Die Tragödie des M. S.

Am Sonntag vor Silvester hatte der berühmte Formel-1-Fahrer Michael Schumacher einen schweren Skiunfall. Abseits der ausgewiesenen Pisten stürzte er bei offenbar sehr hoher Geschwindigkeit und schlug mit dem Kopf auf einen Stein, trotz Helm erlitt er schwere Verletzungen und liegt bis heute im Koma, sein Zustand wird als kritisch beurteilt. Das ist schlimm, alle, mich eingeschlossen, wünschen Herrn Schumacher eine baldige Genesung ohne bleibende Folgeschäden.

Schlimm ist auch, was die Medien und die Öffentlichkeit daraus machen. Die Nachrichten berichten täglich groß und ausführlich über den aktuellen Stand, vermutlich gab es auch einen ARD-Brennpunkt und ein ZDF-Spezial dazu, ich habe das nicht so genau verfolgt, und im SPIEGEL dieser Woche ist der Vorfall Titelthema. Noch schlimmer: die damit verbundenen Rückblicke auf die spektakulärsten Skiunfälle Prominenter in der vergangenen Jahren, eine echte Seuche, Sie kennen das – sobald etwas schlimmes passiert, bringen die Zeitungen und Fernsehsender eine Übersicht vergleichbarer Ereignisse aus der Vergangenheit, gleichsam eine Hitparade des Horrors.

Auf Facebook wurden zahlreiche Gute-Besserung-Gruppen gegründet (warum sagt man eigentlich „Gute Besserung“? Es heißt doch auch nicht „schnelle Beschleunigung“ zur Anpreisung eines Sportwagens oder „warme Erwärmung“ angesichts eines Tauchsieders oder des Klimawandels), auf Twitter gibt es mitfühlende Hashtags, Prominente und solche, die sich dafür halten, rufen zum Gebet auf, und die Bundeskanzlerin ließ über ihren Regierungssprecher ihr Bedauern und ihre Genesungswünsche erklären. (Fast schon ironisch mutet es da an, dass sie nun ihrerseits unter den Folgen eines Skiunfalls leidet, wenn auch nicht so schlimm wie Schumacher, jedenfalls dürfte sie wesentlich langsamer gewesen sein, auch können wir davon ausgehen, dass sie die gespurten Loipen nicht verlassen hatte.) In allen Bundesbehörden sind die Hausmeister Tag und Nacht in Bereitschaft, um in dem Fall, der hoffentlich nicht eintritt, die Deutschlandfahne auf Halbmast zu kurbeln, auf der ISS wurde die Arbeit vorübergehend eingestellt und die Polkappen legen eine Schmelzpause ein.

An einem Donnerstag im März 2013 verließ der IT-Experte Martin Stein* wie jeden Morgen seine Wohnung und stieg in den Bus zu seinem Büro. Dort kam er nie an, weil ihn unterwegs ein Herzinfarkt ereilte, der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen. Er war aufgrund seiner freundlich-menschlichen Art und seines immensen Fachwissens beliebt von allen sehr geschätzt, hinterließ eine fassungslose Familie und eine schockierte Kollegenschaft, zumal er, wenngleich schon jenseits der sechzig, augenscheinlich kerngesund gewesen war.

Hiervon stand nicht eine Zeile in der Zeitung.

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* Name geringfügig geändert