Woche 12/2024: Teilweise gleichgültig

Montag: Bereits um halb neun die erste Besprechung, die volle Konzentration und aktive verbale Teilnahme meinerseits erforderte. Das mag ich frühmorgens und erst recht montags überhaupt nicht. Man kann es sich nicht immer aussuchen.

Eine lästige Begleiterscheinung der Werktätigkeit sind Zielvereinbarungen und Leistungsbeurteilungen, aus denen sich die Höhe der jährlichen Bonuszahlung ergibt. Ich halte das für entbehrlich, ein Bonus motiviert mich nicht, besser, schneller oder mehr zu arbeiten. Wenn man mir also zusätzlich zum regelmäßigen Monatsgehalt etwas draufzahlen möchte, wogegen nichts einzuwenden ist, könnte man das wesentlich vereinfachen: Man nehme hundert Prozent der sogenannten variablen Vergütung, meinetwegen auch nur achtzig oder neunzig, teile sie durch zwölf und schlage sie monatlich dem Regelgehalt zu, das würde viel Zeit sparen. Aber mich fragt ja keiner. Zusätzlich muss mein Chef jedes Jahr eine Potentialeinschätzung zu meiner Karriereentwicklung abgeben. Ich habe diesbezüglich nur noch geringe Ambitionen, er weiß das, dennoch verlangen es die Regularien. Neben viel Lob und Anerkennung meiner zweifellos guten Arbeit *räusper* schrieb er: »Wirkt bzgl. Veränderungen teilweise etwas gleichgültig«. Treffender hätte er nicht auf den Punkt bringen können, dass mir mittlerweile vieles, um das allgemeines Geschrei gemacht wird, an südlichen Körperregionen vorbei geht. Offensichtlich kennt er mich gut.

Mit entspannter Gleichgültigkeit ließ ich am Nachmittag mehrere wirklich schlecht gemachte Präsentationen mit viel zu viel Text und wirren Grafiken über mich ergehen. Schnell verlor ich das Interesse am Inhalt und achtete nur noch darauf, wie oft die Vortragenden „Genau.“ sagten (sehr oft). Das ist nicht schlimm, weder wird das Vorgetragene später abgefragt noch ist es sonstwie prüfungsrelevant.

Abends las ich in der Zeitung: »Phänomen Kinderfüße – Ob nach der Kita oder dem Spielplatzbesuch: Jungs und Mädchen transportieren unglaubliche Mengen Sand in ihren Schuhen. Ein Orthopäde versucht, das Mysterium aufzuklären« Das Sommerloch scheint dieses Jahr besonders früh zu gähnen.

Dienstag: Des nachts geträumt: Kurz nach meiner Geburt beugten sich mehrere Wissenschaftler in weißen Kitteln über mein Kinderbettchen, einer sagte: „Wenn wir wüssten, wie es dazu kommen konnte, hätten wir die Welt entschlüsselt.“

Morgens gedacht: Kino und heimischem Bad ist gemeinsam, dass ich die gleichzeitige Anwesenheit anderer Menschen dort als äußerst störend empfinde. Deshalb meide ich Kinos schon seit längerem, wohingegen ich um den allmorgendlichen Badaufenthalt nicht herumkomme.

Dienstagsüblich ging ich zu Fuß ins Werk mit den üblichen Erschei- und Begegnungen.

Stau auf der Konrad-Adenauer-Brücke, in Zeiten knapper Zeit allgemein nur Südbrücke genannt

Als Fußgänger nimmt man Details am Wegesrand wahr, die dem Rad- und Autofahrer im Vorbeisausen zumeist verborgen bleiben.

Experten raten, mit Trinken nicht zu warten, bis der Durst kommt

Seit gestern ist das Büro neben meinem nach jahrelangem Leerstand wieder belegt, durch die hellhörig-dünne Rigipswand dringt wörtliche Rede, anscheinend telefoniert mein neuer Nachbar Umwohnender gerne. Für mich bedeutet das Umgewöhnung und Zurückhaltung bei den üblichen Selbstgesprächen, sobald ich mich allein wähne.

Vormittags kam die dicke Taube angeflogen, lief vor dem Fenster ein paar mal auf und ab, schaute abwechselnd auf den leeren Futterteller und auffordernd-vorwurfsvoll mich an, ehe sie wieder abflog und nicht wiederkehrte. Ich tat beschäftigt.

Mittwoch: Hey Basti, Alex, Chris und Flo, glaubt ihr wirklich, eure Eltern hätten für euch diese schönen Namen ausgesucht, damit ihr sie derart lächerlich verstümmelt?

