Es nervt tierisch

Eigentlich mag ich Katzen. Nun soll man das Wort „eigentlich“ nicht verwenden, schon gar nicht zur Eröffnung eines Aufsatzes, schwingt bei seinem Gebrauch doch stets etwas unverbindlich-einschränkendes mit. Entweder mag man Katzen, oder man mag sie nicht. Wenn man sie nur teilweise mag, zum Beispiel nur schwarze, wohingegen man graugetigerte ablehnt, oder nur ihren Kopf und ihre Pfoten, ihren Schweif jedoch verabscheut, so sollte man dies deutlich zum Ausdruck bringen, anstatt die klare Position mit „eigentlich“ zu verschwurbeln.

Also noch mal von vorne: Ich mag Katzen. Und zwar solche wie früher bei meinen Großeltern auf dem Land. Sie hatten sie nicht für viel Geld bei einem Katzenzüchter gekauft, viel mehr war einfach immer eine da, weiß der Himmel woher sie kam, so wie in einem neu angelegten Gartenteich irgendwann plötzlich Frösche wohnen und die Menschen der Umgebung vor allem nachts mit idyllischem Gequake erfreuen, ohne dass der Gartenbesitzer vorher beim örtlichen Lurchhändler vorstellig gewesen wäre. Ganz normale Katzen also, getigert, gefleckt, einfarbig; meist blieben sie so lange, bis der natürliche Tod der im Freien lebenden Katze sie ereilte, das heißt bis sie auf der Landstraße überrollt wurden, was laut Volksmund ja sieben mal je Katze passieren muss, ehe sie endgültig hin ist, vielleicht folgt diese Erkenntnis auch nur aus dem zu häufigen Anschauen von Tom-und-Jerry-Filmen, wo die Katze ständig in die Luft gejagt, verbrannt, zerhackt oder von der Dampfwalze überrollt wird und dennoch schon in der nächsten Sekunde wieder der Maus nachjagt.

Die großelterlichen Katzen lebten stets draußen, durften das Haus nicht betreten und wurden mit dem Besen verscheucht, wenn sie es dennoch wagten. Ansonsten hatten sie kein schlechtes Leben, ernährten sich von selbstgefangenen Mäusen, und Oma kratzte ihnen immer die Reste vom Mittagessen auf einen Teller vor dem Haus, Kartoffeln, Soße, Rotkohl, Knochen von Hühnchen oder Kotelett, nach heutigen katzenernährungsphysiologischen Gesichtspunkten wohl eher bedenklich, aber davon hatten die Katzen und meine Großeltern keine Ahnung, daher machten sie sich stets dankbar über den Teller her, also die Katzen, nicht die Großeltern, was ja auch keinen Sinn ergäbe, denn die hatten ja vorher schon… egal.

Die Katzen legten ein artangemessenes Wesen an den Tag: Wenn ich meine Großeltern besuchte, konnte ich mit der aktuell amtierenden Katze spielen und sie streicheln – wenn sie Lust dazu hatte; dies tat sie durch ein behagliches Schnurren kund; andernfalls konnte es passieren, dass sie meinen kindlichen Übereifer durch einen gezielten Hieb mit ihren Krallen in seine Schranken wies, was ihr außer mir niemand übel nahm.

Solche Katzen mag ich, auch heute noch.

Es gibt auch Katzen, die mag ich nicht. Meine Kollegin Christine hat zwei davon, ich kenne sie nur von den Bildern her, die sie mir und anderen ständig zeigt, zwei magere braungraue Viecher mit sehr kurzem Fell und unfrohem Blick. Sie leben in der Wohnung und dürfen sie niemals verlassen, weil sie sonst Katzengrippe, Katzenpest oder was weiß ich alles bekommen, dann werden teure Tierarztbesuche fällig, außerdem ist es nicht schön, wenn die Katze krank ist, Christine ist dann meistens aus reiner Sympathie ebenfalls krank, und wenn nicht, zumindest unausstehlich, so als ob tagelang Vollmond wäre.

Katzenbilder. Je mehr ich davon zu sehen bekomme, desto weniger ertrage ich sie, dank Facebook, Twitter und Christine habe ich mittlerweile eine echte Katzenbilderallergie entwickelt, bei jedem Bild, auf dem ein süßes Katzenbaby kuck-mal-wie-goldig mit der Stoffmaus oder einem anderen süßen Katzenbaby tollt, bekomme ich Schwitzehände und nervöses Zucken im linken Augenlid.

Angeblich sollen Katzenbabys bei meinem Großvater gewisse Aktivitäten ausgelöst haben, die ich jedoch mit Rücksicht auf zartgemütige Leser nicht detailliert wiedergeben möchte, und die ich zudem keineswegs gutheiße. Sehr wahrscheinlich stimmt das alles auch gar nicht und mein großer Bruder dachte sich diese Geschichten mit der Schaufel und dem Erdloch nur aus, um mich zu ärgern.

