Woche 2/2024: Ein entkrönter Zahn und gefrorene Überschwemmungsreste

Montag: Die Schulferien sind zu Ende, auf Straßen und Radwegen wieder ein Sausen und Brausen. Was ein wenig nervt, vor allem dort, wo man schlecht überholen kann, sind Mitradfahrer, zumeist jüngere, die vor mir in den Pedalen stehend trampeln, sich nach wenigen Tritten setzen und das Rad fast ausrollen lassen, sich dann wieder stellen und ein paar mal trampeln, sich setzen, ausrollen lassen, und so weiter. Warum tun die das? Haben die nicht verstanden, dass man auch im Sitzen radfahren kann, kontinuierlich kurbelnd mit in etwa gleichbleibender Geschwindigkeit? Nicht nachvollziehbar auch die nicht mehr ganz so junge Radfahrerin, die morgens ohne Licht und Helm komplett dunkel gekleidet auf dem schmalen Schutzstreifen der von Autos stark befahrenen Adenauerallee fuhr. Überhaupt habe ich in letzter Zeit den Eindruck, die Anzahl unbeleuchteter Fahrräder ist gestiegen. Denken die Leute nicht nach, oder ist es ihnen egal?

Vormittags hörte ich vom Büro aus hupende Bauernproteste über die B9 treckern. Ich habe mich zu wenig mit dem Thema befasst, um dazu eine fundierte Meinung zu haben. Deshalb ist es nur so ein Gefühl, dass ich die Aktionen für überzogen halte. Vielleicht stimmt mit meinem Gefühl was nicht.

Dienstag: Morgens auf dem Weg ins Werk war es sehr kalt, dafür optisch ansprechend.

Bitte beachten Sie die Mondsichel

Satz des Tages, gehört in einer der zahlreichen Besprechungen: „Es stehen zwei ziemliche Dickschiffe auf der Agenda.“

Wie sich im Übrigen gerüchteweise abzeichnet, könnten die kommenden Wochen im beruflichen Umfeld interessant werden.

Mittwoch: Die Tageszeitung berichtet kolumnenmäßig über eine Maus in Wales, die nachts in einer Garage kleine herumliegende Gegenstände in eine Schachtel räumt, wie Videoaufnahmen belegen. Der Artikel endet mit dem Satz »Es ist eigentlich ganz nett, eine Maus zu sehen, die ein Verhalten an den Tag legt, das keinem notwendigen Zweck dient.« Das kommt mir in ähnlicher Form bekannt vor.

Beim Mittagessen in der Kantine mit drei weiteren Kollegen löste sich eine Zahnkrone, oben rechts ganz hinten. Schon seit längerem empfiehlt mir mein Zahnarzt, den Zahn, der schon etwas locker ist, zu entfernen. Da er bislang beschwerdefrei seinen Kauzweck erfüllte, sah ich dazu bislang keine Notwendigkeit. Nun scheint die Zeit des Abschieds gekommen, werde mal einen Termin vereinbaren. Aber diese Woche nicht mehr, es hat keine große Eile.

Die Krone barg ich dezent aus dem Kauraum und verstaute sie zunächst in der kleinen Zusatztasche der Jeans oberhalb der rechten Hosentasche, irgendeinen Zweck muss die ja haben. Als Jugendlicher trug ich darin meine geliebte Taschenuhr, die ich zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, mit Kette an der Gürtelschnalle befestigt. Ich fand es recht schick, bei Zeitablesebedarf nicht wie alle anderen aufs Handgelenk zu schauen, sondern die Uhr an der Kette aus dem Täschchen zu ziehen. Als sie irreparabel für immer stehen blieb, kaufte ich mir eine neue. Erst mit vierundzwanzig kehrte ich zurück zur Armbanduhr, deren Bahnhofsuhrdesign mir so gut gefiel. Noch heute besitze ich eine Taschenuhr, habe sie lange nicht benutzt. Vielleicht funktioniert sie gar nicht mehr.

