Woche 32/2023: Im Weinberg des Herrn

Montag: Die Sommerferien sind vorüber, angesichts des derzeitigen Wetters könnte man auch annehmen, es wären Herbstferien gewesen. Daran gemessen hielt sich die Anzahl der Menschen auf den Straßen und in den Büros sowie die der eingehenden Mails und Anrufe in erfreulichen Grenzen; die Zurückgekehrten waren wohl noch mit ihrem eigenen Maileingang beschäftigt, bevor sie wieder beginnen, andere zu belästigen. Als Schüler mochte ich den ersten Schultag nach den Sommerferien: Man sah sich nach sechs Wochen wieder, manche lieber, andere weniger gerne. Der Schultag war nicht allzu lang, statt Unterricht wurde Organisatorisches bekanntgegeben. Erst ab dem nächsten Tag wurde es wieder beschwerlich.

„Ich kann das mal screenshoten“, sagte eine in der Besprechung. Was so aus Sprachfaulheit geplappert wird.

»Diese Baby-Tiere werden ihren Tag um einiges verbessern« steht in einer Werbeanzeige auf der Wetter-Internetseite, die in letzter Zeit meine erhöhte Aufmerksamkeit erfährt. Aufgrund des kleingeschriebenen Pronomens ist nicht ganz klar ist, wessen Tag sie verbessern werden. Während die meisten Betrachter wohl in erhöhter Tonlage juchzen, weil sie das abgebildete Eselchen niedlich finden, denke ich als erstes an eine Tagesoptimierung durch Lammkoteletts und Wiener Schnitzel und schäme mich ein wenig dafür.

Dienstag: Wenn ich von einer begehbaren Dusche höre oder lese, frage ich mich jedes Mal: Was denn sonst? Befahrbar, oder nur liegend oder sitzend zu benutzen? Dasselbe gilt sinngemäß für akustische Gitarren, optische Anzeigen und Funktionsjacken.

Jedes Mal, wenn ich jetzt noch wen mit Schutzmaske sehe, etwa in der Kantine oder der Bahn, erwische ich mich bei dem Gedanken: Die stellt sich aber an. (Männer sind selbstverständlich mitgemeint.) Ich kann es nicht ändern.

Mittwoch: Wir haben das jetzt auch mal ausprobiert mit dem Entsorgen überzähliger Haushaltsausstattung per Zu-Verschenken-Zettel vor dem Haus. Nachdem der Geliebte zentnerweise neues Geschirr gekauft hat, nutzten wir die Gelegenheit, da die Erdgeschossnachbarn im Urlaub sind, das nicht mehr benötigte Porzellan auf den Treppenabsatz vor derer Wohnungstür zu stellen, darüber der Zettel. Am vergangenen Sonntag begannen wir mit mehreren Stapeln Teller, Schalen, dazu einige Tassen und Gläser, bereits am Abend war das meiste davon entnommen. Wir legten nach: weitere Tassen und Gläser. Spätestens im Laufe des Montags fanden sie neue Besitzer. Sogar elektrische Zahnbürsten, gestern Abend ausgelegt, waren heute Nachmittag verschwunden; zudem bedankte sich ein Abholer schriftlich auf dem Zettel für die Gläser, sie seien perfekt für die Restauranteröffnung am Wochenende. Das freut uns sehr.

Das Laufen am Abend war anstrengend, vielleicht, weil es wieder wärmer, oder, wie man es früher ausdrückte: das Wetter schöner geworden ist. Immerhin hielt ich die Laufstrecke durch ohne zwischendurch gehen zu müssen, dafür ruhig mal etwas Eigenlob.

Hinter dem Haus schimpft seit Tagen eine Amsel. Wir wissen nicht, worüber, vielleicht die Katze der Nachbarn. Vielleicht ist sie auch mit der Gesamtsituation unzufrieden, wer weiß schon, was in so einer Amsel vor sich geht.

