Dringender Aufruf zur Wortschöpfung!

Unsere Sprache befindet sich im ständigen Wandel: Wörter verschwinden, wie zum Beispiel „Wählscheibe“, „Kassettenrekorder“ oder „Riesenwaschkraft“, andere kommen neu hinzu, etwa „Freundschaftsanfrage“, „Fickwunschverdacht“ oder „googeln“; wiederum andere halten sich hartnäckig, obwohl ihre Zeit längst gekommen ist oder sie einfach unsinnig erscheinen, nehmen Sie „Kotflügel“, „Unkosten“ oder „lohnenswert“.

Manche Wörter hingegen existieren gar nicht, obwohl sie dringend benötigt werden, weil es den Gegenstand beziehungsweise Sachverhalt, den sie benennen sollen, zwar gibt, nicht jedoch ein adäquates Wort dafür, oder wissen Sie, wie dieses längliche Dings heißt, das Sie im Supermarkt auf das Kassenband legen, um Ihre Einkäufe von denen des Hintermanns abzugrenzen, um nicht versehentlich seine H-Milch oder Tiefkühlpizza zu bezahlen?

Ein solcher unzureichend bezeichneter Sachverhalt ist die Liebe unter Männern, vermutlich weil der Papst und seine Branche der Meinung sind, dass dies gegen die göttliche Schöpfungsordnung verstoße und somit unbenamt gehöre. Dabei würden seine eigenen Mitarbeiter, die nicht nur aufgrund päpstlicher Verfügung des anderen Geschlechts entsagen, vermutlich eine größere Flotte Kirchenschiffe füllen.

Wenn ich „Männer“ schreibe, so ist dies keineswegs Ausdruck meiner Geringschätzung des anderen Geschlechts, vielmehr verfügen die Damen ja durchaus über ein schönes Wort. Wem bei „lesbisch“ Kurzhaarfrisuren und Holzfällerhemden in den Sinn kommen, verkennt, dass sich dieses Wort ableitet von der griechischen Insel Lesbos, und wer denkt da nicht an Sonne, Meer, Strand, blauen Himmel und weiße Windmühlen, deren betuchte Flügel sich im lauen Wind drehen? Also ein durchaus positiv belegter Begriff. (Dass dieses Wort zudem auch in Titeln mancher speziell-zielgruppenspezifischer Naturfilme enthalten ist, unterstreicht zwar ebenfalls seine positive Würdigung, soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden.)

Wie unschön klingt dagegen „schwul“, denkt der gemeine Hetero dabei doch sogleich an eine alternde Tunte mit gezupften Augenbrauen und gefärbten Haaren, die mit nasaler Fistelstimme so Sätze sagt wie „Liebelein, fährst du mich bitte zur Maniküre? Ich habe mir den Nagel eingerissen, Hööölle!“ – Als Klaus Wowereit 2001 seinen berühmten Satz sagte „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“, schien das Wort zunächst etabliert, doch kommen hieran ernste Zweifel auf, lauscht man der Jugend. Es ist nicht zu überhören: schwul ist nach wie vor ein Schimpfwort, wobei es sich mittlerweile keineswegs nur auf mehr oder weniger männliche Personen richtet, alles mögliche kann heute schwul sein: Autos, Schuhe, Taschen, Frisuren, die Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen; sogar Mädchen, wie es eine zweifelhafte Kapelle, deren Name mir entfallen ist, vor einiger Zeit besang. Wir können uns noch so selbstbewusst als schwul bezeichnen, sobald sich ein Hetero in durchaus bester Absicht mit uns über dieses Thema unterhält, meidet er das Wort wie der Schwule die Premiere-Fußballkneipe, vielmehr ersetzt er es durch das Wörtchen „so“, etwa wenn er sagt „Also ich habe kein Problem damit, dass du (kurze Pause) s o bist.“

