Montag: Morgens kam ich erstaunlich leicht aus dem Bett. Mit jeder weiteren Zeitumstellung im Herbst wird deutlicher, ich bin ein großer Freund der Normalzeit. Allerdings gehe ich davon aus, die Abschaffung der unsinnigen Sommerzeit nicht mehr persönlich zu erleben.
Da morgen Feiertag ist, ging ich bereits heute zu Fuß ins Werk, wo mich ein ruhiger Arbeitstag erwartete. Erstmals empfand ich es als kühl im Büro: Bei Ankunft zeigte das Thermometer auf dem Schreibtisch achtzehn Grad an, im Laufe des Tages stieg es auf zwanzig. Ab Mittwoch also wieder Pullover.
Abends auf dem Rückweg war ich grundlos genervt von Radfahrern auf dem Gehweg, Fußgängern und Läufern auf dem Radweg, Leuten, die langsam vor mir hergehen und stehen bleiben, telefonieren, mit Pappkaffeebechern herumlaufen, unangeleinte Hunde, schreiende Kinder, leergetrunkene, am Wegesrand liegende Durstlöscher-Packungen. Alles Dinge, die mich nicht persönlich betreffen und mir daher egal sein könnten. Es gibt so Tage, da ist meine Toleranz für derlei gering. Zum Glück kein Dauerzustand, denn in solchen Momenten bin ich mir selbst ziemlich unsympathisch.
„Das wichtigste vom Sport präsentiert Ihnen gleich Kristin Otto“, sagte der Nachrichtenmann zu Beginn der heute-Sendung. Sätze mit „Sport“ und „wichtig“ gleichsam in einem Atemzug verstehe ich nicht.
Dienstag: Wir schicken Flugkörper zum Mars, zur Sonne und auf ferne Asteroiden, entschlüsseln das Genom von Kellerasseln und spalten Atome. Anderseits gibt es immer noch Religionen, die teilweise sehr große Macht auf viele Menschen haben. Doch sei dies nicht beklagt, vielmehr den Christen gedankt, dass sie heute aller Heiligen gedenken und dadurch auch Ungläubigen wie mir ermöglichen, etwas länger im Bett liegen zu bleiben.
Gelesen:
Daß man älter wird, erkennt man daran, daß man den Eindruck hat, man müsse sich in immer geringeren Abständen die Fingernägel schneiden und Qlympische Spiele, Fußballweltmeisterschaften und ähnliche Mega-Non-Events würden jedes Jahr stattfinden.
Max Goldt: Fast vierzig zum Teil recht coole Interviewantworten ohne die dazugehörigen dummen Fragen, in „Lippen abwischen und lächeln“
Mittwoch: Heute früh fiel das Aufstehen deutlich schwerer, trotz ausreichend langer Nachtruhe, gutem Schlaf und Normalzeit. Nachmittags ließ ich mich werksärztlich stechen zwecks Grippeschutz. „Heute kein Sport und kein Alkohol“, sagte die nadelführende Ärztin. Kein Sport, schön und gut; aber kein Alkohol, wie soll das gehen in diesen Zeiten?
Ich schaue täglich in den werksinternen Pressespiegel. Besondere Freude bereitet mir dabei stets die Lektüre der Artikel diverser Online-Medien, allen voran eins, das die Bezeichnung einer üblicherweise auf der Karte links angeordneten Himmelsrichtung trägt. Eine typische Artikelüberschrift lautet etwa so: „Kölner stocksauer, als er DAS sah“. Es folgt ein Text in empörtem Ton, dessen Banalität auch durch zahlreiche Ausrufezeichen und in GROSSBUCHSTABEN gesetzte Wörter nicht zu verbergen ist; beliebtes Stilmittel sind auch falsche Possessivpronomen: „Die Stadt hat seine Mitarbeiter:innen angewiesen …“. Auch darf nicht fehlen, was der empörte Kölner über das erlittene Ungemach bei Facebook oder Twitter gepostet hat und was andere dazu kommentierten. Journalismus vom Feinsten.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es eines der dämlichsten Stilmittel ist, hinter! jedes! Wort! ein! Ausrufezeichen! zu! setzen!
Nachträglich „Happy Halloween“, gelesen bei Kurt Kister:
Bis vor relativ kurzer Zeit war Halloween mit Grinsekürbissen, Horrorfasching und Trick-or-treat-Kindern einer jener vielen nordamerikanischen Bräuche oder Gegebenheiten, derentwegen man durchaus daran zweifeln kann, ob es wirklich eine westliche Wertegemeinschaft gibt.
Donnerstag: Der Fußweg ins Werk führte wie immer durch die City, wo Heidi und Leni verkehrswerbend zu besichtigen sind.

