Woche 30/2024: Manchmal genügen kleine Anlässe, um den Alltag anzulächeln

Montag: Ein ganz gewöhnlicher Wochenbeginn mit den üblichen Starthemmungen, schwerer Mittagsmüdigkeit, beeindruckender Bewölkung am frühen und Rosé am späteren Abend. Es hätte schlimmer kommen können.

Mit herzlichen Grüßen an das Fachblog für Bewölkung

Anmerkung zur Weltpolitik: Nachdem Joe Biden endlich einsichtig geworden ist, haben die Amerikaner im November nun die Wahl zwischen einer geeigneten Kandidatin und einem verurteilten Irren. Sie werden sich wahrscheinlich für den Irren entscheiden.

Dienstag: Zu Fuß ins Werk und zurück. Die für das Wetter zuständige Instanz hatte das perfekt eingerichtet: Morgens und abends war es trocken, am Nachmittag zog ein heftiger Regenschauer über die südliche Stadt, wo mein Schreibtisch steht.

Mittags in der Kantine gab es Hühnereintopf. Das wäre nicht der Erwähnung wert, wäre er nicht angereichert gewesen mit langen Hühnerfleischfasern in großer Zahl, geschmacklich einwandfrei, beim Löffeln jedoch erheblich um sich nässend und das Hemd bekleckernd. Dass ich nicht in der Lage bin zum unfallfreien Verzehr von Burgern und Hotdogs, war mir bekannt. Dass das auch für Eintopf gilt, war mir neu.

Mittwoch: Nach meinen Konjektaneen zu Taylor Swift vergangene Woche erreichten mich mehrere Zuschriften offenbar ähnlichaltriger Leser, denen es bezüglich der Wahrnehmung der Dame so geht wie mir. Das finde ich sehr beruhigend.

Abends benutzte ich nach längerer Zeit mal wieder die Laufschuhe ihrer Zweckbestimmung entsprechend. Das lief ganz erfreulich, daher der Vorsatz, von nun an wieder regelmäßig zu laufen, einmal die Woche sollte möglich sein. Mal sehen, wie lange ich es dieses Mal durchhalte, ehe Wetter, Unlust, Unpässlichkeit oder eine Kombination daraus mich wieder monatelang davon abhalten.

Erfreulich auch der anschließende spontane Biergartenbesuch mit dem Liebsten. Manchmal genügen kleine Anlässe, um den Alltag anzulächeln.

Donnerstag: Da am Nachmittag ein Gesundheitstermin anstand, verzichtete ich auf den donnerstagsüblichen Fußmarsch. Während der Radfahrt ins Werk erreichte mich ein Gedanke, wie sie gelegentlich aufkommen, wenn nichts besonderes zu bedenken ist. In diesem Falle eine Frage auf dem Gebiet des Verkehrswesens: Warum gibt es das Wort „Vorfahrt“, jedoch nicht, logisch daraus folgend, „Nachfahrt“?

Freitag: Ein weiterer Aprilsommertag. Morgens nötigte mich Regen zur Nutzung der Stadtbahn, nachmittags fühlte ich mich mit Regenjacke und Schirm inmitten von T-Shirts und kurzen Hosen deplatziert.

Die heutige Tagesfrage „Wenn du zwei kostenlose Flugtickets gewinnen würdest, wohin würdest du reisen?“ würde ich gerne mit einer Gegenfrage beantworten: Wieso ich?

Eine weitere Frage, die ich mir selbst immer wieder stelle: Wozu setzt man, wenn man sich irgendwo im Netz anmeldet, das Häkchen bei „Dieses Gerät merken“, wenn die Seite bei der nächsten Anmeldung dieses Gerät zuverlässig wieder vergessen hat?

Aus der Zeitung: In seinem Leserbrief äußert sich Frank W. aus R. zum Thema Pride-Demonstrationen und falsche Pronomen. Darin schreibt er: „Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die meisten Menschen überhaupt nicht für die hormonellen Befindlichkeiten ihrer Mitbürger interessieren. Möge doch jeder nach seiner Fa­çon glücklich werden. Was mir in diesem Zusammenhang allerdings gehörig auf den Keks geht, ist das permanente und penetrante Sichtbarmachen, Flaggezeigen und das immer weiter um sich greifende Zeichensetzen von oder für (angeblich?) benachteiligte(n) Personengruppen.“ Als im weitesten Sinne Betroffener müsste ich das empörend finden. Allerdings, auch auf die Gefahr hin, der Nestbeschmutzung bezichtigt zu werden: Ein wenig verstehe ich ihn.

