Regenbogen in Gefahr?

Es ist bestimmt schon zehn Jahre her, als ich im Urlaub in Südfrankreich nachts aufwachte und nicht sofort wieder einschlief; im Urlaub kommt das öfter vor als im normalen Alltag. Dann beginnen die Gedanken zu spinnen, was alles passieren könnte: Krankheit, Krieg, Autounfall, Streit, ein neues Album von Max Giesinger, solche Sachen; als zum Katastrophisieren neigender Mensch sind die Möglichkeiten nahezu unbegrenzt.

In jener Nacht überlegte ich, was wäre, wenn sich in Deutschland die politischen Verhältnisse zu unseren Ungunsten wandelten, vielleicht durch eine Koalition aus einer rechten Partei – die AfD gab es noch nicht oder sie war noch nicht so stark -, der CSU und der Katholischen Kirche. Wenn die Rechten die Rechte der Schwulen und Lesben wieder stark einschränkten, zurück zum Paragrafen 175, Eliminierung der eingetragenen Lebenspartnerschaft, an Ehe gar nicht zu denken (die „Ehe für alle“ kam erst später), Kriminalisierung, Verfolgung. Alles schon da gewesen, auch noch lange nach 1945.

Was würde das für mich konkret bedeuten? Würde unsere Partnerschaft amtlich annulliert? Müsste ich als Familienstand wieder „ledig“ angeben, oder würde man was Neues einführen, vielleicht „annulliert“ oder „gesäubert“? Würde ich als Bundesbeamter entlassen, ohne Pensionsansprüche selbstverständlich? Würde man uns trennen, verhaften, internieren, schlagen, töten? – Aber nein, dachte ich, wir haben das Jahr 201x, das wird schon nicht passieren, das würden sich die Leute nicht gefallen lassen. Dann schlief ich neben dem Liebsten wieder ein.

Vergangene Woche überklebte in der Bonner Innenstadt eine Gruppierung, die sich „Revolte Rheinland“ nennt, einen regenbogenfarbenen Zebrastreifen-Überweg in Schwarz-Rot-Gold, dazu stellten sie stolz Bilder ins Netz, wofür sie vermutlich einiges an Zuspruch erfuhren. Nun kann man Zebrastreifen in Regenbogenfarben, ebenso Regenbogenflaggen vor Bahnhöfen und Firmengebäuden für hohles Symbolgewese halten, jedenfalls hat die „Revolte“ mit ihrer Aktion ein deutliches Zeichen in die andere Richtung gesetzt.

Bernkastel-Kues, vor drei Jahren

Wie kürzlich bekanntgegeben wurde, käme die AfD im Falle einer Bundestagswahl auf mehr Stimmen als die SPD, vor allem in den östlichen Bundesländern; nicht nur auf der Landkarte ist Osten rechts. Im Landkreis Sonneberg, Thüringen, wurde nun ein AfD-Mann zum Landrat gewählt. Bislang ist die AfD, jedenfalls in meiner Wahrnehmung, nicht durch offene Ablehnung homopoler Lebensweisen in Erscheinung getreten, was zurzeit auch schwierig wäre, weil ihre Fraktionsvorsitzende bekanntlich mit einer Frau zusammenlebt. Das kann sich schnell ändern – wie schnell, haben wir mehrfach gesehen, man denke an Lucke, Petry und Meuthen. Spätestens, wenn sie wirklich an die Macht käme und Sündenböcke sucht, weil ihre einfachen Antworten auf komplexe Sachverhalte nicht ein einziges Problem lösen, könnte es für uns ungemütlich werden. Auch das gab es alles schon, vor rund achtzig Jahren.

Noch schlafe ich meistens ziemlich gut. Wer weiß, wie lange noch.

4 Gedanken zu “Regenbogen in Gefahr?

  1. mb3@gmx.de Juli 2, 2023 / 09:25

    Die Frau Weidel weiß schon, warum sie mit ihrer Frau in der Schweiz wohnt … ob ihr wohl der Name Ernst Röhm bekannt ist?

