Woche 36/2025: Regionaltypische Produkte in fester und flüssiger Form

Montag: Das Grillen mit den Freundinnen gestern Abend erwies sich als nicht ganz so einfach, weil der Grill des Hauses, bei unserem letzten Besuch noch einwandfrei, mittlerweile einen Zustand angenommen hat, den man ohne Übertreibung als schrottreif bezeichnen kann. Ich weiß nicht, wie Gäste vor uns es hinbekommen haben, jedenfalls ist die Feuerroste, auf der die Kohlen liegen beziehungsweise lägen, großflächig durchgebrannt und die untere Luftklappe abgerissen. Warum hinterlässt man sowas anderen? Es gelang dennoch, das Grillgut hinreichend zu garen, am Ende waren alle zufrieden, niemand blieb hungrig, durstig schon gar nicht.

Desolat

Heute ist der erste September, somit meteorologischer Herbstanfang, meine Lieblings-Jahreszeit beginnt, auch wenn hier in Südfrankreich optisch noch nichts darauf hinweist. Meteorologisch interessant war die vergangene Nacht. Wie angekündigt kamen starke Gewitter auf, die zunächst westlich vorüberzogen und den Himmel über den Bergen für längere Zeit dauerhaft aufblitzen ließen, vom Fenster aus sicherer Entfernung faszinierend anzuschauen. Später setzte auch hier heftiger Regen ein, der die Fläche vor unserem Haus in eine temporäre Seenplatte verwandelte, während die Gewitter weiterhin nur als fernes Leuchten und Grummeln auszumachen waren.

Am Morgen hatte es sich beruhigt, das Wasser vor dem Haus war abgelaufen und versickert. Der Tag war überwiegend bewölkt, hin und wieder fiel etwas Regen, längst nicht so viel wie die Wetter-App gestern in Aussicht gestellt hatte; auch vereinzelte Sonnenstrahlen zeigten sich. Wir frühstückten unter dem Dach der Terrasse, wo wir auch sonst die meiste Zeit des Tages verbrachten und in urlaubsangemessener Liegestuhlhaltung die Wechselhaftigkeit des Wetters zufrieden zur Kenntnis nahmen.

Auf Regen …
… folgt Sonne

Positive Überraschung am Abend: Vormittags hatte der Liebste dem Vermieter per Kurznachricht einen freundlichen Hinweis (keine Beschwerde) den Grill betreffend geschickt. Als wir vom Abendessen im Ort zurückkehrten, stand ein neuer Grill vor dem Haus. Nicht fabrikneu, schon gebraucht, jedenfalls in einem guten Zustand, was einen spontanen Grillbeschluss für den nächsten Abend auslöste.

Dienstag: Beinahe hätten wir heute eine Radtour gemacht. Als wir die Fahrräder beim Verleih abholen wollten, wurde uns beschieden, dass wir sie erst ab morgen reserviert haben, dafür eine Woche länger als unser Urlaub hier dauert. Nicht schlimm, kann passieren. Wo wir schon unten im Ort waren, zogen wir das Nachmittagsbier in der dafür bevorzugten Gaststätte vor, so brauchten wir später nicht nochmal runter zu gehen. Auch im Urlaub wegeoptimiert planen.

Somit erlebten wir auch diesen Nachmittag bis zur Pastisstunde aus der Liegestuhlperspektive, es gibt schlimmeres. Fahrrad fahren wir dann voraussichtlich ab morgen.

Pastisstunde

Mittwoch: Am frühen Morgen wurden wir geweckt durch ein flatterndes Geräusch, das bei Lichte der Nachttischlampe betrachtet von einer kleinen Fledermaus ausging, die sich offenbar durch den Spalt des Fensters ins Schlafzimmer verirrt hatte und nun durch den Raum raste. Als freundlicher Mensch auch gegenüber Chiropteren – man weiß nie, wofür es gut ist und wann und in welcher Lebensform man sich vielleicht irgendwann wiederbegegnet – öffnete ich das Fenster ganz, bald darauf fand sie den Weg nach draußen und konnte hoffentlich noch ein paar Mücken jagen.

Ansonsten erschien der Himmel heute besonders blau, dazu war es angenehm warm, also unter dreißig Grad. Nach dem Frühstück gingen wir runter zum Wochenmarkt und kauften ein gegrilltes Huhn mit Zubehör für das Abendessen, anschließend holten wir die Fahrräder ab. Die erste Radtour führte durch Hameau des Valettes, Sainte-Marguerite und Beaumont-de-Ventoux; wie immer in dieser Gegend, wo ebene Straßen eher unüblich sind, freute ich mich über die elektrische Unterstützung.

