Über Musik, Hirnradio und Klangschalen

Dies ist mein erster Beitrag als stolzer, frisch zugelassener Autor des Mitmachblogs. Der Text ist schon etwas älter, für meinen Einstand habe ich ihn behutsam aufgefrischt.

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Ich entstamme eine musik-affinen Familie: Meine Mutter sang im Kirchenchor und in der Küche, mein Vater hörte gerne Oberkrainer und Egerländer Volksmusik, und mein Bruder spielte Trompete. So lag es nahe, dass auch ich von einer musikalischen Ader durchzogen werde. Meine früheste musikalische Erinnerung ist die Büsumer Wattenkapelle, die bei Ebbe mit Dschingderassabumm und einer Schar Touristen durch das Watt marschierte; ich war fasziniert, besonders von der großen Trommel, die genau einen Takt kannte, unabhängig vom gespielten Stück: bumm – bumm – bummbummbumm; bumm-bumm- … und so weiter.

Folglich wurde ich im zarten Grundschulalter genötigt, ein Musikinstrument zu erlernen, den Klassiker, Blockflöte; nichts, womit ich Eindruck machen oder größeren musikalischen Genuss erzeugen konnte, aber immerhin eine Grundlage. Später spielte ich ebenfalls Trompete und folgte meinem Bruder in den örtlichen Posaunenchor. Viel lieber hätte ich Kirchenorgel oder Schlagzeug gelernt, was jedoch aus Platz- (Orgel) und Nervengründen (Schlagzeug) nicht auf familiäre Gegenliebe stieß. Übrigens verwendet die französische Sängerin Zaz in ihren Konzerten sogar die in Esoterikerkreisen beliebten Klangschalen als Musikinstrument. Ein Laubbläser wäre vielleicht auch eine orchestrale Bereicherung.

Wenn man von frühester Kindheit an mit Vaters Egerländer Heimatmusik aufwächst, hält man sie einige Jahre lang für normal, wobei ich nicht so weit gehen will zu behaupten, man mag sie; erst später merkt man dann, welches Grauen doch dieser Art Musik innewohnte. Der Mensch entwickelt sich halt weiter, durch Disco, Formel Eins und Musikladen im Fernsehen sowie Schlagerralley und Mal Sandocks Hitparade im Radio. Die Älteren von Ihnen werden sich erinnern: die Aufnahmetaste des Kassettenrekorders im Anschlag und lautes Fluchen, wenn der dämliche Moderator reinquatscht oder mitten im Song die Verkehrshinweise kommen.

Doch es gab es neben Ernst Mosch einen zweiten Faktor, der geeignet war, meine Freude an der Musik zu trüben, vor allem am Singen. Dieser Faktor hieß Ferdinand K. und war Musiklehrer an unserem Gymnasium. Er ließ uns schrecklichste Lieder singen, was für sich ja noch nicht so schlimm gewesen wäre. Aber er ließ uns auch einzeln vorsingen, vor der Klasse, was für einen pubertierenden Schüler kurz vor oder im Stimmbruch nun wirklich kein Vergnügen ist. Jedenfalls hatte ich vor jeder Musikstunde einen echten Horror, mindestens so schlimm wie vor den Sportstunden.

Dabei bestand rückblickend kein besonderer Grund dazu, denn ich kann ja singen, also konnte ich es damals vermutlich auch schon, traute mich nur nicht. Nun weisen meine gesanglichen Solo-Qualitäten vielleicht noch etwas Verbesserungspotential auf, was mich in den Neunzigern nicht davon abhielt, als Sänger einer Keller- und Hobbyband zu agieren; immerhin zwei Auftritte hatten wir mit unseren größten Hits Don’t You und Does Your Mother Know, bevor wir uns auflösten, der Erfolgsdruck war einfach nicht mehr zu ertragen. Aber für einen Chor reicht es, jedenfalls hat man mir in dem Kölner Männerchor, dem ich seit Jahren angehöre, bislang noch nicht nahegelegt, mein Talent anderweitig zu nutzen. Auch der Spielmannszug der Karnevalsgesellschaft, den ich seit nunmehr zwei Jahren im Rahmen meiner Möglichkeiten stimmlich unterstütze, duldet mich weiterhin.

