Das sagt man nicht

Warnung: Der folgende Text enthält das N-Wort in der Ursprungsfassung.

Der einst beliebte, dauerjugendliche, gleichwohl inzwischen etwas in die Jahre gekommene Moderator Thomas Gottschalk hat vor einigen Wochen auf sich aufmerksam gemacht mit seinem Buch, in dem er beklagt, man dürfe heute vieles nicht mehr sagen, was vor einigen Jahren noch zulässig gewesen sei. Ich habe das Buch nicht gelesen und beabsichtige es aus Zeitgründen bis auf weiteres nicht zu tun. Dennoch erlaube ich mir, Herrn Gottschalk zu widersprechen. Man darf durchaus noch alles sagen, was das Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich aus guten Gründen verbietet. Schriebe ich zum Beispiel, der alte weiße Mann stamme vom Neger ab, so bliebe das strafrechtlich unverfolgt, dennoch müsste ich als Folge einen gewissen Ansehensverlust in Kauf nehmen, zu recht. Dass wir diesen inzwischen als „N-Wort“ umschriebenen Begriff früher mit Selbstverständlichkeit benutzten, war zumindest von mir keine böse Absicht, wir wussten es einfach nicht besser. Roberto Blanco war einer und der tanzende Sängerimitator von Boney M., Tina Turner eine, ebenso die dunkelhäutige Puppe der Nachbarstochter, und der schokoladenumhüllte Zuckerschaum auf einer Rundwaffel hieß so, auch wenn das mit dem Kuss gar keinen Sinn ergibt. „Denk an die armen N-Kinder in Afrika“ sagte die Oma, wenn der Teller nicht leergegessen wurde. – Heute wissen wir es besser, daher meiden wir solche Wörter, das ist gut und richtig so.

Wobei ich gestehe, manchmal staune ich, welche Begriffe mittlerweile Empörungspotenzial enthalten. Kürzlich etwa war es der „Oberindianer“ aus Udo Lindenbergs altem Hit „Sonderzug nach Pankow“. Ein Berliner Chor sollte oder wollte das Lied ohne dieses Wort singen, um amerikanische Ureinwohner nicht zu grämen. Womöglich ist das den Betroffenen herzlich egal, weil sie ganz andere Probleme haben oder vielleicht demnächst bekommen, wenn Häuptling Orangehaut wieder an der Macht ist.

In bestimmten Kreisen gilt es schon seit längerer Zeit als unschicklich, Personen dem äußeren Anschein nach als Frau oder Mann zu bezeichnen, schließlich wisse man nicht, ob die derart bezeichnete Person sich nicht einem anderen oder keinem Geschlecht zugehörig fühlt, nur noch nicht dazu kam oder es gar nicht beabsichtigt, eine äußere Angleichung vornehmen zu lassen. Statt „Frau“ gab es den Vorschlag, von „Personen mit Menstruationshintergrund“ zu sprechen. Eine komische Vorstellung, etwa an der Fleischtheke oder in der Bäckerei, wenn es heißt: „Ich glaube, die junge Person mit Menstruationshintergrund ist vor Ihnen dran.“ Inzwischen tendiert man diesbezüglich wohl zu „sich weiblich lesende Person“, was die Situation beim Bäcker nicht viel weniger komisch macht.

Beziehungsweise bei der Bäckerin – ein weiteres Thema, das angeblich „die Gesellschaft spaltet“: die geschlechtsneutrale Ansprache einschließlich korrekter Pronomen, auf Neudeutsch gendern. In unterschiedlichen Formen wird es praktiziert: mit Genderstern, Binnen-I, Doppelpunkt, klassisch durch Nennung der männlichen und weiblichen Form wie „Liebe Kolleginnen und Kollegen“. Manche benutzen konsequent die weibliche Form, Männer und alle anderen sind mitgedacht, sagen sie; andere wiederum wechseln innerhalb desselben Textes oder Satzes, dann entstehen irritierende Formulierungen wie „Grundschullehrer und Busfahrerinnen verlangen höheres Gehalt“. Ob das der Sache dienlich ist, ich weiß es nicht.

