Woche 11/2024: Bedankt euch bei den Tauben

Montag: Es regnete den ganzen Tag, deshalb war die Stadtbahn heute Verkehrsmittel der Wahl. Dankenswerterweise wurde sie nicht bestreikt, was zurzeit alles andere als selbstverständlich ist. Bitte nicht als Klage verstehen, ich gönne den Öffentlichen Verkehrsbetreibenden eine angemessene Bezahlung. Wenn die nur per Arbeitskampf zu erzielen ist, ist das so, das müssen wir aushalten.

Dennoch ließ meine persönliche Stimmung heute zu wünschen übrig, allgemeine Unbehaglichkeit lag über dem Tag; sollte ich mich mit einem Tier vergleichen, wäre Miesmuschel die passende Entsprechung gewesen. An solchen Tagen machen mich schon Kleinigkeiten aggressiv, etwa Bilder mit Menschen, die ihre Finger zu Herzen formen, oder der junge Kerl, der mir auf dem Rückweg in der Bahn gegenübersaß, einen Kugelschreiber in der Hand hielt und unentwegt mit dem Daumen den Druckknopf betätigte, klick-klick-klick-klick, während seine Aufmerksamkeit, wie soll es anders sein, dem Datengerät galt. Damit nicht genug, zog er einen zweiten Kugelschreiber aus der Jackentasche, hielt nun beide in der Hand und drückte abwechselnd darauf herum, klick-kleck-klick-kleck.

Dabei bot der Tag, objektiv betrachtet, wenig stimmungstrübendes Unbill, auch dem Wetter ist nichts anzulasten, grundsätzlich mag ich Regentage, meine Laune wäre auch bei Sonnenschein nicht heller gewesen. Auch solche Tage muss man aushalten.

Gelesen bei Herrn Buddenbohm und „genau so ist es “ gedacht:

»Ab und zu überlege ich, allerdings nur aus müßigem Interesse, keineswegs anlassbezogen oder gar mit finsterer Absicht, bei gewissen Aspekten des Lebens, wie sie wohl für mich ausfallen würden, lebte ich allein, ohne Familie und Partnerin. Und ich denke, saisonale Deko hätte ich dann sicher nicht. Kein einziges Stück. Stets nach Möglichkeit Blumen oder auch Grünzeug der Jahreszeit auf dem Tisch, das schon, aber bunte Hasen und bemalte Eier und dergleichen … nein.«

Dienstag: Der Tag war durchgehend trübe und kühl, auch meine Stimmung aufgrund eines familiären Themas, für das ich noch keine passende Lösung weiß, zunächst weiterhin gedämpft. Sie hellte deutlich auf nach einem klärenden Telefongespräch meine künftige Wochenarbeitszeit betreffend. Wenn alles meiner Vorstellung und Hoffnung entsprechend verläuft, noch maximal neun Monate in Vollzeit, vielleicht auch nur sechs.

Trüb und kühl

Abends wurde ich untreu gegenüber meinem langjährigen Frisiersalon. Auf Empfehlung probierte ich einen anderen aus. Ohne Termin kam ich sofort dran, der Haarschnitt erfolgte ohne unnötige Wortwechsel zu meiner vollen Zufriedenheit für nicht einmal den halben Preis gegenüber vorher. Als künftiger Teilzeitarbeitnehmer muss man frühzeitig nach Einsparmöglichkeiten schauen.

Mittwoch: Aufgrund einer meteorologischen Fehleinschätzung traf ich morgens mit dem Fahrrad die falsche Auswahl des Verkehrsmittels, um ins Werk zu gelangen; der Niesel zeigte sich wesentlich ergiebiger als vermutet. Dadurch saß ich zunächst mit nassen Hosenbeinen am Schreibtisch. Als Kind und Jugendlicher waren mir nasse Hosenbeine zuwider, heute sehe ich es wesentlich gelassener, zumal nach gut einer Stunde alles getrocknet war. Andere müssen in Jogginghose zu Hause arbeiten, das ist viel schlimmer.

Mittags gingen wir kurz vor der Hauptspeisezeit zu dritt in die Kantine, dort ein jeder seinem Appetit folgend zu einer anderen Ausgabetheke. Danach verloren wir uns im allgemeinen Mahlzeitgemenge und fanden trotz intensiver Suche nicht mehr zueinander. Daher aß ich den Erbseneintopf von Mitessern unbegleitet, er schmeckte dennoch vorzüglich, den dürfte es gerne viel öfter geben. Nächstes Mal vereinbaren wir einen Sammelplatz.

Man sagt übrigens nicht mehr „Nachbarn“, es heißt jetzt „Umwohnende“, ist der PSYCHOLOGIE HEUTE zu entnehmen.

Donnerstag: Von meinen Lieben muss ich mir des öfteren den Anwurf gefallen lassen, zu viele unnötige Fragen zu stellen. Deshalb werde ich fortan und bis auf weiteres jedes Fragen im häuslichen Umfeld weitestgehend reduzieren. Doch bin ich nicht der einzige mit Fragen: „Was sind das da für gelbe Blumen?“ fragte mich heute einer ungefähr in meinem Alter, als wir mittags durch den Park gingen, und zeigte auf die Narzissen. Manchmal frage ich mich – aber nein, ich frage ja nicht mehr.

Freitag: Laut einer Zeitungsmeldung wurden die Vorstandsvergütungen bei der Deutschen Bank wegen Gewinnrückgangs und Postbank-Problemen für das Jahr 2023 gekürzt. Inklusive Boni erhalten die Herrschaften zusammen nur noch 64,6 Millionen Euro gegenüber 64,9 Millionen im Vorjahr. Das ist hart und wird ihnen zu denken geben.

