Woche 50/2023: Vielleicht lässt die Evolution den Menschen irgendwann einen dritten Arm wachsen

Montag: Der erste Arbeitstag der Woche verlief weitgehend ohne die regelmäßig auftretende Montagsbetrübnis. Mittags in der Kantine konnte ich erleben, was dieses „Slow Food“ bedeutet: In Sichtweite zerteilte und aß ein junger Kollege einhändig mit einem Messer eine Pizza, was augenscheinlich nicht ganz einfach war. Die zweite Hand war derweil unabkömmlich zur Bedienung des Datengeräts. Ich konnte es nicht bis zum Ende verfolgen, auch meine Mittagspause ist endlich. Vielleicht lässt die Evolution den Menschen irgendwann einen dritten Arm wachsen. Andererseits las ich vor einiger Zeit, ich weiß nicht mehr, wo und in welchem Zusammenhang, die jungen Leute essen heute nur noch ungern mit Messer und Gabel, aus genau dem oben beschriebenen Grund. Ob das stimmt, weiß ich nicht, unwahrscheinlich erscheint es mir nicht.

Nach dem Essen eine kurze Parkrunde mit Aussicht auf einen Schwan

Die letzte Teams-Besprechung ging bis siebzehn Uhr. „Ich wünsche euch noch einen schönen Nachmittag und nachher einen schönen Feierabend“, sagte der Organisator zum Abschied. Bei „nachher“ lachte ich (stummgeschaltet) auf und schaltete den Rechner ab.

Dienstag: In der Kantine erprobt man offenbar zurzeit eine neue Tischanordnung. Dadurch wählte ich heute nicht, wie sonst, wenn ich allein esse, einen Zweier- sondern einen Sechsertisch, da die Zweier entfernt worden sind. Eine der Fragen, die ich üblicherweise mit ja beantworte, obwohl ich nein meine, ist „Dürfen wir uns dazusetzen?“, gestellt um kurz vor zwölf. Kurz darauf saß ich mit einer entfernt bekannten und zwei unbekannten Personen am Tisch. Freundlicherweise versuchte man nicht, mich in das Gespräch einzubeziehen, dennoch löffelte ich das Dessert etwas schneller als gewöhnlich.

Nachdem mir in der vergangenen Woche aus Wetter- und Termingründen ein Besuch der Glühweinbude am Rheinpavillon nicht möglich war, freute ich mich heute Abend auf dem Rückweg umso mehr darauf. Aber ach: Die Bude wurde gerade abgebaut, warum auch immer. Nun gibt es in der Innenstadt zahlreiche Alternativen, doch diese Bude hatte durch ihre Lage direkt am Rhein was Besonderes. Schade.

Alternative

Mittwoch: »Weltklimakonferenz ruft zur Abkehr von fossilen Energien auf«, meldet der SPIEGEL. Für dieses schmale Ergebnis ein so hoher Aufwand? So wird das nichts mit unserer Rettung.

Apropos schmal: Epubli hat die Novemberabrechnung meiner Buchverkäufe geschickt. Ich danke der einen Käuferin sehr und freue mich über Nachahmung.

Nachdem am Vormittag die einzige Besprechung des Tages ins nächste Jahr verschoben worden war, war dies einer der seltenen Arbeitstage ganz ohne Termine. Abgesehen von der täglich im Kalender fest geblockten Mittagspause. Während dieser saß erneut in meinem Blickfeld ein jüngerer Einhandesser, den Blick fest auf das Datengerät in der rechten Hand gerichtet, derweil er mit der Gabel in der linken das Backfischfilet zerteilte, was einige Geschicklichkeit voraussetzte: Ich hatte wegen der fest angebratenen Panade schon mit Messer und Gabel einige Mühe. Der offensichtlich einhandgeübte Kollege benötigte dabei nicht mehr Zeit für den Verzehr als ich mit zwei Händen. Respekt.

Welchen vernünftig-nachvollziehbaren Grund mag es geben, „ein halbes Dutzend“ zu sagen statt einfach „sechs“?

Donnerstag: »Man sieht sich immer zweimal im Leben«, hörte ich einen sagen. Manchmal klingelt das ein wenig bedrohlich.

Der Rhein füllt sich wieder, wie ich auf dem Hin- und Rückweg sah, die ersten Schilder für eine Sperrung wegen Hochwassers sind aufgestellt. Möglicherweise ist das der Grund für den am Dienstag beklagten vorzeitigen Abbau der Glühweinbude am Ufer.

Morgens

Die Liste des Grauens wurde fortgeschrieben.

