Woche 13/2023: Im Übrigen ist mir nicht daran gelegen, Schlachten zu gewinnen

Montag: Trotz Sommerzeitbeginn fiel das Aufstehen am Morgen nicht schwerer als sonst. Auch die persönliche Stimmung blieb ganztägig zufriedenstellend.

Wenig sommerzeitlich zeigt sich das Wetter: Es ist kalt und abwechslungsreich, ab und zu fällt Schneeartiges, etwa als ich mit dem Fahrrad abends nach Hause fuhr, dann scheint wieder die Sonne. Was soll man machen.

Der große, von Verdi und der Bahngewerkschaft ausgerufene Verkehrsmittelstreik blieb dem Vernehmen nach ohne größere Auswirkungen. In Erwartung voller Straßen blieben offenbar viele zu Hause. So geht es auch. Mein Fahrrad fährt erfreulicherweise tarifungebunden, wenn es mal streikt, bringe ich es in die Werkstatt.

In einer internen Mitteilung las ich mal wieder das Wort „Preisanpassung“. Wie häufig kommt es vor, dass ein Preis nach unten angepasst wird? Ist es den Leuten nicht mehr zuzumuten, die Preissteigerung beim Namen zu nennen?

Ein anderes Wort, das in mir stets ein Störgefühl auslöst, ist „verbeamtet“. Man wird zum Beamten ernannt, mit Ernennungsurkunde und Amtsbezeichnung, wenn es gut läuft auf Lebenszeit mit Pensionsansprüchen. Dann ist man beamtet. Aber wieso ver-beamtet? Klingt wie eine irrtümliche oder fehlerhafte Ernennung durch ein Büroversehen. Es ist wohl wie oft: Das sagt man halt so.

Dienstag: Bereits um kurz nach fünf in der Frühe wachte ich aus interessanten Träumen auf, deren Inhalt ich nicht wiedergeben kann, da wie meistens jede Erinnerung daran sich innerhalb von Minuten auflöste. Zudem würde eine Wiedergabe vermutlich keinen erkennbaren Sinn ergeben, wohingegen während des Träumens noch alles logisch und richtig erscheint, Sie kennen das sicher. (Vielleicht denke ich dereinst ähnlich über mein Leben, wenn ich darauf zurückblicke, wer weiß.) Danach schlief ich nicht wieder ein, weil mich ein grundsätzlich angenehmes Gedankengemisch daran hinderte. Hinzu kam eine gewisse Unruhe der Mitschläfer, was ich ihnen nicht vorwerfe.

Ganz anders Frau Kaltmamsell, die da schreibt: »Wieder sehr gut geschlafen. Richtig viel guter Schlaf erreicht Körper- und Seelenstellen – da kommt Urlaub gar nicht hin.« Welch wunderbarer Satz.

Auf dem Rückweg vom Werk kehrte ich auf einen Tee in der Gaststätte am Rheinufer ein, wo ich einmal mehr über einen jungen Mann am Nebentisch staunte, der ununterbrochen auf seine Begleitung einredete. Sie schien es zu mögen. So verschieden sind Menschen.

Zu den akustischen Umweltunerträglichkeiten zählen auch junge Weiber, die bereits aus nichtigen Gründen „Oh mein Goott“ kreischen.

Mittwoch: Mittags wurde der sehr geschätzte Kollegen K. in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet, mit launiger Ansprache des Abteilungsleiters, Verlesung und Überreichung der Zurruhesetzungsurkunde. Wieder einer, der es geschafft hat, ein wenig beneide ich ihn; nicht so dagegen um die Großvaterpflichten, der nun umso mehr auf ihn zukommen. Ich werde ihn vermissen. Nach dem offiziellen Teil wurde billiger Sekt gereicht, der später beim Abteilungs-Jour Fixe ermüdend wirkte, also noch mehr, als mich Jour Fixes ohnehin regelmäßig ermüden; zudem lag er übel im Magen und verursachte unwohlschmeckende Aufstoßer. Der Nachteil einer gewissen Champagnerverwöhnung.

Ein weiterer Beitrag zum Thema Duzen und Siezen: »Ich kann als Chef meine Mitarbeitenden duzen und trotzdem ein Arschloch sein«, sagt darin der Sprachwissenschaftler Horst Simon. Das kann ich bestätigen, wobei der Chef, an den ich dabei sofort denke, nicht mehr im Unternehmen ist.

Donnerstag: Durch die Bezeichnung „Onepager“ für eine Kurzpräsentation gewinnt selbst der trivialste Unfug an Bedeutung.