Auch der passive Musikkonsum ist weiterhin mein regelmäßiger Lebensbegleiter, wobei mein Musikgeschmack unter anderem Klassik (gerne: Bruckner, Brahms, Tschaikowsky, Smetana), die Radiohits der Achtziger (immer noch grandios: True Faith von New Order), Britpop der Neunziger (beste Band aller Zeiten: Oasis) und mehr oder weniger aktuelle Musik umfasst. Nur diese deutschsprachigen Jammerbarden wie Revolverheld und Max Giesinger, die müssen nicht unbedingt sein. Mein absoluter Lieblings-Radiosender: Radio Nostalgie aus Frankreich. Nach spätestens Drei Tagen Urlaub in der Provence hat man zwar jedes Lied mindestens einmal gehört, aber das macht nix. Dort mag ich sogar die Werbung, weil ich nichts verstehe.

Das Kapitel Musik wäre unvollständig ohne die Erwähnung meines Hirnradios. Das springt sofort an, sobald keine reale Musik zu hören ist, und ich kann wenig Einfluss auf die Programmauswahl nehmen. Wenn es sich einmal auf ein Lied festgelegt hat, dann spielt es das stundenlang, mehrere tausend Strophen. Im günstigsten Fall ein Lied, das ich mag, meistens jedoch eins, das es morgens beim Zähneputzen im Radio aufgeschnappt hat, zum Beispiel dieses unsägliche Lied über die frustrierte tanzende Mutter vom Giesinger, was einen langen Arbeitstag durchaus zu trüben vermag.

Während ich diese Zeilen niederschreibe, spielt mein Hirnradio übrigens die 624. Strophe von Wolfgang Petrys Wahnsinn. Es ist die Hölle, Hölle, Hölle, Hölle. Ob dagegen eine Klangschalentherapie hilft?

Woche 13: Baustelle statt Eiersuche

Montag: Hauptvorwurf im aktuellen Facebook-Skandal ist, wenn ich es richtig verstanden habe, die unverlangte Zusendung von Wahlwerbung für Donald Trump. Das ist zweifellos übel, dennoch ein Scherz gegenüber dem, was ich heute bei einem Facebook-Ableger ansehen musste: Kurzfristiges Desinteresse gegenüber geschäftlichen Verrichtungen trieb mich am Vormittag zu Instagram, wo ich auf ein verstörendes Werbefilmchen für ein Epiliergerät stieß. Zu sehen war ein durchaus als wohlgeraten zu bezeichnender junger Mann, der mit ebendiesem Gerät seiner Körperbehaarung zu Leibe rückt. Entsetzt musste ich ansehen, wie die vordem prachtvolle Jungmännerbrust mit wenigen Handgriffen blank geschoren wird wie die eines Fünfjährigen, mit Grausen sah ich das Gerät durch wunderbaren Beinpelz fahren, eine triste, blasse Schneise hinter sich lassend, während dunkle Haare traurig zu Boden fallen. Nur mit großer Mühe konnte ich einen #Aufschrei „WARUM?“ unterdrücken; noch größerer Mühe bedurfte es, mich anschließend wieder auf das Tagwerk zu konzentrieren. Da haben die für zielgruppengerechte Werbung zuständigen Algorithmen wohl kläglich versagt.

Versagt hat augenscheinlich auch der Verstand von VW-Chef Matthias Müller: Für das Jahr 2017 bekam er eine Vorstandsvergütung von gut zehn Millionen Euro. Hätte der Aufsichtsrat nicht ein neues Vergütungssystem eingeführt, hätte er sogar vierzehn Millionen Euro erhalten. „Ich habe also auf einen großen Betrag verzichtet“, so Müller im Interview mit dem SPIEGEL. Wohl nur harten Gemütern gelingt es, hier Tränen des Mitleids zurückzuhalten.

Dienstag: Bei der ermüdenden Lektüre eines IT-Designdokuments am Morgen steigerte sich das Lesevergnügen schlagartig, als ich auf die Begriffe „Team-Betroffenheitsmatrix“ und „Bargeldäquivalenz-Relevanz“ traf, Wortperlen, wie sie wohl nur die deutsche Sprache zu gebären imstande ist.

