Am fünften eines jeden Monats ruft die geschätzte Mitbloggerin Frau Brüllen zur Pflege der Tagebuchblogkultur auf. Hierzu schreibt der geneigte Teilnehmer einen Aufsatz zum Thema „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“, kurz #WMDEDGT, und verlinkt ihn auf dem Brüllen-Blog.
Dann wollen wir mal:
Bereits vor dem Frühstück brach der Liebste zu einer Dienstreise nach Paris auf. Zwar ging sein Thalys erst mittags ab Köln, aber wegen mannigfacher Bauarbeiten der Bahn zwischen Bonn und Köln und daraus folgend einer noch größeren Unzuverlässigkeit als ohnehin erschien ein frühzeitiger Aufbruch sicherer. Es fuhr dann alles pünktlich und er kam wie vorgesehen an.
Beim Brötchenholen ging ich über den Münsterplatz, wo die anlässlich des „Bonn leuchtet“-Festes aufgebauten Ess-, Trink- und Kramsbuden bereits geöffnet waren und auf Kundschaft warteten; eine versuchte, mit ukrainischer Folklore zu locken. Viel zu tun werden sie heute trotz verkaufsoffenem Sonntag nicht gehabt haben, das Wetter war mit Regen und kühlem Wind nicht sehr einladend für kulinarische Außenaktivitäten.
Nach dem Frühstück mit dem Geliebten und Lachs brachte ich das Auto zur Werkstatt im Bonner Norden, weil eine Kontrolleuchte leuchtete. Normalerweise obliegen Kraftfahrzeugangelegenheiten dem Liebsten, der das Auto überwiegend nutzt, aber der saß ja im Thalys nach Paris. Daher musste ich das übernehmen, wobei mir schon der Gedanke, autofahren zu müssen, üblicherweise schlechte Laune macht. So schlimm war es dann nicht; nachdem das Auto abgestellt, der Serviceumschlag ausgefüllt und mit darin eingestecktem Fahrzeugschlüssel in den dafür vorgesehenen Einwurf der Werkstatt eingeworfen war, besserte sich die Laune bei einem längeren Spaziergang durch die äußere Nordstadt und an den Rhein. Zwischenzeitlich schien gar die Sonne, nur einmal musste ich kurz den Regenschirm aufspannen.
Vorstadt-Tristesse im Bonner Norden
Als weitere Aufgabe war mir übertragen, zwei Birnen kleinzuschneiden und in Zucker einzulegen, um sie später, nachdem der Zucker eingezogen war, in den Rumtopf im Keller zu geben, der bereits vor einigen Monaten angesetzt wurde. Bei der Gelegenheit unternahm ich die wichtige Qualitätskontrolle (nur einen Esslöffel voll) und war zufrieden.
Zwischendurch verbrachte ich längere Zeit auf dem Sofa mit der Lektüre der Sonntagszeitung, die uns aus irgendwelchen, vermutlich Kosten-Gründen, seit einiger Zeit bereits samstags zugestellt wird. Doch da bin ich eigen, sie heißt Sonntagszeitung und wird daher sonntags gelesen, wo kämen wir denn da hin. Darin einiges über Bürokratie in Deutschland, die auch Vorteile hat, sowie über das Happy Meal Project von Sally Davies. Vielleicht kennen Sie letzteres längst, mir war es neu. Frau Davies hat im April 2010 bei dem beliebten Restaurant mit dem güldenen M einen Hamburger und eine Portion Pommes erstanden, nicht in Verzehrabsicht, sondern um zu beobachten und dokumentieren, wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln. Das Ergebnis erstaunt: Im August dieses Jahres, also dreizehn Jahre und vier Monate später, sind äußerlich kaum Änderungen erkennbar, weder schimmelt das Brötchen noch weist das Fleisch Gammelspuren auf. Das ist Qualität. Für Weiteres bitte hier entlang.
Da ich heute dreimal, an unterschiedlichen Stellen, das Wort „Eskapismus“ las, dessen Bedeutung ich nicht kannte, recherchierte ich hier und weiß das nun auch. (Es bedeutet Realitätsflucht, wenn Sie es auch nicht wissen und nicht nachschlagen wollen, weil es nicht so wichtig ist. Bitte sehr.)
