Montag: Beginnen wir die Woche zur Abwechslung unter der Gürtellinie, bezugnehmend auf drei Kommentare zum Rückblick der vergangenen Woche. Zum dort thematisierten ärztlichen Hodengriff anlässlich der Musterung junger Männer schrieb Lothar: „Rückblickend frage ich mich allerdings, ob diese Grenzüberschreitung tatsächlich der Prüfung des Vorhandenseins von Testikeln oder vielmehr des männlichen Wurmfortsatzes diente. (In diesem Fall bekäme der Begriff „Stabs“arzt eine ganz andere Bedeutung.) Denn meines Wissens bewirkt das Fehlen von Hoden nicht die Treffgenauigkeit beim Schießen oder die Exerzierfähigkeit.“
Zum Rückblick auf frühere Nächte in Köln meint Jens: „Risiko! — solche Gedanken sollte man sich frühestens im Frühling machen. Das ist in der „dunklen Jahreszeit“ ganz dünnes emotionales Eis.“ Dem ist zu entgegnen: Zum einen bin ich mittlerweile und glücklicherweise dem Alter entwachsen, wo es mich in derartige Etablissements zöge, allein schon aus Gründen der Bequemlichkeit, zum anderen waren diese ganzjährig geöffnet, so dass bei Kesselbrummen auch im Winter Abhilfe geschaffen werden konnte und – ich habe es nicht recherchiert, gehe aber davon aus – weiterhin kann.
Zum Movember, der Männer veranlasst, sich aus durchaus edlem Grund vorübergehend einen Schnauzbart wachsen zu lassen, ergänzt Thomas: „Stichwort Movember: Dieser Monat wird für allerlei illustre Monatsaufgaben genutzt. Da wären zum Beispiel der NaNoWriMo für das regelmäßge Schreiben und der No Nut November gegen das regelmäßige Onanieren. Beides auf ihre Art große Herausforderungen.“
Vielen Dank dafür!
Dienstag: Unterhalb des Büroturms verläuft parallel zum Rhein eine wenig befahrene Straße mit Gehwegen an den Seiten. Dort klingelte mich morgens von hinten ein (noch) älterer Radfahrer an. Da ich auf Gehwegen grundsätzlich nicht auf Fahrradklingeln reagiere, klingelte er mehrfach erneut und ohne Erfolg. Erst als er mich ansprach, auf dass ich ihn durchließe, drehte ich mich um und machte ihn darauf aufmerksam, dass wir uns nicht auf einem Radweg befanden. Das sah er anders und behauptete, er dürfe hier fahren, da am Anfang des Weges kein Verbotsschild stünde, ich solle mich da mal erkundigen; „Ich bin Jurist“ beendete er seine Ausführungen. Offensichtlich nicht für Straßenverkehrsrecht, sonst wüsste er, dass nur das hier nicht vorhandene Verkehrszeichen 240, das den Weg als gemeinsamen Geh- und Radweg ausweist, oder wenigstens das Zusatzzeichen 1022-10 „Radfahrer frei“ dazu berechtigen, einen Fußweg – in Schrittgeschwindigkeit – mit dem Rad zu befahren; das alleinige Fehlen des Verkehrszeichens 254 „Verbot für Radfahrer“ begründet dieses Recht hingegen nicht. Das hätte ich erwidern können, wenn es mir nicht erst später eingefallen wäre. (Gut, die Nummern der Verkehrszeichen musste ich recherchieren.)
Mittags in der Kantine gab es Grünkohl. Ich liebe dieses in Ostwestfalen auch als „Lippische Palme“ bekannte Wintergemüse. Indes wird der Liebste es gerne lesen: Wenn er Grünkohl zubereitet, mit lippischer Kohlwurst gar, schmeckt es besser.
Ausgelesen habe ich „Haus zur Sonne“ von Thomas Melle, ein düsterer Roman über Leben und Tod, vor allem letzteren. Dennoch habe ich es gerne gelesen, nur der Schluss hat mir nicht gefallen und eine gewisse Ratlosigkeit hinterlassen.
Mittwoch: Der Tag begann kühl-trüb-feucht und blieb es auch. Allerdings nur meteorologisch, die Gemütslage war halbwegs heiter. Vielleicht war der Grund die Vorfreude auf morgen, dann habe ich frei, beziehungsweise, um mal Futur zwei zu verwenden, man kommt doch selten dazu, werde ich, wenn Sie das lesen, frei gehabt haben.