Bei Sainte-Marguerite

Donnerstag: Heute hätte ich frei, da kleine Woche ist. Da Urlaub ist, habe ich auch frei, das ist ohne Zweifel so oder so erfreulich. In (maximal) sechseinhalb Jahren habe ich dauerhaft frei. Das klingt lange, ist es aber im Rückblick gar nicht. März 2019 war doch gerade erst.

Den Tag verbrachten wir mit einem Autoausflug in nördliche Richtung über Vaison-la-Romaine, Saint-Maurice-sur-Eygues, Vinsobres und Nyons, dabei kauften wir regionaltypische Produkte in fester und flüssiger Form. Nachmittags bildeten sich Gewitter mit Regen, denen wir nach Rückkehr von der Terrasse aus beim Vorüberziehen zuschauten. Und dann wurde es auch schon wieder Zeit für den Apéro.

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Freitag: Auch heute, da der Himmel wieder provencalischblau über dem Land lag, als wäre nichts gewesen, unternahmen wir eine Ausfahrt mit dem Auto. Zuerst über den Mont Ventoux, von dessen Gipfel die Aussicht ungetrübt war, dann weiter durch Beaumes-de-Venise und Gigondas, wo wir zwei bekannte Weingüter besuchten, ein wenig probierten und aus Gründen der Höflichkeit ein paar Kartons erstanden. Wird ja nicht schlecht, jedenfalls nicht so bald und nicht bei uns. Zur Pastisstunde waren wir zurück. Das war schön.

Blick vom Mont Ventoux

Samstag: Hätte ich nicht eine tiefe Abneigung gegen Fußballmetaphern, schriebe ich jetzt einen Satz, in dem das Wort „Halbzeit“ vorkommt. Jedenfalls ist die erste Urlaubswoche vorüber, erschreckend, doch eine weitere liegt vor uns, herrlich. Bei weiterhin blauem Himmel und Kurze-Hosen-Temperatur stand keine besondere touristische Aktivität an, muss ja auch nicht, man hat ja Urlaub. Nach dem Frühstück verbrachten wir ein paar Stunden Alleinzeit, ein jeder auf die von ihm bevorzugte Art: Während der Liebste in den großen Supermarkt nach Vaison fuhr, las ich zuerst nach, was die Mitblogger so geschrieben haben, dann unternahm ich einen längeren Spaziergang in die Umgebung. Sehen Sie:

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Hinten Beaumont-de-Ventoux
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Warten auf das Mittagessen

Und schließlich …

Frage 773 lautet: „Welche Tradition wird überbewertet?“. Ich möchte nicht mehr das Geschwafel über die „christlich-jüdische Tradition“ hören und lesen, in der wir angeblich leben. Die aus meiner Sicht am meisten überbewertete Tradition ist jede Art von Religion, da wiederhole ich mich. Vor allem wenn man bedenkt, welche Macht Christentum, Islam, Judentum und wie sie alle heißen noch heute haben und wieviel Leid in ihren Namen Menschen zugefügt wurde und immer noch wird. Im Übrigen gehören Staat und Religion streng getrennt und eine Partei sollte nicht das „C“ in ihrem Namen führen, schon gar nicht eine in Regierungsverantwortung.

Sonntag: Beim Frühstück habe ich gelacht. Sie lesen doch auch regelmäßig das Blog von Frau Novemberregen? Sollten Sie tun, denn sie schreibt wunderbare Sätze wie diese:

Und noch etwas sehr Aufregendes ist passiert: ich habe einen genetischen Zwilling! Und rechne es allen, denen ich bisher davon erzählt habe, hoch an dass sie nicht sofort „Auch das noch!!“ sagten.