Und schließlich die Partizipform wie „Radfahrende“. Besonders Sprachpingelige meinen, das sei falsch. Wenn einer, der sonst immer mit dem Rad fährt, heute ausnahmsweise den Bus nimmt wegen Hagel und Sturm, dann sei er eben nicht rad-, sondern busfahrend. (Jedoch kein Busfahrer, der sitzt vorne links; oder die Busfahrerin, klar.) Ein Sonst-immer-Rad-heute-aber-Busfahrender. Mit Verlaub, das halte ich für Unfug. Wer eine junge Person in der Kneipe fragt, was sie denn macht, und zur Antwort bekommt, sie studiere, wird wohl verstehen, was sie meint, auch wenn sie in diesem Moment gerade nicht an ihrer Masterarbeit schreibt. Und aufgepasst: Diese Methode ergibt nur im Plural Sinn, weil ein(e) Studierende(r) nun einmal genauso männlich bzw. weiblich ist wie ein(e) Student(in).

(Das laut Straßenverkehrsordnung vorgegebene Zeichen 237 für einen Radweg bildet übrigens immer ein Herrenrad ab. Gab es dagegen schon Proteste?)

Ein Argument für das Gendern soll eine Studie liefern: Menschen wurden aufgefordert, bekannte Politiker zu nennen. Die derart Befragten nannten überdurchschnittlich viele männliche Politiker. Wurde hingegen nach Politiker:innen (oder eine andere Form) gefragt, wurden mehr Frauen genannt. Das mag sein und ist nachvollziehbar. Doch ist das wirklich ein Problem? Wenn es heißt, Angestellte im Einzelhandel wünschen sich mehr Urlaub, denkt wohl niemand, Verkäuferinnen begnügten sich mit weniger Freizeit.

Ich fremdele mit dem Gendern noch etwas. Im Schriftbild stört es meinen Lesefluss, gesprochen klingt es wie mit erhobenem Zeigefinger. Zugegeben, ein sehr flachwurzelndes Argument. Vielleicht muss ich mich nur noch daran gewöhnen; das dahinterstehende Anliegen kann ich zumindest nachvollziehen, ich zähle mich nicht zu den geifernd-eifernden Gegnern.

Man soll auch nicht mehr Schwule und Lesben sagen, wenn gleichpolig Liebende gemeint sind, denn damit grenzt man andere Lebens- und Liebesformen aus, wie Bi-, Trans-, Inter- und Asexuelle. Stattdessen heißt es nun LGBTQ*…-Community; jeder Buchstabe steht für eine andere Vorliebe und die Reihe scheint jährlich länger zu werden. Bei „Wetten dass..?“, ich glaube noch bevor Thomas Gottschalk es übernahm, trat mal einer auf, der die Zahl Pi auf fünfzig oder mehr Stellen hinter dem Komma fehlerfrei aufsagen konnte. Gäbe es die Sendung noch, könnte dort vielleicht demnächst jemand reüssieren, indem sie oder er alle Buchstaben der oben genannten Reihe hersagen und zudem erklären kann. Ich kann es trotz persönlicher Betroffenheit (für mich bitte das G) nicht.

Jüngstes Beispiel verdächtiger Wörter ist der Lumumba, jenes unter anderem auf Weihnachtsmärkten beliebte Kakaogetränk mit alkoholischer Geschmacksverstärkung. Angeblich geht das Wort zurück auf einen erschossenen schwarzen Freiheitskämpfer, woraus die Herleitung „Brauner mit Schuss“ entstanden sein soll. Das erscheint mit etwas weit hergeholt. Sollte es jedoch stimmen, dass das Getränk aus genau diesem Grund zu seinem Namen kam, so bin ich der letzte, der darauf beharrt, es weiter so zu nennen. Vielleicht wäre Schokohol eine Alternative. Ohnehin trinke ich lieber Glühwein, Eierpunsch und Feuerzangenbowle. Gelegentlich auch nicht-alkoholische Getränke.

Insgesamt erscheint mir ein etwas entspannterer Umgang mit solchen Wörtern manchmal angebracht, das gilt für beide Seiten. Niemandem wird etwas genommen, wenn er Paprikaschnitzel oder Schokokuss sagt. Andererseits muss man nicht in jedes vermeintlich verdächtige Wort Diskriminierungspotenzial hinein interpretieren. Sonst beklagt Herr Gottschalk demnächst die Ächtung von Eisbombe (gewaltverherrlichend), Matjesfilet Hausfrauenart (antifeministisch), Götterspeise (blasphemisch), und die blaue Partei mit der schokofarbenen Gesinnung hat wieder was zu hetzen.

Wobei, das Wort Gottschalk ist bei näherer Betrachtung auch nicht ganz ohne. Aber über Namen macht man sich nicht lustig. Auch nicht, wenn jemand Frauenschläger heißt; allenfalls darf man sich da fragen, womit deren Vorfahren einst ihren Lebensunterhalt bestritten. Vermutlich beließen sie es nicht beim Gebrauch falscher Pronomen.