Samstag: Beim Brötchenholen morgens waren um die Münsterkirche herum in auffälliger Anzahl Männer in Anzug und Frack zu sehen, die zugehörigen Frauen in bunten Kleidern, teilweise mit seltsamen Kopfbedeckungen. Vielleicht eine Kostümmesse.

Auf der ungeschriebenen Liste der dümmsten Begriffe stünde Dooring-Unfälle ziemlich weit oben. Ziemlich dumm finde ich auch das Wort chillen, vor allem, wenn Menschen deutlich über fünfzig es äußern.

Aus der Zeitung: Vivien O. beklagt sich, dass ihr ein Mobilfunkanbieter Geld vom Konto abgebucht hat, obwohl sie angeblich keinen Vertrag abgeschlossen hat. Die Verbraucherberatung nennt es gar „besonders hinterlistig“. So trug es sich zu: Die Dame ließ sich in der Fußgängerzone ansprechen und zur Teilnahme an einem Gewinnspiel animieren. Dabei zog sie aus mehreren Losen eines heraus, das sich als Gewinn zweier kostenloser SIM-Karten erwies. Zur Erledigung der notwendigen Formalitäten wurde sie daraufhin in ein nahes Geschäft gebeten, wo ihre Personalausweisdaten und Bankverbindung (für kostenlose SIM-Karten?) aufgenommen wurden. Mit Verlaub: Das ist nicht hinterlistig, das ist einfach nur dumm.

Sonntag: Lange geschlafen, spät gefrühstückt. Sonntagszeitungslesen auf dem Balkon noch an der Gänsehautgrenze, später beim Spaziergang wurde es warm. Letzterer enthielt eine Umleitung, weil die Rheinpromenade teilweise gesperrt, die Sperrung ordnungsamtlich überwacht war. Wegen Sturmschäden, wie ein Schild den interessierten Flaneur und zahlreiche Radfahrer wissen ließ, konkret eines umgestützten Baumes, der quer über dem Weg lag. Das verwunderte etwas, ein Sturm war mir in den zurückliegenden vierundzwanzig Stunden nicht aufgefallen. Den Lieblingsbiergarten erreichte ich dennoch ohne nennenswerte Verzögerung.

Ansichten der äußeren Nordstadt:

Idyll in Hafennähe
Ehemaliges Unigebäude an der Römerstraße, dem Abbruch geweiht

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 28: Der Urmeter muss wegen akuter Verkürzung neu definiert werden

Liebe Leserin, lieber Leser, hier mein persönlicher, absolut subjektiver und in keiner Weise maßgeblicher Rückblick auf die Woche vom 6. bis 12. Juli 2020.

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Montag: Letzter Tag auf dem Schiff. Nach kurzem Zwischenhalt in Winningen, einem recht schönen, touristisch nicht allzu überbelichteten Moselort, erreichten wir nachmittags Bonn, wo für uns die Reise endete.

„Genießen Sie die letzten Züge“, sagte der Kreuzfahrtleiter nach Ablegen in Winningen zum überwiegend älteren Publikum. Wie immer war er gekleidet in weißer Hose, weißen Sportschuhen und Polohemd in der türkisen Unternehmensfarbe. In Verbindung mit der Schutzmaske erinnerte er an einen Pfleger, was ja hier nicht völlig abwegig war. „Ich meinte natürlich die letzten Züge Ihres Urlaubs“, fügt er vorsichtshalber hinzu, man weiß ja nie, wer da wieder was in den falschen Hals kriegt.

Das überwiegend osteuropäische Personal an Bord weckte übrigens zum Teil gewisse Assoziationen. Vielleicht habe ich in früheren Jahren einfach zu viele tschechische Pornos gekuckt.