Nach dem Frühstück unternahmen wir eine längere Radtour bis Buis-les-Baronnies, schließlich haben wir die Räder für viel Geld gemietet, da müssen sie bewegt werden. Wobei der Liebste mit seinem (das eigentlich meins ist, erkläre ich gleich) täglich runter in den Ort zum Baguetteholen fährt, während ich Kaffee koche und den Tisch decke, eine wie ich finde gerechte Arbeitsteilung. Also die Fahrräder: eins ist schwarz, das andere in diesem, ich weiß nicht, wie die Farbe genau heißt, vielleicht pastellblau. Man sieht immer mehr Autos in dieser Farbgebung, es gibt sie auch in beige und grau. Im Gegensatz zu den Autos sieht das Fahrrad damit richtig gut aus. Als wir die Räder am Mittwoch entgegennahmen, war mir das blaue, dem Liebsten das schwarze zugeteilt worden und die Sattelhöhen entsprechend angepasst. Nachdem wir mit den Rädern zu unserem Haus gefahren waren, fiel dem Liebsten ein, dass er lieber das blaue hätte. Meine Frage, warum, wurde argumentativ eher flachwurzelnd beantwortet, sinngemäß mit „Isso“ oder ähnlich. Ich halte mich keineswegs für klüger, ganz im Gegenteil, dennoch folgte ich dem Sprichwort „Der Klügere gibt nach“, letztlich war und ist es mir egal, Fahrrad ist Fahrrad, ob schwarz oder blau. Wobei das schwarze keine Klingel hat, damit komme ich auch klar.

Heute also über Entrechaux, Mollans-sur-Ouvèse und Pierrelongue bis Buis-les-Baronnies und wieder zurück. Ein großer Teil der Strecke führt über die Trasse der ehemaligen Schmalspurbahn von Orange bis Buis-les-Baronnies, von der noch zahlreiche Bahnhofsgebäude, Bahnwärterhäuser, Brücken und zwei Tunnel erhalten sind. Dadurch gestaltete sich vor allem die Rückfahrt zu einem angenehmen Rollenlassen mit nur wenig Trampeln. Vor jeder Wegkreuzung zog ich gedanklich an der Dampfpfeife der Lokomotive und stellte mir vor, wie wunderbar eine Fahrt mit dieser Bahn gewesen sein muss. Schade, dass sie schon 1938 stillgelegt wurde, heute wäre sie vermutlich eine Touristenattraktion.

Während des gemeinsamen Radfahrens entsteht stets eine gewisse kommunikative Asymmetrie: Der Liebste möchte sich dabei gerne mit mir unterhalten, ich möchte lieber schweigend die Fahrt genießen, zumal ich durch den Fahrtwind auf den Ohren nichts verstehe, wenn er vor oder (seltener) hinter mir fährt, auch nebeneinander Fahren finde ich anstrengend, weil man immer aufpassen muss, ob von hinten ein Auto kommt; bei der robusten Fahrweise der Eingeborenen ist das im eigenen Interesse ratsam.

Nach Rückkehr nutzten wir erstmals in diesem Urlaub unser Schwimmbecken, nach der üblichen Überwindung des ersten Kälteschocks war das sehr angenehm. Danach wurde es Zeit, das hier alles bis zum Apéro aufzuschreiben.

Pierrelongue mit der Chapelle Notre-Dame de la Consolation
Zwischen Pierrelongue und Buis-les-Baronnies. In der Mitte letzte Gleise, rechts ein ehemaliges Bahnwärterhaus, heute gastronomisch genutzt. Doch wir mussten weiter.
Buis-les-Baronnies

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 38: Über manches will man gar nicht so genau nachdenken

Montag: „Viel wertloses Gebrumme, Gewedel und Gemache ist in der Welt“, schreibt Max Goldt. So wie dieses:

„Wir sind überzeugt, dass diese verschlankte Struktur des Vertriebs in Deutschland die richtige Basis darstellt, um effizienter zusammenzuarbeiten und Synergien für den Kernmarkt Deutschland in Zusammenarbeit mit anderen Funktionsbereichen zu heben.“ — „Wir sind überzeugt, dass die geplante Neuausrichtung der IT die richtige Basis darstellt, um sowohl der geänderten Grundanforderung an die IT-Funktionen gerecht zu werden, als auch dazu beiträgt, dass Markteintritte verkürzt werden und zukunftsweisende Technologien proaktiv bereitgestellt werden können.“ 

Ich bin überzeugt, derartiges rhetorisches Schaumgebäck ist genauso wenig geeignet, jemanden zu beeindrucken wie die lauten Coupés der Autoposeräffchen.

Dienstag: Auf dem Heimweg vom Werk begegnete mir ein Gedanke wider die political correctness beziehungsweise „pseudokorrekte Inquisition“, wie es die Schriftstellerin Eva Menasse nennt, als vor mir eine junge Dame mit äußerst ausladendem Gesäß die Treppe hinauf ging, anstatt die Rolltreppe daneben zu nutzen. Da dachte ich: Recht so, das tut dir gut.