Donnerstag: Am Rheinufer wurde morgens eine Schießbude aufgebaut, davor stand ein Taxi aus vergangenen Zeiten. Wenig später verstand ich: Sie waren Bestandteil von Dreharbeiten für eine ZDF-neo-Serie, wie ein an einem Pfahl angebrachter Aushang informierte. We häufig mag ich mich schon über Dinge am Wegesrand gewundert haben, bei denen es sich in Wahrheit um Filmrequisiten handelte. Manchmal dann für einen ziemlich schlechten Film.

Schiesshalle mit Schreibfehler

Vormittags geriet ich beim Erstellen einer Anwendungsbeschreibung in den Zustand, der allgemein als Flow bezeichnet wird. Das ist auch mal ganz schön.

„Da scheint am Code was faul zu sein“, hörte ich in einer Besprechung, woraufhin kurzzeitig olfaktorisches Ungemach in meine geistige Nase drang.

„Hallo … mögen Sie Kinder?“ – „Nein, ich finde Kinder furchtbar.“ – „Auch Ihre eigenen?“ – „Das sind die schlimmsten.“ – Dieser Dialog hätte ablaufen können, als mich auf dem Heimweg in der Innenstadt eine junge Frau ansprach, die zum Infostand einer Kinderschutzvereinigung gehörte, der geschickterweise so an einer baustellenbedingten Engstelle platziert war, dass man ihm und seiner Besatzung nicht ausweichen konnte. Tatsächlich lief es so ab: „Hallo der Herr, darf ich Sie kurz …“ – „NEIN DANKE.“ – „Sind Sie Anwalt?“, rief sie mir noch hinterher, wie auch immer sie darauf kam.

Das schlimmste Kind ist im Übrigen das aus der Kijimea-Reklame. Ähnlich wie der überdrehte Seitenbacher-Schwabe ein überzeugender Grund, das beworbene Produkt zu meiden.

Freitag: Würde ich dazu neigen, mich über Dinge aufzuregen, hätte ich morgens Gelegenheit dazu gehabt, als ein stehend warnblinkender Lieferwagen die Radspur an der stark befahrenen Adenauerallee in voller Breite blockierte und mich mit dem Rad auf den Gehweg nötigte. Statt zu zürnen machte ich ein Foto davon und schickte es mit dem vorgesehenen Formular ans Ordnungsamt. Das nützt überhaupt nichts, indes war mir heute danach.

Die frühe Besprechung am Montag war nicht vergebens: Vorletzte Woche Mittwoch beklagte ich, dass sich eine Werksangelegenheit aus rein formalistischen Gründen voraussichtlich um vier Wochen verzögern wird, »Es sei denn, bestimmte Kollegen drücken ein Auge zu, was so wahrscheinlich ist wie Trumps Verzicht auf die Präsidentschaftskandidatur und die Erreichung der Klimaziele durch die Bundesregierung«, schrieb ich dazu. Die Welt kann hoffen: Kurz vor Arbeitsende erreichte mich die Nachricht, dass die Kollegen zugestimmt haben. Für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass Beteiligte hier mitlesen: Vielen Dank!

Samstag: Morgens brachen wir auf nach Beaune im Burgund, wo wir nach etwa fünf Stunden weitgehend ereignisloser Fahrt angekommen sind. (Da wir zum Zeitpunkt der Notiz noch hier sind, ist Perfekt wohl die korrekte Zeitform.) Das Hotelzimmer war bei Ankunft noch nicht bezugsfertig, deshalb gingen wir in die Stadt auf einen ersten weinbegleiteten Imbiss. Das Wetter zeigt sich aprilig mit Sonne und ab und an etwas Regen, dazu weht kühler Wind durch die Straßen. Ansonsten fanden wir die Stadt und das Hotel dem ersten Eindruck nach so vor, wie wir sie zuletzt nach Weihnachten zurückgelassen hatten. Wir sind sehr zufrieden.

Sonntag: Zu sonntagsunangemessener Zeit waren wir morgens auf, weil der Geliebte weit vor acht Uhr, somit lange vor meiner Sprechzeit, nicht mehr schlafen konnte und das Gespräch suchte. Offensichtlich war die Weinmenge am Vorabend unzureichend, das müssen wir bei der Abendplanung künftig berücksichtigen.

Nach dem Frühstück unternahmen wir eine Ausfahrt nach Cluny, wo wir die Reste der einstmals größten christlichen Kirche der Welt besichtigten, bevor sie den Menschen der Region als Steinbruch diente; im achtzehnten Jahrhundert nahm man es mit dem Denkmalschutz noch nicht so genau. Man muss nicht gläubig sein, um von den Rudimenten auch heute noch angemessen beeindruckt zu sein.

