Woche 25/2024: Im Schatten der Zypresse

Montag: Auch im Urlaub lese ich die Bonner Tageszeitung, man will ja informiert bleiben. Ein gewisser Martin Kessler ist offenbar ein kluger Mann, denn er schreibt Leitartikel für den General-Anzeiger. In der heutigen Ausgabe nimmt er Anstoß an neuen Regelungen, wonach die Städte künftig mehr Freiraum erhalten, Tempo dreißig anzuordnen. Dazu der kluge Herr K: „Selbst Millionenstädte, die flächendeckend Tempo 30 einführen, leisten damit einen Beitrag zum Klimaschutz, der gegen null geht. […] Die Kommunen wollen Klimaschutz vorantreiben, obwohl das Aufgabe internationaler Konferenzen ist.“ Das ist so ziemlich das Dümmste, was ich in letzter Zeit zu dem Thema gelesen habe. Doch steht K mit dieser Ansicht nicht alleine da. Genau deshalb habe ich keine Hoffnung mehr für das längerfristige Fortbestehen der Menschheit.

Nach spätem Frühstück unternahmen wir eine Radtour von knapp zwanzig Kilometern Länge. Dabei kamen wir an einem instagramtauglichen Lavendelfeld vorbei:

Vielleicht ist es auch Lavandin

Ich könnte es als Statusbild bei Whatsapp verwenden, aber warum sollte ich das tun? Ich meine: Wie verzweifelt vor Langeweile muss man sein, um sich bei Whatsapp den Status anderer Leute anzusehen?

Nach Rückkehr trug ich den Liegestuhl in den Schatten der Zypresse im Garten und holte darin den Tagebucheintrag für gestern nach, nachdem mir das am Vorabend aus Weingründen nicht mehr gelungen war. Danach las ich im SPIEGEL der Vorvorwoche den Artikel über Kafka zu Ende und meine, ich sollte mich doch noch mal daran wagen, von ihm zu lesen.

Währenddessen stutzte ein Motorsensenmann an der Zufahrt zu unserem Haus den Bewuchs. Als er fertig war, setzte sich in Hörweite eine Baumaschine oder ähnliches in Gang und erfreute längere Zeit das Ohr mit Rückwärtsfahrpieptönen. Das zu beklagen wäre unangemessenes Jammern auf höchstem Niveau, es können nicht alle Urlaub haben.

Dienstag: Um fünf Uhr vierzig wurde die Baumaschine oder ähnliches gestartet und sie begrüßte rückwärts piepend den jungen Morgen. Nach Schließen des Fensters, was sich, da man schon mal auf war, mit einem Toilettengang verbinden ließ, gelang noch einmal die Rückkehr ins Reich der Träume.

Der Tag zeigte sich bewölkt mit Sonnenlücken, trocken und warm. Im Gegensatz zu Bonn, wo Regen und Gewitter geplant waren.

Während des Frühstücks erreichte mich per Mail die Mai-Abrechnung von epubli. Demnach wurde ein weiteres Buch verkauft. Vielen Dank an den Käufer oder die Käuferin, sofern er oder sie hier mitliest. Sonst auch.

Nachmittags las ich mich durch die Blogs, die im UberBlogr Webring versammelt sind. Auch dieses Blog ist dort seit geraumer Zeit vertreten. Nach Mailaustausch mit dem Initiator des Rings habe ich inzwischen auch das Prinzip mit den drei Links verstanden, die man auf der eigenen Startseite hinterlegen muss.

Abends grillten wir, so dass ich das Grundstück heute gar nicht verlassen musste. Beim anschließenden Nachtglas schauten wir den zahlreichen Fledermäusen beim Jagen zu. Zwei davon waren einander sehr zugewandt, sie flederten stets umeinander und schienen dabei viel Spaß zu haben.

Apropos Grillen: Der Liebste hörte am späteren Abend in den Bäumen eine Grille zirpen. Ich hörte sie nicht, so sehr ich auch lauschte. Anscheinend ist diese Frequenz meinem Gehör nicht mehr zugänglich. Das wäre ein bisschen schade.

Mittwoch: Der Tag begann schwül-warm. Nach dem Frühstück gingen wir runter in den Ort, wo heute Wochenmarkt war. Dort kauften wir ein Grillhuhn mit Zubehör für das Abendessen, außerdem Tomaten und zwei Flaschen Rosé. Unser Verbrauch an letzterem ist hier wieder recht hoch, was bitte nicht als Prahlerei zu verstehen ist, vielmehr als eher bedenkliche Tatsachenbeschreibung.