Im bin mir nicht sicher, ob es langfristig eine gute Idee ist, die Ukraine in die EU aufzunehmen. Nur so ein Gefühl.

Freitag: Für einen Freitag waren heute ungewöhnlich viele Kollegen in den Büros, normalerweise haben Kollegin A., wie ich konsequente Heimbüroverweigererin*, und ich freitags fast das ganze Gebäude oder wenigstens die Etage für uns alleine. Was wollten die da alle heute, haben die kein Zuhause, wo sie Unruhe verbreiten können?

*Aus Vereinfachungsgründen ausnahmsweise generisches Femininum. Den Teilsatz „konsequente Heimbüroverweigererin, wie ich konsequenter -verweigerer bin“, wollte ich Ihnen nicht zumuten.

Dass sich das Jahr dem Ende entgegen neigt merkt man auch daran, dass sich zahlreiche Kollegen in den Weihnachtsurlaub verabschieden mit den saisonüblichen Grüßen und Wünschen sowie dem seit fast vier Jahren etablierten Zusatz „Bleibt gesund“, in letzter Zeit wieder häufiger gehört.

Fast kein Kantinen- oder Kaffeeküchenplausch mehr mit gleichaltrigen (oder den wenigen verbliebenen älteren) Kollegen ohne die Frage, wie lange man noch zu arbeiten habe, nicht nur in diesem Jahr, sondern generell. Da neigt sich auch etwas dem Ende entgegen.

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Samstag: Aus terminlichen Gründen wurden die familiären Weihnachtsbesuchspflichten bereits an diesem Wochenende erfüllt. Und also machten sich auf der Liebste und ich nach Ostwestfalen, erst zu meiner Mutter, nachmittags weiter zum Treffen und Essen mit der Schwiegerfamilie. Gegen halb elf löste sich die Gesellschaft auf (dieser Satz wäre auch geeignet zur Einleitung einer Dystopie über das Ende der Menschheit), wir fuhren ins Hotel, mutmaßlich waren alle zufrieden.

Der NRW-Minister Laumann erscheint äußerlich eher wie ein westfälischer Rübenbauer statt ein Politiker. Das macht ihn sympathisch und ist keineswegs despektierlich gemeint, Rübenbauer ist ein ehrbarer Berufsstand, mehr als zum Beispiel Bundesverkehrsminister, jedenfalls wenn man die Amtsträger der letzten Jahre zum Maßstab nimmt. Herr Laumann hat nun geäußert, er sei froh, dass Jesus geboren wurde, verdanke diesem Ereignis doch seine Partei, die CDU, ihre Existenz. Es würde mich nicht wundern, wenn Herr Merz daraus folgernd demnächst verlauten lässt, die Existenz der CDU sei der beste Beweis, dass Jesus lebt. Halleluja.

Sonntag: Nach dem Frühstück im Hotel verließen wir bei trübem Himmel, innerlich heiter Ostwestfalen; bereits gegen dreizehn Uhr trafen wir sonnenbeschienen zu Hause ein. Driving home for Christmas mal anders.

Finde den Fehler
Kann denn Liebe toxisch sein?

Nach Ankunft drängte es mich zum Spaziergang raus, zumal wir den Tag gestern mit wenig Draußenzeit überwiegend im Auto und an diversen Esstischen verbracht hatten. Mit dem Gang verbunden war ein Gebäckkaufauftrag des Liebsten auf dem Weihnachtsmarkt, der heute gut besucht war. Das machte es recht anstrengend, nur einen bestimmten Stand aufzusuchen und den Markt danach so schnell wie möglich wieder zu verlassen, derweil Kinderwagenschieber durch die Gassen schlichen und alle paar Meter stehen blieben.

Nach dem Kekskauf belohnte ich meine Mühen mit einem angereicherten Kirschwarmgetränk. Dabei sah ich ein älteres gemischtes Paar vorübergehen, er trug einen längeren Jeansrock, sie hatte die Hosen an.

An einem anderen Getränkeausschank stand eine größere Gruppe rot-weiß gekleideter Weihnachtsmänner, teilweise mit Zigaretten und Bierflaschen in der Hand, manche hatten unter Missachtung der heiligen Kleiderordnung die Mütze abgenommen. Immerhin verteilten sie Süßigkeiten an vorübergehende Kinder. Alles in allem wird diese Ansammlung bei Eltern weihnachtsmanngläubiger Kinder einigen Erklärungsbedarf erzeugt haben.