Auf dem Weg dorthin machten wir Halt in Chagny, wo heute Markt war. Neben den üblichen Produkten wie Käse, Obst, Gemüse, Brathähnchen, Billigtextilien und Handyhüllen war an einem erstaunlich gut frequentierten Stand lebendiges Geflügel zu erstehen. Die Tiere wurden einem Gatter entnommen und in einen geräumigen Karton verbracht, der zugeklebt dem Käufer übergeben wurde. Das ließen die Vögel ohne erkennbaren Widerstand über sich ergehen, als hätten Sie mit ihrem Schicksal abgeschlossen. Manchmal ist das ja von allen Optionen die beste.

Was würde PETA sagen?
Robuster Marktbeschickerhumor

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Abgeschossen ist nun auch dieser Wochenrückblick, kommen Sie gut durch die neue Woche.

Woche 43/2022: Lärmemission von Straßenkehrmaschinen und individuelle Freiheiten

Montag: Während der Radfahrt ins Werk und zurück wurde ich heute zweimal von Autos behindert, die unmittelbar vor mir auf dem Radstreifen anhielten, und zweimal von Radfahrern, die ohne nach hinten zu schauen einfach vor mir einbogen. Viel mehr ist über diesen ansonsten an Ungemach armen Tag nicht zu vermerken.

(Bitte denken Sie sich hier ein ausgiebiges Stöhnen und Seufzen.)

Dienstag: Als grundsätzlich und erst recht öffentlich ungern Telefonierender wird es mir für den Rest meiner vielleicht noch zahlreichen Tage ein Rätsel bleiben, warum so viele bereits morgens deutlich vor acht schon mit dem Telefon am Ohr (beziehungsweise flach vor das Gesicht gehalten) durch die Gegend laufen.

Dienstag ist Gehtag.

Zum Weltnudeltag gab es in der Kantine Spaghetti Bolognese. Dessen ungeachtet entschied ich mich für Krakauer an Kartoffelsalat.

Das Duden-Wort des Tages lautet „resultativ“, das Jugendwort des Jahres „smash“. Von mir aus.

Mittwoch: Zu früher Morgenstunde erwachte ich aus einem Traum und dachte: Das ist witzig, das muss ich mir merken und später bloggen. In der Tat gelang es, was keineswegs selbstverständlich ist, mir das Geträumte bis zum Morgen und darüber hinaus zu merken. Nur war es bei Lichte betrachtet weder witzig noch sinnergebend, daher bleibt es ungebloggt.

Mittags auf dem Rückweg vom Essen begegneten mir zwei Damen, deren eine also sprach: „Es gibt ja so‘ne und solche, aber DAS sind die allerschlimmsten.“ Ich weiß nicht, wer oder was gemeint war, fand es indes notierenswert.

Ich weiß wirklich nicht, warum dieses Gebäude immer wieder ins Bild springt.

Die dümmste Überschrift des Tages las ich im Tagesspiegel: »Wenn‘s am Briefschlitz selten klappert«.

Es ist fast November, und der Wettermann verkündet für die nächsten Tage bis zu sechsundzwanzig Grad. Was für Zeiten.

Donnerstag: Das Schöne an einer Partnerschaft ist, man hat jemanden an der Seite. Das Schlechte: Man wird nachts von der Seite angeschnarcht.

Ein weiteres zu unrecht vernachlässigtes Problem ist die Lärmemission von Straßenkehrmaschinen.

Freitag: Morgens fand ich die Haupteingangstür zum Bürogebäude verschlossen vor. Doch zeigte sich der Werkssesam am Seiteneingang einlassbereit, wodurch sich die Hoffnung auf einen arbeitsfreien Tag schnell verflüchtigte.

Schnell und zudem lichtlos war der Geliebte morgens mit dem Fahrrad unterwegs, was von der Staatsgewalt nicht unbemerkt blieb.

Augenscheinlich sieht sich auch der Freund und Helfer inzwischen als kundenorientierter Dienstleister.