Auf die allerletzte Etappe nach Köln am nächsten Morgen in urlaubsunublicher Frühe verzichteten wir aus naheliegenden Gründen, das Abendessen an Bord nahmen wir selbstverständlich noch mit, ist ja bezahlt.

Fazit: Sehr zu empfehlen, machen wir wieder.

Das vergangene Woche gezeigte Brückenlimbo in Wehlen wurde vom Liebsten hier noch einmal in bewegten Bildern festgehalten.

Dienstag: In Nachschau auf unsere Reise träumte ich vergangene Nacht vom Bordrestaurant. Zum Abendessen wurden Kaninchenhälse angeboten. „Da könnte ich mich reinlegen“, sagte die Tischnachbarin.

„Was Deutschland angeht: Corona ist vorbei. Das Thema ist durch. Ich persönlich bin nicht bereit, bei einer solchen „Infektionslage“ (und so kann man sie ja kaum noch bezeichnen) eine Maske anzuziehen“, schreibt Guido M aus B in einem Leserbrief an den General-Anzeiger. Der Mann hat offenbar die Welt verstanden, nun erklärt er sie allen.

Dazu passend schreibt Frau Nessy:

„Diese seit Jahren zunehmende Erwartung, von jeglichem Ungemach frei zu sein – auf Kosten Anderer. Auf dem Fahrradweg parken, damit man nicht 300 Meter weit laufen muss. Mit dem Auto in die Stadt fahren, weil man den ÖPNV als ranzig empfindet. Drei Flugreisen im Jahr unternehmen, weil man auch wirklich mal ausspannen möchte. Keine Maske im Geschäft tragen, weil es darunter so stickig wird. Dieses wehleidige Gejammer der Privilegierten – ich krieg’n Hals. Setzt eure Masken auf, Desirée und Frank-Dieter! Und wenn ihr schwitzt: Denkt halt an was Kaltes.“

Aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die ich mit zwei Tagen Verspätung durchblätterte: „Unfallchirurgen schlagen Alarm: Dank der Hochleistungsmedizin überleben immer mehr Schwerverletzte.“ Erschreckend.

Mittwoch: Jair Bolsonaro ist positiv auf Covid-19 getestet worden. Somit einer von zwei Menschen auf der Welt, bei denen ich glaube, es hat den richtigen getroffen; wer der andere ist, können Sie sich vielleicht denken. Wobei, wenn ich darüber nachdenke, fallen mir noch ein paar weitere ein, Deutsche sind nicht unter den Opfern. Was Bolsonaro betrifft, hoffe ich auf ein paar unerquickliche Symptome. Andernfalls stellt er sich hin und behauptet, er habe es ja gleich gesagt, nur eine leichte Erkältung, mehr nicht. Das wäre ein fatales Signal nicht nur für Menschen wie Guido M aus B.

„Hey ich bins, Janine Kunze“, kräht die Frau in der Radioreklame. Früher wusste ich nicht, wie man Janine Kunze schreibt, heute frage ich mich: Wer ist Janine Kunze?

Donnerstag: Kürzlich wütete ich hier über Radfahrer, die während der Fahrt auf ihr Datengerät schauen. Heute sah ich eine Radfahrerin, die in der Fußgängerzone mit beachtlicher Geschwindigkeit neben sich einen großen vierrädrigen Rollkoffer bewegte. Das hat mich dann doch ein wenig beeindruckt.

Im Zusammenhang mit Fahrradunfällen durch Autofahrer, die beim Öffnen der Tür nicht auf Radfahrer achten, las ich zum ersten Mal den Begriff „Dooring“. Wer hat sich das nun wieder ausgedacht?

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Mittags brachen wir auf zum Elternkurzbesuch nach Ostwestfalen. Ein Spaziergang mit meiner Mutter führte zu dem Wäldchen nicht weit vom Elternhaus im Bielefelder Osten, wo wir als Kinder gerne hingingen, unbegleitet von Erwachsenen und mobil unerreichbar, von wo wir manchmal erst zum Abendessen zurückkehrten, undenkbar heute. Inzwischen sind die Wege im Wald zugewuchert, anscheinend geht da keiner mehr hin.

