Woche 40: Nunmehr

Montag: „In einer idealen Welt ist es so, dass sich jeder eine Checkliste macht.“ – „Wie kriegen wir einen Anpack da dran?“ Gerade in Besprechungen werden Wahrheiten schonungslos ausgesprochen und die richtigen Fragen gestellt.

Den letzten Haken in seiner Lebens-Checkliste hat heute der großartige Charles Aznavour gesetzt. Ich verneige mich vor seiner Kunst.

(Tipp: So laut wie möglich aufdrehen und genießen.)

Apropos désormais*: Heute ist der Abend, an dem die Große Koalition „zur Sacharbeit zurückkehrt“, so die Nachrichten. Wünschen wir ihr einen griffigen Anpack.

Dienstag: Am Morgen erhalten Bürger im Radio Gelegenheit, den Namen ihres Autos einer interessieren Öffentlichkeit kund zu tun. Manchmal frage ich mich, ob den Leuten bei WDR 2 nichts Sinnvolles mehr einfällt, was die Zahlung der Rundfunkgebühr rechtfertigt. Eine Frau lässt uns wissen, ihr kleiner hellblauer Wagen heiße Olav, „mit v“, wie sie betont. Aaha. Wie mögen die Poseräffchen wohl ihre Lärmkarren nennen? Herkules? Thor? Martha? Vielleicht aber auch Mechthild, wer weiß schon, was in deren Äffchenhirnen vorgeht.

Mittwoch: „Wenn wir uns begegnen, dann leuchten wir auf wie Kometen“ – Auch wenn Max Giesinger heute dreißig wird, wozu ihm herzlich gratuliert sei, so hätte dennoch der vorstehende Vers auf meiner ungeschriebenen Liste der dümmsten Liedzeilen einen unauslöschlichen Platz im oberen Drittel.

Zu gratulieren ist anscheinend auch Ronaldo, der laut Zeitungsbericht ein „fünfmaliger Weltfußballer“ ist, was auch immer das bedeutet.

Donnerstag: „Viele Großunternehmen unterhalten beispielsweise eigene Hauszeitschriften oder sogar Fernsehkanäle, die angeblich den Zweck haben, die Mitarbeitenden über interessante Nachrichten und Entwicklungen auf dem neuesten Stand zu halten; in Wirklichkeit existieren sie aber in den meisten Fällen aus keinem anderen Grund als dazu, dass die Manager das warme, angenehme Gefühl genießen können, das sich einstellt, wenn man eine freundliche Geschichte über sich selbst in den Medien liest, oder vielleicht wollen sie auch wissen, wie es sich anfühlt, wenn man von Menschen interviewt wird, die wie Reporter aussehen und handeln, aber niemals unbequeme Fragen stellen.“ (Aus: David Graeber, BULL SHIT JOBS) – Ja, das kommt mir sehr bekannt vor.

Der Liebste redet seit Stunden auf unsere Stuben-Siri ein, die sich mit immer derselben, freundlich vorgebrachten Antwort („Oh, ich habe Schwierigkeiten, das zu spielen …“) beharrlich weigert, die gewünschte Musik zu spielen. In solchen Momenten frage ich mich, ob das mit dieser Digitalisierung wirklich so eine gute Idee war.

„So ein Beruf stört einfach bei allem, beim Denken, bei der Freizeitgestaltung und bei der Terminplanung“, lese ich am Abend hier. Da ist was dran.

Freitag: Am Morgen wurde ich beim Verlassen des Aufzugs in der Annahme bestätigt, nur in dunklen Anzug gehüllte und mit Krawatte geschmückte männliche Personen von Bedeutung beziehungsweise sich für von Bedeutung haltend verwenden den inhaltlich seltsamen Abschiedsgruß „Auf Wiederschauen“.

Samstag: Weil es so schön ist, noch eine Woche Provence. Die französische Radiowerbung ist schon Teil des Urlaubsgefühls, obwohl sie dort noch hektischer plappern als bei uns. Ihr Vorteil ist, ich verstehe fast nichts davon.

Bei Ostermann hingegen würde ich schon deshalb keine Möbel kaufen, weil ich fürchte, dass dort alle so aufgeregt herumschreien wie der Reklamesprecher im Radio. Auch würde ich nicht zu Netto gehen, nur weil mich ein ungezogenes Kind brüllend dazu auffordert.

Sonntag: In der Nacht fiel schlaffördernd Regen auf unser Haus. Also natürlich nicht nur auf unseres, sondern auf Stadt, Land, Fluss, wenn es hier einen gäbe. Am Morgen sah es dann so aus:

Perfekt, um den Tag in wundervoller Untätigkeit zu verbringen.


* von nun an, nunmehr

Woche 39: Schau nicht im Ärger zurück

Montag: „Ich bin heute nur sehr eingeschränkt erreichbar“, lese ich in einer Abwesenheitsnachricht. Das gilt auch für mich – besser ist meine montägliche Befindlichkeit nicht auf den Punkt zu bringen.

