Woche 26/2025: Läufer mit entblößtem Oberkörper und mehr oder weniger tätowierte Innenstadtbesucher

Montag: Laut einer Zeitungsnotiz wären vierzig Prozent der Arbeitnehmer zu Gehaltsverzicht bereit, wenn sie dafür mehr im Heimbüro arbeiten dürfen. So unterschiedlich sind die Menschen: Mir müssten sie mehr zahlen, damit ich überhaupt freiwillig zu Hause arbeite.

Der große amerikanische Versandhändler mit dem A will seine Leute gar nicht mehr zu Hause arbeiten lassen. Wie in einem Artikel zu lesen ist, motiviert A nun zum Umzug in Werksnähe, indem die Mitarbeiter, die diesen verweigern, ohne Abfindung entlassen werden. Dabei werden ihnen immerhin dreißig Tage für die Entscheidung und sechzig Tage für den Umzug gewährt. Ja ja, bestellt ihr nur weiterhin jeden Schlüpfer bei A, es ist ja so bequem.

Ansonsten herrschte heute angenehme Ruhe in Büros und Kantine. Vielleicht mussten sich die lieben Kollegenden in der Behaglichkeit des Heimbüros von den Strapazen des langen Wochenendes erholen.

Dafür größere Unruhe draußen, wo Wind und zeitweise Regen den Turm umtosten. Doch pünktlich zum Heulen der inneren Werkssirene beruhigte es sich wieder, so dass ich jackenlos trockenen Hemdes nach Hause radeln konnte. Am Konferenzzentrum sah ich zahlreiche umgestürzte Fahrräder und Elektroroller, auch dort musste es ordentlich geblasen haben.

Wie sich heute wieder zeigte, habe ich eine Konkret-Schwäche: Ich kann das Wort „konkret“ nicht auf Anhieb korrekt schreiben, niemals. Stets schleicht sich ein überflüssiges t nach dem r ein, also „konkrtet“.

Dienstag: Wenn neue Kollegen im Geschäftsbereich sich per Wonpäidscher vorstellen, mangelt es selten an gängigen Floskeln. Heute wieder: Die eine freut sich auf die „gemeinsame Reise der Transformation“, der andere sieht die „spannende Herausforderung“. Gleich zwei – sicher nur zufällig männliche – Kollegen geben Essen als Hobby an. Demnächst dann vielleicht Atmen oder Defäkieren. Sollte ich nochmal in die Verlegenheit geraten, mich persönlich vorzustellen, könnte ich Biertrinken als mein Plaisir nennen.

Von Pils zu Pilz – aus der Zeitung: „Man liebt ihn oder man hasst ihn. Trüffel polarisiert.“ Das ist Unfug. Nehmen Sie mich: Ich mag die hochpreisige Erdpilzknolle durchaus, über Nudeln geraspelt oder ins Omelette gerührt, doch verfalle ich ob des Aromas nicht in mehrstrophige Jubelgesänge; ohne diese fungiden Fruchtkörperspäne schmeckt es mir kaum weniger gut. Wenigstens schrieben sie nicht, Trüffel spalte die Gesellschaft, wie angeblich so vieles.

Mittwoch: „Du bist keine Schönheit“ sang Herbert Grönemeyer morgens, gerade, als ich im Bad das Radio einschaltete. Ja, Schönheit ist vergänglich, wie nicht zuletzt der Spiegel jeden Morgen aufs Neue zeigt.

Ansonsten wurde der Tag ganz schön. Der Arbeitgeber zeigte sich fürsorglich, indem er für die Mitarbeiter die Möglichkeit bot, in einem dafür hergerichteten Besprechungsraum durch einen Arzt die Haut auf Auffälligkeiten untersuchen zu lassen. Da Vorsorge nicht schaden kann, hatte ich mich dafür angemeldet und kam zur vorgesehenen Zeit auch gleich dran, nachdem ich wegen vorübergehender Funktionsverweigerung der Aufzüge spontan zweiundzwanzig Stockwerke durch das Treppenhaus nach unten gehetzt war. Der Dermatologe sah sich alles an, und ich meine: wirklich alles. Dadurch erhielt ich erstmals Gelegenheit, in den Geschäftsräumen das Genital zu präsentieren; irgendwann ist halt immer das erste mal. Er zeigte sich zufrieden, also insgesamt, nicht nur mit vorgenanntem Detail. Danach fuhren die Aufzüge auch wieder.

