Woche 47: In etwas kleinerem Rahmen

Montag: „Ich bin damit fein“, sagte einer in der Besprechung. „Ich eher grob“, darauf ein anderer. Irritation beim ersten, weil er den Witz wohl nicht verstanden hat.

Auf dem Rückweg vom Werk kam mir ein erbloglicher Gedanke. Da es regnete und ich nach Hause wollte, verzichtete ich darauf, kurz anzuhalten und eine Notiz zu fertigen. Leider hatte sich der Gedanke nach Ankunft im trockenen Heim restlos verflüchtigt, nicht das kleinste Stichwort war hängen geblieben.

Er kehrte zurück, als ich in den immer inspirierenden Ausführungen von Herrn B. das erweckende Stichwort „Früher“ las. Wobei ich nicht mehr weiß, wie er entstanden war (der Gedanke, nicht Herr B). Während ich also durch den Regen heimwärts radelte, fiel mir der von vielen gerne dahergesagte Satz „Früher war alles besser“ ein – warum er mir einfiel, weiß ich nicht mehr -, und ich dachte weiter: Nein, früher war keineswegs alles besser, nur vieles anders. Wenn wir heute Abend schlafen gehen und morgen früh um sieben schlüge der Kalender wieder, sagen wir: 1985, wären die meisten wohl ziemlich unzufrieden.

„Nichts ist beständiger als der Wandel“, schrieb man mir. Nichts ist hohler als eine Phrase, entgegne ich.

Dienstag: Zu den Dingen, die früher nicht besser waren und voraussichtlich auch nicht besser werden gehört der qualvolle Moment beim Verlassen des Bettes am frühen Morgen. Was vielleicht etwas besser war: Früher konnte man Führungskräften ein Thema nahebringen, ohne gleich eine Powerpoint-Präsentation fertigen zu müssen.

Doch zurück in die Gegenwart. Aus einer internen Mitteilung: „Generell gilt, dass alle Geschäftsreisen geschäftsrelevant sein sollten.“ Sollten erscheint in diesem Zusammenhang bemerkenswert, nicht nur in diesen Zeiten.

Abends meckerte im Fernsehen eine Ziege, daraufhin der Geliebte: „Hast du was gesagt?“ Die häusliche Harmonie ist intakt.

Mein Desinteresse an Fußball ist nahezu grenzenlos. Dennoch: Die 0:6-Niederlage der Nationalmannschaft gegen Spanien finde sogar ich beachtlich.

Mittwoch: Ich habe übrigens beschlossen, meine Werktätigkeit grundsätzlich nicht mehr zu unterbrechen, nur weil auf dem Bildschirm unten rechts eine Skype-Meldung aufleuchtet. Kennen Sie das, wenn man mit einer Person momentan nicht kommunizieren möchte, weil man ihr Anliegen ahnt, das Ungemach und viel zusätzliche Arbeit mit sich bringt? Vieles erledigt sich ohnehin von selbst.

Wir sollten mehr Mut zum Lassen aufbringen: Man kann das eine lassen, ohne das andere zu tun.

Donnerstag: Ich weiß, in einem Rechtsstaat ist es aus guten Gründen nicht zulässig und ich fordere es auch nicht. Wenn indes diesen Coronaleugnern und Verquerdenkern im Falle des Falles die medizinische Behandlung verweigert würde mit der Begründung, es ist ja nur eine leichte Erkältung, wäre das nicht konsequent?

Nach einem Tag mit zu vielen Besprechungen waren abends meine Buchstaben aufgebraucht. In solchen Momenten sehne ich mich an einen Ort der Ruhe, ohne Menschen und lärmende Hausgeräte. Manchmal wünsche ich mir eine Arbeit, bei der ich nicht viel reden muss und zum Feierabend sehe, was ich geschafft habe.

Freitag: Zurzeit wird diskutiert, ob Knallerei und Feuerwerk zu Silvester in diesem Jahr verboten werden sollen. Die Hersteller von Knallwerk sehen ihre Branche deswegen bereits in die Luft gehen. „Man darf jetzt nicht die Pandemie als Vorwand nehmen, um all die Dinge zu verbieten, die einem schon immer nicht gefallen haben“, wird Baden-Württembergs Ministerpräsident dazu zitiert. – Warum eigentlich nicht?

Heute wäre der Bonner Weihnachtsmarkt eröffnet worden, ein weiterer Satz im Konjunktiv. Wegen dieses Coronjunktivs verlegten wir die Eröffnung in etwas kleinerem Rahmen auf unseren Balkon.

Samstag: Normalerweise ignoriere ich Leserbriefe in Zeitungen, weil mir anderer Leute Meinungen meistens wenig interessant erscheinen. Manchmal lohnt sich dennoch, mal hineinzuschauen. Heute fand ich im General-Anzeiger dieses:

„Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen mag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer. Der Anteil des Unbewussten an unseren Handlungen ist ungeheuer und der Anteil der Vernunft sehr klein.“

Der Leserbriefschreiber zitiert den französischen Arzt Gustave Le Bon, der das bereits 1895 im Buch „Psychologie der Massen“ geschrieben hat.

Sonntag: Der Tag begann trüb und blieb es auch, mit leichtem Nieselregen, so richtiges November-Totensonntagswetter. Solche Tage mag ich sehr. Wie jeden Sonntag machte ich einen längeren Spaziergang, hoffend, aufgrund des Wetters nicht allzu vielen Menschen zu begegnen. Diese Hoffnung erfüllte sich nur unzulänglich, auch andere scheinen solche Tage zu mögen oder sich dadurch nicht von Außenaktivitäten abhalten zu lassen. Wer wollte es ihnen verübeln.

Wie das ZDF ankündigt, wird Markus Lanz bereits am kommenden Mittwoch auf das Jahr 2020 zurückblicken. Das erscheint arg verfrüht: Das dicke Ende kommt doch womöglich erst noch.

Aus einer Promotionsbeilage des Landes NRW im SPIEGEL:

Wünschen wir ihr viel Erfolg bei ihren Bemühungen.