Stöckchen: Neunzehnhundertachtundachtzig

Frau serotonic hat ein virtuelles Stöckchen gefangen, mit welchem sie aufgefordert wurde, in ihrem Blog einen Blick zurück auf ihr persönliches Jahr 2003 zu werfen. Da ich das für eine schöne Idee halte, rief ich bereitwillig „hier“, als sie sich anschickte, das Stöckchen weiter zu werfen. Und da ich schon ein alter Sack bin und die Stöckchenwerferin das offenbar weiß, wies sie mir das Jahr 1988 zu – ganz schön lange her. Aber nach einem Blick ins Tagebuch und auf diverse Musikkassetten gelingt auch mir dieser Rückblick mühelos. Alsdann:

Mein Jahr 1988

Alter: süße 21 Jahre.

Beziehung: Weit entfernt von einer solchen, dafür verzweifelt auf der Suche. Zeitweise ahnte ich bereits, dass ich möglicherweise in die falsche Richtung schaute, was ich aber ein weiteres Jahr lang mehr oder weniger erfolgreich verdrängte.

Beruf: Im August beendete ich meinen Vorbereitungsdienst für den „mittleren nichttechnischen Postdienst“ und durfte mich nach erfolgreich bestandener Laufbahnprüfung fortan mit der Dienstbezeichnung „Postassistent zur Anstellung“ schmücken. Damals war es noch einfach, die Frage „Was machst du beruflich“ zu beantworten: Schalterbeamter bei der Deutschen Bundespost.

Musik: Nichts bestimmtes, dieses Zeug der späten Achtzigerjahre halt. Hier eine repräsentative Auswahl: „Ship Of Fools“ von World Party, „Standing On Higher Grounds“ von Alan Parsons Projekt, „True Faith“ von New Order, „Ayla“ von Flash And The Pan, „Never Tear Us Apart“ von INXS und „Heart´s Desire“ von Gerry Rafferty (B-Seite von „Shipyard Town“. Wenn Sie nicht wissen, was eine B-Seite ist, scheuen Sie sich nicht, zu fragen.)

Haare: Weiß ich nicht mehr genau, leider (oder zum Glück) gibt es von mir so gut wie keine Bilder aus der Zeit. Vermutlich etwas länger als heute. Jedenfalls war es morgens immer ein Kampf mit Geltube und Fön, den ich meist verlor – selten lagen sie so, wie ich es gerne gehabt hätte.

Aufenthaltsort: Bielefeld-Stieghorst, in meinem Elternhaus, inklusive Verpflegung und Wäscheservice gegen ein geringes monatliches Entgelt, welches „Kostgeld“ genannt wurde. Bis zur ersten eigenen Wohnung sollten noch fünf Jahre vergehen, auch wäre daran mit meinem schmalen Jungbeamtensalär 1988 noch gar nicht zu denken gewesen.

Fazit: Insgesamt war 1988 kein schlechtes Jahr für mich, jedoch liegt es mir fern, mich in jene Zeit zurück zu sehnen. Früher war nicht alles besser, nur vieles anders.

Wenn Sie nun auch das Stöckchen fangen wollen – die Adresse finden Sie oben.

Tagebuch

In seinem Blog schmerzwach forderte Jannis Ende November dazu auf, in unseren alten Tagebüchern zu stöbern, Fotos davon zu machen und daraus zu zitieren. Ich halte das für eine wunderbare Idee, daher folge ich seinem Aufruf gerne. Seit 1986 schreibe ich mehr oder weniger regelmäßig Tagebücher, bis heute, ich erwähnte es schon. Im Gegensatz zu heute, wo man gar nicht genug Leser haben kann für seine Blogs, Tweets und so weiter, hatte ich damals eine geradezu panische Angst, jemand könnte mein Tagebuch lesen. Daher schrieb ich in deutscher Sütterlin-Schreibschrift, die ich mir kurz zuvor selbst beigebracht hatte. Die Schrift habe ich bis heute beibehalten, denn auch heute noch möchte ich nicht alles, was den Weg in mein Tagebuch findet, von anderen gelesen wissen, zumal das meiste eh höchst uninteressant sein dürfte.

Zur Sache nun: Der nachfolgende Eintrag ist vom 29.11.1992. Ich war mal wieder verliebt (das waren immer die Zeiten, wo meine Tagebücher Hochkonjunktur hatten); leider währte die Gegenliebe nur kurz und erodierte bald zu „Wir können ja Freunde bleiben“. Im Abklingbecken meiner Gefühle entstanden die beiden folgenden Gedichte. Ich neige sonst nicht zu Lyrik, aber hier passte es ganz gut:

*

Chaos
Ich sage dir, daß alles in Ordnung ist zwischen uns.
Ich sage dir, daß ich darüber hinweg bin.
Ich erzähle dir sogar alles von dem anderen.
Ich bemühe mich, das alles selbst zu glauben.
Ich versuche zu vergessen, was war.
Doch wie die Sonne an einem bewölkten Tag
kommt die Wahrheit immer wieder durch
und wirft mich zu Boden.
Dann tut es noch so weh wie am Anfang.
Aber ich weiß, daß die Zeit für mich arbeitet…
Und das gibt mir wieder Hoffnung!

Am selben Tag schrieb ich:

Cognitive Dissonanz
Du sagst, wir passen nicht zusammen.
Mein Verstand sagt das auch.
Nur mein Herz will das einfach nicht begreifen.
Und du wunderst dich, daß ich unausgeglichen bis?

Tagebuch1Tagebuch2