Apropos schlimme Wörter: Es gibt welche, die völlig unverdächtig und allgemein gebräuchlich sind, die ich gleichwohl gar fürchterlich finde, ohne dass ich begründen könnte, warum. Neben den üblichen Anglizismen wie Call, Meeting und roundabout sind das: schlendern, schmunzeln, schlemmen, stöbern, schlecken, shoppen und lecker. Die darf Thomas Gottschalk weiterhin sagen, niemand außer mir wird daran Anstoß nehmen.

Woche 13: Läuft

Montag: „Gottschalk soll Aufsicht bei Commerzbank führen“, überschreibt die Zeitung einen Artikel. Allerdings nicht der Gottschalk, wie sich beim weiteren Lesen herausstellte. Der hätte ja auch gar keine Zeit, weil er jetzt an Bohlens statt Superstars suchen muss.

Wie vergangene Woche vollmundig angekündigt, war ich am frühen Abend Laufen. Resümee: hormonell anregend, etwas zu warm und viel zu viele Leute am Rhein. Im Übrigen lief es für das erste Mal nach siebzehn Monaten (wie die Recherche ergab, für irgendwas muss dieses Tagebuchschreiben ja gut sein) ganz zufriedenstellend. Bis Donnerstag also. Läuft.

Dienstag: „Bist du ready to talk?“, fragt einer. Ein Satz wie eine Ladung Schnee in den Kragen.

Wenn ich wüsste, dass morgen die Notbremse gezogen wird, so machte ich heute noch einen Friseurtermin, dachte ich am Morgen, und also tat ich am Mittag. Und siehe, mein Bangen wurde bestätigt – ab morgen Friseurbesuche in Bonn nur noch mit negativem Testergebnis.

Im Fernsehen beklagten Mallorca-Urlauber, dass sie nun vor Rückkehr einen negativen Test vorweisen müssen, auf eigene Kosten. Ihr Lieben, wer soll das denn bitteschön sonst bezahlen?

Mittwoch: Erst heute spürte ich einen leichten Muskelkater im Laufwerk, also mit einem Tag Verzögerung. Ist das normal oder liegt das am Alter?

Meine persönliche Antihitparade auf WDR 2 wird weiterhin angeführt von 1) „Jerusaleme“ und 2) „Wellerman“. Perfiderweise spielten sie Nr. 2 heute Morgen, als ich gerade in Schaum und Shampoo unter der Dusche stand und mich nicht wehren konnte. Rufe nach Siri helfen da nicht, da die Dame noch nicht über das Bad-Radio herrscht.

Irgendwann werde ich ohnehin verhungern, erfrieren, den Verstand verlieren oder schlimmeres, weil ich mich beharrlich weigere, Sätze zu sagen, die mit „Hey Siri“ beginnen.

Wie ich beiläufig erfuhr, behandelt man einen Springdaumen mit einer Stoßwellentherapie. Manchmal muss man froh sein, was man alles nicht hat

Abends eine Debatte zwischen meinen Lieben wegen violettem Klopapier, die vor ziemlich genau einem Jahr, da man ungeachtet farblicher Vorlieben alles nahm, was es gab, wohl nicht aufgekommen wäre. Manchmal machen sie es mir wirklich nicht einfach, auf Alkohol zu verzichten.

Donnerstag: Vergangene Nacht träumte ich von sexuellen Avancen mannigfacher Art. Das muss dieser Frühling sein.

Heute ist der 1. April. Die erhoffte Pressekonferenz, in der die Bundeskanzlerin das ganze mit einem erlösenden „April, April“ zu einem Scherz erklärt, auf dass ab morgen wieder alles seinen gewohnten Gang gehe, blieb leider aus.

Deshalb bleibt auch am Rhein weiterhin nur die Hoffnung auf bessere Zeiten, vgl. vergangene Woche:

Passend zum Gründonnerstag bereitete der Liebste abends was mit grünem Spargel. Morgen gibt es dann Kartoffeln. (Bitte verzeihen Sie den Karlauer.)

Unterdessen führte der Geliebte seine ganz persönlichen Passionsspiele auf, das Leiden Christi für den Hausgebrauch; wobei offen blieb, wer am Ende wen ans Kreuz nagelt.

Freitag: Die Christen feiern wieder Karfreitag. Wir erklären uns gerne solidarisch, essen ebenfalls Fisch und verzichten auf Firma, Fete und Frohsinn.