Was heute noch anliegt: Mit der Mutter in Bielefeld telefonieren, wie jeden Sonntag, und den Koffer packen für eine dreitägige Dienstreise von morgen bis Mittwoch nach Berlin. Mit der Bahn. Ich merke gerade, wie sich beim Gedanken daran meine Laune wieder trübt, aber vielleicht wird es ja ganz gut. Sie werden es lesen, wenn Sie mögen.
Montag: Größere Unsicherheit scheint es bei deutschen oder wenigstens Bonner Autofahrern noch immer zu geben über die Bedeutung des grünen Pfeils. Bereits zum zweiten Mal wurde ich auf dem Rückweg an einer Kreuzung in der nördlichen Innenstadt Zeuge einer Situation. Dort gibt es eine allgemeine Ampel für alle Fahrtrichtungen und zusätzlich eine für die Rechtsabbiegerspur. Als erstes zeigt die Ampel für die Rechtsabbieger grün, etwa einige Sekunden später ergrünt auch das universelle Verkehrslicht und die Abbiegerampel erlischt. Die Komplikation: Neben der Rechtsabbiegerampel ist ein Grüner-Pfeil-Schild angebracht mit dem Zusatz „Nur für Radfahrer“, womit nämlichen amtlich erlaubt ist, was die meisten ohnehin längst tun, nämlich auch bei Rotlicht abzubiegen. Heute nun stand neben mir auf der Rechtsabbiegerspur ein junger Autofahrer mit seinem Wagen. Als die Abbiegerampel grün zeigte, fuhr er nicht los, was seinen Hintermann zum Hupen veranlasste. „Grün!“ rief der Hintere, „Nur Radfahrer!“ war vom Jungfahrer durch das heruntergelassene Fenster zu vernehmen. Vielleicht war er in der Fahrschule vom Datengerät abgelenkt gewesen, als der Grüne Pfeil durchgenommen wurde.
Dienstag: Schon morgens beim Fußweg ins Werk war es sehr warm, oder „schönes Wetter“, wie das Personal des Radiosenders WDR 4 es weiterhin nennt, wenn die Sonne im September über dreißig Grad produziert.
Andere machen Urlaub
Seit letzter Woche Freitag verwendet WDR 4 neue Nachrichtenbegleitmusik, Jingles, wie das wohl heißt, die ein wenig an den Kaspersender SWR 3 erinnert. Am Musikprogramm hat sich nichts geändert, weiterhin „Achtziger und die größten Klassiker“, wie zu betonen man auch mit neuen Jingles nicht müde wird. Unmittelbar nach einer derartigen Betonung spielten sie morgens Ed Sheeran, eindeutig nicht aus den Achtzigern. Ob er mal ein Klassiker wird – man wir hören.
»Spannende Pilze kann jeder finden« übertitelt die Zeitung einen Artikel zum Thema Pilzsuche. Pilze können vieles sein: essbar, giftig, schleimig, bunt, unscheinbar, groß, klein, gelegentlich auch halluzinogen oder schlumpfbehausend. Eins sind sie jedoch nicht: spannend. Es sei denn, »Bei dem feuchtwarmen Wetter schießen die Exemplare aus dem Boden«, wie es in dem Artikel weiter heißt. Mit Knall, Funkenflug und Rauch. Das wäre recht spannend.
Spannend fand offenbar am vergangenen Sonntag ein Säugling Beethovens neunte Sinfonie. Wie die Zeitung berichtet, begleitete er/sie/es die Aufführung in der Bonner Oper durch anhaltendes Schreien. Dem Kind ist das nicht vorzuwerfen, ich hätte an seiner Stelle und in dem Alter, durch Paukendonner und Chorjauchzen erschreckt, wohl nicht anders reagiert. Doch was geht in Eltern vor, die es nicht für angezeigt halten, in dieser Situation mit dem Kind den Konzertsaal zu verlassen?
