Woche 3/2025: Es zu versuchen ist allemal besser als nichts zu tun

Montag: Morgens radelte ich bei minus vier Grad in die neue Arbeitswoche, das war erstaunlich erträglich. Mittags bei Rückkehr aus der Kantine (nach dreizehn Etagen Treppensteigen, jede Woche eine mehr) zeigte das Bürothermometer sechsundzwanzig Grad an, nachdem sich der Hochnebel verzogen hatte und die Sonne den Turm beschien. Das sind dreißig Grad Unterschied. Man macht schon was mit.

Auch akustisch: In einer Besprechung fiel achtmal innerhalb zehn Minuten „tatsächlich“. Ein weiteres fragwürdiges Wort ist weiterhin „anwerfen“, vor allem im Zusammenhang mit Ofen, Wasch- oder Spülmaschine. Ich fragte es schonmal: Mit was werden die Geräte beworfen, und warum?

Unser Ofen wurde abends folglich nicht angeworfen, sondern ganz klassisch befeuert. Das war sehr angenehm.

Dienstag: Auch heute Morgen war es, wenig überraschend, sehr kalt. Der Rhein hat sich wieder in sein Bett zurückgezogen, nur noch eingefrorene Pfützen am Wegesrand deuten auf das Hochwasser letzte Woche hin. Über dem Siebengebirge schimmerte Morgenröte. Ins Büro kam ich erst mit knapp halbstündiger Verzögerung wegen Feueralarm. Anscheinend gab es aber kein oder allenfalls ein sehr kleines Feuer, das bald unter Kontrolle war. Meine Unterstützung als Brandschutzhelfer wurde nicht benötigt.

Auch das Gänsepaar ist beeindruckt und deshalb vielleicht froh, nicht mit den anderen in den Süden geflogen zu sein
Hochwasserreste

„Für ein Land, auf das wir wieder stolz sein können.“ steht auf Wahlplakaten der CDU. Ich sehe keine Notwendigkeit, auf das Land stolz zu sein. Es reicht völlig, wenn ich hier zufriedenstellend leben kann und ansonsten in Ruhe gelassen werde.

Mittags in der Kantine gab es „Möhrengemüse bürgerlich“. Wie und wodurch wird Möhrengemüse bürgerlich? Gibt es auch aufmüpfiges?

Der Liebste hat beim Händler seines Vertrauens wieder einen größeren Posten Orangen bestellt, gestern sind sie eingetroffen. Sie sind perfekt, lassen sich leicht pellen und teilen, ohne dass man sich danach duschen und neu einkleiden muss, nebenbei schmecken sie auch ausgezeichnet. Einzig: Ihr Verzehr wird wohl wieder überwiegend an mir hängen bleiben.

Sogenannte Symbolfotos zu Zeitungsartikeln bergen zuweilen eine unfreiwillige Komik. Benjamin Westhoff vom General-Anzeiger Bonn scheint ein Experte auf dem Gebiet zu sein, in der heutigen Ausgabe gleich zweimal:

..

Mittwoch: In Alpen (Kreis Wesel) isst man Spargel-Döner, war morgens aus dem Radio zu erfahren. Wohl die niederrheinische Antwort auf Pizza Hawaii.

Ansonsten war es nicht mehr ganz so kalt, dafür lag der Tag komplett im Nebel, der Turm blieb durchgehend umwölkt, was sich indes nicht stimmungstrübend auswirkte. Immerhin wurde ich deshalb nicht durch längeres Ausdemfensterschauen von der Arbeit abgehalten, weil es dort absolut nichts zu sehen gab.

Fensterblick

Donnerstag: Beim Treppensteig nach dem Mittagessen waren wir heute zu dritt. Ein Kollege entwickelte dabei besonderen Ehrgeiz: Nicht nach dreizehn Etagen, meiner aktuellen Wochenmarke, hörte er auf, auch nicht nach zwanzig. Erst nach Erreichen unserer achtundzwanzigsten Etage war er zufrieden. Auch ich hielt durch bis oben, es war kaum anstrengender als die Teilstrecke. Ab sofort also alle achtundzwanzig, was eigentlich erst in einigen Monaten angestrebt war.

