Woche 18: Ich möchte nicht von der Apotheken-Umschau geduzt werden

Montag: Während der Fahrt ins Werk am Morgen musste ich angesichts eines Dalmatiners lächeln. Nicht, weil jähes Hundemögen Besitz von mir ergriffen hätte, auch nicht, weil der Hund, der seinen Fahrrad fahrenden Besitzer unangeleint begleitete, sich jedes Mal brav hinhockte, wenn sie anhalten mussten. Der Grund ist vielmehr ein Witz, den ich neulich las, und der mich vermutlich bis an mein hoffentlich fernes Ende immer wieder zum Grinsen zwingen wird, wenn ich einen Dalmatiner sehe. Der geht so: Ein Dalmatiner steht an der Supermarktkasse. Als er an der Reihe ist, fragt die Kassiererin: „Sammeln Sie Punkte?“ Selbstverständlich ließe sich das auch variieren, zum Beispiel mit einem Marienkäfer oder einem sommersprossigen Kind. Aber dann gäbe es sicher Ärger, wegen kindlicher Stig- oder Traumatisierung oder sowas.

Dienstag: Einer der sehr seltenen Arbeitstage ganz ohne Besprechungen, Skype-Konferenzen und sonstige Termine. Fast fehlt mir was. In der Kantine gibt es was mit Humus. Das ist mir dann doch etwas zu vegan.

Mittwoch: „Man wird alt, aber man merkt es selber nicht“, sagt der Schauspieler Mario Adorf im SPIEGEL-Interview.

Passend zum „Tag der Arbeit“ etwas Musik.

Unglaublich, dass das schon achtunddreißig Jahre her ist. Insofern, lieber Herr Adorf, merkt man sehr wohl, wie alt man inzwischen geworden ist.

Nicht sehr alt waren hingegen die Teilnehmer eines Demonstrationszuges, der am frühen Nachmittag durch die Innenstadt zog, vorweg ein Wagen mit unerträglich laut wummernder Musik. Was ihr genaues Anliegen war, konnte ich nicht erkennen, die Rufe „Kapital“ und „Scheiße“ glaubte ich durch das Gewummer auszumachen. Auch ein mitgeführtes Banner mit der Aufschrift „Ausschlafen ist wichtiger als Deutschland“ brachte nur wenig Erkenntnis. Immerhin: ein Satz, über den nachzudenken sich lohnt.

Unterdessen blühen jetzt überall die Kastanien. Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, aber es fällt mir schwer, zu glauben, dass etwas so schönes von alleine entstanden sein soll. (Das gilt sinngemäß auch für den einen oder anderen Menschen, doch das ist ein ganz anderes Thema.)

KW18 - 1 (1)

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Kastanien blühen auch an der Poppelsdorfer Allee, wo studentische Burschenschaften auf der Wiese irgendwas feiern. Bestimmt tue ich ihnen unrecht, aber diese jungen Männer mit ihren Kappen und den diagonal über den Oberkörper getragenen, schwarz-rot-goldenen Bändchen sind mir unheimlich. Was sie feiern, entzieht sich meiner Kenntnis; der Tag der Arbeit wird es wohl eher nicht sein.

Donnerstag: Radioreklame am Morgen. Nach Ikea und Apple werde ich nun auch von der Apotheken-Umschau geduzt. Ich möchte das nicht.

Auf einem Wahlplakat der Volt-Partei steht „Damit Menschen nicht mehr im Mittelmeer untergehen“. Was die Frage suggeriert: Wo denn stattdessen?

Freitag: In einem Zeitungsbericht lese ich den Namen „Eichenseher“. Was mögen dessen Vorfahren gemacht haben?

Samstag: Verkehrsminister Scheuer will Radfahrern künftig erlauben, auch bei Rot rechts abzubiegen. Das ist etwa so, als würde es dem Wind endlich gesetzlich gestattet, aus Westen zu wehen.

Am Abend ließen wir uns auf einer Schiffstour zu „Rhein in Flammen“ den Wind um die Nase wehen. Wissen die Menschen eigentlich, was ihnen entgeht, wenn sie ein Feuerwerk filmen und fotografieren, anstatt es einfach wirken zu lassen? Was machen die hinterher mit den ganzen Bildern und Filmen?

Sonntag: Vor zwei Wochen gestatteten sommerliche Temperaturen einen Spaziergang in kurzen Hosen und Poloshirt, heute benötige ich zum selben Zweck Schal und Winterjacke.

