An manchen Tagen

Es gibt Tage, da wäre ich gerne anders. Ich wäre dann gerne

jünger
schöner
sozialer
kreativer
makelloser
einzigartiger
interessierter
interessanter
disziplinierter
schlagfertiger
selbstbewusster
weniger mittelmäßig
entschlossener
unvernünftiger
vernünftiger
engagierter
gelassener
sportlicher
haariger
flexibler
witziger
mutiger
wacher
weiser
cooler

Aber dann blühen die Kastanien und Rapsfelder, als täten sie es nur für mich.
Und dann wache ich morgens auf, und du bist immer noch da, für mich.
Dann bin ich glücklich, weil ich einfach nur ich bin.

Aufgeklärt

Meine Aufklärung erfolgte im Alter von etwa neun Jahren in einem Sandkasten. Also jedenfalls der erste Schritt dazu. Der Sandkasten befand sich in unserer Siedlung hinter den Wohnblocks der örtlichen Wohnungsbaugenossenschaft, zwischen Teppichstangen und Klettergerüst. Dort verbrachte ich die Nachmittage zusammen mit meinem Schulkameraden Jens Kowitzki (Name von der Redaktion geändert), der mit seiner Familie in einem der Blocks wohnte, während wir, also meine Eltern, mein großer Bruder und ich, über die Straße in einem Reihenhaus mit eigenem Garten, dafür aber ohne Sandkasten, residierten.

Während ich von Hause aus schüchtern, vorsichtig und schrecklich anständig war, galt Jens als Rabauke der Siedlung: Im Winter stopfte er gerne mal Schnee in anderer Leute Briefkästen (in den siebziger Jahren gab es noch richtige Winter mit Schnee in Bielefeld), ab und zu war er in harmlosen Prügeleien verstrickt, die Dichte von luftlosen Fahrradreifen war in der Umgebung überdurchschnittlich hoch, und eines Tages kam er die Straße herauf mit einem Briefkasten im Schlepp, denn er kurz zuvor mitsamt Pfahl auf einem nahegelegenen Grundstück gefällt hatte. Die Postboten hatten es schwer, in die Häuser hinein zu kommen, weil aufgrund andauernder Klingeljagden (ostwestfälisch für Klingelstreiche) sich niemand mehr die Mühe machte, die Tür zu öffnen.

Sie sehen, alles völlig harmlos, in den Augen des langweiligen Spießerkindes, also in meinen, war er jedoch ein Teufelskerl, eine Art Bart Simpson, nur ohne Skateboard, wobei es damals natürlich weder die Simpsons noch Skateboards gab, jedenfalls nicht in Ostwestfalen. Ich mochte Jens. Eines unserer Lieblingsspiele war das Bauen von Fallgruben in besagtem Sandkasten, wobei wir sehr sorgfältig vorgingen: ein Loch ausheben, Zweige drauf, darüber große Blätter, zuletzt mit einer dünnen Sandschicht abgedeckt; dank meiner anerzogenen Bravheit konnte ich Jens davon abbringen, die Grube zuvor mit Brennesseln, Glasscherben und Hundekot zu füllen. Dann folgte der wichtigste Teil des Spieles: ein Opfer musste her. Dieses fanden wir in Jörn Drombecker (Name verfälscht), zwei bis drei Jahre jünger als wir, der ebenfalls in den Blocks wohnte. Wir riefen ihn heran, lockten ihn in den Sandkasten, und zack, gab der Boden unter ihm nach, begleitet von unserem fiesen Gelächter. Ich weiß nicht wie oft, aber mindestens einmal in der Woche fiel der arme Kerl im wahrsten Sinne des Wortes darauf herein.

Eines Nachmittags, während unserer geliebten Tiefbautätigkeit, fragte mich Jens:
„Weißt du eigentlich, was ficken ist?“
Ich wusste es nicht, dachte als erstes an die bunten Blumen, die im Sommer an Omas Gartenzaun rankten, die hießen so ähnlich, aber nein, die Bedeutung des Wortes „ficken“ war mir gänzlich unbekannt, weder meine Mitschüler noch meine Eltern oder mein Bruder hatten es je erwähnt.
Jens erklärte: „Da steckt der Mann seinen Pillermann in die Scheide von der Frau, und dann pinkelt er da rein.“ Pillermann und Scheide waren, immerhin, zwei Begriffe, die mir nicht gänzlich fremd waren, ersterer aus eigener Anschauung, zweitere hatte ich auch schon mal gesehen, beide dienten für mich dazu, überschüssige Körperflüssigkeit abzulassen; warum die bei Jungs und Mädchen unterschiedlich angelegt waren, darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht, es erschien mir auch nur wenig interessant, das war halt so, wie der Schnee im Winter und die Hitze im Sommer.