Die häuslichen Passionsspiele wurden nachmittags fortgesetzt. Um mich einer möglichen Kreuzigung zu entziehen, holte ich den für gestern vorgesehenen Lauf nach. Danach waren die meisten Sünden vergeben.

Samstag: In der Inneren Nordstadt zu Bonn beginnen wieder die Zierkirschen zu blühen, was in nichtpandemischen Jahren Tausende von Touristi‘ mit Selfiestangen anzieht. Im vergangenen Jahr wurden die beblühten Straßen deswegen für Besucheri‘ gesperrt; in diesem Jahr will man auf Sperrungen verzichten, weil man auf weniger Leute und deren Vernunft setzt. (Bitte denken Sie sich hier ein hysterisches Auflachen.) Das könnte sich bald als Irrtum erweisen: Bereits jetzt, da nur einzelne Blüten sich zeigen, streifen zahlreiche Menschen mit Kameras durch die Straßen.

„Der Mensch ist wie Was­ser, er sucht sich sei­nen Weg, des­halb muss ich das Was­ser klug lei­ten und nicht ein­fach eine Sper­re auf­stel­len.“

Rostocks Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen im SPIEGEL

Demnächst sieht es dann wieder so aus:

(Archivbild aus dem Vorjahr)

Der bekannte Thriller-Autor Stephen King schrieb bereits vor einundzwanzig Jahren:

„Zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Amerika Prosa zu schreiben, ist kein Job für intellektuelle Feiglinge. Es gibt eine Unmenge von Möchtegernzensoren im Land, und wenn sie auch unterschiedliche Motive haben, so ist ihnen doch dasselbe Ziel zu eigen: Alle Menschen sollen die Welt mit ihren Augen sehen … oder wenigstens den Mund halten und verschweigen, was sie anders sehen. Diese Zensoren sind die Bewahrer des Status quo. Nicht unbedingt schlimme Leute, aber gefährlich sind sie schon, wenn man an intellektuelle Freiheit glaubt.“

Aus: „Das Leben und das Schreiben“. Auch wenn man, wie ich, mit Thrillern nicht viel anfangen kann und Bücher von Steven King deswegen bislang mied – dieses Buch sei allen, die sich für das Schreiben interessieren, sehr empfohlen.

Sonntag: Der Sonntagsspaziergang am Rheinufer entlang verlief erfreulich begegnungsarm, offenbar zog es wegen kühler Winde deutlich weniger Menschen aus des Heimes Behaglichkeit als am vergangenen Montag. Gegenüber, vor Beuel, stand einer am Ufer und brüllte die ganze Zeit herum. Da der Rhein nicht gerade schmal ist, muss er ganz ordentlich laut gebrüllt haben, damit er auf hiesiger Seite deutlich wahrnehmbar war. Das heißt, so deutlich auch wieder nicht – der Inhalt seines Anliegens erschloss sich nicht. Nach der frohen Osterbotschaft klang es indes nicht, vielmehr klang eine gewisse Unzufriedenheit, gar Anklage an. Wer wollte es ihm verdenken.

Das fernösterliche Motiv eines nicht näher bekannten, na ja: Künstleri‘ ist zurzeit im Rheinauenpark zu betrachten:

Liebe Leseri‘, egal ob Sie an das Osterwunder oder den Osterhasen oder was auch immer glauben, ob Sie Eier mögen oder nicht: Ich wünsche Ihnen angenehme Ostertage! Beziehungsweise, da Sie das ja erst heute, am Montag, lesen können, „gehabt zu haben“, wie man (gar nicht) so schön sagt.

Zitate der Woche:

  • „Da habe ich die Klappe mit zwei Fliegen geschlagen.“
  • „Meinst du, ich nicht?“ – „Was soll ich denn bei Merzenich?“ (Manchmal glaube ich, er macht das extra.)

Woche 46: Der Wahnsinn wird Routine

Montag: Am Morgen ist der Liebste aufgebrochen zu einer einwöchigen Geschäftsreise in die USA. Das bedeutet wieder eine Woche lang unkontrollierte Selbstgespräche meinerseits.

Ein solches lautete sinngemäß „Warum habe ich nur nichts Vernünftiges gelernt?“, als ich mich morgens ins Werk quälte, ohne die Frage beantworten zu können, was genau den was Vernünftiges wäre. Während ich dergleichen vor mich hin sinnierte, fuhr ein Wagen an mir vorbei mit dem Schriftzug „Bodenarbeit und Coaching mit Pferden“. Das beantwortete die Frage nicht, zeigte aber, dass sich auch andere mit seltsamen Dingen beschäftigen.

