Woche 10: Das korrekte Genus des Possessivpronomens

Montag: Auch der Karneval ist nicht vor Empörung sicher. Nachdem sich in der letzten Woche Bernd Stelter unbeliebt gemacht hat durch Witze über Frauen mit Doppelnamen im Allgemeinen und Anette Kramp-Karrenbauer im Besonderen, legt ebendiese CDU-Chefin nun ihrerseits nach, indem sie auf einer Karnevalssitzung über geschlechtslose Toiletten scherzt, wodurch sich einige diversgeschlechtliche Menschen, Verzeihung: angepisst fühlen. Mensch Leute, entspannt euch! Was bliebe vom Karneval übrig, wenn jeder Akteur zuvor überlegen müsste, wen er eventuell beleidigen könnte?

Dienstag: „Uns Sproch es Heimat“, lautete das diesjährige Karnevalsmotto in Köln (für Westfalen und andere Nicht-Reinländer übersetzt: „Unsere Sprache ist Heimat“). Die Schönheit dieser Sprache veranschaulicht folgendes Beispiel:

  • Hochdeutsch: „Darf ich Sie zu einer Kopulation einladen?“
  • Proletisch: „Isch will f***n!“
  • Rheinisch: „Solle mer noch wat Liebe maache?“

Wer würde da ablehnen?

Mittwoch: Etwa zwanzig Prozent meiner Arbeitszeit dienen der Sacharbeit, der Rest geht dafür drauf, mit Powerpoint eine aufwändige „Storyline“ zu gestalten. Wann genau und wodurch ist leitenden Angestellten, vom Abteilungsleiter aufwärts, die Fähigkeit abhanden gekommen, einfache Textdokumente zu lesen?

Dazu passend lese ich bei Michel Houellebecq, dem französischen Autor mit dem weder aussprech- noch buchstabierbaren Namen, in „Ausweitung der Kampfzone“:

„Die Beschaffenheit der Welt ist schmerzhaft und ungeeignet; ich glaube nicht, dass sich daran etwas ändern lässt.“ 

Ein sehr vergnüglich zu lesendes Buch, gerade in der Stadtbahn auf dem Weg ins Werk und zurück. Zurück natürlich vergnüglicher als hin, ist klar.

Abends mit der Bahn zur Chorprobe nach Köln. Auf dem Sitz hinter mir spricht jemand in sein Telefon: „In dem Alter als Mann ohne Dingens ist echt aussichtslos.“ In welchem Alter hat ein Mann wohl die besten Aussichten ohne Dingens?

Apropos Aussichten: Ich mag es, abends von der Bahn aus in beleuchtete Wohnungen zu schauen, wo fremde Leute irgendwas machen. Viel machen sie meistens nicht, außer rumsitzen oder die Küche zu verschmutzen. Beim Liebe machen sah ich indes noch niemanden. Ich bleibe dran und werde berichten.

Donnerstag: Nun haben sie wieder überall angefangen, zu fasten. Nach dem Verzicht auf Sex, Alkohol, Drogen, Zigaretten und Online scheint „Empörungsfasten“ der neueste Trend zu, also sich nicht mehr über jeden nichtigen Scheiß aufzuregen und seinen Missmut in die digitalen Hetzwerke abzusondern. Diese Idee gefällt mir ausnahmsweise. Daher nehme ich mir vor, mich nicht länger über den täglichen Wahnsinn im Werk ärgern. Wundern und Lästern bleiben selbstverständlich erlaubt, ja Pflicht.

Zum Beispiel über so wunderbare Wortschöpfungen wie die folgende, welche ich heute in einer Besprechung höre: „Gefühlstechnisch gehe ich davon aus, dass bla bla bla …“

Bemerkenswert auch „faire Rosen“, welche die SPD laut einem Zeitungsbericht morgen an Weltfrauen verschenken wird.

Abschied am Abend:

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Hat gar nicht wehgetan.

Freitag: Der Liebste plant seine Flugreise nach Japan. An Bord werden unter anderem Baby-Sardinen serviert. Also so etwas wie Wasserflöhe, nehme ich an.

Abends traditionelles Fischessen (oder eher -trinken) im Zeughaus der Karnevalsgesellschaft. Raten Sie mal, wer am Weltfrauentag in der Küche stand und abwusch.

Samstag: Laut einer Umfrage zum Thema „Vertrauen in Institutionen“ vertrauen vier Prozent der Befragten Werbeagenturen. Vielleicht haben die einfach die Frage nicht richtig verstanden. Oder sie glauben tatsächlich an die Existenz von Schleimmonstern.

Wirklich gelungen finde ich übrigens die Werbung mit den beiden jungen Männern, die nebeneinander auf ihren Betten liegen und dieses sagen:

„Ich hab mir ˋne neue Matratze gekauft, hat mich ein Vermögen gekostet. Aber Qualität hat halt ihren Preis.“ – „Die meist gekaufte Matratze kostet hundertneunundneunzig Euro.“ – „Ne ne ne ne …“ – „Doch.“

Bemerkenswert vor allem das korrekte Genus des Possessivpronomens vor „Preis“. Mindestens vierzig Prozent würden stattdessen sagen „Qualität hat seinen Preis“.

Zu später Stunde wirbt im Fernsehen ein Anbieter von Erzeugnissen zur Unterleibs-Entzückung für ein Gerät mit „Wow-Orgasmus-Garantie“, angeblich von der Stiftung Warentest für gut befunden. Wie mögen die das getestet haben?

Sonntag: In Bonn (und vermutlich anderswo auch) beginnen die Magnolien zu blühen, wie ich auf meinem längeren Sonntagsspaziergang sehe, von dem mich auch der heftige Wind nicht abhält, der heute über Stadt, Land und Fluss fegt.

KW10 - 1

Früher sagte ich übrigens „Mangolien“ dazu, das erschien mir irgendwie schlüssiger.

Noch länger dauerte es, bis ich verstand, dass „Grüß dich“ kein Imperativ ist. Bis dahin wunderte ich mich, wenn das jemand zu mir sagte: Warum sollte ich mich selbst grüßen, und von wem?

Auf demselben Spaziergang sehe ich auch ein Plakat für eine Lesung von Max Goldt am kommenden Mittwoch im Pantheon. Sehr bedauerlich, dass ich mich dann auf einer Dienstreise befinde.