Aller Anfang

Eine der wohl sinnvollsten Erfindungen neben dem Rad, der Geschirrspülmaschine, dem Stoppschild und dem elektrischen Rasenkantenschneider, dabei jedoch weitgehend unbeachtet vom öffentlichen Diskurs, ist der Daueranfangsfinder; zugleich ein wunderbares Beispiel deutscher Wortbildungskunst, welches der Doppelhaushälfte in keiner Weise nachsteht. Ich entdeckte ihn eher zufällig auf einer Packung Frischhaltefolie.

Daueranfangsfinder

Sie kennen das vielleicht (andere würden den Satz auch einleiten mit Wer kennt das nicht): Vom Heißhunger auf vitaminreiche Kost getrieben (beziehungsweise heißhungertechnisch unterwegs) öffnen Sie in Ermangelung eines gefüllten Obstkorbes eine Büchse Dosenmandarinen, beginnen darin zu löffeln und bemerken spätestens beim Zerkauen des achten Stücks, wie scheußlich die Dinger schmecken.

Da sich die (groß-)elterliche Mahnung, Lebensmittel zu achten („die armen Kinder in Afrika“ – „Altes Brot ist nicht hart. Kein Brot, das ist hart!“ – „Es gab ja nichts. Wir haben damals den Kitt aus den Fensterrahmen gefressen!“ – und so weiter) seit frühester Kindheit eingebrannt hat, beschließen Sie, die Dose mit Frischhaltefolie zu verschließen und in den Kühlschrank zu stellen, wo sie im Laufe der Zeit unbeachtet vom Weltgeschehen immer weiter nach hinten rückt zu den alten Gläsern mit selbst gemachter Marmelade, die Ihnen gutmeinende Menschen einst schenkten; in dösiger Vergessenheit legen die Früchte bald einen grünlichen Pelz an, welcher es Ihnen endlich ermöglicht, die Dose guten Gewissens zu entsorgen, sollten Sie sie zufällig nach acht Wochen entdecken.

Die theoretische Idee der Frischhaltefolie ist nahezu genial – aus irgendwelchen elektrostatischen Gründen, welche zu recherchieren ich zu bequem bin, haftet das Zeug an Schalen und Tellern (jedoch nicht an Blechdosen) und ermöglicht auf physikalisch-phantastische Weise die nahezu luftdichte Abdeckung des Frischzuhaltenden.

Vor der praktischen Anwendung der Folie steht jedoch eine Herausforderung, welche auch das sanfteste Gemüt in den Wahnsinn zu treiben vermag. Zunächst gilt es, den Anfang der Rolle zu finden, welcher fest an selbiger haftet und sich trotz intensiven Suchens, Tastens und Fühlens nicht zu erkennen gibt. Ist dies dann doch endlich gelungen, o Triumph menschlicher Überlegenheit gegen die Tücke des Objekts, kommt die große Stunde des Daueranfangsfinders, einer kleinen klebrigen Fläche an der Außenseite der Packung, auf welcher der Anwender das mühsam gefundene Ende der Rolle fixieren kann, auf dass es ihm fortan jederzeit zur Verfügung stehe.

Doch vermag dieser kleine klebrige Helfer das Hauptproblem der Frischhaltefolie nicht zu lösen. Theoretisch ganz einfach, reißt man das benötigte Stück Folie über die metallene Sägezahnklinge ab. Praktisch denkt die Folie gar nicht daran, sich gerade dort von der Rolle zu trennen, stattdessen zerfetzt sie in kleine, unbrauchbare Knäuel, blutige Fingerkuppen inbegriffen (beziehungsweise vorprogrammiert).

Indes liegt es mir fern, den Nutzen des Daueranfangsfinders kleinzureden, die grundsätzliche Idee dahinter ist gut und erscheint der Ausweitung auf andere Lebensbereiche würdig: Sie müssen Ihre Steuererklärung machen, können sich aber nicht dazu aufraffen? Mit dem Daueranfangsfinder sind die benötigten Unterlagen bald zusammengebracht und die Formulare ausgefüllt. Sie haben ein Rendezvous, schon das Objekt Ihrer Begierde bei Tee und Naschwerk neben sich auf dem Sofa und trauen sich nicht, den ersten Schritt zu tun? Der Daueranfangsfinder verhilft Ihnen bald zu sinnlichen und körperlichen Höhenflügen im achten Himmel.

Sie müssen einen Text erstellen, weil Sie sich absurderweise die Pflicht auferlegt haben, einmal wöchentlich was in ihr Blog zu schreiben, aber Ihnen fällt nichts ein? Der Daueranfangsfinder lässt die Worte nur so fließen. Und vielleicht ermöglicht es der technische Fortschritt eines fernen Tages sogar, dass dann etwas weithin beachtetes dabei rauskommt. Man soll die Hoffnung niemals aufgeben.

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Nachsatz für die Leser des *.txt-Projektes: Das war jetzt sehr weit hergeholt, das gebe ich zu.

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