Unverlassen vom Publikum blieb abends auch der Vortragsraum der TapetenPoeten in Bonn-Beuel, wo ich nach drei anderen Vorträgen meine fünfzehn Minuten Ruhm auskosten durfte, als ich dieses, das, das und dieses vorlesen durfte. Angesagt wurde ich als „vierter Autor, beziehungsweise erster“, da vor mir drei Damen aus ihren Werken lasen. Geschlechtergerechte Sprache ist nicht immer einfach, gleichwohl bin ich dem Moderator und Initiator der Veranstaltung sehr dankbar, mich nicht als Autor:in angekündigt zu haben. Dankbar bin ich auch für seine gar wunderbare Idee, zur Vorbereitung des Abends die künstliche Intelligenz zu beauftragen, über die Vorlesenden eine Laudatio zu verfassen. In meinem Fall ging die so:
Carsten Kubicki: Der Blogger des Alltäglichen und des Ausgedachten Willkommen in der Welt von Carsten Kubicki, dem Meister des Ungewöhnlichen und des Alltäglichen zugleich. Sein Blog, treffend betitelt „Blog von Carsten K. für den Hausgebrauch,“ ist eine Oase der Absurdität und des scheinbar Banalen. Kubicki selbst schreibt über sein Werk: „Was hier zu lesen ist, erhebt keinerlei Anspruch auf Relevanz, Wahrheit, Vollständigkeit, Differenziertheit, Reichweite, Neutralität, (politische) Korrektheit, stilistische Brillanz, Originalität, Weisheit, Sinn und allgemeines Interesse.“ Doch gerade in dieser selbstironischen Verweigerung jeglicher Konventionen und Ansprüche findet sich der einzigartige Charme seines Blogs. Carsten Kubicki setzt sich auf humorvolle Weise mit den Abgründen des Alltags auseinander und deckt dabei sprachliche Verfehlungen auf, die uns allen tagtäglich begegnen. Seine umfangreiche Liste sprachlicher Verfehlungen, genannt „Floskelschaumkraut – Die Liste des Grauens“ […] ist ein wahrer Schatz trostloser Phrasen und Plattitüden. […] Carsten Kubickis Blog ist ein Ort des Schmunzelns und Nachdenkens zugleich. Seine unkonventionelle Herangehensweise an den Alltag und die Sprache regt zum Innehalten und Hinterfragen an. In einer Welt, in der oft Oberflächlichkeit und Konformität vorherrschen, erfrischt sein Blog mit einem Hauch von Ironie und einer Prise Wahnsinn. Lassen Sie sich von Carsten Kubicki auf eine Reise in die Tiefen des Alltäglichen und des Ausgedachten entführen, und vergessen Sie nicht, sich von Zeit zu Zeit ein Schmunzeln zu erlauben.
Quelle: ChatGBT
Ich fühle mich geschmeichelt.
Vorher
Mittwoch: Vorletzte Woche Donnerstag habe ich, wie berichtet, einen neuen Personalausweis beantragt. Bereits heute erhielt ich die Mitteilung der Stadt Bonn, dass der neue Ausweis zur Abholung bereit liegt. Daher nicht immer nur über die öffentliche Verwaltung herziehen, sondern sie auch mal loben, was hiermit getan sei.
Donnerstag: Ausnahmsweise nicht zu Fuß ins Werk sondern mit dem Fahrrad, da ich an einer Tagung in einem nahegelegenen Hotel teilnahm, die bis zum frühen Nachmittag ging. Nach Rückkehr ins Büro überkam mich eine seltsame Übelkeit, die zum Glück nicht lange anhielt, vielleicht lag es an der Hitze. Im Büro wollte keine rechte Arbeitslust aufkommen, zumal die defekte Jalousie noch immer nicht repariert ist und die Nachmittagssonne direkt auf meinen Schreibtisch und mich scheint. Vergangenen Donnerstag war mal wieder ein Techniker da gewesen, er schaute, sagte, er müsste nochmal telefonieren und käme spätestens morgen (also letzten Freitag) wieder. Da er nicht kam, rief ich heute den Hausservice an; sie werde sich kümmern, sagte die freundliche Dame. Ich musste an meinen alten, längst pensionierten Kollegen Heinz B. denken, der bei solcher Gelegenheit gesagt hätte: „Es ist alles so maßlos traurig.“ Da lächelte ich.