Zum Spazieren kam ich auch noch

Im Übrigen hätte ich nichts gegen die Abschaffung von Weihnachten. Damit stehe ich im Kreis der Lieben, Verwandten und Bekannten wohl ziemlich alleine.

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Vorweihnachtswoche, bald ist es erstmal wieder überstanden.

Woche 25: Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein

Montag: Nichts benötigt man bei Wochenanfangslaune weniger, als gefragt zu werden, ob man schlecht gelaunt sei.

Dienstag: Wenig gute Laune erzeugt auch ein Bericht in der Zeitung, wonach die neue italienische Regierung beabsichtigt, die in Italien lebenden Roma zu zählen mit dem Ziel, möglichst vielen von ihnen auszuweisen. Diejenigen mit italienischer Staatsangehörigkeit müsse das Land „leider behalten“, so der Innenminister. Das erinnert an vergangenen, dunkle Zeiten. Als Angehöriger einer anderen Minderheit, der in besagten dunklen Zeiten ebenfalls nicht gerade Wertschätzung entgegengebracht wurde, schaudert es mich beim Lesen des Artikels, auch wenn Angehörige „meiner“ Minderheit es inzwischen zu Ministern, Oberbürgermeistern und Konzernvorständen bringen. Das kann sich ganz schnell wieder ändern.

Erheiternd dagegen die Anordnung Donald Trumps, eine amerikanische Weltraumarmee zu schaffen. „Wir müssen den Weltraum dominieren“, so der Präsident. Das ist zu befürworten, vielleicht ergibt sich dadurch ja die Gelegenheit, ihn und ein paar andere auf den Mond zu schießen. „Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn Sie Onkel Donald sagen hören …“

Besprechung am Vormittag. Bei manchen Menschen frage ich mich, woher sie die vielen Buchstaben nehmen. Hier sollte die Evolution mal eine natürliche Limitierung einrichten. Ist ja auch ein Überlebensvorteil: Wer zu viel quatscht, läuft Gefahr, gefressen zu werden. Oder erschlagen.

Mittwoch: Notierte ich vergangenen Dienstag, die Kosten für die Sanierung der Bonner Beethovenhalle beliefen sich auf neunundsiebzig Millionen Euro? Weit gefehlt, vergessen Sie es schnell. Nach neuen Erkenntnisse sind es siebenundachtzig Millionen, wie heute zu lesen ist.

KW25 - 1

An den Busfahrer der Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft, der dem Fahrgast das Verlassen des Wagens an der vorderen Tür verweigerte und ihn stattdessen nach hinten schickte, weil dort nunmal der Ausstieg ist: Schön, dass es noch Menschen mit Prinzipien gibt.

Donnerstag: Trotz Desinteresse lässt es sich nicht immer vermeiden, ab und zu etwas von der Fernseh-Berichterstattung über die Fußballweltmeisterschaft mitzubekommen. Was mich als regelmäßigen und begeisterten Zuschauer der heute-Show dabei irritiert, ist die Moderation durch Oliver Welke. Noch mehr irritiert mich, als „Experten“ diesen Kahn-Titanen an seiner Seite zu sehen und nicht Olaf Schubert.

Freitag: „Berufspendler empfinden den Arbeitsweg als deutlich angenehmer, wenn sie mit ihrem Sitznachbarn plaudern“, schreibt die von mir geschätzte Psychologie Heute. Auf meine Person bezogen, möchte ich dazu den von mir ebenfalls geschätzten Eugen Roth zitieren: „Das mag vielleicht als Regel gelten / Ausnahmen aber sind nicht selten.“

Samstag: Die Digitalisierung macht unser Leben einfacher. Auch bei uns: Früher legten wir eine CD ein, wenn wir Musik hören wollten, heute diskutieren wir minutenlang mit einer unsichtbaren, schwerhörigen Dame namens Siri.

Sonntag: Nach einem gepflegten Wirkungstrinken am Vortag erschien mir heute Nachmittag ein Spaziergang angebracht. Dabei sah ich eine telefonierende Radfahrerin. Das ist an sich nichts Besonderes, sieht man doch immer mehr Radfahrer, die während der Fahrt telefonieren oder, für mich unverständlich, auf das Display schauen anstatt auf den Verkehr. Sollte ich jemals Zeuge werden, wie zwei radelnde Datensklaven ineinander fahren, könnte ich ein Grinsen wohl nicht unterdrücken. Warum ich der eingangs erwähnten Dame hier nun ein paar Zeilen widme: Die lindgrüne Telefonhülle war perfekt abgestimmt auf den gleichfarbigen Sturzhelm. Schon erstaunlich, auf was die Leute alles achten.