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  2. Christine Juli 3, 2023 / 09:57

    In vielen Fällen denke ich: „Wir waren doch schon mal viel viel weiter!“

    Viele Errungenschaften (–> Abtreibungsrecht, Asylrecht, Prostitution…) drohen immer mehr eingeschränkt zu werden.

    Sicher ist, dass es meine Tochter im Leben nicht so gut haben wird, wie ich. Und das liegt nicht an mir.

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  3. Kay Juli 15, 2023 / 10:45

    Als schwulem Mann fällt es mir schwer, auf noch kleineren Minderheiten herumzuhacken. Aber dass vor allem die gegenwärtige ‚Trans‘- und ‚Gender‘-Politik und die Berichterstattung von einer großen Zahl Menschen als Indoktrination und Bevormundung gesehen wird, kann ich verstehen.

    Das liegt gar nicht an den Inhalten, sondern an der Art und Weise, wie ablehnende oder auch nur abweichende Meinungen dazu als schwerste Verletzungen von Persönlichkeitsrechten eingeordnet werden. Gemeint sind hierbei nicht die justiziablen Verletzungen, die verfolgt werden können und müssen.

    Man kann wahrnehmen, dass Kritik an allen propagierten Ideen und getrofffenen Enscheidungen der regierenden Parteien und der Darstellung in der Mehrheit der seriösen Medien, selbst innnerhalb von CDU/CSU und FDP, sehr schnell in den rechten oder rechtsextremen Kontext gestellt wird.

    Aber ich möchte das Themenfeld erweitern. Man wirft der CDU vor, als Oppositionspartei den Gegner in den Grünen zu sehen und nicht in der AfD. Wenn nun also Menschen mit der Regierungspolitik nicht einverstanden sind, und die CDU augenscheinlich dem Druck nachgibt, und des weiteren bestimmte Tabus der Kritik akzeptiert, dann ist es doch leicht nachzuvollziehen, dass diese Menschen eine Partei wählen wollen, die sich quasi als die einzige wirkliche Opposition überhaupt definieren kann, die AfD.

    Ich glaube, viele die nun AfD wählen würden, sind es leid, selbst bei großen ökonomischen Benachteiligungen immer wieder vorgehalten zu bekommen, dass sie ja privilegiert seien im Verhältnis zu immer zahlreicheren anderen Gruppierungen, denen eine lange Liste von ‚Marginalisierungs‘- und Opferattributen zugesprochen werden – im Sinne von ‚Wie kannst du es wagen, die Verarmung und Gerontisierung des deutschen Ostens zu beklagen, wenn ein Migrantenboot im Mittelmeer kentert?‘

    Für mich ist die AfD eine verabscheuenswürdige Gruppierung, die nicht in der Lage sein wird, irgendein Problem zu lösen.

    Ich hätte gern eine ernsthafte und nicht konformistische Opposition. Ich würde gern eine linke Partei wählen können, die sich vor allem mit den Problemen von ärmeren Menschen beschäftigt, und nicht den ‚Luxusproblemen‘ von privilegierten Menschen, zu denen ich mich auch zählen kann, trotz Schwulsein.

    Auch vor dem Hauptgebäude meiner Firma weht seit langem immer mal wieder eine bunte Fahne. Ich halte das für gut und richtig, aber ich glaube, dass das 95% der Menschen relativ egal ist. Sie sollen es nicht hassen, aber ich möchte auch nicht, dass man sie immer und immer wieder dazu anhält, sich dafür zu begeistern und es für eines der wichtigsten Themen dieser Zeit zu halten.

    Vielen Dank für das Blog! Ich finde hier viel Vergnügliches und Gedanken Anregendes.

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    • stancerbn Juli 15, 2023 / 10:57

      Herzlichen Dank für den ausführlichen Kommentar, dem ich in allen Punkten zustimme.

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