Der Rückweg bergauf durch die Mittagshitze war auch ohne vorherigen Roséverzehr recht anstrengend. Nach Ankunft gab es Erdbeeren mit Creme Fraiche und selbstgemachtem Erdbeer-Granité. Ich verzichtete auf zusätzliche Zuckerung. Noch nie habe ich verstanden, warum man die natürliche Erdbeersüße mit Zucker übertünchen muss, aber das ist wohl, wie so vieles, Geschmacksache.

Danach begab ich mich wieder mit dem Liegestuhl in den Zypressenschatten, wo bei leichtem Wind vorstehende Zeilen niedergeschrieben wurden.

Liegestuhlperspektive
Von der anderen Seite

Nachmittags unternahmen wir eine Ausfahrt nach Nyons und zu unserer Lieblings-Domaine in Vinsobres, wo einige Weinkartons eingeladen wurden. Währenddessen fielen ein paar Tropfen Regen, die sandige Flecken auf dem Auto und anderen glatten Flächen hinterließen.

Donnerstag: Während normaler Arbeitswochen denke ich: Wie schön, schon wieder Donnerstag. Hier und heute: Och nö, schon Donnerstag. Man kann es mir wirklich nur schwer recht machen.

Nachdem es gestern Abend begonnen hatte, regnete es die ganze Nacht durch. Da unser Haus, wie üblich in dieser Region, keine Dachrinnen besitzt, läuft das Wasser direkt ab und es erzeugte auf dem Vordach unter dem Schlafzimmerfenster ein als Schlafbegleitung durchaus angenehmes Dauerprasseln.

Nach dem Frühstück, wetterbedingt heute am Esstisch in der Küche statt vor dem Haus, fuhren wir nach Avignon zum Besuch der Markthalle, auch dort bestand auf dem Weg zwischen Parkhaus und les halles Regenschirmerfordernis.

Schließlich, da das Auto schon mal fuhr, fuhren wir nach Piolenc, wo wir direkt beim Erzeuger einen größeren Posten frisch geernteten Knoblauchs erstanden.

Nach Rückkehr zeigte sich das Wetter weiterhin unentschieden, nicht warm und nicht kalt, bewölkt, immer wieder wieder ein paar Regentropfen. Immerhin: Die angekündigten Gewitter blieben bis zum Zeitpunkt des Aufschreibens am frühen Abend aus. Später zeigte sich doch noch die Sonne.

Durch den Dunst wirkte sie eher wie ein etwas überbelichteter Vollmond

Freitag: Der Wecker ging in unurlaublicher Frühe, weil eine Fahrt nach Marseille geplant war. Nicht einfach so mit dem Auto hinein, was in dieser Stadt vermutlich ein noch geringeres Vergnügen ist als Autofahren ohnehin, vielmehr mit der Bahn ab Miramas entlang der Côte Bleue, eine sehr schöne Strecke mit zahlreichen Aussichten auf das bleue Mittelmeer.

Miramas, vor Abfahrt
Kurz vor Ankunft in Marseille Saint-Charles (bei uns hieße das einfach Marseille Hbf)

Auch die gut zwei Stunden in Marseille waren angenehm, die Stadt zeigte sich längst nicht so laut und schmuddelig wie befürchtet. Nur die Straßenbahnwagen sind die hässlichsten, die ich jemals sah.

Vielleicht denkt sich der Designer im Hauptberuf Kaffeemühlen aus
Oberhalb des alten Hafens
Bahnstation Arenc Euroméditerranée. Ein Ort, den man nach Einbruch der Dunkelheit lieber meidet

Den Zug zurück hätten wir fast verpasst. Nicht, weil wir zu spät gewesen wären an der Station Arenc Euroméditerranée, von wo aus wir nach Miramas zurückfahren wollten. Doch als der Zug fast pünktlich eintraf, fiel mir auf, dass es sich um einen Elektrotriebzug handelte. Das konnte nicht sein, die Strecke war größtenteils nicht elektrifiziert, wie mir während der Hinfahrt aufgefallen war. Nach kurzem Zögern stiegen wir dennoch ein, als das Türzuwarnpiepen schon tönte. Das war gut und richtig, mir war nicht bewusst, dass die französische Staatsbahn SNCF Hybridtriebzüge hat, die unter Fahrdraht elektrisch, sonst mit Dieselmotor fahren. Es ist nicht immer von Vorteil, von Dingen Ahnung zu haben, wenn es nur eine Ahnung ist. Der ahnungslose Fahrgast steigt ohne darüber nachzudenken ein und gerät nicht in derartige Bedrängnis.

