#relevant: Wie wir uns fortbewegen

Die nächste Blogparade bei Blogissimo läuft. Dieses Mal lautet die Aufgabenstellung unter dem Stichwort #relevant: „Fahrrad, Auto, Bus“, also die Frage, wie wir uns bevorzugt von einem Ort zum anderen bewegen. Auf gehts.

***

Fahrrad, Auto, Bus – da fehlen mir wesentliche Elemente (oder: Da regt mich ja die Frage schon auf, wie es Frau Hoppenstedt einst formulierte), nämlich Bahn und zu Fuß, zugleich die von mir bevorzugten Fortbewegungsformen. Ich liebe Gehen, Strecken bis etwa fünf Kilometern lege ich möglichst zu Fuß zurück. Nichts ermöglicht es mehr als das Gehen, die Details der Umgebung so intensiv wahrzunehmen. (Eine besondere Form des Gehens ist das Wandern, auch das liebe ich, wobei die ideale Wanderstrecke nicht zu steil und nicht wesentlich länger als zwanzig Kilometer ist. Dabei dient das Wandern dem Selbstzweck, also der Befriedigung der Wanderlust, nur selten hingegen der zielgerichteten Überwindung einer Strecke von A nach B.)

Für Strecken bis etwa zehn Kilometer, oder wenn die Zeit zu knapp ist zum Gehen, bevorzuge ich das Fahrrad. (Auch hier muss unterschieden werden zwischen zielgerichteter Wegstrecke und Lustfahrten; Radtouren können wesentlich länger werden, dabei sollten sie keine längeren Steigungen enthalten, diese wirken sich deutlich lustmindernd aus. Es sei denn, es steht elektrische Unterstützung zur Verfügung, die mich auf Knopfdruck unsichtbar anschiebt.)

Für weitere Strecken oder wenn es regnet oder sonstige meteorologische Unbill herrscht, fahre ich mit Bahn und Bus. Dank freundlicher Subventionierung durch den Arbeitgeber verfüge ich über das Deutschlandticket, auch wenn es sich für mich eigentlich nicht mehr lohnt. Aber es ist schon äußerst praktisch, bei Bedarf jederzeit irgendwo in einen Bus oder eine Bahn steigen zu können, ohne mir Gedanken über das örtliche Tarifsystem machen zu müssen. Bei größeren Entfernungen ist immer noch die Bahn erste Wahl, trotz ihrer viel besungenen Unzuverlässigkeit, Verspätungen und Ausfälle. Es gibt für mich keine angenehmere Art zu reisen, dabei kann ich stundenlang aus dem Fenster schauen und die durchfahrene Landschaft vorüberziehen lassen, ohne den Drang zu verspüren, auf das Datengerät zu schauen. Vorausgesetzt, ich habe einen Sitzplatz am Fenster, was in heutigen Zügen nicht mehr selbstverständlich ist. Es scheint den Konstrukteuren nicht mehr möglich zu sein, Züge so zu bauen, dass jeder Fensterplatz den freien Blick nach draußen ermöglicht, stattdessen schaut man nicht selten gegen die graue Wand zwischen zwei Fenstern.

Autofahren mag ich nicht, am wenigsten als Fahrer, auch als Beifahrer sitze ich am liebsten hinten, weil mir der Fahrer meistens zu schnell, zu langsam, mit zu wenig Abstand oder unnötig auf der linken Spur fährt. Am meisten stören mich beim Autofahren die anderen Autos, die auf der Autobahn ohne Rücksicht vor mir links rüberziehen oder mich von hinten bedrängen, wenn ich mich an die vorgegebenen Geschwindigkeit halte. Auch Blinken scheint aus der Mode zu sein. Nur wenn es gar nicht anders geht, etwa weil das Ziel mit anderen Verkehrsmitteln nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu erreichen wäre oder schwere Lasten zu transportieren sind, nehme ich das Auto. Ansonsten bin ich glücklich und empfinde es als Privileg, meine Arbeitsstelle wahlweise zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der Stadtbahn zu erreichen und nicht regelmäßig im Stau zu stehen.

Auch hier brachte die Coronazeit einen Wandel. Zuvor fuhr ich fast ausschließlich mit der Bahn zur Arbeit, einmal wöchentlich ging ich zu Fuß. Dann, während der Pandemie, fuhr ich konsequent bei jedem Wetter mit dem Fahrrad statt der Bahn, auch bei Kälte und Regen. (Von der Möglichkeit des Heimbüros machte und mache ich keinen Gebrauch, weil ich das schrecklich finde; das ist ein anderes Thema.) Dabei bin ich geblieben: Montags, mittwochs und freitags fahre ich mit dem Fahrrad, dienstags und donnerstags gehe ich zu Fuß. Außer bei Regen, Sturm, Hagel oder Glatteis, dann nutze ich das Deutschlandticket.