Samstag: Besuch der Mutter in Bielefeld, aus logistischen Gründen mit dem von mir wenig geschätzten Automobil. Wieder einmal wurde deutlich, wir benötigen nicht nur ein generelles Tempolimit auf Autobahnen, sondern auch mehr Kontrollen und schmerzhaftere Bußgelder. Es ist schon bemerkenswert, wie viele Autofahrer bestehende Geschwindigkeitsbegrenzungen mit großer Selbstverständlichkeit und hohem Tempo ignorieren. Dazu passend schrieb Dr. Stefan F. aus N. in seinem Leserbrief an den Bonner General-Anzeiger: »Nach meiner Überzeugung ist die größte Gefahr für unser Gemeinwesen nicht der Klimawandel, sondern die Forderung, individuelle Freiheiten zur Bekämpfung des Klimawandels zu beschneiden.« Überzeugungen wie diese sind es, die mir jede Hoffnung auf einen längerfristigen Fortbestand unserer Spezies längst genommen haben und die diesen auch nicht länger rechtfertigen lassen.

Das WESTFALEN BLATT über die Zeitumstellung

Sonntag: Die Rheinnixe hat ausgedient. Jahrzehntelang verband sie das Bonner Rheinufer mit Bonn-Beuel. Nachdem der Fährmann seine letzte Überfahrt ins Jenseits angetreten hat, findet sich niemand, der den Job übernimmt, auch sollen die Fahrgastzahlen rückläufig sein. Deshalb haben sich die Betreiber entschlossen, die Verbindung einzustellen. Ich habe sie höchstens zwei- oder dreimal benutzt; mir leuchtete nicht ein, sich gegen – wenn auch geringes – Entgelt mit der Fähre ans andere Ufer bringen zu lassen, wenn man auch entgelt- und wartezeitfrei die naheliegende Brücke nutzen kann. Trotzdem schade, mit der Rheinnixe verschwindet ein kleines Stück Bonn. Jetzt ist sie am Beueler Ufer festgemacht und harrt ihrem weiteren Schicksal entgegen. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die üblichen Idioten damit beginnen, sie zu beschmieren und die Scheiben einzuschlagen.

Die Rheinnixe heute Mittag in Beuel

Aufgrund der aktuellen Wetterlage waren beide Rheinufer von mehr oder weniger sommerlich bekleideten Menschen zu Fuß und zu Fahrrad bevölkert. Zurück auf der Bonner Seite endete der Spaziergang mit dem in diesem Jahr voraussichtlich letzten Besuch des Lieblingsbiergartens, wo ich die persönliche Untergangsstimmung bei einem kühlen Hellen genoss.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.

Woche 44: Womöglich peinlich berührt

Montag: Es ist kalt geworden, weshalb ich wieder mit der Bahn statt mit dem Fahrrad zum Werk fahre, die, am Rande gelobt, bezüglich Zuverlässigkeit heute keinen Grund zur Beanstandung bot. Stattdessen zwei Erkenntnisse bei der Betrachtung der Mitreisenden. Erstens: Die schlimmsten Entstellungen entstehen oft durch Frisuren. Zweitens: Es ist kein Wunder, wenn die Welt, in der alle nur noch auf ein Datengerät starren, immer bekloppter wird.

Dienstag: In einer Besprechung höre ich mehrfach das Wort „Zielbild“. Was soll das sein? Ein Bild von einem Ziel? Etwas, das nur wie ein Ziel aussieht?

„Wir haben uns dazu intensiv zusammengesetzt„, sagt ein anderer. Darüber möchte man auch nicht näher nachdenken.

Mittwoch: Statt Ziel- hier ein Herbstbild, entstanden kurz vor Ankunft im Werk:

KW44 - 1

Für gewöhnlich werden öffentlich geführte Telefonate von Unbeteiligten als eher störend empfunden. Nicht so heute Abend im Bonner Hauptbahnhof. Nachdem der Zugansager den Regionalexpress nach Koblenz angesagt hatte, vergaß er offenbar, das Mikrofon zu deaktivieren, oder sich zu muten, wie Menschen es auszudrücken pflegen, wenn sie sich smart fühlen wollen. Was sonst eine Zumutung ist, zauberte zahlreichen Menschen auf den Bahnsteigen ein Lächeln ins Gesicht, als sie hörten, wie der Ansager mit Nicki oder Micki telefonierte, etwa so: „Alles klar bei dir, Nicki? … Ja … Nein, nicht? Dann ist das eben so, Nicki …“ und so weiter. Also nichts für fremde Ohren Interessantes oder gar Intimes, mehr so das Übliche, was man auf der Straße und in der Bahn täglich zu hören bekommt und was keiner Notiz würdig erschiene. Doch in dieser Situation gereichte es zahlreichen Menschen zur Freude. Bald verstummte der Lautsprecher mitten im Satz, der Sprechende hatte wohl seinen Fehler bemerkt und – womöglich peinlich berührt – schnell den Mikrofonknopf gedrückt, wohingegen das Lächeln der Wartenden noch etwas länger anhielt.