Und doch: Der Gedanke, dass ein Mann seine Notdurft anstatt auf dem Klo im Unterleib einer Frau verrichtete, war so absurd, dass ich minutenlang nicht aus dem Lachen heraus kam, ebenso Jens; „ficken, ficken“ riefen wir, eine ältere Frau aus dem dritten Stock rief irgendwas zu uns herunter und schloss wütend das Fenster. Dann kam Jörn um die Ecke, versank in der Grube, alles war gut, es hatte sich erstmal ausgefickt, das schöne neue Wort war zunächst vergessen.

Erst beim Abendessen im trauten Kreise der Familie fiel es mir wieder ein, prompt bekam ich wieder einer einen Lachanfall.
„Wisst ihr, was Jens mir heute erzählt hat?“, prustete ich los. Kurz darauf wussten sie es. Schweigen. Mein Bruder wurde knallrot, Papa warf Mama einen bösen Blick zu, Mama stand vom Tisch auf und ging zum Backofen, nach dem Braten schauen. Komisch, sie fanden es nicht halb so lustig wie ich.

Erst viel später begann ich langsam zu begreifen, warum.

Abgeschrieben: Augen-Blicke

Es kommt nicht sehr häufig vor, dass ein Text mein Herz berührt, dass er eine wohlige Wärme in meinem Bauch erzeugt, so oft ich ihn auch lese. Einen solchen Text hat am vergangenen Mittwoch Tom in seinem Blog AbsolutTom verfasst. Mit seiner freundlichen Erlaubnis darf ich ihn hier präsentieren, dafür herzlichen Dank an Tom und viel Freude beim Lesen an meine geneigten Leser!

***

Ich spüre einen warmen Hauch auf meinen Wangen und öffne die Augen. Verschwommen erkenne ich die Zimmerdecke und erinnere mich, dass ich hier gestern mit dir eingeschlafen bin. Ich drehe den Kopf und sehe dich. Schlafend. Entspannt. Mein Herz macht einen Sprung, du bist noch da. Warum solltest du auch weg sein? Aber ich stelle fest: Es macht das Ganze noch ein bisschen besser, wenn ich mir bewusst mache, dass alles immer noch so schön ist wie gestern Abend.

Also mache ich es mir gemütlich, stütze den Kopf auf und schaue dir beim Schlafen zu. Ruhig atmest du ein und aus, die Augen geschlossen. Wo du wohl gerade bist? Und ob ich dabei bin? Hoffentlich bin ich dabei. Zumindest soll es schön sein, da wo du bist. Sollte ich nur ein Anzeichen eines schlechten Traums sehen, werde ich dich sofort wecken.

Dich wecken ist wohl nicht nötig. Du brummst etwas und bewegst dich ein bisschen unter der Decke, streckst dich langsam und… siehe da, du öffnest deine wundervollen Augen ein wenig. So verschwommen wie ich vorhin die Zimmerdecke gesehen habe, müsstest du jetzt mich sehen. Ob du mein Strahlen schon erkennst? Wahrscheinlich schon, denn auch du beginnst zu lächeln. „Mmmmh”, grummelst du leise, „guten Morgen” flüstere ich. „Habe ich dir schon mal gesagt, dass du das Schönste bist, was ich je gesehen habe?” Du grinst mich an. „Schleimer.” „Wenn’s doch wahr ist”, beharre ich und kuschele mich an dich, „du kannst das ja gar nicht beurteilen.” Du schlingst die Arme um mich und ziehst mich noch ein bisschen näher an dich heran. Ich fühle die Wärme deines Körpers und höre dein Herz, ruhig und gleichmäßig.

So liegen wir still nebeneinander, lassen den Schlaf verfliegen und hängen unseren Gedanken nach. Unter der Decke ist es herrlich warm, ich glaube, ich werde nie aufstehen wollen. Überhaupt werde ich diesen Moment niemals beenden. „Wir werden für immer hier liegen bleiben, tagträumen, reden, schlafen und durch das Fenster die Jahreszeiten beobachten”, beschließe ich. „Und was ist mit Essen? Außerdem müssen wir doch auch mal…” „Du bist so unromantisch!”, keife ich gespielt entrüstet und drücke dir ein Kissen ins Gesicht. Du lachst hinein, doch wirst plötzlich stumm, so dass ich es weg nehme und dich fragend anschaue.

Dein Gesicht ist ernst. „Du?” „Hm?” „Ich bin glücklich.” „Ich auch.” „Nein”, sagst du, „ich meine, ich bin richtig glücklich. Rundum. Mit dir. Mit mir. Mit diesem Morgen, diesem Leben.” Deine Augen füllen sich mit Tränen. „Ich bin gerade der glücklichste Mensch auf der Welt.”

Quelle: http://www.absoluttom.de/?p=271

Letzte Nacht…

Letzte Nacht auf der Dachterrasse
Nur du und ich
Wie zwei Fremde, die sich eben erst begegnet sind
In der Mitternachtssonne
Duftstoff des Rausches
Du in mir
Wir beide in einer Wolke
Hitze der Nacht
Zitternder Schweiß
Sterne über uns
Ich in dir
Und wieder der Rausch des Duftstoffs
Sterne um uns
Ein unterdrückter Aufschrei
Niemand hört uns, niemand soll uns hören
Auf dem Dach. Letzte Nacht.
Nicht die letzte mit dir!