„Andersherum wird ein Schuh daraus“ sagte eine in einer Besprechung, diese regelmäßig zu hörende Phrase, die sinngemäß ausdrücken soll, dass etwas genau umgekehrt ist als zuvor behauptet. Erstmals fragte ich mich heute, warum Leute das sagen, woher das kommt mit dem Schuh. Eine kurze Netzrecherche ergab: In früheren Zeiten war es bei der Herstellung von Schuhen üblich, dass sich die Naht innen befand, zu einem bestimmten Fertigungszeitpunkt wurde das Werkstück also umgestülpt. Das mag sein und ist auch nachvollziehbar, dennoch verwunderlich, dass sich ausgerechnet das bis heute als Redewendung erhalten hat. Immerhin haben wir wieder was gelernt, wenn auch was ziemlich Unnützes; andererseits waren nach meiner Erfahrung mindestens achtzig Prozent des Schulstoffes im Nachhinein ebenfalls nutzlos, so kommt es darauf auch nicht mehr an.
Donnerstag: Der freie Tag begann mit einem externen Frühstück im Kaufhof-Restaurant. Ideales Wanderwetter war nicht zu erwarten, ab dem frühen Nachmittag leichter Regenfall angekündigt. Deshalb entschied ich mich für eine nur kurze Wanderung, nämlich die Godesberg-Runde durch den Kottenforst ab und bis – Sie ahnen es – Bad Godesberg. Nachdem ich das Sausen und Brausen der Godesberger Innenstadt hinter mir gelassen hatte und mich dem Wald näherte, hörte ich erste Gewehrschüsse. Kurz darauf sah ich ein Warnschild „Achtung Jagd“. Wenig später vernahm ich den ersten Jäger auf seinem Hochsitz, schon von weitem durch eine orange Warnweste gut zu erkennen. Warum tragen die Warnwesten? Um die Tiere zu warnen, vielleicht eine weitere absurde PETA-Forderung? Oder damit sie nicht von ihren Mitjägern versehentlich niedergestreckt werden? Erst jetzt fiel mir wieder ein, was ich am Vortag in der Zeitung gelesen hatte: Nicht weit von hier im Ortsteil Hardtberg sind in größerer Anzahl Wildschweine gesichtet worden. Hatte sich da vorne nicht gerade etwas Braunes bewegt? Schon knallte der nächste Schuss, ohrenscheinlich nicht weit entfernt von mir, und hallte im Forst nach. Hoffentlich hatten die Jäger darauf verzichtet, gegen die Kälte mit alkoholhaltigem Zielwasser vorzubeugen; ich sah mich schon von einer Schrotladung oder Kugel oder was auch immer durchbohrt und anschließend von einer wütenden Wildschweinrotte zerfetzt.
Doch nichts dergleichen geschah, knapp zwei Stunden nach Abmarsch blickte ich nach der nächsten Biegung schon wieder auf Bad Godesberg, wo noch ein kurzer Aufstieg zur Godesburg zu bewältigen war, ehe die Wanderung auf dem Godesberger Weihnachtsmarkt mit Currywurst und einem Glühwein abgeschlossen wurde. Pünktlich mit Ankunft fiel auch der erste Niesel.
Auf dem Rückweg beobachtete ich an einer Kreuzung mit Rechts-vor-links-Regelung eine klassische Führerscheinprüfungsfragebogensituation: Aus allen vier Richtungen kamen ungefähr gleichzeitig Fahrzeuge und blieben stehen. Es dauerte einige Zeit, bis man sich durch Handzeichen und Blinken geeinigt hatte. Zufällig waren drei davon Fahrschulwagen.








Freitag: „Wir müssen darüber jetzt gar nicht länger reden“ hieß es in einer Besprechung. Doch statt zum nächsten Thema zu wechseln, wurde über das bisherige munter weiter geplappert mit mehreren inhaltlichen Wiederholungen. Das sind die Momente, wo ich aus dem Fenster schaue, die Aussicht über die Stadt genieße und mir sage: Bleib ruhig, sie bezahlen dich sehr gut dafür und es ist zu hundert Prozent ruhegehaltfähig.