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Nach wochenlanger Autobahnabstinenz merkte ich einmal mehr, wie sehr mich das Fahren Rasen und Drängeln auf deutschen Autobahnen anstrengt, auch als Beifahrer. Fragte mich die bekannte Fee nach den drei Wünschen, so trüge ich ihr dieses auf: 1) ein generelles Tempolimit von 120 km/h; 2) strenge Kontrollen des Tempos, der Abstände, der Geräuschentwicklung (letztere vor allem bei Motorrädern und Poseräffchenwagen) und der Benutzung von Datengeräten am Steuer; 3) saftige Strafen bei Verstößen, mindestens Geldstrafen, die richtig wehtun, bis hin zu temporären und dauerhaften Fahrverboten. Unterdessen hörte ich im Autoradio, die kürzlich beschlossene Verschärfung des Bußgeldkataloges wurde ausgesetzt, angeblich wegen Formfehlern. Wann tritt dieser besch Scheuer endlich zurück?

„Fußball lebt durch seine Fans“, erkannte ich aus den Augenwinkeln an einen Brückenpfeiler geschrieben. Spontan fielen mir dazu die Bilder in der Tagesschau neulich ein nach dem Spiel von Werden Bremen, glaube ich, gegen wasweißich, kenne mich da nicht aus und es interessiert mich auch nicht. Jedenfalls ließen die dort gezeigten „Fans“ einige Schlüsse über das „Leben“ des Fußballs zu.

Genug gewütet für heute.

Freitag: Am letzten Urlaubstag verließ ich freiwillig und problemlos um sieben Uhr des Bettes Behaglichkeit und nahm mir eine mehrstündige Alleinzeit, die ich waldwandernd auf der zweiten Etappe des Rheinsteig-Wanderwegs von Königswinter nach Bad Honnef verbrachte. Nach dem Drachenfels fuhren zwei mittelalte* Herren auf Mountainbikes** an mir vorbei, nach einigen hundert Metern hielten sie an und kuckten irgendwas an einem der Räder. Als ich mit kurzem Gruß an ihnen vorbeiging, bemerkte ich, es waren elektrische Fahrräder, wie diese rasenden Elektrorentner sie haben, nur eben als Mountainbike. Was es alles gibt.


* Also unwesentlich älter als ich

** Ein von mir als weitgehend alternativlos akzeptierter Anglizismus. „Bergfahrrad“ klingt jedenfalls ziemlich blöde.

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Ein Männlein grinst im Walde

Samstag: Am frühen Nachmittag besuchte ich das Bonner Stadtmuseum, um mir die Ausstellung „Fotografien aus dem Corona-Alltag“ anzuschauen. Sehenswert.

Auf dem Weg dorthin beobachtete ich die Leute in der Fußgängerzone beim ein-Meter-fünfzig-Abstand-halten. 2020 wird wohl auch als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem der Pariser Urmeter wegen akuter Verkürzung neu definiert werden musste. (Dasselbe gilt für Autos, die Fahrräder überholen.)

Sonntag: Ansonsten gehört und notiert:

„Du brauchst hier gar nicht rumzubrüllen, man bekommt dich ja gar nicht übertönt!“

„Abends werden die alten faul … oder wie heißt das?“

„Bist du allergisch gegen Bienenstich?“ – „Nein, den esse ich ganz gerne.“

„Deswegen geht ihr auch an meine Cremes. Ich sehe aus wie ein Scheißhaus, und ihr habt den perfekten Taint.“

Gelesen im SPIEGEL:

„Eine große Schwäche von mir ist, dass ich mich schwertue, andere Menschen zu ertragen. Vor allem wenn sie in größeren Gruppen auftauchen.“

(Hans Joachim Schellnhuber, Klimaforscher)

Zur aktuellen Rassismusdebatte in Amerika:

„Was wir tun können? Weiterhin diskutieren und nicht automatisch empört sein, wenn jemand eine andere Meinung äußert. Wir werden nie alle einig sein können.“

(Daniel Kehlmann, Schriftsteller)

„Als würde Helene Fischer aus Protest gegen Überfischung auf ihren Nachnamen verzichten.“

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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in eine möglichst angenehme neue Woche.