#WMDEDGT im Juli: Nicht mein Tag


Heute ist der fünfte Juli, am Fünften eines jeden Monats ruft die geschätzte Mitbloggerin Frau Brüllen zur Pflege der Tagebuchblogkultur auf. Hierzu schreibt der geneigte Teilnehmer einen Aufsatz zum Thema „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“, kurz #WMDEDGT, und verlinkt ihn hier.

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„Röttgen fordert Rückzug Bidens“ lese ich auf der Titelseite der Tageszeitung während des Morgenkaffees. Das Interesse des US-Präsidenten an der Forderung eines deutschen Oppositionspolitikers dürfte sich in homöopathischen Größenordnungen bewegen.

„Atemlos durch die Macht“ ist ein anderer Artikel über Ursula von der Leyens Wiederwahlwunsch als EU-Kommisionspräsidentin übertitelt. So geht seriöser Journalismus. Der damit verbundene Ohrwurm wurde zum Glück nach kurzer Zeit vom frühen Vogel vertilgt.

Während der Radfahrt ins Werk musste ich hinter einem Müllwagen anhalten, der durch ein anderes Fahrzeug auf dem Marktplatz aufgehalten wurde. Als er geräuschlos wenige Zentimeter vorrückte, bemerkte ich, dass es sich um ein Elektrofahrzeug handelte, woraufhin ich mit den begleitenden Müllwerkern (heißt das so?) kurz ins Plaudern kam. Mit dem neuen Fahrzeug zeigten sie sich unzufrieden, da es wegen des hohen Gewichts der Batterien weniger Zuladung hat. So hat alles seine Vor- und Nachteile.

Auf dem weiteren Weg musste ich wegen Baustellen mehrfach den komfortablen Radweg an der Adenauerallee verlassen und auf die Autofahrbahn wechseln. Das war nicht so schlimm, es war nicht viel los, freitags arbeiten viele lieber zu Hause. Außer Leute mit richtigen Berufen, wie Müllwerker. Ab Montag wähle ich dann die Alternativstrecke mit leichtem Umweg.

Während einer Teams-Besprechung ohne bewegte Bilder am Morgen verzehrte ich die letzten drei Aprikosen, die wir letzte Woche aus Südfrankreich mitgebracht hatten. Das wurde höchste Zeit, sie wurden langsam matschig. Ansonsten bot die Besprechung viel Fensterblickzeit, während andere ihre Sätze mit zahlreichen „quasi“ und „tatsächlich“, aber nur wenigen „genau“ garnierten, was Rückschlüsse auf das Durchschnittsalter der Runde zulässt.

Der Speiseplan der Kantine war heute nicht online einsehbar, daher ließ ich mich mittags überraschen. Einer christlichen – es ist doch eine christliche? – Tradition folgend gab es Fisch, konkret Heringsfilets mit Sahnesoße und Kartoffeln. Trotz Bekenntnis zum Agnostikertum entschied ich mich dafür und war sehr zufrieden, wenn auch nicht übermäßig satt. Am Tisch für einen Freitag ungewöhnlich viele Mitesser, siehe oben.

Alle reden über Fußball. Heute Abend spielt Wir gegen Spanien, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Da dieser Text aus zeitlichen Gründen vor dem Ergebnis ins Netz geht, weiß ich zum Zeitpunkt der Niederschrift nicht, wie es ausgehen wird, und es ist mir auch herzlich egal.

Nach dem Mittag überkam mich schwere Müdigkeit, der ich durch Hochfahren der Schreibtischplatte und Arbeiten im Stehen entgegenzuwirken suchte. Der Fisch?

Nachmittags rief ein ehemaliger Kollege an, der seit geraumer Zeit den Ruhestand genießt, das Interesse an Unternehmensdingen indes nicht verloren hat. Wir plauderten ein wenig und wünschten uns zum Abschied gegenseitig alles Gute. Beneide ich ihn? Höchstens ein bisschen. Noch sieben Jahre und acht Monate, maximal.

Eine halbe Stunde vor Beginn des Fußballspiels hatte ich einen Friseurtermin. Der war nach gut zehn Minuten zu meiner vollen Zufriedenheit erledigt, einschließlich Augenbrauenkürzung.