Mittwoch: „Neue Besen kehren gut“, las ich heute in einem Interview und verdrehte innerlich die Augen ob der abgedroschenen Phrase. Dann las ich weiter: „… doch alte kennen die Ecken.“ Das fand ich, da mir neu, gar nicht so schlecht, auch wenn es bei Lichte betrachtet natürlich Unfug ist: Nicht der alte Besen kennt die Ecken, sondern derjenige, der ihn schwingt, und dabei spielt das Alter des Besens eine eher untergeordnete Rolle. Doch wirkte sich dies bei konsequenter Anwendung äußerst nachteilig auf das Versmaß des Sprichwortes aus, erst recht bei gendergerechter Ausgestaltung.

Ebenfalls gar nicht schlecht fand ich kurz nach dem Aufwachen eine Radioreklame, und das will was heißen. Die ging in etwa so: Sie: „Warum hast du meiner Mutter gesagt, die Fliesen seien aus Italien?“ Er: „Sie sind doch aus Italien.“ Sie: „Wir haben sie bei Fliesen-Dings gekauft.“ Er: „Stimmt. Aber deine Mutter reist nun durch Italien und lässt uns in Ruhe.“ Es kommt nicht oft vor, dass ich schon vor dem Aufstehen grinsen muss, wenn auch nur ganz kurz.

Donnerstag: „Die kleine Anstrengung der Höflichkeit kann mindestens von der Faulheit der eigenen Befindlichkeiten befreien; und ihre Erfahrung kann andere erinnern, dass auch sie in der Lage sind, sich über ihre Launen und Stimmungen zu erheben (ein Umstand, der in der Postmoderne weitgehend vergessen scheint, da er einer ganzen Generation von antiautoritär Erzogenen niemals zur Kenntnis gebracht worden sein dürfte.“ (Aus: Robert Pfaller – „Erwachsenensprache“)

Freitag: „Für mich haben Kunst, Kultur, Aufklärung und Liberalismus den gleichen Stellenwert wie für andere Menschen ein religiöser Glaube. Theater ist für mich Menschendienst, wie die Kirche für Christen Gottesdienst ist. Wie würden Christen reagieren, lebten sie in einem Land, in dem ihnen die Heilige Messe oder der Gottesdienst für nur einen einzigen Sonntag im Jahr untersagt wäre, mit der Begründung, einmal im Jahr dürfe die Religion durchaus mal ruhen, es sei schließlich nur ein Tag im Jahr!“ (Aus dem Blog Tapfer im Nirgendwo, den Gesamttext finden Sie hier.) Dem stimme ich uneingeschränkt zu und brachte meine Karfreitagskritik auch schon hier und da zum Ausdruck. Doch mit zunehmendem Alter sehe ich das mit einer gewissen Milde. Ja, es ist ohne Frage inakzeptabel, wenn eine Religionsgemeinschaft mit staatlicher Unterstützung auch Nicht-Christen wie mir in die Freizeitgestaltung eingreift. Andererseits finde ich den Preis, ausnahmsweise keine Sportveranstaltung besuchen zu dürfen oder bei der Spielhalle des Vertrauens vor verschlossener Tür zu stehen, für einen arbeitsfreien Tag durchaus akzeptabel.

Samstag: Eine der deprimierendsten Kindheitserfahrungen war es, wenn mich die anderen Kinder nicht mitspielen ließen. Das hat sich mit der Zeit ausgewachsen, inzwischen ist man ja froh, wenn man nicht jeden Mist mitmachen muss. Beim Mitmachblog indes würde ich gerne mitmachen. Anscheinend bin ich zu blöd, mich dort zu registrieren: Trotz vor einer Woche ausgefülltem und abgesandtem Anmeldeformular und zusätzlicher Bittstellung per Mail reagieren die nicht. Vielleicht wollen sie mich auch einfach nicht. Wer wollte es ihnen verdenken.

Sonntag: Meine beiden Lieblingsmenschen hielten es für angezeigt, vier aufeinanderfolgende arbeitsfreie Tage für eine umfassende Neugestaltung des Wohnzimmers zu nutzen. Während woanders Eier gesucht werden, verbringen wir die Ostertage in einer beeindruckenden Baustelle. Apropos Ostern: Was ist eigentlich aus dem Eierskandal geworden?