Sie möchten auch, dass der Rosenmontag ein gesetzlicher Feiertag in NRW wird, sind nur noch nicht dazu gekommen, sich an der Petition zu beteiligen? Dann bitte hier entlang. Es fehlen noch knapp 8.400 Stimmen, die spätestens in vier Wochen eingesammelt sein müssen. Daher bitte weitersagen.

Ruhe im Biergarten

Man darf heute so ziemlich alles sagen, nur nichts gegen Kinder. Davon ließ sich ein Düsseldorfer Biergartenwirt nicht beeindrucken, und so erklärte er einen Teil seines Lokals zur kinder- und hundefreien Zone. Nach eigenem Bekunden war er es leid, dass gewisse Eltern es für unnötig hielten, einzuschreiten, wenn ihre lieben Kleinen andere Gäste mit Sand bewarfen oder Tische und Bänke großflächig mit einem Sand-Wasser- beziehungsweise Saftgemisch belegten. Kann ich mir gut vorstellen: Mami – sagt man noch so oder rufen Kinder ihre Eltern heute generell beim Vornamen? – wie auch immer: Eine erziehungsberechtigte Person widmet sich mit voller Hingabe ihrem Datengerät und schlürft gelegentlich an ihrer Latte Irgendwas, derweil Maximilian-Luca und Mechthild-Charlotte mit der Dezibelstärke einer startenden Boeing 747 durch die Tischreihen toben.

Wie nicht anders zu erwarten, zog der Wirt mit dieser Entscheidung die Wut der Netzbewohner auf sich: „Wie kann man Kinder und Hunde gleichsetzen?“ (Viele können das schon lange, ohne dass es jemanden empört, man höre nur, wie mancher Hundehalter mit seinem verhätschelten Vieh spricht.) „Unser Sohn geht nicht auf umzäunte Spielplätze!“ (Glückwunsch, damit wird er ja bestens auf das Leben vorbereitet. Vielleicht wird er mal Vorstand oder Geschäftsbereichsleiter bei einem großen Konzern, dort kann er dann die tollsten Dinge entscheiden, ohne Widerspruch fürchten zu müssen.) „Wir kommen nie wieder!“ (perfekte Antwort: „Sie können gerne nie wieder kommen.“)

Ich finde die Entscheidung des Biergärtners mutig – und richtig, und das meine ich genau so, wie ich es schreibe, mit jedem Buchstaben und i-Punkt; unter einem Berg aus Sandkuchen, Förm-, Eimer- und Schäufelchen möchte ich elendig ersticken, enthielte dieser Satz eine Spur von Ironie.

Die Idee der kinder(wagen)freien Zonen ließe sich ausweiten, zwei Vorschläge hätte ich dazu spontan parat. Erstens: die Stadtbahn. Gerne verzichtete ich auf das Geschrei von Finn-Paul, welches schon frühmorgens den Wagen erfüllt, und die mir gegenüber sitzende Lea-Marie, die mir mit ihren strampelnden Beinchen von Hauptbahnhof bis Heussallee permanent gegen das Schienbein tritt. Ein besonders penetrantes Exemplar zog mir schon den Kopfhörer aus dem Ohr und steckte ihn in sein leibreizendes Kinderöhrchen, derweil Mama ihe Aufmerksamkeit dem jenseitigen Dunkel des U-Bahn-Tunnels widmete. Zweitens: Ich bin für ein generelles Kinderwagenverbot auf Weihnachtsmärkten und ähnlichen personendichten öffentlichen Veranstaltungen. Die Kinder haben ohnehin nichts davon – Hunde übrigens auch nicht – und die Fersen aller anderen Besucher dankten es.

„Du warst doch auch mal ein Kind“, höre ich sie rufen. Stimmt, und ich bitte im Nachhinein alle Mitmenschen um Verzeihung, denen ich einst mit meiner kindlichen Penetranz auf die Nerven ging.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Diese Zeilen richten sich nicht gegen die Träger unserer aller Zukunft. Dafür umso mehr gegen Eltern, die offenbar kein Interesse daran haben, ihrer Brut die Grenzen zu zeigen. Waren Sie schon mal in Frankreich? Falls ja, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, wie sich französische Kinder im Restaurant betragen. Sie spielen nicht Fangen oder Verstecken zwischen und unter Tischen, krakeelen nicht herum, wenn ihnen die Gänsestopfleber nicht schmeckt, und verwandeln den Tisch nicht in ein Schlachtfeld. Stattdessen sitzen sie ruhig an ihrem Platz und essen. Wie schaffen die das nur, die Franzosen? Vielleicht mit Wein.