Woche 12/2022: Gemütsmaultaschen

Montag: Morgens im Eingang eine Mail von Samstag, 19:03 Uhr. Menschen, die um die Zeit geschäftliche Mails schreiben, ist wohl nicht zu helfen.

Pünktlich zum Frühlingsanfang bot die Kantine heute „Herbstliche Gnocci-Gemüsepfanne“ an. Hat trotzdem geschmeckt.

Pünktlich auch die 14-Uhr-Unlust, die heute bereits um 13:57 Uhr eintrat und bis zum nicht allzu späten Feierabend verweilte.

Für nach Feierabend hatte ich den Auftrag, Butter zu kaufen. (Eigentlich bestand der Auftrag schon am Samstag, da hatte ich es vergessen; meine Weigerung, deswegen noch mal loszugehen, zog einen Mikrokonflikt nach sich, das nur am Rande.) Nicht irgendwelche Butter aus dem Rewe, die genügt den gehobenen Ansprüchen meiner Lieben nicht mehr; Heumilchbutter muss es sein, die es an einem Verkaufsstand auf dem Wochenmarkt gibt. Bei meiner Ankunft waren die Damen schon im Zusammenpacken begriffen, „wegen der Demonstration“, wie sie erklärten. Meine vermutlich naive Rückfrage, was für eine Demonstration, wurde dahingehend beantwortet, dass gewisse Leute montags immer noch ihre „Spaziergänge“ machen, was das große Polizeiaufgebot auf dem Marktplatz erklärte. – Jetzt, wo fast alles wieder erlaubt wird, frage ich mich: Wogegen protestieren die immer noch?

Dienstag: Aus einer Besprechung: „Der Status closed kann erst gesetzt werden, wenn es re-getestet wurde, bis dahin ist er fixed.“ Am besten gefällt mir „re-getestet“. Merken die das wirklich nicht?

Vormittags saßen wieder die beiden Gänse auf dem Dach und gaben ein Duett aus Naak-naak-naak-Rufen zum Besten, vielleicht ist es der Frühling, der sie treibt, vielleicht auch Weltschmerz, steckt man ja nicht drin in so einer Gans.

Das Loch darunter wird übrigens regelmäßig von einem Eichhörnchen aufgesucht, das dazu flink an der Gebäudeecke hochklettert, oft umflattert von einer Gruppe schimpfender Halsbandsittiche, die wohl Anspruch auf die Höhle erheben, weil sie Werk ihrer Schnäbel ist, dann läuft es, scheinbar der Schwerkraft spottend, quer hinüber und verschwindet für einige Zeit in dem Loch. Neulich stürzte es dabei ab, überstand den Sturz aus etwa zehn Metern aber augenscheinlich ohne größere Schäden.

Vor dem Mutterhaus verkauft ein Stand „Schwäbisches Soulfood“. Was soll das sein, Gemütsmaultaschen?

Mittwoch: Laut einer Mitteilung kam es gegen 00:43 Uhr zum Ausfall von accelerated network auf der aktiven PI Firewall, was zu einem Failover des Firewallclusters führte. Menschen sind nach bisherigen Erkenntnissen nicht zu Schaden gekommen.

„FEIN hast du das gemacht“, sagte man früher überwiegend zu Hunden und kleinen Kindern, etwa nach Abwurf eines passablen Häufchens. Heute ist das Wort aus der geschäftlichen Kommunikation in Wort und Schrift nicht mehr wegzudenken: „Eine Rückmeldung bis Dienstagmittag wäre fein.“ – „Ist das für dich fein?“ – Besonders üble Variante: „Damit bin ich fein.“

»Ungefähr zwei Jahre lang wurde bei mir Krebs diagnostiziert und jetzt lüge ich die krankes Bett, ich möchte, dass du mir hilfst, meinen letzten Wunsch auf Erden zu erfüllen, der wird für Sie sehr profitabel sein«, schreibt mir eine Dame per Mail. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lügt sie noch heute.

Donnerstag: Auf die Rheinpromenade sind an mehreren Stellen in großen Buchstaben Hinweise auf einen weltweiten Klimastreik am Freitag angebracht, wie ich morgens auf dem Weg ins Werk sah, sowie die offensichtliche Liebesbekundung eine Regina betreffend. Dieser Name findet sich in rot-oranger Schrift geschrieben innerhalb eines großen Herzens, umgeben von weiteren kleinen Herzchen. Während über den Streik wohl in den nächsten Tagen ausführlich in den Medien berichtet wird, bleibt die Geschichte der herzlich angebeteten und ihrem Verehrer (oder ihrer Verehrerin) für Außenstehende (beziehungsweise -gehende) im Dunkel. Interessieren würde es mich schon, zumal aufgrund des Namens nicht auszuschließen ist, dass die derart Geliebte schon etwas gereifter ist.

Auch sonst war es heute Morgen recht schön.