Dienstag: „Was hat das Wunschbild für eine Zeitleiste?“, fragt der Kollege in einer Besprechung. Vielleicht war ihm die Wortfolge „Wann soll das umgesetzt sein“ gerade nicht eingefallen.

„Welches Lied könnte der Soundtrack deines Lebens sein?“, fragt Franco Bollo im Blog Quergefönt. Das ist in der Tat eine schwierige Frage. Vielleicht dieses:

Vielleicht wäre das auch etwas vermessen, womöglich ende ich dann wie Thomas Gottschalk, der augenscheinlich auch nicht älter werden will. Während bei den Waldbränden in Kalifornien bislang fünfzig Menschen ums Leben gekommen sind, vermeldet Herr Gottschalk in seinem dortigen Anwesen den Verlust eines handschriftlichen Rilke-Gedichtes und des Holztreppenhauses, „durch das meine Kinder immer getobt sind“, so G. Bemerkenswerterweise schafft er es damit in die Zeitung (und in dieses Blog).

Mittwoch: „Ich bin heute im Kitchen-Office“, sagt der Teilnehmer einer Skype-Konferenz. Der Wahnsinn wird langsam Routine.

Donnerstag: Heute nahm ich einen Tag Urlaub, erstens um dem Wunsch meines Arbeitgebers zu entsprechen, Resturlaub bis zum Jahresende abzubauen, zweitens um zusammen mit vielen anderen alten Männern die Modelleisenbahnmesse in Köln zu besuchen. Bei der Hinfahrt mit der Bahn um kurz nach halb zehn in der Frühe fiel mir auf, dass diese bis auf den letzten Platz besetzt war. Was bewegt so viele Menschen dazu, wenn sie nicht gerade vorhaben, eine Modellbahnmesse zu besuchen, an einem normalen Donnerstagvormittag von Bonn nach Köln zu fahren? Haben die nichts zu tun? Wobei ich letzteres nicht als Vorwurf zu verstehen bitte. Ich glaube, einer der größten Irrtümer liegt in der Annahme, nichts zu tun zu haben bedeute Zeitverschwendung oder Langeweile oder sei überhaupt in irgendeiner Weise schändlich. Jeder sollte das Recht und die Pflicht haben, zeitweise nichts zu tun. „Das muss halt getan werden“ erscheint mir als tragende Begründung für eine Tätigkeit jedenfalls wenig überzeugend.

Es war übrigens sehr interessant auf der Messe. Natürlich nur für den, der sich, wie ich, für so etwas begeistern kann. Aber das ist ja bei allem so.

KW46 - 1

KW46 - 1 (1)

Freitag: Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Alle paar Wochen wieder kommt eine neue Kostenprognose für die Sanierung der Bonner Beethovenhalle. Heute ist es wieder soweit: Aktuell liegt man bei 96,5 Millionen Euro, zudem ist der Termin der Fertigstellung völlig offen. Somit stehen die Chancen, noch in diesem Jahr die 100 zu erreichen, nicht schlecht.

Die Kreiswahlleiterin von Frankfurt heißt übrigens Regine Fehler.

Samstag: Gesangliche Verpflichtungen erforderten heute meine Anwesenheit in Köln. Beim Warten auf die Bahn schaute ich auf dieses Bildschirmdings in der U-Bahn-Haltestelle, das Nachrichten, entbehrliche Informationen und vor allem Reklame zeigt. Während ich die mit Personen im gesetzten Alter bebilderte Werbung für ein Portal namens „Lebensfreunde für die Generation 50+“ zur Kenntnis nahm, wurde mir klar: Scheiße, die meinen mich.

Derselbe Bildschirm lässt mich wissen, dass der arme Thomas Gottschalk, der durch die Brände in Kalifornien nicht nur ein Gedicht und eine Holztreppe, sondern auch zahlreiche Bambis verlor, nun zum Trost einen Überraschungs-Bambi erhält. Wohingegen die mittlerweile über sechzig Toten wohl kaum auf ein neues Überraschungsleben hoffen können.

„Denn besser als Musik (bewusst) zu hören ist es immer noch, Musik selbst zu machen“, schreibt ein gewisser Ulrich Bumann im General-Anzeiger. Der Mann hat mich noch nicht Trompete üben gehört.

Sonntag: Nichts erwähnenswertes, nicht mal ein Kater vom Vortag. Generation 50+ halt.