WordPress schlägt vor, etwas zu nennen, was die meisten Leute nicht verstehen. Bitte sehr: 1) die Relativitätstheorie, 2) Abseits, 3) das Sitzplatznumerierungssystem der Bahn.

Etwas, das ich nicht verstehe, findet sich im aktuellen SPIEGEL, wo der s.Oliver-Chef Bernd Freier zitiert wird: »Ich wache um 4 Uhr auf, schreibe E-Mails und telefoniere mit meinen Managern in Asien, bei denen dann schon Mittag ist. Um 7 Uhr gehe ich aufs Laufband oder stemme Gewichte. Mein Gehirn ist permanent unter Strom, ich rede von früh bis spät und halte in Sitzungen durch, wenn viele schon eingeschlafen sind. Die junge Generation ist anders, die wollen mehr Freizeit. Wenn ich freitagnachmittags über den Parkplatz gehe, steht da kein Auto mehr. Und ab 17 Uhr soll man keine dienstlichen SMS mehr verschicken – wie willst du damit eine Schlacht gewinnen?« Ich empfinde Mitleid mit derart Getriebenen, trotz ihrer Erfolge und aller Befriedigung, die sie für sich aus ihrem Treiben ziehen. Im Übrigen ist mir nicht daran gelegen, Schlachten zu gewinnen. Und schon gar nicht, von früh bis spät zu reden. Vielleicht ein Indiz, dass auch mir im Herzen noch eine gewisse Jugend innewohnt

Freitag: Da Regen drohte und die Drohung wahr machte, fuhr ich mit der Bahn ins Werk. Dort sah ich einen vielleicht zehnjährigen Buben sich die Frisur richten. Immer wieder schaute er sich im Spiegel der Fensterscheibe kritisch an, die Stirn in Falten gelegt, zupfte hier, legte da, korrigierte dort. Ob er am Ende zufrieden war, weiß ich nicht. Ich kenne das, nur fing das bei mir mit etwa achtzehn an, vorher war mir die Frisur weitgehend wurscht. Auch hier ist die Jugend heute weiter.

Auch Pflanzen haben laut Forschung Gefühle, nehmt dies, Veganer: »Der Tomate ist es ganz und gar nicht egal, wenn man ihr an den Fruchtkörper rückt. Auch Tabak, Weizen oder Mais geben demnach Laut, stehen sie unter Stress. Nur dass die Pflanzen damit beim Menschen auf taube Ohren stoßen und ein Mähdrescher ohnedies das letzte Stöhnen aus dem Kornfeld zuverlässig übertönt.«

Samstag: Heute ist der erste April, kein Scherz; somit ist das erste Vierteljahr bereits wieder Vergangenheit. Erschreckend.

Bereits am frühen Morgen machten der Liebste und ich uns auf ins niedersächsische Dransfeld, wo Tante und Onkel zum jeweils achtzigsten Geburtstag geladen hatten. Nach störungsfreier Autofahrt kamen wir gegen elf an, kurz darauf trafen die anderen Gäste ein. Alle waren gekommen: meine Mutter, mein Bruder nebst Gattin, alle noch lebenden Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen, die ich teilweise seit vielen Jahren nicht mehr gesehen habe, ein jeder und eine jede wie ich auf ihre Art gealtert. Dazu eine Schar an Kindern, die zu benennen und den jeweiligen Eltern zuzuordnen mir kaum möglich war. Es wurde gegessen, getrunken, gesprochen, gelacht und erinnert. Alles in allem eine ganz wunderbare Zusammenkunft, die es in dieser Form und Vollständigkeit womöglich nicht wieder geben wird. Obwohl ein eher sozialphlegmatischer Mensch habe ich das frühe Aufstehen an diesem Morgen kein bisschen bereut.

Erkenntnis: Auch in Verwandtschaftskreisen wird dieses Blog gelegentlich zur Kenntnis genommen. Das freut mich und wird bei künftigen Einträgen berücksichtigt.

Sonntag: Bereits am frühen Morgen lärmten auf dem Flur unserer Unterkunft Amerikaner. Die sind wirklich überall, sogar in Südostniedersachsen.