Gelesen als Signatur unter einer Teams-Chatnachricht, wobei ich bis heute nicht wusste, dass es sowas überhaupt gibt und nicht wüsste, wofür man das braucht: „Es gibt kein Versuchen! Tue es oder tue es nicht!“ Ich erwäge nun eine Erweiterung meiner Mailsignatur, kann mich nur noch nicht entscheiden zwischen „Träume nicht dein Leben sondern lebe deinen Traum!“, „Lebe jeden Tag so, als sei es der letzte!“, „Altes Brot ist nicht hart – kein Brot, das ist hart!“ und „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Weitere Vorschläge sind willkommen.
Passend zum Vorstehenden schreibt Kurt Kister – zufällig heute – in seiner lesenswerten Wochenkolumne „Deutscher Alltag“ lesenswerte Gedanken über Sinnsprüche.
Samstag: Die Nacht endete samstagsunangemessen früh, da eine Fahrt nach Aachen anstand. Dort traf sich eine Abteilung unserer Godesberger Karnevalsgesellschaft zu Stadtführung, Weihnachtsmarktbesuch und Abendessen. Der Aufstehzeit entsprechend war meine persönliche Stimmung zunächst spätnovemberlich, hellte aber im Laufe des Vormittags auf, spätestens ab dem ersten Begrüßungsgetränk an der Hotelbar vor Aufbruch der Gruppe in die Innenstadt.
Unser Präsident, gebürtiger Aachener, oder Öcher, wie sie sich selbst nennen, führte uns kenntnisreich durch die Stadt, sparte dabei nicht mit Superlativen (der/die/das älteste / größte / kleinste / schönste / einzige …), wie es häufig auf Stadtführungen vor allem durch Eingeborene zu erleben ist. Das Wetter war gnädig, es blieb weitgehend trocken, was in Aachen nicht selbstverständlich ist (während meiner meisten früheren Aufenthalte dort hatte es geregnet) und die Kälte der vergangenen Tage war milderer Temperatur gewichen. Das hinderte uns nicht daran, innere Wärme durch Glühwein zu suchen und zu finden. Auch den Dom besuchten wir, ein nicht nur durch Decken-Mosaike und Kirchenfenster beeindruckender Bau, der mir innen kleiner erschien als erwartet.
Gegen Abend gesellte sich eine kleine Delegation eines Aachener Karnevalsvereins zu uns, gemeinsam aßen wir im zweiten Stock eines Restaurants mit Aussicht auf den menschenvollen, lichterkettenhellen Marktplatz und das historische Rathaus. Nach dem Essen ging es zurück ins etwas außerhalb gelegene Hotel. Da es nur knapp zwei Kilometer vom Marktplatz entfernt ist, schlug ich vor, zu Fuß zurück zu gehen, immerhin vier weitere schlossen sich an, die anderen nahmen Taxis und kamen nur unwesentlich früher am Hotel an, wo der Barausschank noch geöffnet war, was wir angemessen würdigten. Anschließend war ich menschenmüde und froh, als ich im Bett lag.
Dunkel wurde es im Zimmer erst, nachdem wir die Zimmerkarte aus dem Schlitz neben der Tür entfernt hatten. Vorher brannte wahlweise entweder die Lampe im Eingangsbereich oder über dem Bett, egal welcher Schalter wie betätigt wurde. Entweder ein Defekt oder wir waren zu blöd, es zu bedienen. (Zu alkoholisiert nicht, auch heute Morgen bei weitgehend klarem Verstand schafften wir es nicht.) Weiterer Kritikpunkt: auch hier keine Jackenhaken im Zimmer.
Gelernt: „Au hur“, ein universell einsetzbarer Öcher Ausruf. Ursprünglich wohl aus „Alte Hure“ hervorgegangen, wird es heute verwendet unter anderem statt „Oh nein“, „Auch das noch“, „Sagenhaft“, „Donnerwetter“, „Du liebe Güte“, „Boah ey“, „Ach was“, „oooh“ oder, für die Jüngeren, „Alter“ und „Oh my God“. Vielleicht auch „wallah“.

