Woche 26/2023: Vorübergehende Beintätowierungen, Bock auf Arbeit und Puderzucker in Stadtbahnen

Montag: Die ab heute in Aussicht gestellte Abkühlung fiel zunächst verhalten aus; trotz morgens geöffneter Fenster und vollem Ventilatoreinsatz sank die Temperatur im Büro nicht unter fünfundzwanzig Grad, nachmittags stieg sie an auf siebendundzwanzig, was soll man machen.

Vormittags erschien ein Mitarbeiter der Fachfirma für Jalousienangelegenheiten, begutachtete den weiterhin defekten Sonnenschutz, schaute hier, fotografierte dort und kam schließlich zum selben Schluss wie bereits vergangene Woche der Mann von der Haustechnik: Vermutlich ist der Motor hin. Er gibt das weiter, man wird sich melden. Was soll man machen.

Der Duden stellt auf Twitter das mir bislang unbekannte Wort „abulisch“ vor, das mit „willenlos“ zu synonymisieren ist. (WordPress kennt es auch nicht, es macht beim Schreiben rote Strichelchen darunter.) Erhebliche Willenlosigkeit, die Tätigkeiten wieder aufzunehmen, überkam mich nach der Mittagspause und Sichtung des Pressespiegels. Stattdessen sehnte ich mich in den Garten unseres Ferienhauses in Malaucène, wo ich vorletzte Woche saß (so lange ist das schon wieder her), oder wenigstens ans Rheinufer vor Oberkassel. Zur Steigerung der Eigenstimmung buchte ich für übernächste Woche einen Inseltag und beendete den Arbeitstag nicht allzu spät.

Dienstag: Heute ist Siebenschläfer-Tag. Ich hatte am frühen Nachmittag indessen Mühe, nicht zum Einschläfer zu werden.

Auf dem Rückweg hielt ich Einkehr in einer Außengastronomie am Rheinufer. Während des Verzehrs eines Weizenbieres (für Leserinnen in Bayern: Weißbier) betrachtete ich vorübergehende Beintätowierungen, eine hässlicher als die andere.

Der General-Anzeiger über Obdachlosigkeit in Großbritannien: »Schätzungen zufolge sind mehr als 300.000 Haushalte ohne festes Obdach.« Ein bemerkenswerter Satz.

Mittwoch: Vormittags besuchte mich ein Kollege auf einen kurzen Plausch im Büro. Dabei sprachen wir unter anderem über die zunehmend auftretende Daumen-hoch-Geste insbesondere auf Fotos der internen Unternehmenskommunikation und wir waren uns darin einig, dass das ziemlich albern ist. Auch bestand Einigkeit darüber, dass man nicht für seine Arbeit brennen muss, um sie gut zu machen, oder, wie ich es gerne ausdrücke: Mit der Firma verbindet mich ein Arbeitsverhältnis, keine Liebesbeziehung.

Den Satz des Tages hörte und notierte ich während einer Präsentation: „‚Morgen‘ heißt nicht morgen, sondern literarisch ‚morgen‘, also in den nächsten Tagen.“ Hiermit sei er Ihnen literarisch zur Kenntnis gegeben.

Da es nicht so heiß war, gab es kein Argument, abends nicht zu laufen; stattdessen in Form eines in den letzten Wochen angewachsenen Urlaubsrosébäuchleins einen guten Grund dafür. Und also lief ich, es lief sich ganz gut.

Wagner heißt jetzt übrigens Dr. Oetker.

Donnerstag: Die SPD fordert die Siesta für Arbeitnehmer. Meine Stimme bekäme sie dafür. Wahrscheinlich ist die FDP mal wieder dagegen, wegen mehr Bock auf Arbeit und so.

Während eines mäßig interessanten Vortrags galt meine Aufmerksamkeit der Erfassung, wie häufig der Vortragende „quasi“ sagte. Ergebnis: im Schnitt 1,9 mal je Minute beziehungsweise alle 32 Sekunden.

Auch gehört und notiert: „Das war ziemlich mit der Hand am Arm.“ Wo denn sonst?

»Ich will mit meinem Haus ökologisch unterwegs sein«, wird jemand in der Zeitung zitiert. Anscheinend wohnt er in einem Wohnmobil.

Demnächst in der Fußgängerzone: ein Geschäft fürs Geschäft. Das hat gerade noch gefehlt.

Freitag: Morgens regnete es, deshalb nahm ich die Stadtbahn, um ins Werk zu gelangen. Da sie gerade herbeirollte, als ich mich der Haltestelle näherte, musste ich unter Missachtung roten Fußgängerlichtes laufen, was sich im Nachhinein als unnötig erwies, da sich die Weiterfahrt wegen einer Türstörung um ein paar Minuten verzögerte. Kann man nicht ahnen, Bewegung tut gut. Die Bahn war dank Sommerferien erfreulich unvoll. Auf dem anschließenden Fußweg sah ich zwei Relikte aus vergangenen, hoffentlich bis auf weiteres überwundenen Zeiten.