Nach Rückkehr in Bonn am frühen Nachmittag holte ich den sonntagsüblichen Spaziergang nach. Zur Abwechslung ist es wieder kühler geworden, „der Wind ist frisch unterwegs“ sagt die Frau im Radio. Immerhin ist das Frühlingsergrünen und -blühen hier gegenüber dem östlichen Niedersachsen deutlich fortgeschritten. Die Zierkirschblüte in der Inneren Nordstadt hat begonnen, bis jetzt nur die früheren Sorten in einigen Nebenstraßen, was schon die ersten Blütenkucker und Selfiesüchtigen anlockt. Die Bäume in Heer- und Breitestraße zeigen nur rötliche Knospen. In schätzungsweise ein bis zwei Wochen werden sie wieder zu den inzwischen weltberühmten Blütentunneln erblühen und Touristen mit Datengeräten aus aller Welt anlocken.

Archivbild aus dem Vorjahr – offenbar war es da auch kühl, wie die Fellkapuze rechts ahnen lässt
Auch in der Inneren Nordstadt – was mit Liebe

Noch immer sieht man Radfahrer mit angelegter Schutzmaske im Gesicht. Vielleicht wollen sie einfach nicht erkannt werden, wenn sie unter Missachtung aller Verkehrsregeln durch die Stadt sausen.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die FDP verboten werden muss. (Das hatte ich vergangene Woche vergessen.)

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 44: Alberne Naturen und gerupfte Schäfchen

Montag: „Corona gefährdet Sportunterricht“, steht in der Zeitung. Als Jugendlicher hätte mir diese Nachricht freudiges Jauchzen und Luftsprünge ausgelöst, beim Einschlafgebet hätte ich Gott gedankt und gebeten, mit dem Impfstoff keine unnötige Eile walten zu lassen. Nur gegen weniges hegte ich tiefere, in Richtung Hass tendierende Abneigung als gegen Schulsport, noch heute mache ich um jede Turnhalle einen möglichst großen Bogen.

Dienstag: Laut einem Bericht will der VDA, Lobbyverband der Automobilindustrie, die Klimaziele der EU billigen. Vielen Dank, VDA, das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen.

Mittwoch: Bei Frau Kraulquappe gelesen über die Vorzüge eines Einfamilienhauses:

»Niemanden treffen zu müssen, den man nicht treffen wil, wenn man los will, kein unnötiger Austausch von Floskeln in Treppenhäusern, keine Höflichkeitsantworten auf dämliche Verlegenheitsfragen wie „Naaaa, alles gut bei euch?“ […] Ich mag das Diskrete, das Unaufdringliche, für mich liegt eindeutig mehr Höflichkeit darin, sich einfach nur freundlich grüßen zu dürfen/können, aber nichts weiter reden zu müssen, wenn man das gerade nicht kann/möchte.«

Hinzu kommen die wunderbaren Wörter „Abstandswiese“, „Diskretionswall“, „Distanzrefugium“ und „Virenvakuum“. Sie schreiben mir aus der Seele, meine Liebe!

Ansonsten in der Zeitung gelesen: In Amerika hat sich während einer Party ein Dreijähriger mit einer Pistole erschossen, die zuvor einem der Gäste aus der Tasche gefallen war. Das ist nicht lustig; leider nicht der erste und mit großer Sicherheit nicht der letzte Fall dieser Art. Sie begreifen es einfach nicht.

Weiterhin in der Zeitung gelesen den Leserbrief von Peter G. aus B:

»So gut der Wunsch „Bleiben Sie gesund“ bei allen Gelegenheiten auch ist: Millionen Menschen sind zur Zeit krank. Für sie trifft dieser gut gemeinte Wunsch doch gar nicht zu. Wäre daher nicht eine entsprechende Ergänzung sinnvoll: „Bleiben oder werden Sie gesund“?«

Augenscheinlich haben manche sehr viel Zeit.

Donnerstag: Manchmal muss man es einfach aushalten und abwarten, bis es vorüber ist. Das gilt für Schnupfen und Sturm wie für Zwischenmenschlichkeiten. Bei letzteren hilft es mir, zu denken: Stell dir vor, du hättest Kinder. Schon ist es nur noch halb so schlimm. Oder ich werde selbst zum Kind und spiele mit der Eisenbahn.