Ja, natürlich gibt es andere Wörter, etwa „homosexuell“. Aber mal ehrlich, ist das nicht noch viel schlimmer, klingt es nicht eher wie eine ansteckende Krankheit, die der Behandlung bedarf? Ich weiß, es gibt durchaus nicht wenige Menschen, die das genau so sehen, schlimm genug. Einige Kirchenmänner vertreten die Ansicht, Homosexualität könne überwunden werden, Mann müsse nur in ausreichendem Maße beten. Abgesehen davon, dass ich nichts anderes sein will, stelle ich mir die Reaktion Gottes auf mein Gebet etwa so vor: „Sag mal Junge, ich ärgere mich gerade mit den Arabern herum, und du kommst mir mit so‘ner Kacke? Es ist alles in Ordnung mit dir, schließlich habe ich dich so gemacht, und jetzt gehe hin und liebe deinen nächsten!“

Gay – auch nicht viel besser. Es klingt so pseudo-fortschrittlich-liberal („Hey, du bist gay, das ist okay“), zudem bedeutet es übersetzt ja noch etwas anderes, nämlich fröhlich, und das ist ja wohl nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Es ist nicht anzunehmen, dass die Jungs, die in Jamaika, im Iran oder in einem oberbayrischen Dorf wegen ihrer Neigung verfolgt, verprügelt, verhaftet oder gar umgebracht werden, darüber besonders gay sind.

„Verzaubert“ wird auch gerne genommen. Ich denke da eher an ein weißes Kaninchen, das an seinen Ohren aus einem schwarzen Hut gezerrt wird, an den Froschkönig oder die Fee Amaryllis, die in Unkengestalt hinter drei schweren Türen im Kellerverlies von Petrosilius Zwackelmann ihr trauriges Dasein fristet, auch keine schöne Vorstellung.

Ganz witzig hingegen finde ich in diesem Zusammenhang den Begriff „erkältet“, wenngleich er hier seinen Zweck nur äußerst unzureichend erfüllt. Man stelle sich folgenden Dialog vor: „Bringen Sie nächste Woche Ihre Frau mit?“ – „Nein, ich bin erkältet.“ Und zudem werde ich ab sofort für bekloppt gehalten.

Sie sehen, es besteht dringender Bedarf an einer passenden Wortneuschöpfung. Vorschläge werden gerne entgegen genommen!

8 Gedanken zu “Dringender Aufruf zur Wortschöpfung!

  1. VeraCologne August 28, 2011 / 18:07

    Ich hab keinen Vorschlag, finde aber deinen Text ziemlich toll! ❤

    Ich finde übrigens, im Deutschen fehlt auch ein vernünftiges Wort für „nicht schwul“, denn heterosexuell klingt ja noch blöder als homosexuell und bis man das gesagt hat, hat man drei Knoten in der Zunge.

    Verzaubert finde ich ja auch total bekloppt. Dass man das als Synonym für homosexuell nimmt, wusste ich schon länger, aber als ich letztens in der Kneipe gefragt wurde, ob ich „eigentlich auch verzaubert“ sei, bin ich fast vom Hocker gefallen vor Lachen.

    Also: Viel Erfolg bei der Suche!

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  2. ThomasS August 30, 2011 / 19:52

    Für dieses Ding im Supermarkt verwende ich die Bezeichnung „Barriere“, was dessen Funktion einigermaßen beschreibt. Akzeptabel wäre auch „Trennholz“ … auch wenn das Dingen in den meisten Fällen aus Kunststoff besteht.

    Über adäquate, bzw. freundliche Synonyme zu „schwul“ muss ich mir länger Gedanken machen. Ich meld mich dann ggfs. nochmal.