Zurzeit bereiten wir uns mit Sektbegleitung auf das Wochenende vor. Nebenbei schaut der Liebste Fußball, aus dem Wohnzimmer kommt „Oooh“, „Boah“, „Nein“, „Uiuiui“, dazu die aufgedrehte Reporterstimme. Bis jetzt noch kein Tor.

Nachher werden wir was essen gehen, vielleicht beim persischen Italiener. Hauptsache irgendwo, wo kein Fußball läuft.

Laut kleiner kalender ist heute Tag der Workaholics. Also nicht mein Tag.

Woche 27: Der Taubenvergrämer von Malaucène

Montag: Zum Konzert mit dem Tenor Andrea Bocelli in der Köln-Arena schreibt der Bonner General-Anzeiger: „Aber die Strahlkraft seiner Stimme, das, was uns dazu bringt, tief in uns hineinzuhorchen, um dann, endlich, all das preiszugeben, daran zu leiden und es gleichzeitig zu genießen, was in uns schlummert und um Süße, Sehnsuchtserfüllung und Vergebung bettelt, ist noch immer da.“ Ja, da möchte man schmerzerfüllt um Vergebung betteln. In einem anderen Artikel wird die Sängerin Bonnie Tyler als „Rock-Röhre“ bezeichnet. Das ist mindestens so fade-verstaubt (oder „asbach“, wenn Ihnen das lieber ist), wie jemandem, der die Satire beherrscht, zu bescheinigen, er bringe die Dinge „mit spitzer Feder“ auf den Punkt.

Nicht einmal der SPIEGEL ist bereit, auf abgenutzte Synonyme und schiefe Bilder zu verzichten: Ein (ansonsten sehr lesenswerter) Artikel über Österreich kann nicht ohne das Wort „Alpenrepublik“ verfasst werden, und zum Ableben von Joseph Jackson, dem Vater von Michael, Janet, La Toya und einigen weiteren muss man lesen, er habe seine Kinder „durch ein Stahlbad“ geschickt, was auch immer das bedeuten mag.

Leider ist meine Feder nicht annähernd so spitz wie die des Meisters der Überleitung, Max Goldt. Daher nun ein etwas unsanfter Themenwechsel:

In der Bar, wo wir immer unser Nachmittagsbier einnehmen, lief Fußball im Fernseher, die Franzosen sind ja noch dabei. Auch wenn es mich nicht interessiert, musste ich doch ab und zu hinschauen. Dieser brasilianische Fußballstar, dessen Name mir aus Sicherheits- und rechtlichen Gründen gerade entfallen ist, erinnert mich an ein lackiertes, dressiertes Äffchen.

Dienstag: Am Morgen nahm ich nach sechs Jahren Abschied von meinem mittlerweile von reichlich Silberstoppeln durchsetzen Mehrtagesbart. Erstmal vorläufig, vielleicht nur vorübergehend. Ich weiß es noch nicht. Das entscheide ich kommende Woche.

Mit großer Freude darf ich darauf hinweisen, dass mir am 10. August erneut die Ehre zuteil wird, ein paar Zeilen aus meinem Schaffen verlesen zu dürfen. Einzelheiten dazu hier: https://4xmi.de/

Mittwoch: Nachdem bereits gestern am frühen Abend ein Gewitter die Stadt umzogen hatte, war in der Nacht erneut ein leichtes, fernes Grollen zu vernehmen, was sich ungünstig auf die Qualität meines Schlafes auswirkte. Freundlicherweise blieb es in der Ferne und verstummte bald wieder.

Während in der heimischen Ferne die lieben Kollegen damit beschäftigt sind, die Welt zu retten, oder wenigstens das „EBIT“ des Unternehmens, während in Berlin Frau Merkel mit Herrn Seehofer zankt, sitze ich im Schatten vor unserem Urlaubsdomizil und gebe mich genüsslich der Lektüre des von mir sehr geschätzten, bereits oben erwähnten Max Goldt hin, von dem ich extra für den Urlaub in der Buchhandlung meines Vertrauens (und nicht bei Amazon, trotz EBIT, oder gerade deswegen, die Ansichten darüber gehen zurzeit auseinander) drei weitere Bücher erstanden habe. (Vor einiger Zeit las ich, er schreibt nicht mehr, weil ihm nichts mehr einfällt. Stimmt das? Das wäre sehr zu bedauern.) Doch der Anschein der Ruhe trügt, nur eine Armlänge von meinem bequemen Stuhl entfernt tobt Krieg: Zwei Ameisenvölker liefern sich wilde Schlachten, wobei ich nicht erkenne, welches Volk im Vorteil ist. Während die einen durch ihre Körpergröße beeindrucken, sind die anderen in der Überzahl. Als zum Katastrophisieren neigender Mensch rechne ich nun damit, dass sie sich verbünden und ich morgens eine dunkle, kribbelnde Masse auf der Bettdecke vorfinde.