Und noch mal: Treue.

Vor einiger Zeit schrieb ich hier meine persönliche Meinung zum Thema Treue. Vor ein paar Tagen hat sich auch mein sehr geschätzter Blogfreund Jannis in seinem Blog schmerzwach zu diesem Thema geäußert:

„Wer nicht eifersüchtig ist, der liebt nicht“…
…ist ein Spruch von Augustinus, der vor langer Zeit gelebt hat – und damit für alle Zeit Recht behalten wird. Warum? Auch wenn die Anhänger der „offenen Partnerschaft“ behaupten, dass man monogam oder polygam sei, wie man Rechts- oder Linkshänder sei, glaube ich nicht, dass Menschen so angelegt sind. Liebe und Sex zu trennen, bedeutet auch, sich seiner selbst und seiner Liebe sicher zu sein – doch beides erscheint mir fast unmöglich. Es mag vereinzelt Männer geben – vielleicht auch Frauen – die ein polygames Konzept leben können, aber die Anzahl ist so verschwindend gering, dass ich kaum weiter auf sie eingehen muss, die fast hundertprozentige Mehrheit kann nur in einer Beziehung leben, in der Intimität ausschließlich mit dem Partner praktiziert wird. „Der Mantel der Liebe wärmt am besten, wenn er mit ein bisschen Eifersucht gefüttert ist.“ – so lautet eine Weisheit aus Dänemark. 

Ein bisschen Eifersucht ist gut, ein bisschen Flirten schadet auch nicht. Doch alles andere tut weh. Wenn man sein „Fremdgehen“ verschweigen will, dringt es doch irgendwie zum Partner – auf einer Party fällt ein falsches Wort, man liest versehentlich eine Nachricht auf dem Laptop, findet einen geheimen Liebesbrief. Wenn man es offen macht, bleibt immer die Angst, dass der Partner bei der neuen Errungenschaft bleibt – vielleicht entdeckt man ja beim Sex oder der Anbahnung davon, dass man sich auch sonst gut versteht… Nein, wenn man den Partner liebt, hält man es nicht aus, wenn er eine andere hat, man vergleicht sich automatisch, fühlt sich minderwertig, folgert daraus, dass man nicht gut genug ist, weil er noch eine andere Person braucht. Bilder verfolgen einen, wie der Partner eine andere Frau zum Orgasmus bringt, wie die Partnerin einen anderen Typen leidenschaftlich küsst – und sie sind unerträglich, diese Bilder. „Du und ich: Wir sind eins. Ich kann dir nicht wehtun, ohne mich zu verletzen.“ – das ein Zitat von Mahatma Gandhi.

Eifersucht, oh Eifersucht!
„In der Eifersucht liegt mehr Egoismus als Liebe. Es gibt eine Art von Liebe, deren Übermaß keine Eifersucht aufkommen lässt“, wird man mir mit
Rochefoucauld kommen. Doch man kann sich weder in zwei Menschen gleichzeitig verlieben (mindestens eine davon ist dann nicht das, was wir unter leidenschaftlicher Liebe verstehen), noch möchte man den Partner teilen, wenn man ihn wirklich liebt. Man möchte mit ihm oder ihr morgens aufwachen, nicht mit irgendwem, man möchte mit ihr oder ihm Geheimnisse teilen, man möchte die Nummer 1 sein und bleiben – am besten das ganze Leben lang oder zumindest bis man einen neuen „Lebensabschnittspartner“ gefunden hat. Um es amüsanter auf den Punkt zu bringen, bemühe ich einen Spruch von Julie Andrews: „Wenn einem die Treue Spaß macht, dann ist es Liebe.“

Diese Optionen-Gesellschaft…
„Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht“, sagte einst Oscar Wilde. Umso schwerer scheint es also in einer Gesellschaft wie der unsrigen zu sein, treu zu bleiben, sexualisiert wie das Fernsehen, das Internet, das Partyleben geworden ist. Alles ist möglich, alles scheint erlaubt… Was hält man dagegen? Zumindest keinen Aphorismus, keine Glosse, keine Kolumne, denn: „Wenn die Liebe unermesslich ist, wird sie sprachlos“, nach Khalil Gibran, und so schließe ich ironisch dieses Pamphlet für mehr monogame Spießigkeit und trotzdem großen Gefühlen in der Liebe.

Hiermit vertritt Jannis sicherlich die Meinung der überwiegenden Mehrheit, das ist in Ordnung, und es liegt mir völlig fern, zu behaupten, meine Haltung zur Treue sei die einzig richtige, noch möchte ich gar jemanden bekehren. Was mich jedoch stört, ist dieses Beharren auf der Ansicht, dass Liebe nur in Verbindung mit körperlicher Treue funktionieren könne, alles andere sei ein sicheres Zeichen dafür, dass in der Partnerschaft etwas nicht stimmen kann.

So gesehen ist es schon komisch, dass Stefan und ich nach über vierzehn Jahren immer noch zusammen sind…