Im Rewe gibt es etwa fingerhutgroße Nutellagläser mit fünfundzwanzig Gramm Inhalt zu neunundneunzig Cent das Stück. Ich frage mich: Wer braucht so etwas? Zweifellos klar ist mir hingegen der Verwendungszweck ebenfalls dort erhältlicher sogenannter Baumstämme, eigentlich als adventliches Naschwerk gedachter Nougatriegel mit Marzipankern, welcher drei Stück zu erstehen ich nicht umhin kam.

Wie die Wissenschaft festgestellt hat, führt die umstrittene Methode „Schreiben lernen nach Gehör“ tsu schlächtaren Ergehbnisen als die klassische Methode Buchstabe für Buchstabe. Ich möchte nicht behaupten, es immer gewusst zu haben, aber diese Erkenntnis überrascht mich ungefähr so sehr wie der Ausgang eines Pornos.

Mittwoch: Am Morgen schrecke ich von der Radiomeldung hoch, es gebe immer weniger Schülerlotsen in NRW. Kein Wunder. Wann fordern alarmierte Umweltschützer endlich ein konsequenteres Vorgehen gegen SUV-Mutti-Taxis?

„Ich bin da eher so die cremige“, höre ich während meines mittäglichen Verdauungsspaziergangs eine mir entgegenkommende Frau zu ihrer Begleiterin sagen. Über manches will man gar nicht so genau nachdenken.

Donnerstag: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Mitführen von Fahrrädern in Stadtbahnen während der Berufsverkehrszeiten generell verboten gehört, zudem ganztägig bei Temperaturen über fünf Grad ohne Regen und Sturm.

Freitag: Am Vormittag machte ich beim Lesen eines Dokuments Bekanntschaft mit dem schönen Wort „Sprachkonserve“. Welch wunderbare Vorstellung gebiert diese Entdeckung: Zu Zeiten, da mir die gesprochenen Worte mühelos entströmen, etwa nach fünf Bier oder der zweiten Flasche Wein, sammle ich diese in Dosen. Dann, während maulfauler Zeiten, namentlich am frühen Morgen oder während unvermeidlicher Telefonate, öffne ich eine Dose und alles läuft von selbst.

Von Dose zu Hose: Die Zeitung listet die Unwägbarkeiten auf, welche den Briten im Falle eines ungeordneten Brexit bevorstehen. Neben einem Sperma-Engpass, weil Verzögerung bei der Einfuhr dänischer Samenspenden zu erwarten sind, droht auch die Notwendigkeit, auf Zigarettenschachteln neue Warnbilder anzubringen, „weil die Rechte für die derzeit verwendeten abschreckenden Fotos bei der EU liegen“, so die Zeitung. Der Hinweis „Rauchen schädigt die Fruchtbarkeit Ihrer Samenzellen“ gewinnt so deutlich an Schrecken.

Samstag: „Jetzt sind wir mit dem Innenausbau gut unterwegs„, sagt der den Umbau einer Bonner Gaststätte begleitende Architekt gegenüber der Zeitung. Wie reist man mit einem Innenausbau, und wohin?

„Der ist noch ganz hart, ich habe ihn gerade erst reingesteckt“, höre ich ich am Abend einen jungen Mann sagen. Nicht was Sie nun wieder denken – es ging um ein Kaugummi.

Sonntag: Passend zum kalendarischen Herbstanfang regnet es ohne Unterlass, was mich nicht davon abhielt, meinen sonntäglichen Spaziergang zu machen. Während ich diese Zeilen – nach erforderlichem Wechsel von Hose und Socken – zu Ende führe, prasseln über mir die Tropfen auf das Glasdach des Erkers, und der untere Teil unserer Straße versinkt langsam in einem See. Regen – nach dem dauerhaften Sommergewese hat man ja fast vergessen, wie schön das ist.

KW38 - 1

KW38 - 1 (1)

Gerne darf er sich noch einige Stunden halten. Es ist eine besondere Unterart von Glück, wenn die Tropfen zur Nacht beim Einschlafen gegen das Fenster trommeln. Da ich hierfür das in letzter Zeit häufig zu lesende dänische Wort „Hugge“ nicht weiter strapazieren möchte, schlage ich für diesen speziellen Wohlfühlmoment die Bezeichnung „Schlummerprassel“ vor.