Fröhliche Weihnachten geht anders

Je älter ich werde – und mittlerweile lasten einige der Jahre auf dem krummen Buckel -, desto weniger Lust habe ich auf Weihnachten. Das beginnt schon mit dem Ursprung dieses Festes. Wenngleich ich vor einer Vielzahl von Jahren getauft und einige später konfirmiert wurde, so gelingt es mir heute beim besten Willen nicht mehr, an die Geschichte mit der schwangeren Jungfrau zu glauben. Deshalb, und nicht nur deshalb kündigte ich vor ein paar Jahren der Institution, die uns Jahr für Jahr diese Geschichte glaubhaft machen will, die Mitgliedschaft.

Doch ginge es nur darum, wäre es mir ziemlich egal, sollen die Christen doch ihr Fest feiern, wenn sie möchten. Gegen Karnevalisten und Fußballfans habe ich ja auch nichts. Gut: gegen Fußballfans manchmal schon. Auch möchte ich Sie nicht mit dem bekannten Klagelied über den weihnachtlichen Konsumterror langweilen. Nur so viel: Wenn ich mir  e i n s  zu Weihnachten wünsche, dann ein Ende der Wünsch- und Schenkpflicht. Jedenfalls für mich selbst, nicht etwa generell, schon gar nicht für Kinder. Große Teile der Weltwirtschaft brächen weg, ginge mein Wunsch in Erfüllung, einschließlich meines eigenen Arbeitsplatzes. Indes: Es bereitet mir jedes Jahr erhebliche Mühe, für meine Lieben ein passendes Geschenk zu finden. Und auf die Frage „Was wünschst du dir?“ fällt mir schon lange keine Antwort mehr ein, außer der vorstehenden, aber das versteht leider niemand in meinem Umfeld.

Was ich auch nicht beklage, sind Begleiterscheinungen wie Lichterketten, Weihnachtsmärkte und -sterne sowie Marzipan, Lebkuchen und Dominosteine ab August. Niemand wird gezwungen, dort hinzugehen beziehungsweise das Zeugs zu kaufen. Als Marzipanmöger bin ich stets einer der ersten, die weihnachtliches Naschwerk in ihr Einkaufskörbchen legen, und ein bis maximal drei alkoholischen Warmgetränken im Kreise lieber Menschen bin ich nicht abgeneigt.

Es gibt jedoch eins, das mich alljährlich so richtig stresst, und jetzt wird es ernst; hasste ich die Redewendung „Spaß beiseite“ nicht aus tiefstem Herzen, platzierte ich sie jetzt und hier: die Familie. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch – Ich liebe meine Eltern und mag die Verwandten, komme bestens mit ihnen aus, nie gab es ernste Konflikte und Krisen; das gilt in gleicher Weise für die Schwiegerfamilie, die ich sehr schätze. Wäre da nicht die Verpflichtung, Weihnachten mit ihnen zu verbringen. Weil es Tradition ist. Weil es erwartet wird. Immerhin: den Heiligabend verbringen wir schon seit Jahren in aller Gemütlichkeit hier zu Hause, ohne dass die familiären Bande ernsten Schaden genommen hätten – nachmittags „Drei Nüsse für Aschenbrödel“, abends gut essen mit gutem Wein, ganz in Ruhe zu zweit oder dritt, danach zum Nachbarn hoch auf ein, zwei Glas, dann ins Bett.

Doch am ersten Weihnachtstag geht es dann los: Noch leicht bekatert mit Millionen anderen auf die Autobahn, erst zur Schwiegerfamilie, essen, trinken, Bescherung; dann, am zweiten Weihnachtstag, zu meinen Eltern, wieder essen, anschließend zurück auf die Autobahn, erst am Abend zurück, völlig erschöpft. Fröhliche Weihnachten geht anders.

Und jetzt wird es heikel, denn mich plagt mein Gewissen. Denn wir haben beschlossen, dieses Jahr hier zu bleiben, die Tage in Ruhe zu dritt mit dem lieben Freund zu verbringen. Es fühlt sich noch falsch an. Aber dieses Jahr versuchen wir es einfach mal. Und plötzlich freue ich mich wieder auf Weihnachten, jedenfalls ein bisschen. Zum ersten Mal seit Jahren.