebenmann sagen. Ich mag sie auch, am liebsten direkt vom Strauch, vor allem die roten; auf Kuchen oder als Kompott hingegen nicht ganz so gerne. Liebe wäre für dieses Mögen daher ein zu starkes Wort.

Dienstag: Wie ich morgens beim ersten Kaffee des Tages in der Zeitung las, plant Helene Fischer im nächsten Jahr ein Deutschlandkonzert. Nicht, dass ich dorthin wollte, indes spielte seitdem mein Hirnradio mindestens bis in den frühen Nachmittag hinein „Die Hölle morgen früh ist mir egal“, mit erschreckend großer Textsicherheit.

Egal könnte und sollte mir sein, wie andere Leute ihre Kinder rufen, und vielleicht verstößt es gegen irgendeinen Bloggerkodex, wenn ich folgendes anzumerken mir nicht verkneifen kann: Es erscheint mir fragwürdig, wenn nicht unverantwortlich, als Mutter den zwölfjährigen Sohn, der einen eigentlich recht schönen anderen Namen hat, öffentlich „Ona“ zu nennen. An das falsche Mitschülerohr geraten könnte das zu unschönen Neckereien führen. Man stelle sich vor, das Kind hieße mit Zweitnamen auch noch Nils. Aber mir soll es egal sein. Zudem steht mir als Kinderlosem derartiges Urteil nicht zu.

Mittwoch: Wie die Zeitung in einer kurzen Meldung wissen lässt, erhalten sieben Länder, darunter ausgerechnet die Türkei, von der EU in den nächsten sechs Jahren wegen Aussicht auf einen Beitritt etwa 14,2 Milliarden Euro an sogenannter „Heranführungshilfe“. Ein wunderbares Wort für eine nach den aktuellen Erfahrungen mit Polen und Ungarn eher fragwürdige Ausgabe.

„Für Kinder ist dieser Virus absolut harmlos. Und die Gefahr von so einer Impfung, die man nicht erforscht hat, ist ungleich höher als der Virus selber.“ – Warum tut Til Schweiger nicht, was sein Nachname ihm nahelegt?

Apropos Name – Namenstag haben laut Zeitung heute diejenigen, die „Mariä Geburt“ in ihrem Ausweis oder vielleicht auf dem Grabstein stehen haben. Das mag ich nicht recht glauben, andererseits ist es dagegen vergleichsweise erträglich, Ona gerufen zu werden.

Donnerstag: Als ich morgens nach einem Fußmarsch mit angenehmer Müdigkeit ins Werk kam, fand ich im Maileingang einen von Inhalt und Umfang her völlig unklaren Arbeitsauftrag vor, der im wesentlichen das Ausfüllen von Kästchen beinhaltet, zu erledigen bis spätestens kommenden Dienstag. Warum ich?, fragte ich mich. Als kurz darauf die Mitteilung über den Eingang der nächsten Gehaltsabrechnung auf dem Datengerät eintraf, fiel es mir wieder ein.

Abends auf dem Rückweg sah ich am Rheinufer etwas, das morgens noch nicht da war und wahrscheinlich schon jetzt, da auch Sie es sehen, von irgendwelchen Vollidioten kaputt gemacht wurde.

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Die Sichtung eines neuen Nachbarn im Nebenhaus durch den Geliebten verlieh der häuslichen Abendkonversation eine gewisse Würze. Ich war zu müde für einen Ausdruck der Missbilligung und sehe vielmehr mit großer Gelassenheit dem langen Gesicht entgegen, wenn erstmals die Freundin des Herrn Nachbarn in Erscheinung tritt.

Freitag: Es hat sich vielfach bewährt, erstmal nichts zu tun. Zu dem gestern beklagten Arbeitsauftrag stellte man sich heute auch an höherer Stelle die Frage nach dem Sinn, bezeichnete dessen Vollzug gar als „overdone“. Leider waren da schon die meisten Kästchen ausgefüllt. Doch wozu klagen – es geschah in gut bezahlter Arbeitszeit.

Samstag: Anscheinend ist es von Relevanz, zu wissen, wo man heute vor zwanzig Jahren war, an dem Tag, als in Amerika … Sie wissen schon. Ich weiß es auch, möchte Sie aber ungern damit belästigen. Eine beliebte Aussage aus jenen Tagen war, von nun an sei nichts mehr, wie es war. Das ist nicht eingetreten, ob zum Glück oder leider, mag jeder für sich bewerten.

Laut Aufschrift auf der Zahnpastatube ist ihr Inhalt für den täglichen Gebrauch bestimmt. Ja was denn sonst?

Gemessen an der Zahl der zerstörten und heruntergerissenen Wahlplakate muss die Politikverdrossenheit erheblich sein. Was würden politische Parteien und Werbetreibende wohl dafür zahlen, wenn es ihnen gelänge, direkt in unsere nächtlichen Träume eingreifen zu können?

Sonntag: Wandertag im Siebengebirge mit lieben, seit Monaten nicht gesehenen Menschen; dazu Wiedersehensfreude unterstreichende Begleitgetränke und eine abschließende Einkehr in Königswinter. Die Hölle morgen früh ist mir egal.