Donnerstag: Der Tag begann mit Schlummertastenterror. Ich benutze diese zweifelhafte Weckerfunktion nie, da sie meines Erachtens das Leiden der Lakenvertreibung nur unnötig verlängert. Nicht so der Geliebte: Vier- bis fünfmal forderte er nach dem Piepen Aufschub an, ehe er endlich aufstand. Bis dahin gähnte und wälzte er sich genüsslich neben mir. Das sind diese Momente, in denen mir temporäre Taubheit als wünschenswerte Option erscheint.

Nachdem die bisherigen Vorräte aufgepickt waren, nahm ich einen großen Beutel Vogelfutter mit ins Werk, um es vor dem Bürofenster zum allgemeinen Verzehr bereitzustellen. Das sah äußerst schmackhaft aus, optisch von Müsli kaum zu unterscheiden, sogar Rosinen entdeckte ich darin; fast war ich versucht, ein Schälchen für den Eigenbedarf abzuzweigen. Auch bei der Kundschaft fand es baldigen Anklang, neben den üblichen Elstern und Raben heute erstmals Halsbandsittiche.

Während einer längeren Besprechung am Nachmittag sah ich aus dem Fenster nicht nur den Vögeln zu, sondern am kaltklaren Himmel erheblichen Flugverkehr Kondensstreifen hinter sich her ziehend. Es verging kaum eine Minute, in der nicht ein neuer Strich gezogen wurde. So wird das nichts mit einskommafünf Grad, aber diese Hoffnung habe ich eh längst aufgegeben.

Freitag: Im Radio wurde morgens vor Eisglätte gewarnt. Als ich das Haus verließ, fiel leichter Niesel auf den eiskalten Boden, ohne zu gefrieren. Daher wagte ich mich auf das Fahrrad, was, wie sich zeigte, problemlos möglich war. Dennoch prüfte ich bei jedem Ampelhalt per Schuhsohle den möglichen Glättegrad und nahm Kurven vorsichtshalber langsam.

Glatt verlief die Prunksitzung unserer Karnevalsgesellschaft am Abend, somit kann der Programmpunkt für dieses Jahr auch abgehakt werden. Ob ich wieder singen werde, frage mich eine unbekannte Person. (Bis vor einigen Jahren bestätigte ich mich bei unseren Auftritten mit mäßigem Erfolg als Bühnensänger, dem wohl eine gewisse unfreiwillige Komik innewohnte, zumal wenn ein geborener Ostwestfale versucht, rheinisches Liedgut vorzutragen.) „Ein Glück“ sagte er auf meine Verneinung hin. Das hätte er sich nun wirklich sparen können. – Gefreut habe ich mich hingegen über die Verleihung des Godesberger Prinzenordens durch die amtierende Godesia, auch wenn ich nicht weiß, wodurch ich mich des Ordens würdig erwiesen habe. Die werden es schon wissen.

Geschafft – der Elferrat verlässt die Bühne. (Zwei sind schon fott.)

Samstag: Gestern saß der Liebste als Mitglied des Elferrats den ganzen Abend neben einem Virologen, heute ist er krank. Ein Zusammenhang ist weitgehend auszuschließen.

Sonntag: Ein trüber Tag, an dem es nicht richtig hell wurde. Nach dem Frühstück und Sonntagszeitungslektüre führte der Spaziergang an die andere Rheinseite, wo gefrorene Überschwemmungsreste aus der Vorwoche zu besichtigen sind.

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Auch wenn es nicht mehr ganz so kalt ist wie an den Vortagen, staune ich, wie viele Menschen die Außengastronomien nutzen, selbst ohne Wärmung durch umstrittene Heizpilze.

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Kommen Sie gut und ohne Rutschen durch die Woche.

4 Gedanken zu “Woche 2/2024: Ein entkrönter Zahn und gefrorene Überschwemmungsreste

  1. flusskiesel Januar 16, 2024 / 08:48

    Eine Taschenuhrphase hatte ich auch einmal. Zum Glück war sie nur kurz. Jetzt bewahre ich in der Uhrentasche immer den Einkaufswageneuro oder die Ladeschachtel für die Airpods auf.

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      • flusskiesel Januar 16, 2024 / 20:31

        Bei mir hat es eher affektiert gewirkt. Eine Taschenuhr passt nicht zu mir.

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