Erfreulich unbevölkert war auch wieder das Bürogebäude, da, auch das ein Relikt aus vorgenannten Zeiten, die meisten zu Hause arbeiteten. Das darf gerne noch lange so bleiben.

Während der Rückfahrt saß ich mit zwei Jungs in einer Vierergruppe, deren einer nacheinander Gegenstände aus dem Rucksack zog und dem anderen zeigte: ein Paar Badeschuhe, eine Badehose, ein Bund neuer Sportsocken und schließlich eine Dose Puderzucker. Letztere öffnete er und schüttete sich eine Portion in den Mund, danach streute er sich eine weitere Portion auf die Handfläche und führte sie sich zu Munde. Ehe schlimmeres passierte – gewiss kann man mit Puderzucker in Stadtbahnen, nicht nur dort, einigen Unsinn anrichten – verließ ich die Bahn und zog es vor, zu Fuß weiter zu gehen.

Kurt Kister von der Süddeutschen Zeitung geht in Rente, wie er per Kolumne verkündet. Ob damit auch der Deutsche Alltag in den Ruhestand verabschiedet wird oder nur in eine längere Sommerpause, bleibt ungewiss. Es wäre ein Verlust, nicht nur wegen solcher Sätze:

»Wenn etwas, was man gerne hat (oder gerne macht), zu einem Objekt wird, das dem Gelderwerb, dem Ausleben organisatorischer Triebe oder gar dem Vermögenserhalt dient, verliert es seinen besonderen Charakter. […] Wie sich das dann in der später eintretenden Realität, die heute noch die Zukunft ist, widerspiegeln wird, weiß man erst, wenn die Zukunft die Gegenwart ist. Ob die Gegenwart überhaupt eine Zukunft haben soll, wird gerade in einer Projektgruppe der Chefredaktion diskutiert.«

Zum ganzen Text hier entlang.

Hoffen wir, dass er uns erhalten bleibt.

Samstag: Heute ist der erste Juli, somit beginnt das zweite Halbjahr, wieder einmal scheinbar etwas früher als in den Jahren zuvor. Ein Gefühl, das mich ratlos macht.

Ebenfalls ratlos macht mich diese Artikelüberschrift in der Tageszeitung: »Das kann Hundefutter mit Insekten«. Vielleicht fliegen?

Was anderes: Hieß es nicht bereits vor längerer Zeit, Plastikdeckel für Papp-Kaffeebecher würden verboten, oder habe ich das geträumt?

Sonntag: Statistisch hat jeder dreizehn Geheimnisse, von denen er fünf mit ins Grab nimmt, hörte ich während der Morgenrasur im Radio. Auch bei intensivstem Nachdenken fallen mir maximal zwei ein, die derart unbedeutend sind, dass ich sie bis zur Grablegung voraussichtlich vergessen haben werde. Ansonsten sind Sie als treue Leser dieses Blogs ohnehin bestens im Bilde über mich.

Der Spaziergang führte mich rüber ans andere Ufer, wo eine Kombination aus Flohmarkt und Oldtimer-Ausstellung stattfand. Einige der ausgestellten Autos machten mir ein weiteres Mal deutlich, dass auch ich längst ein H-Kennzeichen hätte, wenn für Menschen Nummernschildpflicht bestünde.

„For real?“ sagte eine mir entgegenkommende junge Frau ins Telefon, ein anderer „Oder bist du noch nicht ready?“. In einem Blog las ich das mir fremde Wort „catcallen“. Fast alle sprechen heute gut Englisch. Ich habe da mangels Anwendungsbedarfs irgendwann nach der Schulzeit den Anschluss verpasst und bin leider zu bequem, daran etwas zu ändern.

Spaziergangsbild, rechtsrheinisch

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

5 Gedanken zu “Woche 26/2023: Vorübergehende Beintätowierungen, Bock auf Arbeit und Puderzucker in Stadtbahnen

  1. Christine Juli 3, 2023 / 07:42

    Die Sache mit den Geheimnissen finde ich wenig greifbar: Ich habe meiner Mutter gegenüber Geheimnisse, die aber meine Freundin wissen darf. Meinen Chef gegenüber habe ich Geheimnisse, die ich meinem Mann erzähle. Ist das dann noch ein Geheimnis?
    ~
    An den Autos mit H-Kennzeichen merke ich deutlich, wie alt ich geworden bin. Da fahren Wagen mit H-Kennzeichen herum, da erinnere ich mich noch gut daran, dass sie der neuste heiße Scheiß waren.

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  2. Kraulquappe Juli 3, 2023 / 16:18

    Lieber C.,
    bei der letztwöchigen Kister-Lektüre bin ich ähnlich zusammengezuckt wie Sie: freudig wegen der von Ihnen zitierten Passage, besorgt wegen des erwähnten Ruhestandes. Speziell in diesem für mich eh schon von unangenehm vielen Abschieden gepflasterten Jahres, würde ich das schlecht verkraften. Ich werde Herrn Kister diesbezüglich schreiben, vielleicht noch diese Woche zu seinem Geburtstag.
    Kommen Sie gut durch die weitere Woche,
    herzlich,
    Ihre N.

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