Donnerstag: Für das heutige Wetter war ausgiebige Wechselhaftigkeit angekündigt. In den frühen Morgenstunden nahm ich im Halbschlaf behagliches Prasseln gegen das Schlafzimmerfenster wahr. Als ich später das Haus in Richtung Wertschöpfung verließ, lagen in der Einfahrt zahlreiche Blätter, die das behagliche Prasseln von der Rosenranke darüber abgeschlagen hatte. Ins Büro kam ich trockener Socken.

Meine vergangene Woche um diese Zeit getätigte despektierliche Äußerung über Läufer mit entblößtem Oberkörper nehmen ich zurück. Heute Morgen kam mir einer entgegen … mein lieber Scholli, mir wurde noch wärmer als es eh schon war. (Leider kein Bild.)

Nachmittags ging ein heftiger Schauer mit angedeuteter Gewitterbegleitung hernieder. Als ich später nach Hause ging, zeugten nur die üblichen Pfützen vom vorangegangenen Brausen. Die Rheinpromenade war nahezu menschenleer, ich kann mich nicht erinnern, jemals dort um diese Zeit derart wenige Flaneure und Läufer gesehen zu haben.

Rheinpromenade nachmittags und unbemenscht

In einer Informationsveranstaltung, wie üblich unter der höchst albernen Bezeichnung „Town Hall Meeting“, war häufig die Wortfolge „nach vorne raus“ zu hören. Hinten raus wäre ja auch Kacke.

Freitag: Ein trotz besprechungsüberladenem Vormittag insgesamt angenehmer letzter Arbeitstag der ersten Fünftagewoche seit längerem. Die nächste Woche wird wieder eine kleine mit freiem Donnerstag, wir wollen es nicht übertreiben.

Beim Mittagessen zu sechst fragte einer in die Runde: Was macht ihr am Wochenende? Kurz war ich versucht, zu antworten: Mir gepflegt einen antrinken. Das verkniff ich mir dann aber und war dankbar, als bereits ein anderer seine Vorhaben erklärte und danach nicht weiter gefragt wurde.

Nachmittags las ich in einem Artikelentwurf das Wort „Privatkund:innenen“ (müsste es nicht „Privatkund:innenden“ heißen?), daraufhin wurde mir schwindelig und ich beschloss, dass es jetzt mal gut war mit Büro, Büro für heute und diese Woche.

Für die Rückfahrt mit dem Fahrrad war ich genötigt, eine neue Strecke zu nehmen, weil die bisherige Route inklusive möglicher Varianten wegen mehrerer Baustellen zurzeit nicht nutzbar ist. Ging auch. Mal sehen, wie lange, ehe auch diese wegen neuer Bautätigkeiten unpassierbar wird. Die Stadt Bonn, insbesondere die die derzeitige Oberbürgermeisterin stellende Partei, rühmt sich gerne ihrer Fahrradfreundlichkeit, gelegentlich entsteht der Eindruck, der ADFC sei gewählter Koalitionspartner im Stadtrat. Davon ist im Moment wenigstens am Rheinufer wenig zu spüren: Radfahrer und Fußgänger werden über gemeinsame schmale Pfade geleitet, unangenehm für alle, außer diejenigen Mit-Radfahrenden, die das nicht schert und die dennoch mit unverminderter Geschwindigkeit durch die Menge meinen rasen zu dürfen bzw. müssen.

Samstag: Das Frühstück erfolgte extern beim französischen Café in der Fußgängerzone, wo wir einen freien Tisch draußen vorfanden. Von dort hatten wir wunderbare Aussicht auf die vorübergehenden, mehr oder weniger tätowierten Innenstadtbesucher. (Es heißt übrigens nicht Tätowierer, sondern Tattoo-Artist, wie ich wo las. Von mir aus.) Auffällig viele, also noch mehr als ohnehin, gingen in kleinen Gruppen oder allein mit auf Datengeräte gesenktem Blick vorbei, mehrere davon hielten zwei, manche gar drei Geräte gleichzeitig im Blick. Ich könnte die gar nicht so halten, was freilich nichts heißt, ich kann ja nicht mal freihändig Fahrrad fahren. Ist wieder eine Pokemonseuche oder ähnliches ausgebrochen?

Spontaner Verdacht beim Zeitunglesen: Früher sagte man „ist halt so“, heute heißt das „strukturell“.