Doch nicht nur Geld macht glücklich.

Das Leben geht weiter

Apropos unersättlich: Die Vogelfütterung vor dem Bürofenster wird bis auf weiteres eingestellt, obwohl der Futtervorrat noch nicht aufgebraucht ist. Grund: Bislang labten sich abwechselnd Raben, Elstern, Amseln, Rotkehlchen, Meisen und Halsbandsittiche am Teller. Sie kamen, pickten einige Körner und flogen ihres Weges; eine Tellerfüllung reichte etwa zwei Tage, ehe nachgefüllt werden musste. Jetzt pickt eine dicke Taube den Teller innerhalb einer Stunde leer, nur die Rosinen bleiben ungepickt zurück, anscheinend mag sie kein Trockenobst. Nicht, dass ich ihr das nicht gönnte, doch erscheint sie mir reichlich verfressen, das muss ich nicht unterstützen. Außerdem ist das Füttern von Tauben in Bonn verboten. Liebe Vogelschar der Gronau, es tut mir leid. Bedankt euch bei den Tauben.

Samstag: Der Wecker weckte zu samstäglicher Unzeit, da ein Mutterbesuch in Bielefeld anstand. Dort, in Mutters Stube, fiel mir eher zufällig ein, dass heute unser kleiner Hochzeitstag ist, als ich das Hochzeitsfoto auf der Anrichte sah. Kleiner Hochzeitstag, ich erklärte es vermutlich schon, weil wir heute vor sechs Jahren nach Öffnung der Ehe für alle nochmals „richtig“ heirateten, nachdem wir bereits siebzehn Jahre zuvor im Mai die Eingetragene Lebenspartnerschaft gefeiert hatten. Deshalb ist der große, oder richtige Hochzeitstag weiterhin im Mai. Kann sein, dass ich das nächstes Jahr wieder erkläre, bitte sehen Sie es mir nach.

Im General-Anzeiger wird jeden Samstag eine rheinische Redewendung vorgestellt und erklärt. Heute eine echte Delikatesse, die für Nichtrheinländer und Zugezogene wie mich unerläutert kaum zu verstehen ist: »Han, sähten se, däten se et net, ävver krieje, sähten se, künnt sin, datt se et dähte«, wörtlich übersetzt: »Haben, sagten sie, täten sie es nicht, aber kriegen, sagten sie, könnte sein, dass sie es täten«. Na, ahnen Sie, was es bedeuten könnte? Nicht? Hier die Auflösung: »Der Artikel ist laut Lieferant zurzeit vergriffen, kommt aber vielleicht bald wieder rein.« Herrlisch.

Aus einer Weinbeschreibung, ebenfalls im General-Anzeiger: »Dahinter zeichnen die Aromen ein feines Porträt mit schwarzer Kirsche, Hagebutte und Holunderbeeren, frisch gemahlenem schwarzem Pfeffer, getrockneten Malvenblüten und gespitzter Bleistiftmine.« Gespitzte Bleistiftmine. Die spinnen, die Weinexperten.

Sonntag: Jochen Schmidt in der FAS: »Ich bin immer neidisch, wenn irgendwelche Berufsgruppen streiken, weil es bei mir überhaupt niemand merken würde, es merkt ja schon niemand, wenn ich arbeite!« Ich verstehe genau, was er meint.

Immer wieder bleibe ich daran hängen, wenn jemand sagt oder schreibt, drei Maschinen Wäsche gewaschen zu haben. Dann stelle ich mir einen Waschkeller vor, in dem drei Waschmaschinen nebeneinander vor sich hin rotieren. Das ist äußerst sprachpingelig, ich weiß. Lassen Sie sich dadurch bitte nicht davon abhalten, weiterhin von drei Maschinen zu sprechen, auch wenn Sie nur eine haben. Es fällt mir dann halt auf, das soll nicht Ihre Sorge sein.

***

Kommen Sie gut und möglichst behaglich durch die Woche.

12 Gedanken zu “Woche 11/2024: Bedankt euch bei den Tauben

  1. Hans-Georg März 18, 2024 / 11:01

    Das Datum unseres kleinen Hochzeitstages ist mir nicht geläufig, ich weiss nur noch, dass es ein Tag im November war. Nach dem Datum unseres grossen Hochzeitstages könnte man mich im Schlaf befragen, ich wüsste sofort die richtige Antwort.
    Den diversen Aromen von Wein habe ich noch nie nachgeschmeckt. Für mich gilt: Der Wein schmeckt mir oder nicht, egal ob er nach angespitzte Bleistiftminen, Teer, Arsen oder Digitalis schmeckt.

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  2. flusskiesel März 18, 2024 / 13:32

    Mir fallen mehrere mögliche Gründe dafür ein, den Namen einer Stadt in den Namen einer Institution zu nehmen:

    1. Die Stadt freut sich und fühlt sich gesehen.
    2. Man kann sich die Institution besser merken, denn mit ,,Wuppertal“ verbinden die Menschen eher was Konkretes (und wenn es die Schwebebahn ist) als mit Institut für Klima, Umwelt, Energie. Ähnliches gilt auch für Abkommen und Verträge (,,Lisserbonner Vertrag“).

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  3. Christine März 19, 2024 / 08:45

    Wobei ich anmerken möchte, dass der Geruch von einem frisch gespitzten Bleistift für mich durchaus prägnant ist und mein olfaktorisches Gedächtnis bedient und viele Assoziationen freisetzt. Wohingegen getrocknete Malvenblüte mir so gar nichts sagt.

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    • Postwestfale März 19, 2024 / 09:34

      Die Rede war von Bleistiftmine. Das muss im Wein nun wirklich nicht sein.

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