Sonntag: Nach dem Frühstück im Hotel (positiv: ausreichend große Saftgläser) verließen wir Aachen und kamen mittags in Bonn an. Hier holte ich einen gewissen Mangel an Alleinzeit auf durch einen langen Spaziergang auf die andere Rheinseite, derweil sich die Innenstadt zur Feier des verkaufsoffenen Sonntags füllte. Es erstaunt mich immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit Autos im absoluten Halteverbot geparkt werden und wie wenig dagegen unternommen wird.
In Schwarzrheindorf auf der anderen Rheinseite, wo nur wenig Lichterkettengedöns leuchtet, sah ich vier Junge Männer Hausrat aus einem Miet-Transporter ausladen und in ein Haus schaffen. Wieder war ich dankbar für mein fortgeschrittenes Alter und die damit verbundene hohe Wahrscheinlichkeit oder wenigstens Hoffnung, nie mehr in meinem Leben eine Klausur schreiben oder umziehen zu müssen, jedenfalls nicht lebend.
Wie auch in den Blogs zutreffend festgestellt wird, ist dieser November am Ende. Die meisten Blätter sind gefallen, die Natur beziehungsweise das, was wir so nennen, präsentiert sich neben blassem Grün in Braun-, Beige- und Ockertönen. Der Tag war trübe und trotz laut Thermometer elf Grad handkalt, immerhin trocken. In den nun blätterlosen Baumkronen nahe der Schwarzrheindorfer Kläranlage saß eine größere Ansammlung Rabenkrähen, immer wieder kollektiv aufkäckernd, dazwischen sekundenlang Ruhe, als schauten sie gemeinsam einen lustigen Film oder lauschten einem Kabarettisten. Morgen beginnt also der zwölfte Monat. Auch der geht vorüber.




Apropos zwölf: Zurzeit kreist mal wieder ein Fragenkatalog durch die Blogs, in Fachkreisen auch „Blogstöckchen“ genannt, über das man virtuell springt. Eigentlich wollte ich nicht springen, weil es vermutlich niemanden interessiert. Da das jedoch auf das meiste hier Geschriebene zutrifft, mache ich doch mit. Alors, hier zwölf völlig belanglose Fakten über mich:
Benutzt du Zahnseide? Ganz selten, wenn sich in einem bestimmten Zahnzwischenraum oben links etwas festgesetzt hat, das anders nicht zu entfernen ist.
Tee, Kaffee oder Wasser? Und statt oder. Mehr Kaffee als Tee.
Welche Schuhe trägst du am liebsten? Kommt auf den Anlass an. Meistens Turnschuhe. Aber auch gerne die maßgefertigten, sehr bequemen Lederschuhe. Und die Wanderschuhe, denn wenn ich die trage, habe ich Freizeit.
Dein Lieblingsdessert? Roter oder grüner Wackelpudding. Und Illes flottantes, ein französisches Dessert, bestehend aus Eischneebrocken in Vanillesoße.
Was machst du als erstes, wenn du aufwachst? Das Ende der Nacht beklagen und den Radiowecker nach den Nachrichten ausschalten.
In welchem Alter würdest du gerne bleiben? Bleiben auf gar keinen Fall, ich bin sehr einverstanden damit, dass für mich irgendwann das Licht ausgeht. Aber die Zeit so Mitte dreißig war schon ziemlich gei… lebenswert.
Wie viele Hüte besitzt du? Zwei: einen Strohhut für den Sommer und einen Dreispitz zur Karnevalsuniform. Seit Jahren erwäge ich den Erwerb eines richtigen Filzhutes, habe mich aber noch nicht getraut.
Beschreibe das letzte Foto, dass du gemacht hast? Die Adventsbeleuchtung über der Friedrichstraße aus roten Herrnhuter Sternen und Lichterketten in den Bäumen. Ach schauen Sie doch einfach selbst:

Die schlechteste Fernsehsendung? Weiß ich nicht, weil ich kaum fernsehe. Vermutlich irgendwas auf RTL oder Pro7.
Was war als Kind dein Berufswunsch im Erwachsenenalter? Unter anderem Lokführer. Mein Bruder wurde es später.
Etwas auf deiner Wunschliste, das du nicht rechtfertigen kannst zu kaufen? Eine Armbanduhr von Lange & Söhne, Glashütte. Die sind schon schön. Aber teeeeeuer …
Welcher Jahreszeit fühlst du dich am meisten verbunden? Mittlerweile dem Herbst.
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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche und in den Dezember.
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