Natur

Donnerstag: „Der Zug ist aus dem Bahnhof“, sagte einer in der Besprechung und verschaffte mir damit einen mehrstündigen Ohrwurm: „Der Zug, der Zug, der Zug ist aus dem Bahnhof …“

In einem Zeitungsbericht beklagen Bonner Unternehmer die Bemühungen der Stadt, die Vorherrschaft des Kraftfahrzeugs gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern zu beenden. »Wir dürfen nicht vergessen, das Auto ist ein wesentlicher Faktor unseres Wohlstands«, so einer der Beklagenden. Damit ist ein wesentliches Problem der letzten Jahrzehnte gut auf den Punkt gebracht.

Ich solle mein Leben in einem alternativen Universum beschreiben, so der Tagesvorschlag des Blogvermieters. Da ich schon lange immer wieder den Eindruck habe, in einem Paralleluniversum zu leben, ist das meiste dazu längst geschrieben.

Freitag: Morgenplausch am Werkstor: „Morgen!“ – „Morgen, wie gehts Ihnen?“ – „Danke gut, Ihnen auch?“ – „Ach ja …Wir alle kämpfen doch im Weinberg des Herrn.“

Das stimmt – Der letzte Arbeitstag vor einer Woche Urlaub zeigte sich relativ ungemütlich: Nach dem Mittag noch zwei Besprechungen, zudem diverse dringliche Anliegen und ein Auftrag des Chefs für den Chefchef, noch heute eob zu erledigen. Auch das gelang, zu einer akzeptablen Uhrzeit hatte ich die Trauben gelesen.

Ungemütlich war es bei Rückkehr auch zu Hause: Nach Wochen mit Regen in herbstlicher Kühle ist plötzlich und unerwartet der Sommer wieder zurück mit Sonne, Hitze und Kurze-Hosen-Alarm. Das schlug sich negativ auf die häusliche Stimmung aus, was mich am frühen Abend veranlasste, eine Außengastronomie aufzusuchen, wo dieser Eintrag zu Display gebracht wurde. Nebenbei vereitelte ich einen Suizid.

Dusselwespe

Auf einem Standbildschirm in Sichtweite wirbt mit der Überschrift „Stadtgestöhne“ ein Anbieter von Mastubatoren und Penispumpen für seine Produktpalette. Warum auch nicht, ein jeder kämpft in seinem Weinberg.

Samstag: Ich fühlte mich angeschlagen, schlapp, müde, als hätte ich am Vorabend im Übermaß dem Alkoholgenuss gefrönt. Zwar gab es am Vorabend das eine oder andere Glas, jedoch nicht in dem Maße, das als Begründung für mein angeschlagenes Wohlbefinden dienen könnte. Krankheit ist keine akzeptable Option, morgen brechen der Liebste und ich auf zu einer einwöchigen Schiffsreise auf dem Rhein. Daher schiebe ich es auf das Wetter, das heute feucht-schwül daherkommt.

Mittags verband ich eine Besorgung mit einem längeren Spaziergang auf die andere Rheinseite nach Beuel. Danach ging es mir immer noch nicht richtig gut, aber etwas besser.

Aus dem Bonner General-Anzeiger von heute:

Artikelüberschrift I: »Selbstfahrende Taxis erobern San Francisco«

Artikelüberschrift II: »Elektrisierendes Sprengpotenzial«

Aus einem Artikel über ein Punkertreffen in der Bonner Innenstadt: »Für das Wochenende hat er nach alter Punkerart eine Alkoholmischung namens Molotow Soda zusammengekippt, die traditionell in einem Fünf-Liter-Benzinkanister serviert wird. Der ursprüngliche Mix besteht aus Blue Curacao, Rum, Eierlikör und wird mit Bitter Lemon abgeschmeckt. Diesmal gibt es die vegane Version – ohne Eierlikör.«

Sonntag: „Keine Termine und leicht einen sitzen ist das wahre Glück“, zitierte eine junge Dame der Schiffs-Crew die Worte ihres Vaters und beschreibt damit meinen Zustand zum Zeitpunkt der Niederschrift zutreffend. Am Nachmittag legten wir in Köln-Deutz ab, seitdem verbringe ich die Zeit kuckend, essend, trinkend und wieder kuckend. Es ist nicht beabsichtigt, daran in den kommenden sieben Tagen Wesentliches zu ändern.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

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