Der Name der dritten Dame war im Vorbeigehen nicht zu erkennen.
Zu den Dingen, die ich nie erlernte und in der verbleibenden Zeit voraussichtlich nicht mehr erlernen werde, gehört – neben Arabisch und der Steuerung eines Schützenpanzers – freihändiges Radfahren.

Wenigstens fährt er mit Licht und Helm.
In der Kantine gab es freies Eis.

Only heute
Nicht for free, aber preisreduziert: Auf dem Rückweg vom Werk schaute ich kurz beim Modellbahnladen meines Vertrauens rein.

Schon Ende der Fünfzigerjahre beschaffte die Deutsche Bundesbahn die Akkutriebwagen der Baureihe ETA 150, deren letzte die Deutsche Bahn AG 1995 ausmusterte. Erst seit kurzem kommt man wieder auf die Idee, Triebwagen mit Akkubetrieb zu beschaffen.
Freitag: In einer ruhigen Minute, das heißt während einer Besprechung ohne Redeerfordernis meinerseits, habe ich aus gegebenen Anlässen eine weitere Mailsignatur angelegt, bestehend aus meinem Namen, Stellenbezeichnung und darunter dem Hinweis »Bitte denken Sie an die Zeit und den Maileingang anderer, bevor sie „Allen antworten“ wählen«. Ihr erster Einsatz wird nicht lange auf sich warten lassen.
Etwa drei Sekunden nach Rückkehr aus einem durchaus angenehmen Werktag begann es mittelheftig zu regnen. Manchmal scheint es, die Engel hätten sich über meine Wiege gebeugt.
Die Polizei sucht einen Posträuber.

Samstag: „Wenn ich was mache, will ich darin der Beste sein“, hörte ich jemanden sagen. Ein Eintrag in der noch ungeschriebenen Liste der Dinge, für die ich im Leben dankbar bin, ist die Tatsache, nicht im Selbstanspruch gefangen zu sein, immer siegen und in allem der Beste sein zu müssen.
Abends kam die Karnevalsgesellschaft nach Jahren der Zwangspause wieder zum General-Appell zusammen, in Uniform, mit Musik, Gardetanz und viel Alaaf. Noch etwas ungewohnt, jedenfalls sehr schön. In Anerkennung meines aktiven Kampfes gegen Griesgram und Muckertum wurde ich zum Hauptmann befördert. Das nützt weder mir noch sonstwem etwas, gleichwohl möchte ich es nicht unerwähnt lassen. Es muss ja nicht immer alles einen Nutzen haben, nicht wahr. Alaaf!
Sonntag: Die Getränkebegleitung des Vorabends legte einen Sonntagsspaziergang besonders nahe. Den nutzte ich auch, um mehrere gelesene und für nicht erneut lesenswert befundene Bücher in einen der mittlerweile zahlreichen öffentlichen Bücherschränke zu verbringen. Weiterhin entnahm ich für den Stapel der Ungelesenen ein Ringelnatz-Lesebuch.
Spontane Frage beim Anblick eines Gebäudes: Sagt man eigentlich noch Krüppelwalmdach, oder ist das inzwischen auch diskriminierend, gewissermaßen ein architektonisches N-Wort?
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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.