Sonntag: Der Spaziergang führte am Freibad im Bonner Norden entlang, das an diesem heißen Sommertag heftig besucht war. Ich war seit vielen Jahren nicht mehr in einem Freibad. Es zieht mich dort nicht sonderlich hin, schon gar nicht an solchen Tagen: zu voll, zu laut, und wenn ich ins Wasser ginge, dann voller Sorge um den Verlust von Portmonee, Schlüssel und Telefon, die ich an der Liegestatt unbeaufsichtigt zurücklassen müsste. Allenfalls könnte ich mich mit der Option anfreunden, das Becken zu meiden und stattdessen Leute zu kucken, zu sehen gäbe es reichlich in allen ästhetischen Abstufungen. Nur, warum sollte ich dazu ins Freibad gehen?

Sehr gut besucht war auch der bayrische Lieblingsbiergarten am Rheinufer, wo ich den letzten freien Tisch im Schatten belegte und bei Hellem und einer Brezel die Blogs las. Dort störten mich die vielen Mitbesucher überhaupt nicht. Umso mehr danach die Einkäufer im Supermarkt unter dem Hauptbahnhof, der auch sonntags geöffnet hat und den ich wegen eines Besorgungsauftrags für das Abendessen aufsuchte. Können die nicht wie normale Menschen an Werktagen einkaufen?

Zwei interessante Informationen aus der Sonntagszeitung:

1) „Ein universelles Prinzip aller Naturprozesse ist ihr Bestreben, wenn möglich den energieärmsten erreichbaren Zustand einzunehmen.“ Für mich trifft das insbesondere an Montagen zu.

2) Telepressure bezeichnet den Drang, auf eingehende Nachrichten möglichst umgehend zu reagieren. Diesem Drängen unterliege ich zum Glück nur selten, vor allem nicht bei Chatnachrichten per Teams. 

Aller guten Dinge sind drei, Zeit für die Beantwortung der nächsten Frage.

Frage Nr. 3 lautet: „Worauf verwendest du viel Zeit?“ Hm … Sind sieben bis acht Stunden Schlafen viel? Oder zwanzig Minuten Toilettenaufenthalt mit Zeitungslektüre? Acht Stunden am Arbeitsplatz? Viel Zeit verwende ich auf jeden Fall für dieses Blog, auch wenn man es ihm vielleicht nicht ansieht, und für Spaziergänge, beides sehr angenehme Zeitverwendungen. Gerne mehr Zeit würde ich für das Abarbeiten des weiterhin hohen Stapels ungelesener Bücher verwenden und für das Weiterschreiben an dem Romandings. Nur wenig Zeit verbringe ich mit Telefonieren (ich mag es nicht) und Anschauen von Filmen und Serien mangels größerem Interesse an bewegten Bildern.

***

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche.

(Redaktionsschluss: 17:50)

Woche 18: Ich möchte nicht von der Apotheken-Umschau geduzt werden

Montag: Während der Fahrt ins Werk am Morgen musste ich angesichts eines Dalmatiners lächeln. Nicht, weil jähes Hundemögen Besitz von mir ergriffen hätte, auch nicht, weil der Hund, der seinen Fahrrad fahrenden Besitzer unangeleint begleitete, sich jedes Mal brav hinhockte, wenn sie anhalten mussten. Der Grund ist vielmehr ein Witz, den ich neulich las, und der mich vermutlich bis an mein hoffentlich fernes Ende immer wieder zum Grinsen zwingen wird, wenn ich einen Dalmatiner sehe. Der geht so: Ein Dalmatiner steht an der Supermarktkasse. Als er an der Reihe ist, fragt die Kassiererin: „Sammeln Sie Punkte?“ Selbstverständlich ließe sich das auch variieren, zum Beispiel mit einem Marienkäfer oder einem sommersprossigen Kind. Aber dann gäbe es sicher Ärger, wegen kindlicher Stig- oder Traumatisierung oder sowas.

Dienstag: Einer der sehr seltenen Arbeitstage ganz ohne Besprechungen, Skype-Konferenzen und sonstige Termine. Fast fehlt mir was. In der Kantine gibt es was mit Humus. Das ist mir dann doch etwas zu vegan.

Mittwoch: „Man wird alt, aber man merkt es selber nicht“, sagt der Schauspieler Mario Adorf im SPIEGEL-Interview.

Passend zum „Tag der Arbeit“ etwas Musik.

Unglaublich, dass das schon achtunddreißig Jahre her ist. Insofern, lieber Herr Adorf, merkt man sehr wohl, wie alt man inzwischen geworden ist.