Katzenbeiträgen auf Facebook und Twitter kann ich durch Ignorieren und notfalls Entfolgen entgehen, Christine nicht. Mindestens einmal am Tag schickt sie eine E-Mail mit Bildern der neuesten Erlebnisse von „Egon“ und „Emil“ an die gesamte Abteilung; während aus den Nachbarbüros Laute der Verzückung herüber fiepen, lösche ich die Mail ungelesen; ich erwäge, eine Regel in meinem E-Mail-Programm zu hinterlegen, die Mails von Christine, welche einen Dateianhang enthalten, sofort eliminiert.

Damit ist es leider nicht getan. Am schlimmsten ist es, wenn sie mir unaufgefordert ihr Mobiltelefon vor die Nase hält, ihre Stimme sich schlagartig um eine Oktave erhöht und sie so Sätze sagt wie „Kuck mal, wie der Egon auf der Schulter von Georg sitzt!“ (Georg ist Christines Mann, ich bewundere ihn.) Ich kucke, sage maximal so etwas wie „Mhm“, meistens schweige ich, denn jedes weitere Wort könnte zu ernsten atmosphärischen Störungen zwischen Christine und mir führen, und das will ich nicht, denn eigentlich (da ist es wieder, ich finde, hier passt es) mag ich sie, sie ist freundlich, hilfsbereit, geradezu kumpelhaft mit einem angenehm-derben Humor, ich mag Frauen mit derbem Humor; wenn sie jedoch mit gezücktem Mobiltelefon diese Kuck-mal-Sätze piepst, möchte ich sie anschreien.

Einmal habe ich sie – im Scherze, versteht sich – gefragt, ob ihr klar sei, dass Katzen in anderen Kulturen fester Bestandteil des Speiseplanes sind. Gut, es sollte jedenfalls wie ein Scherz klingen, dabei finde ich den Gedanken gar nicht mal so abwegig. Katzenrückenfilet, Katzenzungen in Gelee, warum denn nicht? Ich meine, was macht eine Katze liebenswerter als ein Kaninchen, wodurch zeichnet sich ein Hausschwein als besonders verspeisungswürdig gegenüber einem deutschen Schäferhund aus, nur weil es nicht so treu kuckt und nicht die Zeitung bringt, dafür grunzt und quiekt anstatt zu bellen und jaulen?

Auch aus Katzenfell ließen sie sinnvolle Gegenstände des täglichen Gebrauchs fertigen, etwa Lenkradüberzüge, Mäntelchen für das iPhone und Herrenhandtaschen. Und Katzenschweife, aneinander genäht, könnten sehr stilvoll die Funktion dieser roten Samtschnüre übernehmen, welche, durch Ösenköpfe von hüfthohen Bodenstelen aus Messing gezogen, in Museen die Exponate vor unerwünschten Zugriffen allzu interessierter Besucher schützen.

Christine teilte meinen Humor in dieser Sache nicht, sie grinste nicht mal ansatzweise und reagierte so, als ob ich ihr vorgeschlagen hätte, wir könnten doch ihre Kinder verspeisen. Christine und Georg haben übrigens keine Kinder, wozu auch, sie haben ja zwei Katzen. Danach war unser Verhältnis deutlich abgekühlt, was jedoch nur ein paar Tage anhielt (sie hatte mich sogar aus ihrem Katzen-E-Mail-Verteiler genommen), bald darauf piepste sie wieder „Kuck mal…“ und hielt mir ihr Handy hin.

Seit ein paar Tagen mache ich mit meiner Handykamera Fotos von Omnibussen. Ich finde sie praktisch, weil sie einen von A nach B bringen und bei Bedarf auch wieder zurück, auch wenn es regnet oder man zwei bis drei Bier zu viel getrunken hat, ansonsten verbinde ich keinerlei ästhetische oder emotionale Empfindungen mit einem Bus; ein Bus ist ein Bus, nicht mehr und nicht weniger. Warum ich das mache? Als Gegenwaffe. Wenn Christine mir bald wieder ihre Katzenbilder unter die Nase hält, kontere ich mit einem Busbild, fiepe „Kuck mal, ein MAN-Gelenkbus, Linie 602, in der Abendsonne am Bussteig D. Schön, nicht?“ Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder sie versteht die Botschaft, oder nicht. Im ersten Fall habe ich endlich meine Ruhe, im zweiten Fall wird sie überall herumerzählen, ich hätte jetzt so einen komischen Tick mit Omnibussen, alle halten mich für bekloppt oder fetischistisch veranlagt; vielleicht tun sie das aber auch längst schon, man selbst bekommt so etwas ja immer als letzter mit.

Das vorstehende lässt sich sinngemäß auch auf Hundebesitzer und – für mich zumindest nachvollziehbarer – junge Eltern übertragen (wobei man sich im zweiten Fall bitte die Passage über die kulinarische Verwendung des Nachwuchses wegdenke, so weit würde ich nun doch nicht gehen). Nur sind die mir bekannten Hunde- und Kinderbesitzer wesentlich entspannter bezüglich ihrer Lieblinge. Vielleicht kenne ich auch nur nicht die richtigen.

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