(Nahverkehrszug 7844 von Dransfeld nach Rosdorf, planmäßige Abfahrt in Barlingerode Ost um 16:31 Uhr)

Freitag: Millionen von Arbeitnehmern, auch der Liebste, gehen seit März nicht mehr ins Büro, stattdessen erledigen Sie die Geschäfte innerhalb heimischer Wände. Nicht wenige finden das gut, weil sie nicht mehr täglich fahren müssen und „flexibler“ sind, wie sie es nennen. Andere finden das gar nicht gut, weil ihnen die Trennung beruflich – privat wichtig ist. Zu denen gehöre ich. Heute ließ es sich auch für mich nicht vermeiden, ausnahmsweise zu Hause zu arbeiten, wenn auch nur diesen einen Tag. Nach einem freitäglich-frühen Feierabend fühle ich mich bestätigt: Ich mag das nicht. Es widerstrebt mir, mich zu Hause auf berufliche Angelegenheiten zu konzentrieren, mich überhaupt dafür zu interessieren oder anderen per Kopfhörer dabei zuzuhören. Die Arbeit geht schwerer von der Hand, nicht weil ich sie am Laptop statt mit Tastatur, Bildschirm und Maus erledige. Sie gehört hier einfach nicht hin, eine Störung der heimische Komfortzone. Daher bin ich meinem Chef sehr dankbar, dass ich auch in diesen Zeiten grundsätzlich täglich ins Büro darf.

Samstag: Den samstäglichen Gang zum Altglascontainer (bitte fragen Sie nicht) verband ich mit der von meinen Lieben beauftragten Beschaffung einer neuen Butterdose (bitte fragen Sie immer noch nicht) in der Innenstadt. Die Sonne schien, entsprechend gut besucht die Außengastronomie. Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, die Leute hielten sich konsequent an die Maskenpflicht, auch so etwas wie Abstandswahrung glaubte ich zu erkennen. Leider zu spät: Ab Montag bleiben die Gaststätten aus dem bekannten Grund geschlossen, für einen Monat. Hoffen wir, nicht länger. Übrigens kann man für Butterdosen sehr viel Geld ausgeben. Muss man aber nicht.

Unterdessen etabliert sich der fragwürdige Begriff „Lockdown light“, der alberne Naturen veranlasst, zu fragen, ob als nächstes der „Lockdown zero“ kommt, aber das haben Sie bestimmt längst mitbekommen, vermutlich ist Twitter voll davon. Ich weiß es nicht, habe dort seit Wochen nicht mehr reingeschaut.

Sonntag: Morgens erreichte mich die traurige, gleichwohl nicht überraschende Nachricht über die Absage der #Mimimimi-Lesung am 13. November, Sie können sich denken, warum. Hoffen wir also auf einen nicht allzu fernen Ersatztermin, wenn die Situation es wieder zulässt.

Ein kleines Rätsel am Wegesrand, gesehen während des Sonntagsspaziergangs am anderen Ufer:

Lösungsvorschläge nehme ich gerne entgegen. Ich bin gespannt.

Ansonsten in dieser Woche gehört und notiert: „Schnell sind die Schäfchen gerupft.“ – „Jetzt mal Schmalz bei die Butter. Ach nee, Fische, oder?“

Woche 10: Türkischer Humor, Erkältung, ein verpasster Falschfahrer und Verwandtschaft

Montag: Die Tatsache, dass einen Tag nach Erdogans absurder Nazi-Beschimpfung gegen Deutschland Die Welt Kompakt mit einer aufwändigen „Verlagssonderveröffentlichung“ überrascht, die nichts anderes ist als eine Werbebeilage für die Türkei als Urlaubsland, ist womöglich ein Hinweis auf den Humor der türkischen Tourismusindustrie. Zumindest lässt sie erahnen, wie einst Satire entstand.

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Dienstag: Dienstreise nach Münster. Erstaunlich, wie viele Worte ein Mensch, dazu noch ein Westfale, an einem einzigen Abend von sich geben kann.

Mittwoch: Über Nacht kam die Erkältung. Ansonsten ist es hier in Münster sehr schön.

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Donnerstag: Vorteil der Erkältung: Ich muss keine Hände schütteln. – Das sieht man zum Glück auch nicht jeden Tag:

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Die Gefahr war aber schon gebannt, als ich die Stelle passierte.

Freitag: Bonner Barcamp in den Räumen meines Arbeitgebers. Leider habe ich keine Zeit dafür an diesem Wochenende. Auch fehlt mir die Phantasie, mir vorzustellen, was ich dort sollte.

Samstag: Autofahrt nach Dransfeld (bei Göttingen) zur Familienfeier mit der ausschließlich heterosexuellen Verwandtschaft. Dennoch sehr schön, was nicht nur auf den zum Essen gereichten Alkohol zurückzuführen ist. Am Abend kleiner Spaziergang durchs Dorf zur Ausnüchterung.

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Sonntag: Rückfahrt von Dransfeld nach Bonn mit Abstecher über Bielefeld. Die Landkreise Göttingen und Northeim zeichnen sich aus durch schöne Landschaft und malerische Orte. Dennoch erfüllt mich die Rückkehr ins Rheinland mit Freude.