Donnerstag: Rote Mückenstich-Placken verunzieren Bein und Fuß. Das ist unschön, jedoch besser, als von Ameisen verzehrt zu werden. Die sind inzwischen verschwunden. Entweder haben sie sich gegenseitig umgebracht, oder die Flucht ergriffen, nachdem der Liebste großräumig Katzenvergrämungsspray ausgebracht hat wegen der Köttel unter dem Frühstückstisch.

Übrigens: Auch in Malaucène, dem lieblichen Ort in der nördlichen Provence, in welchem wir zurzeit in unsere Urlaubstage hineinzuleben das Vergnügen haben, gibt es jetzt einen Taubenvergrämer. Nur handelt es sich hier nicht um eine populäre Twitter-Figur, sondern einen im Baumwipfel angebrachten Lautsprecher, der in regelmäßigen Abständen Schreie von Greifvögeln und anderem Getier verlauten lässt und damit nicht nur Tauben, sondern augenscheinlich auch den einen oder anderen Tourist auf Abstand hält.

Freitag: Es ist schon bemerkenswert, wenn der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns das 232-fache „verdient“ von dem, was alle anderen Beschäftigten des Unternehmens im Durchschnitt bekommen. Erst recht dann, wenn dieser Konzern kürzlich noch eine Gewinnwarnung herausgegeben hat unter anderem wegen zu hoher Personalkosten. Aber wahrscheinlich ist es eine menschliche Gewohnheit, immer mehr haben zu wollen, auch wenn man schon genug hat.

Zu den unschönen menschlichen Gewohnheiten gehört auch die öffentliche Nasenreinigung ohne Taschentuch: Man hält sich das eine Nasenloch zu und schnaubt das Sekret aus dem anderen in die Umgebung. Bislang beobachtete ich das nur bei Radfahrern, was es nicht akzeptabler macht, heute sah ich indes auch einen Fußgänger auf der Straße dergleichen tun. Zum Glück befand sich gerade niemand in seiner unmittelbaren Umgebung, auch ging er während des Schnaubens nicht an einem Obststand entlang. Und ja: Ich benutze Stofftaschentücher, aus Gewohnheit und Überzeugung, und ich wüsste nicht, was es darüber zu diskutieren gibt.

Samstag: Während eines Ausflugs um und über den Mont Ventoux ließ in der Nähe des Ortes Sault, welcher durch Lavendel verarbeitendes Gewerbe Touristen aus Nah und Fern lockt, ein Lavendelfeld, das den Eindruck erweckte, es sei nur für die Produktion der einschlägigen Provence-Postkartenmotive angelegt worden, welches grober gewebte Charaktere mit wenig Sinn für Schönes womöglich gar als kitschig bezeichnen würden, die Motivklingeln unser Mobilgeräte aufs Heftigste ausschlagen, oder bellen, wie der Brite sagen würde, müsste er nicht gerade Fußball schauen. Die Eindrücke möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

Apropos Fußball: Das Albernste bei den Spielen sind ja diese Werbewände, die anschließend eiligst aufgestellt werden, um Spieler davor zu zerren und zu zwingen, sinnlose Dinge zu sagen.

Sonntag: Heute ist nichts Nennenswertes geschehen. Also es ist bestimmt schon einiges passiert: Donald Trump hat wahrscheinlich irgendwas Blödes getwittert, in Russland wird ein Ball in ein Netz geflogen sein, und vielleicht hat „Astro-Alex“ wieder etwas Sympathisches gesagt oder getan, woraufhin ihm die Herzen der Welt in seine Umlaufbahn zuflogen, ein interessantes Bild, aus dem ein Comiczeichner oder Zeichentrickfilmer sicher was machen könnte. Also mir ist jedenfalls nichts zu Gesicht oder -hör gekommen, was notierenswert erschiene. Weitere Informationen zum Tag entnehmen Sie daher bitte den von Ihnen bevorzugten Medien.

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