Herbstbedingt verließ ich am Morgen, zum ersten Mal seit Monaten, das Haus in eine Jacke gehüllt. Auf dem Heimweg kam mir, von kalten Winden umtost, ein Herr mit Sonnenbrille und in kurzer Hose entgegen. Einer von uns beiden schien irgendetwas nicht mitbekommen zu haben.

Dienstag: „Ich kann nicht er­ken­nen, was wir jetzt an­ders ma­chen sol­len“, sprach Angela Merkel nach der letzten Bundestagswahl. Nun jedoch, nach gleichsam erzwungener Rücknahme der Strafbeförderung von Verfassungsschutzpräsident Maaßen, hörte man von der Bundeskanzlerin erstmals so etwas wie Selbstkritik und ein Eingeständnis von Fehlern, was derart bemerkenswert erscheint, dass die Medien es auf die Titelseiten setzen. Was bemerkenswerter Weise kaum Erwähnung findet: Diese Lösung, für die sie sich in Berlin nun gegenseitig auf die Schulter klopfen, kommt den Steuerzahler viel teurer als die ursprünglich gedachte, wurde doch zur allgemeinen und insbesondere Seehoferschen Gesichtswahrung extra ein neuer Posten geschaffen. Wie dem auch sei – schon in wenigen Monaten wird sich kaum noch jemand an diese zweifelhafte Komödie erinnern.

Zurück von der großen Politik in heimische Gefilde. Seit Sonntag weilt der Liebste auf Geschäftsreise in Amerika. Neben dem Vermissen, das sich sofort nach Verlassen des Hauses einstellte, ergreifen mich nun, wie immer, wenn ich mich allein wähne, Selbstgespräche, die an Unsinnigkeit das, was Sie hier üblicherweise zu lesen bekommen, weit in den Schatten stellen.

Mittwoch: Wem die Natur wohlgeformte Fesseln schenkte, der sollte diese – auch und gerade als Mann – nicht aus falsch verstandener Scham oder wegen scheinbar ungeeigneter Witterung verhüllen.

Donnerstag: „Was Frisöre können, das können nur Frisöre“, so lautete mal ein Werbespruch der schneidenden Zunft. Vielleicht waren es auch nicht Frisöre, sondern eine andere Berufsgruppe, die mir eine Freude macht, wie es früher bei „Was bin ich?“ hieß, etwa Metzger, Dachdecker, Pornodarsteller oder Tortenheber, so genau erinnere ich mich nicht. Was ich aber weiß: Was die beste Band aller Zeiten kann, das kann nur Oasis. Oder konnte, leider. Heute Morgen schaffte sie es, mich direkt nach dem Aufstehen vor dem Badezimmerspiegel zum Singen zu bringen. Wer wollte da im Ärger zurückschauen? Die Araber nennen die durch Musik verursachte Ekstase oder Verzauberung übrigens „Tarab“. Ob sie auch ein Wort für Tortenheber haben, entzieht sich meiner Kenntnis.

Freitag: „Wir sind verpflichtet, unsere Beziehungen auf Basis beiderseitiger Interessen und fern von irrationalen Befürchtungen vernunftorientiert fortzuführen“, sagt Erdogan anlässlich seines Deutschlandbesuchs. Das klang kürzlich noch ganz anders, als er uns wenig vernunftorientiert der Nazimethoden bezichtigte. Ach Schwamm drüber, nur der Kleingeist ist nachtragend.

Apropos anders: Thomas Anders, ehedem eine Hälfte von Modern Talking, Sie wissen schon, der mit der NORA-Kette, lässt uns per Zeitungsinterview wissen, er besitze eine eigene Sonnenbank. Zunächst las ich „Samenbank“, was Fragen aufwarf: Wozu benötigt ein ehemaliger Modern-Talker eine eigene Samenbank? Befüllt er die selbst? Und welche Rückschlüsse auf meinen Charakter lässt dieser Verleser zu? „Hin und wieder wärme ich mich da im Winter auf, wenn ich frierend nach Hause komme“, so Anders. Was in einer Samenbank zweifellos weniger behaglich wäre.

Samstag: Ein lesenswerter Aufsatz über Moral und Lust: https://amandalears.wordpress.com/2018/09/27/der-tag-an-dem-ich-meine-moral-verlor/

Das Wort zum Sonntag:

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Pessimismus ist nach meiner Erfahrung angebracht, wenn um einen Film, eine Serie oder ein sonstiges Medienereignis viel Geschrei gemacht wird. Diese Annahme sah ich bestätigt, als wir am Abend die mit reichlich Vorschuss-Buhei geschmückte Serie „Babylon Berlin“ im Fernsehen anschauten. Was für ein Unfug.