Gesehen im Hamburger Hauptbahnhof

Im Übrigen bin ich auch gerne zu Hause, daher stimme ich voll und ganz Blaise Pascal zu, dem der Satz zugeschrieben wird: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“

Schillernd wie ein Regenbogen

Es ist noch nicht sehr lange her, dass es mich am Wochenende raus zog ins Nachtleben, auf Partys, in Kneipen und Spelunken. Nicht an jedem Wochenende, aber doch regelmäßig. Dabei verschob sich die Motivation im Laufe der Zeit: Ließ mich anfangs, so mit siebzehn, achtzehn, der jugendliche Leichtsinn zuvörderst einen Alkoholrausch erstrebenswert erscheinen, so war es später die Suche nach dem libidinösen Abenteuer oder gar der großen Liebe. Das Internet stand mir zum Zwecke convenienter Anbahnung derartiger Bedürfnisse noch nicht zur Verfügung, man musste dazu vor die Tür.

Was ich schon damals nicht verstand: Warum wurde das immer erst so spät voll im EXIT, im Heat, in Muttis Bierstube, wie meine bevorzugten Abenteuerspielplätze in Bielefeld hießen? Warum hatte es keinen Zweck, vor dreiundzwanzig Uhr das Haus zu verlassen, begleitet von Mutters Frage „Wo willst du denn jetzt noch hin?“

Dort saß ich dann, stundenlang, nächtelang bei Bier oder, je nach gewähltem Verkehrsmittel, Cola an der Theke und schaute dem Barmann beim Gläserspülen zu, während mein Traumprinz jeden Moment eintreffen musste. Manchmal kam ich ins Gespräch, seltener zum Abenteuer, nach dessen Vollzug ich zumeist ohne jede Euphorie, dafür eher mit der Frage „War das jetzt wirklich nötig?“ in der Nacht nach Hause fuhr, manchmal noch einsamer als am Abend zuvor losgefahren. Die große Liebe fand ich dort nie. Die fand ich erst viel später, bei ganz anderer Gelegenheit bei Tageslicht, aber das ist eine andere Geschichte.

1999 zog ich mit dem Liebsten nach Bonn. Dort liegt Köln mit seiner großen Szene gleichsam vor der Haustür oder, je nach Betrachtungsweise, Bonn vor den Toren Kölns. Die Suche nach der großen Liebe hatte sich glücklicherweise inzwischen erledigt, das gelegentliche Interesse an Spaß und Abenteuer war hingegen noch nicht ganz verklungen und gemäß gegenseitiger Vereinbarung auch erlaubt. Oft nahmen wir den Zug um kurz nach halb elf, zusammen mit anderem feierfreudigem Jungvolk, zu dem wir uns auch noch zählten. Vom Bahnhof Köln Süd liefen wir zum Rudolfplatz, wo unsere Kneipen waren, erster Anlaufpunkt das Corner. Irgendwann kam der Punkt, wo unser Bedarf an Schlagermusik gedeckt war und uns der Sinn nach „ernsterer“ Unterhaltung war. Diese fanden wir im Midnight Sun, einem Etablissement, dessen Zweck detailliert zu beschreiben die Richtlinien von WordPress in moralisch-sittlicher Hinsicht möglicherweise überschreiten würde.

Oft war ich auch alleine dort, weil der Liebste nach Kölsch, Corner und Kuhn* des Vergnügens müde mit dem nächsten Zug zurück nach Bonn fuhr, während ich noch ein paar Stündchen blieb. Nicht selten war es bereits wieder hell draußen, wenn für mich die Mitternachtssonne untergegangen war und ich von Bier und Befriedigung beschwingt gen Südbahnhof ging.

Das Midnight Sun gibt es nicht mehr. Irgendwann wurde es umbenannt in Basement, aber da hatte ich schon die Lust an durchkreuzten Nächten weitgehend verloren. Inzwischen ist auch das Basement Geschichte, letzten Herbst wurde es gar als Lagerraum angeboten.

Mittlerweile habe ich das Alter jener Herren erreicht, bei deren Anblick ich mich in all den Spelunken fragte: Was will der alte Sack denn noch hier? Ja, ich bin nun selbst ein alter Sack, und wissen Sie was? Das ist herrlich! Mit meinem Spiegelbild bin ich noch einigermaßen zufrieden, selbst am Montagmorgen. Ohne Wehmut schaue ich auf die oben geschilderten Nächte zurück, in denen ich vieles erlebte. Doch die ruhigen Frei- und Samstagabende, die ich jetzt mit meinen beiden Lieben zu Hause verbringe, möchte ich nicht dagegen tauschen. Rausch und Abenteuer inbegriffen, manchmal bis in die Morgenstunden, wenn auch anders.

Dafür bin ich sehr dankbar.

——

* Kuhn, Dieter-Thomas, Schlagersänger; beliebt nicht nur im Corner, aber dort besonders: „… schillernd wie ein Regenboooooooooohogen …“