Nachmittags vernahm ich Kleinkindgeräusche auf dem Flur. Offenbar trug jemand seinen frischen Nachwuchs zum Einholen der Niedlichfindebekundungen durch die Büros. Schnell setzte ich mir den Kopfhörer auf und täuschte eine Besprechung vor. Bis zu meinem Büro kamen sie dann aber nicht. Womöglich hat sich mein Antinatalismus inzwischen herumgesprochen.

Für den Abend hatte das Unternehmen zum Neujahrsempfang in ein nahegelegenes Hotel eingeladen, eine erfreuliche Alternative zu einer Weihnachtsfeier. Erfreulich kurz fiel der offizielle Teil durch die Leitung aus, ehe wir uns gepflegten Gesprächen, Häppchen und Getränken zuwenden durften. Alles in allem ein sehr netter Abend, also nett im Sinne von nett, nicht kleine Schwester von sch … Später nahm ein DJ seine Tätigkeit auf, mit ungünstiger Auswirkung auf die Saallautstärke und die gepflegten Gespräche. Da wurde es Zeit, zu gehen.

Überraschend viele Kollegen erwiesen sich als Leser dieses Blogs. Ich muss künftig wohl noch mehr aufpassen, was ich hier schreibe.

Freitag: Laut Radiomeldung am Morgen ist die Eurobahn, die in Nordrhein-Westfalen Nahverkehr betreibt, pleite. Schon länger fällt sie durch hohe Unzuverlässigkeit und Zugausfälle auf. Nun wird die Übernahme des Unternehmens durch den Zweckverband erwogen, für den symbolischen Preis von einem Euro. Ob danach eine Umbenennung in 1-Euro-Bahn erfolgt, ging aus der Meldung nicht hervor.

Mittags in der Kantine gab es laut Anzeige „Reibeküchlein“. Danach war ich satt. Wenn das Reibeküchlein waren, wüsste ich gerne, was nach deren Verständnis Reibekuchen sind.

Zum Ausgleich schloss sich wieder eine Treppenbesteigung an. Erkenntnis: Man kann auch ohne motivierende Begleitung achtundzwanzig Etagen am Stück hochgehen. Also dann.

Samstag: Aus einem Zeitungsartikel über die neuen Bonner Straßenbahnwagen und ihre Vorgänger: „Die Niederflurbahnen, die gerade nach Posen verkauft wurden, haben im vergangenen Jahr 30-jähriges Jubiläum gefeiert.“ Das war vermutlich eine wilde Party mit Quietschvergnügen und sprühenden Funken.

Eher ruhig dagegen unser Abend zu Hause mit Spießbraten vom Grill, Radio Nostalgie aus dem Netz und angemessener Weinbegleitung.

Sonntag: In der Innenstadt sah ich Demonstranten gegen die zunehmende politische Bräunung. Leider bin ich inzwischen pessimistisch, dass die Entwicklung dadurch noch aufzuhalten ist, was ist nur los mit den Leuten. Andererseits gilt auch hier wie beim Klimawandel: Es zu versuchen ist allemal besser als nichts zu tun. Der sonntagsübliche Spaziergang führte ansonsten bei sonniger Kälte durch die Südstadt, den Stadtteil Kessenich bis zur Straßenbahn-Endhaltestelle in Dottendorf, von wo mich einer der oben genannten Jubilare wieder zurück brachte. Viel mehr gibt es über den Tag nicht zu berichten.

Poppelsdorfer Allee in leichtem Dunst
Symbolbild

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche. Lassen Sie sich durch Amtsübernahme in Amerika nicht verrückt machen. Auch die vier Jahre vergehen. Was danach kommt, wird sich zeigen.