Freitag: Auch in Hannover wurde für Klima und eine bessere Welt demonstriert. Ursprünglich sollte dort die Musikerin Ronja Maltzahn auftreten, doch wurde sie zuvor von den Veranstaltern wieder ausgeladen. Wegen ihre Frisur. Sie trägt sogenannte Dreadlocks, diese verfilzten, etwas ekelig anmutenden Haarstränen, einst Markenzeichen von Momo Sperling in der Lindenstraße, Sie erinnern sich vielleicht. Nur Schwarze dürften nach Ansicht der Demonstranten Dreadlocks tragen als Symbol gegen ihre Unterdrückung, einer weißen Frau stünde es indessen nicht zu, weshalb sie sich der „kulturellen Aneignung“ schuldig mache. Für das Angebot, aufzutreten, wenn sie sich zuvor die Haare abschneiden ließe, baten die Ausladenden anschließend um Entschuldigung, sie hatten es wohl selbst gemerkt, für die Ausladung an sich offensichtlich nicht. Warum fügen diese Leute der Ernstnahme ihres zweifellos wichtigen Anliegens durch solche Befindlichkeiten unnötig Schaden zu?

Momo Sperling war übrigens weder schwarz noch unterdrückt. Damals hat sich niemand an der Frisur gestört, jedenfalls nicht deswegen.

Samstag: Nicht nur die Bewertung von Frisuren, auch Sprache entwickelt sich bekanntlich weiter, mit ihr Rechtschreibung und Kommasetzung. Für letztere scheint eine neue Regel zu gelten, deren Einführung mir entgangen ist: Durch eine Präposition eingeleitete Hauptsätze sind zunehmend mit Kommas gespickt, wo früher keine waren. Bespiel: „Während des Essens, kam ihr eine Idee.“ Für erklärende Hinweise, wäre ich dankbar.

Neue Regeln auch in Bonn: Die Stadt gibt sich derzeit große Mühe, Autofahrer mit Straßensperrungen, geänderter Verkehrsführung, Baustellen und spontanen Parkverboten aus der Innenstadt zu vergrämen, und das mit Erfolg. Liebe Frau Oberbürgermeisterin, bitte machen Sie weiter und lassen Sie sich durch Kritiker nicht abhalten. Gut, die Kommunikation kann man hier und da noch verbessern, aber von der Sache her finde ich das richtig gut. Anders lernen sie es nicht, über alternative Möglichkeiten der Fortbewegung wenigstens nachzudenken. (Ich weiß, damit riskiere ich Missfallen. Sei es drum.)

Sonntag: In der Inneren Nordstadt streifen schon wieder die ersten kamerabehängten Kirschblütentouristen durch die Straßen, obwohl die große Blüte noch gar nicht begonnen hat und im Laufe des Tages auch nicht mehr damit zu rechnen ist.

Trotz des sonnigen Wetters fühle ich mich heute etwas verstimmt, ohne besonderen Grund, mal abgesehen von den zurzeit zahlreichen Gründen mit hohem Stimmungseintrübungpotential. Auch die Lektüre der Sonntagszeitung lässt nur wenig Optimismus aufkommen, allerorten Krisen, Sie wissen, was ich meine. Vielleicht drückt auch nur die Zeitumstellung aufs Gemüt. Sollte die nicht abgeschafft werden? Mir liegt noch der Satz eines gewissen Herrn Juncker in den Ohren: „Die Menschen wollen das, wir machen das.“ Aber vielleicht lohnt sich das jetzt auch nicht mehr.

Ob es wirklich Menschen gibt, die sich in Minuten eine Rolle Pfefferminzbonbons liefern lassen? Ich fürchte ja.
Sicher ist sicher.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Frühlingswoche, lassen Sie sich die Stimmung nicht allzu sehr trüben.

Woche 47: In etwas kleinerem Rahmen

Montag: „Ich bin damit fein“, sagte einer in der Besprechung. „Ich eher grob“, darauf ein anderer. Irritation beim ersten, weil er den Witz wohl nicht verstanden hat.

Auf dem Rückweg vom Werk kam mir ein erbloglicher Gedanke. Da es regnete und ich nach Hause wollte, verzichtete ich darauf, kurz anzuhalten und eine Notiz zu fertigen. Leider hatte sich der Gedanke nach Ankunft im trockenen Heim restlos verflüchtigt, nicht das kleinste Stichwort war hängen geblieben.

Er kehrte zurück, als ich in den immer inspirierenden Ausführungen von Herrn B. das erweckende Stichwort „Früher“ las. Wobei ich nicht mehr weiß, wie er entstanden war (der Gedanke, nicht Herr B). Während ich also durch den Regen heimwärts radelte, fiel mir der von vielen gerne dahergesagte Satz „Früher war alles besser“ ein – warum er mir einfiel, weiß ich nicht mehr -, und ich dachte weiter: Nein, früher war keineswegs alles besser, nur vieles anders. Wenn wir heute Abend schlafen gehen und morgen früh um sieben schlüge der Kalender wieder, sagen wir: 1985, wären die meisten wohl ziemlich unzufrieden.