Donnerstag: Heute lächelte ich bereits am frühen Morgen beim Rasieren, obwohl das aus unlängst genannten Gründen seit geraumer Zeit in einer inhäusigen Baustelle erfolgt. Der Grund für meine Freude kam aus dem Radio, ich beschrieb ihn schon mal hier.

Auch die Lektüre der Tageszeitung hob mir die Mundwinkel ein wenig: „Drei Wochen nach dem Anschlag in Halle hat das Bundeskabinett ein Neun-Punkte-Paket beschlossen, um Betroffene von Hass und Drohungen im Netz, aber auch real vor der Haustür besser zu schützen.“ Haustüren sind ja schon lange eine völlig unterschätzte Quelle des Ungemachs.

„Staat muss mit weniger Geld auskommen“, steht auf der Titelseite derselben Ausgabe, bereits drei Seiten weiter diese Überschrift: „Mehr Geld für den Bund“. Die Zeiten sind sehr schnelllebig geworden.

Freitag: Allerheiligen. Ich muss nicht ins Werk, weil die Katholiken heute irgendwas feiern. Da mir als bekennendem Agnostiker nichts besonders heilig ist, mache ich es mir auf dem Sofa bequem, schaue dem jungen November zu, wie er mit Regen, Wind und Herbstestrübe Einzug hält, und lese. Nämlich in der Kulturbeilage des SPIEGEL ein Interview mit dem norwegischen Schriftsteller Jo Nesbø, wo er dieses sagte:

„Ein Schriftsteller wie ich besitzt keinen besseren Zugang zu Wissen und Informationen als seine Mitmenschen. Das macht es ein bisschen altmodisch und lächerlich, Schriftsteller nach ihrer Meinung zu wichtigen Weltproblemen zu fragen.“

Danach beendete ich die Lektüre des Buches „Das Ende vom Ende der Welt“ von Jonathan Franzen, von dem ich mir mehr oder was anders versprochen hatte, weshalb es demnächst Ihrer Abholung aus einem öffentlichen Bücherschrank anheim gestellt wird. Dennoch fand ich auch darin zwei zitierenswerte Sätze:

„Es stimmt, dass die effektivste Einzelmaßnahme, die ein Mensch treffen kann, nicht nur im Kampf gegen den Klimawandel, sondern auch zur Erhaltung der Biodiversität, darin besteht, keine Kinder zu kriegen.“

[…]

„Selbst in einer Welt, in der alles stirbt, wächst neue Liebe nach.“

Den zweiten Satz könnte ich mir gut in meiner Todesanzeige oder auf meinem Grabstein vorstellen. Wobei – der erste passte auch.

Samstag: Apropos Grabstein – „Stirb, du Hund“, hörte ich jemanden sagen, der mir in der Fußgängerzone begegnete. Da ich ihn nicht kannte und mir auch sonst keiner Schuld bewusst bin, durch was ich seinen Groll auf mich gezogen haben könnte, nehme ich an, die Anrede galt nicht mir, sondern war Teil der Unterhaltung mit seiner Begleiterin. Aber man weiß ja nie in dieser immer bekloppteren Welt.

Sonntag: WDR 2 sendet mittags den „Tatort-Check“ als Appetitanreger auf den „Tatort“ am Abend auf ARD, wo Millionen ihn mit großer Begeisterung anschauen und am Montag im Büro darüber reden. Einen Porno-Check hörte ich indessen noch nie, weder öffentlich-rechtlich noch privat, denn Porno ist bäh. „Porno hat mit echtem Sex nichts zu tun“ – „Porno zeigt nicht die Wirklichkeit“ – Ich mag es nicht mehr hören und lesen! Porno bedeutet gerade nicht, dass Frauen mit hochhackigen Schuhen spitze Schreie ausstoßen, während sie von dickbäuchigen Männern mit schmierigen Haaren von hinten an der Küchenanrichte penetriert werden, und auch nicht, dass alte Männer mit haarigem Rücken schlanken körperrasierten Jünglingen ihren Dings in Körperöffnungen treiben. Es gibt auch gute Pornos, die der Wirklichkeit sehr nahe kommen, und es gibt echten Sex, der gefilmt einen ziemlich guten Porno ergäbe, glauben Sie mir, ich kann das beurteilen, ohne prahlerisch wirken zu wollen. Was sagt das über uns aus, wenn die Betrachtung heimtückischer Morde breite gesellschaftliche Anerkennung findet, während es die Jugend gefährdet, anzusehen, wie zwei oder mehr Menschen den natürlichsten Spaß der Welt miteinander haben?