Ein Schild sagt mehr als tausend Worte, wobei dieses Exemplar Raum für Interpretation lässt
Freitag: Vergangene Nacht träumte ich, ich säße in konzentrierter Tätigkeit im Büro, als es klopft und ein Haustechniker herein kommt. Er wollte nur schauen, ob die Jalousie nun funktioniert, sagte er. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch das defekte Drittel heruntergefahren war, und freute mich.
In echt erschienen heute gegen Mittag zwei Techniker, schraubten ein wenig am Schalter, einer ging raus und kehrte bald zurück, und siehe, die Jalousie senkte sich vollständig. Er habe nur den Bus neu gestartet, so seine Auskunft an den anderen. Ich weiß nicht, was das bedeutet und wohin der Bus fuhr, jedenfalls hat er sein Ziel offenbar erreicht, die Jalousie funktioniert wieder, die Sonne blieb nachmittags draußen und ich freue mich. „Dass ich das noch erleben darf“, hätte Kollege Heinz vielleicht gesagt.
Die Tagesschau um zwanzig Uhr wurde eröffnet mit einer Basketball-Meldung. Ein Grund, warum ich Fernsehnachrichten nur noch unregelmäßig schaue. In der Zeitung kann ich bei Sport einfach weiterblättern.
Samstag: Es ist weiterhin heiß, sehr heiß. Das sei keine Klage, nur Feststellung. Ansonsten der übliche Samstagskram ohne nennenswerte Bloggenswürdigkeiten.
Gelesen bei Thomas: »… aber ich habe es verlernt, einfach so da zu sitzen und nichts zu tun. Ich bewundere Menschen, die das noch können, bin aber gleichzeitig zu faul, es wieder zu lernen.« Ich kann das sehr gut, sitzen und nichts zu tun, wenn es was zu schauen gibt, und das gibt es ja fast immer; während Bahnfahrten mit Fensterplatz gerne stundenlang. Auch glaube ich nicht, dass man das mühsam erlernen muss und verlernen kann.
Sonntag: In der Sonntagszeitung ein interessanter Artikel über Bürokratie in Deutschland und warum wir so viel davon haben. Mit eigenen Worten zusammengefasst: Die deutsche Mentalität umfasst zwei Eigenheiten, die dazu führen. Die erste ist ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, der insbesondere dann empfindlich gestört wird, wenn öffentliche Zuwendungen Leuten zukommen, denen sie nicht zustehen. Die zweite ist das unbedingte Verlangen, gegen jede noch so abseitige Eventualität abgesichert zu sein, und wenn sie doch eintritt, jemanden ausfindig machen zu können, der schuld und schadensersatzpflichtig ist. Als Beispiel werden die immer umfassender werdenden Bestimmungen zum Brandschutz genannt, wohingegen beim Sport fast jedes Risiko akzeptiert wird. Wenn jemand klagt, weil er sich aufgrund einer Regelungslücke benachteiligt oder geschädigt fühlt und Recht bekommt, wird die Lücke gefüllt, und wieder ist die Bürokratie ein Stückchen gewachsen. Wir sind also selbst schuld, weil wir nicht gewillt sind, manches als allgemeines Lebensrisiko zu akzeptieren, etwa im Winter Schnee und Eis auf ungeräumten Gehwegen. Ich finde das einleuchtend.
Von Schnee und Eis sind wir weit entfernt: Bei über dreißig Grad führte der Spaziergang über die Rheinbrücke ans andere Ufer, über die Nordbrücke zurück, mit Besuch des Biergartens am Rhein. Dort haben die Kastanien begonnen, die ersten Blätter abzuwerfen, immer wieder fielen fünfblättrige, bräunlich-gelbe Laubeinheiten zu Boden, vielleicht gelockert von in den Bäumen balgenden Halsbandsittichen, die nicht zu sehen, dafür deutlich zu hören waren. In der Ferne auf der gegenüberliegenden Rheinseite sieht man das Riesenrad der Großkirmes Pützchens Markt, die an diesem Wochenende läuft, und ein weiteres Fahrgeschäft mit langen, vertikal rotierenden Armen, an deren Enden Sitzkabinen angebracht sind. Nichts für mich, der gerne untätig sitzt.
Eine weitere Folge der Reihe „Warum sind Dinge, wo sie sind?“Idyll vor SchwarzrheindorfInnere Nordstadt