„Nichts ist beständiger als der Wandel“, schrieb man mir. Nichts ist hohler als eine Phrase, entgegne ich.

Dienstag: Zu den Dingen, die früher nicht besser waren und voraussichtlich auch nicht besser werden gehört der qualvolle Moment beim Verlassen des Bettes am frühen Morgen. Was vielleicht etwas besser war: Früher konnte man Führungskräften ein Thema nahebringen, ohne gleich eine Powerpoint-Präsentation fertigen zu müssen.

Doch zurück in die Gegenwart. Aus einer internen Mitteilung: „Generell gilt, dass alle Geschäftsreisen geschäftsrelevant sein sollten.“ Sollten erscheint in diesem Zusammenhang bemerkenswert, nicht nur in diesen Zeiten.

Abends meckerte im Fernsehen eine Ziege, daraufhin der Geliebte: „Hast du was gesagt?“ Die häusliche Harmonie ist intakt.

Mein Desinteresse an Fußball ist nahezu grenzenlos. Dennoch: Die 0:6-Niederlage der Nationalmannschaft gegen Spanien finde sogar ich beachtlich.

Mittwoch: Ich habe übrigens beschlossen, meine Werktätigkeit grundsätzlich nicht mehr zu unterbrechen, nur weil auf dem Bildschirm unten rechts eine Skype-Meldung aufleuchtet. Kennen Sie das, wenn man mit einer Person momentan nicht kommunizieren möchte, weil man ihr Anliegen ahnt, das Ungemach und viel zusätzliche Arbeit mit sich bringt? Vieles erledigt sich ohnehin von selbst.

Wir sollten mehr Mut zum Lassen aufbringen: Man kann das eine lassen, ohne das andere zu tun.

Donnerstag: Ich weiß, in einem Rechtsstaat ist es aus guten Gründen nicht zulässig und ich fordere es auch nicht. Wenn indes diesen Coronaleugnern und Verquerdenkern im Falle des Falles die medizinische Behandlung verweigert würde mit der Begründung, es ist ja nur eine leichte Erkältung, wäre das nicht konsequent?

Nach einem Tag mit zu vielen Besprechungen waren abends meine Buchstaben aufgebraucht. In solchen Momenten sehne ich mich an einen Ort der Ruhe, ohne Menschen und lärmende Hausgeräte. Manchmal wünsche ich mir eine Arbeit, bei der ich nicht viel reden muss und zum Feierabend sehe, was ich geschafft habe.

Freitag: Zurzeit wird diskutiert, ob Knallerei und Feuerwerk zu Silvester in diesem Jahr verboten werden sollen. Die Hersteller von Knallwerk sehen ihre Branche deswegen bereits in die Luft gehen. „Man darf jetzt nicht die Pandemie als Vorwand nehmen, um all die Dinge zu verbieten, die einem schon immer nicht gefallen haben“, wird Baden-Württembergs Ministerpräsident dazu zitiert. – Warum eigentlich nicht?

Heute wäre der Bonner Weihnachtsmarkt eröffnet worden, ein weiterer Satz im Konjunktiv. Wegen dieses Coronjunktivs verlegten wir die Eröffnung in etwas kleinerem Rahmen auf unseren Balkon.

Samstag: Normalerweise ignoriere ich Leserbriefe in Zeitungen, weil mir anderer Leute Meinungen meistens wenig interessant erscheinen. Manchmal lohnt sich dennoch, mal hineinzuschauen. Heute fand ich im General-Anzeiger dieses:

„Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen mag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer. Der Anteil des Unbewussten an unseren Handlungen ist ungeheuer und der Anteil der Vernunft sehr klein.“

Der Leserbriefschreiber zitiert den französischen Arzt Gustave Le Bon, der das bereits 1895 im Buch „Psychologie der Massen“ geschrieben hat.

Sonntag: Der Tag begann trüb und blieb es auch, mit leichtem Nieselregen, so richtiges November-Totensonntagswetter. Solche Tage mag ich sehr. Wie jeden Sonntag machte ich einen längeren Spaziergang, hoffend, aufgrund des Wetters nicht allzu vielen Menschen zu begegnen. Diese Hoffnung erfüllte sich nur unzulänglich, auch andere scheinen solche Tage zu mögen oder sich dadurch nicht von Außenaktivitäten abhalten zu lassen. Wer wollte es ihnen verübeln.

Wie das ZDF ankündigt, wird Markus Lanz bereits am kommenden Mittwoch auf das Jahr 2020 zurückblicken. Das erscheint arg verfrüht: Das dicke Ende kommt doch womöglich erst noch.

Aus einer Promotionsbeilage des Landes NRW im SPIEGEL:

Wünschen wir ihr viel Erfolg bei ihren Bemühungen.