Woche 1/2024: Auf ein Neues

Montag: Auf ein Neues. Den Silvesterabend gestern verbrachten wir ruhig und entspannt, fast bin ich versucht zu schreiben: altersgerecht, bei vorzüglichem Essen und begleitenden Weinen in einem Restaurant in Bad Godesberg. Bereits kurz nach 23:30 Uhr kehrten wir zurück, rechtzeitig, um mit einem Glas Champagner in der Hand vom Balkon aus zuzuschauen, wie andere Leute ihr Geld statt ins Restaurant zu tragen lieber in die Luft jagten. Ein jeder wie er mag, ich bewerte das nicht, womöglich gar mit einem kopfschüttelnden „Wie-kann-man-nur“.

Dank gemäßigter Alkoholzufuhr am Vorabend erwachten wir heute katerfrei, dennoch fiel das Frühstück wegen allgemeiner Appetitlosigkeit aus, was auf die immensen Nahrungsmengen der Vortage zurückzuführen ist, irgendwann ist es mal gut. Für alle Fälle beziehungsweise später aufkommenden Hunger holte ich dennoch Brötchen und verband das sogleich mit einem Spaziergang an den Rhein, der sich inzwischen wieder in sein Bett zurückgezogen hatte.

Blick Richtung Norden

Gemessen an den erheblichen Geldmengen, die vergangene Nacht augenscheinlich in Knall, Licht und Rauch verwandelt wurden, lagen heute erstaunlich wenige Böller- und Raketenabfälle auf den Straßen. Nur die Rheinuferpromenade war nennenswert beschmutzt.

Nachmittags verfasste ich einen ausführlichen Jahresrück- und ausblick, allerdings nicht hier, sondern im nichtöffentlichen Papier-Tagebuch.

Gelesen im Jahresrückblick von Frau Anje und zustimmend gelacht: »Ich habe […] einen Hörtest gemacht und wenn ich es richtig verstanden habe, sagte man mir, ein Hörgerät wäre sehr sinnvoll für mich, ich bin aber nicht daran interessiert, noch mehr mitzubekommen.«

Dienstag: Morgens auf dem Fußweg in den ersten Arbeitstag des Jahres fegte vor mir auf der Uferpromenade eine Kehrmaschine lärmend das alte Jahr auf. Die neue, vergangene Woche in Beaune spontan erworbene Jacke ist bequem wie ein Federbett, ich bin sehr zufrieden. »Merry Christmas« wünschte eine Leuchtschrift am Konferenzzentrum, „… gehabt zu haben“ fügte ich gedanklich hinzu und schüttelte mich sogleich innerlich ob dieser schauderhaften Floskel, die ich während des Tages erfreulicherweise nicht zu hören bekam. Am Rheinufer besang eine Amsel den milden Morgen, in den Bäumen nahe dem Mutterhaus trafen sich Krähen (oder Raben?) wild durcheinander käckernd zum Neujahrsempfang.

Kurz zuvor hatte die Kehrmaschine das Bild verlassen
Raben oder Krähen

Im Büro herrschte noch neujährliche Ruhe, nur wenige Mails im Eingang, zwei Anrufe mit Neujahrswünschen und ein kurzes Schwätzchen im Nachbarbüro. Dafür mittags in der Kantine erstaunlich viel Betrieb. Wichtigste Aufgabe des Tages war, die geplanten Urlaube ins Zeiterfassungssystem und den Outlook-Kalender einzutragen, auf dass man sich auf etwas hinfreuen kann.

Mittwoch: Weder Raben noch Krähen, vielmehr Rabenkrähen, wie meine Kollegin, ornithologisch kundig*, auf Anfrage heute erklärte. Es ist immer gut, wenn zu kennen, der/die sich auskennt.

Abends lieferte ich für den Geliebten eine Retourensendung ein im Lotto-Zeitschriften-Tabakgeschäft in der Fußgängerzone, das eine Annahmestelle des blauen Paketdienstleisters beherbergt. An der Wand hinter der Verkaufstheke ein Plakat für eine Tabakmarke, am unteren Rand der obligatorische Hinweis »Rauchen kann tödlich sein«. Direkt darunter ein Foto des früheren, inzwischen gestorbenen Ladeninhabers. Soweit ich mich erinnere bediente er die Kundschaft zumeist rauchend, als es noch üblich war, in Innenräumen zu rauchen. Humor haben sie.

