Eigentlich wunschlos glücklich

Meine persönliche Lebenssituation ist, zusammengefasst, mit „wunschlos glücklich“ wohl ganz gut beschrieben. Ja, mir fällt in der Tat nichts ein, was, wenn es käme beziehungsweise wegfiele, meine Zufriedenheit dauerhaft zu steigern vermöchte: kein Geldgewinn, keine neue Liebe, kein Abenteuer, keine große Reise, auch nicht ein neuer Job; nichts könnte mich glücklicher machen, als ich bin. (Na gut, weniger krumme Füße vielleicht, aber irgendwann hätte ich mich auch an die gewöhnt.)

Und doch – manchmal habe ich diesen Traum:

Ich bin jung, um die fünfundzwanzig, und studiere, vielleicht Chemie, Architektur oder Literatur, egal, Hauptsache nicht Medizin, Jura oder BWL.

Mit zwei anderen Jungs wohne ich in einer WG in der Altstadt; abends sitzen wir in unserer Küche, essen Pizza, trinken Bier, rauchen was, nennen uns gegenseitig „Alda“, dann reden wir bis in die Nacht über Fußball und Frauen oder zocken Computerspiele. Mein gesamtes Zeugs findet locker Platz in meinem WG-Zimmer, oder in einem Kleintransporter, wenn ich umziehen muss. Und das muss ich irgendwann, aber noch nicht. Auf dem Dachboden bei meinen Eltern liegt auch noch einiges, zum Beispiel meine früher so geliebte Carrera-Bahn. Muss ich irgendwann mal holen, aber das hat Zeit.

Nur selten rasiere ich mich, laufe meistens mit einem Dreitagebart herum; meine Haare trage ich mittellang und kümmere mich nur wenig um die Frisur. Erst wenn es gar nicht mehr geht, gehe ich zum türkischen Zehn-Euro-Frisör um die Ecke und lasse sie ganz kurz schneiden, sechs Millimeter. Meine Kumpels ziehen mich gerne auf wegen meiner starken Brustbehaarung, aber das ist nur der Neid der kindlich-glatten. Meine Freundin fährt voll darauf ab. Alda…

Meine Jeans trage ich tief, so dass die Boxershorts über den Bund hinausschauen. Im Sommer laufe ich in T-Shirt, Shorts und Flip Flops durch die Stadt. Mit den Jungs verbringe ich viele Stunden im Freibad oder auf der Wiese im Hofgarten, flirte lieber mit den Mädels auf der Decke nebenan, statt für die Klausur zu lernen.

Ich bin sportlich aktiv, laufe dreimal die Woche, gehe regelmäßig zu McFit, und samstags treffen wir uns zum Bolzen im Hofgarten. Wir schauen Bundesliga in der WG, WM und EM beim Rudelgucken in der Kneipe, manchmal fahren wir ins Stadion. Ein Leben ohne Fußball ist für mich nicht vorstellbar.

Mein bester Freund kennt mich schon sehr lange und sehr genau, wir lachen über denselben Scheiß, während die anderen sich fragen, was daran jetzt lustig ist; wir haben denselben Musik- und Filmgeschmack, manchmal labern wir stundenlang nur in Filmzitaten. Er ist da, wenn ich scheiße drauf bin, Stress mit dem Studium oder der Freundin habe, und er tritt mich in den Arsch, wenn ich nicht aus dem Quark komme. Seine direkte Ehrlichkeit ist manchmal brutal, aber wäre er sonst mein bester Freund?

Meine Freundin. Sie ist der beste Kumpel von allen. Klar, manchmal schaue ich schon anderen Frauen hinterher, dann sagt sie Sachen wie „Meine Titten sind dicker“, anstatt rumzuzicken. Wir haben viel und ziemlich versauten Sex, auch an ungewöhnlichen Orten, in der Zugtoilette, im Maisfeld oder im Kino, als wir fast alleine in der Vorstellung sind. Sie will ständig, ich kann fast immer. Manchmal schauen wir zusammen Pornos, anschließend filmen wir uns beim Ficken und stellen es hinterher bei Youporn ein. Es ist einfach geil mit ihr.

Dann endet der Traum. Ginge er weiter, dann vielleicht etwa so:

Vor mir liegen massenhaft Klausuren, Hausarbeiten und Prüfungen, für die ich was tun muss, erst noch in sicherer Entfernung, doch je näher sie rücken, desto hektischer und panischer werde ich, und hinterher frage ich mich, für was ich das alles gelernt habe.

Völlig offen ist, wovon ich mal leben werde. Werde ich, nach unzähligen Bewerbungen und Praktika, einen Job finden, für den sich das Studium gelohnt hat, der gut bezahlt ist und Spaß macht? Oder werde ich mich von einem Aushilfsjob zum nächsten hangeln, kann gerade mal meine Einzimmerwohnung in einem heruntergekommenen düsteren Plattenbau bezahlen?

Aber vielleicht läuft es ja gut, ich ziehe mit meiner Freundin zusammen, hundert Quadratmeter Vierzimmer Altbau renoviert im Musikerviertel. Irgendwann wollen wir nicht mehr im Aufzug und für Youporn vögeln, sondern wir wollen Kinder, denen wir dann so Namen wie Maximilian und Paula geben, und ohne es zu merken, habe ich bald auch diesen unerträglich süßen Tonfall junger Väter drauf, wenn ich mit ihnen spreche.

Mit Ende dreißig wohnen wir in einem Haus inmitten vieler ähnlicher Häuser in der Neubausiedlung vor der Stadt, haben zwei Kinder und einen Hund; samstags mähe ich den Rasen, wie alle hier, sonntags besuchen wir die Schwiegereltern, damit sie uns wohlgesonnen bleiben und auf die Kinder aufpassen, wenn wir mal in Ruhe ins Restaurant oder Kino wollen. Ohne zu vögeln freilich.

Dann wache ich auf und bin froh, dass es nur ein Traum war. Dann bin ich wieder wunschlos glücklich.

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