Woche 24: Einfache Lösungen

Montag: „Nachhaltiges Motorradfahren darf nicht zu Kompromissen in der Leidenschaft führen“, lese ich zum Thema Elektro-Motorrad im mir zufällig in die Hände geratenen zweifelhaften Testesteronblättchen eines Herstellers nicht minder zweifelhafter koffeinhaltiger Energiegetränke.

Noch was zu Pfingsten:

„Wer ahnte, daß zum Weihnachtsfest

Cornelia mich sitzen lässt?

Das war noch nichts: zu Ostern jetzt

hat sie mich abermals versetzt!

Nun freu’ ich mich auf Pfingsten –

nicht im geringsten!“

Heinz Erhardt

Dienstag: Meine derzeitige Stadtbahnlektüre: „Tagebuch schreiben“ von Olaf Georg Klein. Interessantes Buch. Demnach schrieb 1834 ein gewisser Ralph Waldo Emerson: „Jede unwillkürliche Abneigung, die in deinem Inneren aufsteigt, verdient Beachtung. Sie ist der Widerschein einer zentralen Wahrheit.“

Wesentlich profaner dagegen, was ein nicht minder gewisser Carsten K einhundertdreiundsiebzig Jahre später, offenbar nach sittenlosem Treiben, notierte: „Es war ganz nett, aber manche Dinge bedürfen bei Tageslicht nicht unbedingt einer Wiederholung.“ Ziemlich betrübt dagegen der Eintrag einige Monate später, rückblickend habe ich keine Ahnung, was mich da drückte: „Eigenartige düstere persönliche Stimmung, wie ein Schatten, eine Vorahnung, aber von was? Vor allem: Warum empfinde ich eine Art Befriedigung dabei? Ich fühle mein Ende nahen und finde das auch noch gut. Werde ich langsam verrückt?“ Es lohnt sich wirklich, ab und zu mal in alten Tagebüchern zu blättern.

Christian Wüst schreibt im aktuellen SPIEGEL zum Thema Segen der Digitalisierung:

„Dass Google und die anderen Wundertüten des Silicon Valley beim Beseitigen läppischer Lästigkeiten große Kollateralschäden verursachen, jedoch kein einziges echtes Problem lösen, ist für den von Siri umsorgten Konsumtölpel nicht erkennbar – und vielleicht auch gar nicht von Interesse. […] Die Datenspeicher, in denen die globale Kakophonie der sozialen Netzwerke zusammenfließt, zählen zu den größten Verbrauchern im Stromnetz.“ 

Mittwoch: „Komplexität entsteht nur, wenn man die Dimensionen vermischt“, sagt der Projektleiter, der nicht müde wird zu betonen, er bevorzuge einfache Lösungen, in einer nicht enden wollenden Besprechung. Ein Satz, dem eine gewisse Esoterik innewohnt. Wenig professionell dagegen die für alle Teilnehmer sichtbaren, an die Wand projizierten Mailbenachrichtigungen, welche im Minutentakt, begleitet von einem Signalton, aufblenden.

Sehr professionell dagegen am Abend der Triebfahrzeugführer der verspäteten RB 48 auf dem Weg nach Bonn, der um Entschuldigung bittet, dass wir nicht vom schnelleren RE 5 überholt werden.

Donnerstag: Laut Zeitungsbericht möchte ein gewisser Horst Burbulla in den Bonner Rheinauen durch die Stadt Bonn einen hundertsechzig Meter hohen Aussichtsturm bauen lassen und ihn dann für fünfzig Jahre pachten. Mit Verlaub: Sollte wirklich die Stadt Bonn den Turm bauen, kann Herr Burbulla froh sein, wenn er in fünfzig Jahren fertig ist.

Freitag: Auch in unserer geordneten zivilisierten Welt ist nicht zu übersehen, dass der Mensch im Grunde noch immer ein wildes, von Instinkten gesteuertes Tier ist.

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Samstag: Samstag in der Stadt. Ich bin der Meinung, jedes Betätigen der Autohupe sollte mit einer Gebühr von mindestens fünf Euro belegt werden, welche automatisch mit der Kraftfahrzeugsteuer eingezogen wird.

Sonntag: Laut Meldung in der Sonntagszeitung mögen einundfünfzig Prozent der befragten Berufstätigen die Arbeitszeit genauso wie die Freizeit. Seltsamerweise ist mir noch niemand begegnet, der das von sich behauptet. Siehe auch Eintrag vom Dienstag, erster Absatz.

 

Woche 41: Hundehalter sind und bleiben mir ein ewiges Rätsel

Montag: Für die Bevölkerung in Deutschland bestehe keine Gefährdung der Gesundheit, teilt das Bundesamt für Strahlenschutz mit, nachdem eine leicht erhöhte Radioaktivität mit unklarer Ursache gemessen worden ist. Ich kann in dieser Nachricht keinen nachhaltigen Grund zur Beruhigung erkennen. (Nur, um das Wort nachhaltig auch mal zu benutzen.)

Dienstag: Ein geschäftliches Telefongespräch endete mit den Worten „Ich wünsche dir einen hohen Wirkungsgrad“. Das hat mir vorher auch noch niemand gesagt.

Mittwoch: Heute ist Weltmädchentag, an dem der weltweiten Benachteiligung von Mädchen gedacht werden soll. Zur Verdeutlichung dieses unschönen Umstandes werden in Köln diverse Bauwerke in pink angestrahlt. – Dieter Degowski, einer der beiden Akteure des Gladbecker Geiseldramas 1988, soll demnächst frei kommen. Ich bin ein großer Freund unseres Rechtsstaates und zweifle nur ganz selten daran, zum Beispiel wenn Menschen zugunsten des Braunkohleabbaus aus ihrer Heimat vertrieben werden, ich erwähnte es schon. Insofern stelle ich die Freilassung Degowskis nicht in Frage. Sollten indes Angehörige von Silke Bischoff oder des ebenfalls erschossenen damals fünfzehnjährigen italienischen Jungen, dessen Name mir gerade nicht parat ist, finale Vergeltung planen und auch umsetzen, so wäre dies ohne Zweifel zu verurteilen. Und doch könnte ich einen winzigen Funken des Verständnisses nicht leugnen.

Donnerstag: „Fire and forget“, hörte ich heute jemanden in einer ansonsten überwiegend deutschsprachigen Besprechung sagen. Ich notierte es sogleich für die nächste Aktualisierung der Liste.

Freitag: Die zumeist unbegründete Furcht vor Freitag dem dreizehnten heißt Triskaidekaphobie.

Samstag: Hundehalter sind und bleiben mir ein ewiges Rätsel. Was kann entwürdigender sein, als hinter seinem Haustier die Exkremente aufzusammeln und in kleinen Plastikbeutelchen zu verstauen?

Sonntag: Es fühlt sich gut an, wenn monatelanges Proben, Üben, Noten- und Textlernen vom Applaus des Publikums belohnt wird. Und doch kommt Wehmut auf bei der Erkenntnis, dass man all das zuvor mühsam Erarbeitete nach dem Konzert getrost vergessen kann.

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