Meerblick auf der Rückfahrt mit Marseille im Hintergrund. Die Bildstörungen sind den nach Saharastaubregen nicht ganz sauberen Fenstern geschuldet.

Zur französischen Bahn ist anzumerken: Die Züge waren nicht die allerneuesten, aber sauber und pünktlich. Die Bahnhöfe unterwegs wirkten gepflegt, die Bahnhofsgebäude konnten noch zu Wartezwecken betreten werden und waren nicht verkauft oder abgerissen. Und dank einem Sonderticket für diese Strecke kostete die Fahrt für zwei Person nur fünfzehn Euro.

Abends blieben wir zu Hause und grillten. Der am Donnerstag gekaufte Knoblauch ist ausgezeichnet, roh ziemlich scharf. Es wurde nicht besonders spät.

Abendrot I
Abendrot II

Samstag: Vormittags kam der Vermieter und entfernte die Sahara aus dem Schwimmbecken.

„Sternstunden demokratischer Debatten finden oft zu einer Uhrzeit statt, zu der Schichtarbeiter schon im Bett liegen.“ Über den Satz bitte nochmal nachdenken, lieber General-Anzeiger.

In einer Buchbesprechung bezeichnet dieselbe Zeitung die Autorin als „bekennende Berlinerin“. Man kann sich zu vielem bekennen: als Katholik, Eierbechersammler, FDP-Wähler, Fan einer Fußballmannschaft, Alkoholiker, auch in beliebiger Kombination. Aber als Bewohner einer bestimmten Stadt? Entweder man wohnt dort oder eben nicht, das bedarf nun wirklich keines Bekenntnisses. Nicht einmal, wenn man in Bielefeld wohnt.

Mittags unternahmen wir eine kürzere Radtour, bei der sich das Wetter als wärmer erwies als zunächst angenommen. Besser als umgekehrt.

Sainte-Marguerite wirkte um die Mittagszeit verschlafen, machte jedoch nicht den Eindruck, zu anderen Tageszeiten wacher zu sein

Nachmittags schickte der Geliebte aus Bonn beunruhigende Bilder aus unserer Wohnung, die auf einen schon länger vor sich hin schleichenden Wasserschaden unter der Küchenzeile schließen lassen. Freuen wir uns also auf eine größere Baustelle. Aber erst nach dem Urlaub.

Gegen Abend kühlte es ab, dazu leichter Regen. Deshalb kam es gelegen, dass im Restaurant nur noch im Innenraum ein Tisch für uns frei war. Dort war es nicht nur angenehm warm sondern auch unangenehm laut durch eine Gruppe Belgier, die erst zur Ruhe kamen, als irgendein Fußballspiel begann, dessen Verlauf sie auf ihren Datengeräten verfolgten.

Der Chronist in seinem natürlichen Element (Foto: der Liebste)
Immer wieder schön, wenn Selbstverständliches der Beschreibung bedarf. (Falls Sie es aus Designgründen nicht sofort erkennen: Es handelt sich um den Wasserhahn des Waschbeckens in der Toilette)

Sonntag: Der Tag war sonnig, jedoch windig. Mistral trieb die Wolken nach Süden und lutschte sie dabei klein. Ab dem frühen Nachmittag ließ er nach, als hätte jemand den großen Ventilator einige Stufen kleiner gestellt, aber immer noch genug, um mich aus dem Zypressenschatten unter das windgeschützte Terrassendach zu treiben. Urlaubsstress.

Bitte denken Sie sich dazu eine Bewegung der Wölkchen an den linken Bildrand

Wesentliche Aktivität des Tages war das Einkochen von Knoblauchzehen, beim vorbereitenden Entpulen der Knollen ging ich dem Liebsten etwas zur Hand.

Hierzu denken Sie sich bitte wunderbaren Knoblauchduft

„Wie praktizierst du Selbstfürsorge?“, lautet die WordPress-Tagesfrage. Antwort: Durch konsequente Trennung von Beruflichem und Privat. Während hier meine größte Sorge ist, wo der Liegestuhl am besten steht, befindet sich mein dienstliches Laptop im Büro, das dienstliche Datengerät ausgeschaltet zu Hause in Bonn. Nicht im Traume fiele mir ein, hier nach geschäftlichen Mails zu schauen.

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Kommen Sie gut durch die Woche.