Nicht sehr alt waren hingegen die Teilnehmer eines Demonstrationszuges, der am frühen Nachmittag durch die Innenstadt zog, vorweg ein Wagen mit unerträglich laut wummernder Musik. Was ihr genaues Anliegen war, konnte ich nicht erkennen, die Rufe „Kapital“ und „Scheiße“ glaubte ich durch das Gewummer auszumachen. Auch ein mitgeführtes Banner mit der Aufschrift „Ausschlafen ist wichtiger als Deutschland“ brachte nur wenig Erkenntnis. Immerhin: ein Satz, über den nachzudenken sich lohnt.

Unterdessen blühen jetzt überall die Kastanien. Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, aber es fällt mir schwer, zu glauben, dass etwas so schönes von alleine entstanden sein soll. (Das gilt sinngemäß auch für den einen oder anderen Menschen, doch das ist ein ganz anderes Thema.)

KW18 - 1 (1)

KW18 - 1

Kastanien blühen auch an der Poppelsdorfer Allee, wo studentische Burschenschaften auf der Wiese irgendwas feiern. Bestimmt tue ich ihnen unrecht, aber diese jungen Männer mit ihren Kappen und den diagonal über den Oberkörper getragenen, schwarz-rot-goldenen Bändchen sind mir unheimlich. Was sie feiern, entzieht sich meiner Kenntnis; der Tag der Arbeit wird es wohl eher nicht sein.

Donnerstag: Radioreklame am Morgen. Nach Ikea und Apple werde ich nun auch von der Apotheken-Umschau geduzt. Ich möchte das nicht.

Auf einem Wahlplakat der Volt-Partei steht „Damit Menschen nicht mehr im Mittelmeer untergehen“. Was die Frage suggeriert: Wo denn stattdessen?

Freitag: In einem Zeitungsbericht lese ich den Namen „Eichenseher“. Was mögen dessen Vorfahren gemacht haben?

Samstag: Verkehrsminister Scheuer will Radfahrern künftig erlauben, auch bei Rot rechts abzubiegen. Das ist etwa so, als würde es dem Wind endlich gesetzlich gestattet, aus Westen zu wehen.

Am Abend ließen wir uns auf einer Schiffstour zu „Rhein in Flammen“ den Wind um die Nase wehen. Wissen die Menschen eigentlich, was ihnen entgeht, wenn sie ein Feuerwerk filmen und fotografieren, anstatt es einfach wirken zu lassen? Was machen die hinterher mit den ganzen Bildern und Filmen?

Sonntag: Vor zwei Wochen gestatteten sommerliche Temperaturen einen Spaziergang in kurzen Hosen und Poloshirt, heute benötige ich zum selben Zweck Schal und Winterjacke.

Sie möchten auch, dass der Rosenmontag ein gesetzlicher Feiertag in NRW wird, sind nur noch nicht dazu gekommen, sich an der Petition zu beteiligen? Dann bitte hier entlang. Es fehlen noch knapp 8.400 Stimmen, die spätestens in vier Wochen eingesammelt sein müssen. Daher bitte weitersagen.

Woche 11: Frühlingsgefühle

Montag: Jena. Oft sind es nur Details, die ein gutes Hotel hervorheben aus der breiten Masse gewöhnlicher Herbergen.

KW11 - 1

Dienstag: Heute sah ich zwar nicht den ersten Schmetterling, aber die erste kurze Hose des Jahres. Frühlingsgefühle.

Mittwoch: Im Bad des Hotelzimmers wird vor starker Dampfentwicklung gewarnt. Ich schlage vor, ein solches Schild, gegebenenfalls mit leicht angepasstem Wortlaut, jeder Führungskraft an der Innenseite der Bürotür anzubringen. Insbesondere im Marketingbereich.

KW11 - 1 (1)

Donnerstag: In den Rheinauen blühen die Narzissen und Wildgänse. In der Heinrich-Brüning-Straße blühen die ersten Kirsch- und Pfaumenbäume. Von einem Besuch allein der Bäume wegen ist indes abzuraten, da die Straße ansonsten nur wenig Schönheit aufweist.

Freitag: Da das für heute angekündigte Regenwetter erfreulich schön ausfiel, verband ich den morgendlichen Weg ins Büro mit einem Spaziergang am Rhein.

Samstag: Die Erkältung will nicht weichen: Noch immer fiept die Nase nach dem Schneuzen wie ein altes Faxgerät.

Sonntag: Trümmertourismus-Spaziergang zu der Stelle, an der bis heute, 10:59 Uhr, das Gerippe des Bonncenter-Hochhauses stand.

KW11 - 1 (4)