Laut einer Zeitungsmeldung wurde am Neujahrstag in unserer Straße ein Auto aufgebrochen, unter anderem entwendeten die Räuber CDs. Anscheinend nicht die Hellsten und Jüngsten.

*Ein Grobhumoriker hätte stattdessen vielleicht geschrieben: die sich gut auskennt mit Vö … – genug.

Donnerstag: Der übliche Fußweg am Rhein entlang fiel heute ins Wasser, morgens durch Regen, abends aus anderen Gründen.

Die anderen Gründe

Epubli, die Selbstverlegerplattform, auf der ich kürzlich mein vielbeachtetes Buch zum Blog veröffentlicht habe, hat überraschend die Anzeige des Buchcovers und die Vorschau deaktiviert, aus Jugendschutzgründen. Meine Anfrage nach den Gründen beantwortet die Autorenberatung damit, dass »Publikationen anhand bestimmter Schlagwörter automatisch auf potenziell jugendgefährdende Inhalte überprüft und die Vorschau solcher Titel ausblendet« werden. Stimmt, in einem der Aufsätze kommt mehrfach das f-Wort vor (mal so als kleiner Kaufanreiz), das wird der Grund sein. Offen bleibt, inwiefern der unschuldige Titelschlumpf die Jugend auf unzüchtige Gedanken zu bringen vermag; meine diesbezügliche Rückfrage blieb bislang unbeantwortet.

Freitag: Über diesen Tag ist hier alles Wesentlich notiert, dem ist nichts hinzuzufügen.

Samstag: Im Gegensatz zu gestern war heute ein trüber Tag, an dem es nicht richtig hell wurde. Nach dem Frühstück mit den Lieben in einem Café (nachdem wir für das Frühstück im Kaufhof-Restaurant, das uns empfohlen worden war, zu spät dran waren) und einer anschließenden Erledigung ging ich zum Rhein, Hochwasser kucken. So langsam zieht er sich wieder in sein Bett zurück.

Später Zeitungslektüre auf dem Sofa: Auch Tiere haben ein Recht auf eine artgerechte Ansprache, forderte Peta, gleichsam die Klimakleber unter den Tierschützern, bereits vor drei Jahren; die Zeitung berichtete erst heute darüber. So soll man nicht sagen, man habe mit jemandem „ein Hühnchen zu rupfen“ (Alternativvorschlag Peta: „Weinblätter rollen“), nicht „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“ (stattdessen „Zwei Erbsen auf eine Gabel laden“) oder „die Katze aus dem Sack lassen“ (sondern „die vegane Calzone aufschneiden“), auch wenn es nicht im Sinne der Katze sein kann, im Sack zu verbleiben. Wer derart unsensibel gegen die Kreatur redet, macht sich laut Peta des Speziesismus schuldig: »Wo solche Phrasen in unserem Alltag gedankenlos verwendet werden, normalisieren sich Formen der Tierquälerei.« Weitere Vorschläge sind bei Bedarf hier zu finden.

Sonntag: Der Wecker ging bereits um acht Uhr, da wir morgens eine karnevalistische Pflicht hatten. Aus nicht von mir zu vertretenden Gründen kamen wir etwas zu spät an, die anderen hatten bereits angefangen zu proben. Mich ärgert so etwas, ich bin ein großer Freund der Pünktlichkeit, bei anderen und erst recht bei mir selbst. Mein Ärger verflog indes bald, zumal ich offenbar der einzige darüber verärgerte war.

Der Sonntagsspaziergang führte nach Endenich, wo der örtliche Modelleisenbahnclub eine Börse veranstaltete. Ich gehe da stets gerne hin, auch wenn für mich wieder nichts Kaufenswertes im Angebot war. Auf dem Rückweg ging ich an zwei jungen Männern vorbei, deren einen ich im Vorübergehen sagen hörte: „Der geht mit seinem Hund im Schnee laufen – nackt.“ Vielleicht hatte ich mich auch verhört, jedenfalls wurde mir sogleich noch etwas kälter als es ohnehin war.

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Kommen Sie gut, trocken und warm durch die Woche, möge die neujährliche Ruhe und Vorfreude noch etwas anhalten.