    Eines fällt mir allerdings auf: Der Prozess den du bez. „schwul“ beschreibst, lässt sich auch auf andere Termini anwenden. So wurde z.B. das Wort „Behinderte“ kurzerhand aus dem politisch korrekten Sprachgebrauch entfernt, nachdem „behindert“ zu einem Schimpfwort geworden war. Stattdessen sprechen die ganz Korrekten jetzt bestenfalls von „Menschen mit Behinderung“ wenn nciht gar von „besonderen Menschen“. Ähnlich verhält es sich mit Begriffen wie „Ausländer“ (= auf politisch korrekt „Menschen mit Mitgrationshintergrund“), „Neger“ (= „Menschen mit Mazimalpigmentierung“) oder „Zigeuner“ (= „Sintiroma“). (Übrigens habe ich grad heute im TV gehört, wie ein rumänischer Zigeuner selbst für seine Sippe exakt diese Bezeichnung gebraucht hat.

    Den verzweifelten Versuch, für gewisse Sachverhalte andere Wörter zu finden, ist m.E. auch ein Stückweit Kapitulation vor der Gosse. Die Idioten, die Autos als „schwul“ bezeichnen, um ihr Missfallen kundzutun, das sind doch bloß hormonstrotzde Halbstarke, die ihre Pickeln im Gesicht noch nicht los sind. Hat der gestandene schwule Mann von heute es wirklich nötig, vor so jemandem zu kuschen?!?

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  3. Stancer August 30, 2011 / 20:22

    Selbstverständlich nicht, aber darum geht es mir nicht. Fakt ist, dass „schwul“ noch immer bei vielen Menschen negativ belegt ist, und besonders schön finde ich es auch nicht, klingt zu ähnlich wie „schwül“.

    Dein Vergleich mit „Behinderte“, „Neger“, „Zigeuner“ usw. hinkt m. E. etwas. Das waren früher ganz normale neutrale Wörter, die erst in letzter Zeit negativ belegt wurden (das mit dem „Migrationshintergrund“ finde ich völlig zu Kotzen), während „schwul“ genau die umgekehrte Entwicklung erfährt, die aber eben leider noch nicht abgeschlossen ist.

    Und die Idioten sterben niemals aus. Hat ja vielleicht auch was beruhigendes…

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  4. ThomasS August 30, 2011 / 20:27

    Besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist übrigens der umgekehrte Wandel im Gebrauch eines anderen Wortes. Auf die Bermerkung: „Du bist fett!“ hätte jemand noch vor 20 Jahren zu Recht eine handgreifliche Reaktion riskiert. Heutzutage soll derselbe Satz unter Jugendlichen sogar ein Kompliment sein. Alles, was ie heutige Jugend toll findet, das ist für sie sie „fett“.

    Würde es irgendjemandem einfallen, sich daraufhin nen Bauch anzufuttern, bloß um bei der Jugend gut anzukommen?!? Wohl kaum.

    Aber das Bestreben, nach Synonymen für „schwul“ zu suchen, entspricht m.E. derselben absurden Motivation.

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  5. ThomasS August 30, 2011 / 21:41

    Also, ich habe noch nie von einem ü 30-Jährigen im O-Ton gehört, dass er irgendwas, das ihm nicht in den Kram passt, als „schwul“ beschimpft. Falls du ein Gegenbeispiel liefern kannst, lass es mich bitte wissen.

    Nein, sowas tun m.W. nur die von mir erwähnten Halbstarken, und bei denen wohl halt nur diejenigen, die halt solch einen „Migrationshintergrund“ haben. Jedenfalls wird das so in den einschlägigen Medien kolportiert. Da ich zum Glück kein Sozialarbeiter sein muss (und daher auch diesbezüglich nicht direkt „am Puls der Zeit“ bin), kann ich das nicht aus erster Hand verifizieren.

    Andererseits halte ich es auch nicht für unwahrscheinlich, dass gerade Leute mit diesem Hintergrund auf Homosexuelle nicht gut zu sprechen sind. Imerhin gehen auf deren Konto ja auch schon ein paar sogenannte „Ehrenmorde“. Und da war nicht mal Homosexualität im Spiel, sondern lediglich der Wunsch der 2. Generation nach (hetero)sexueller Freizügigkeit.

    Du hast diesbezüglich die herrschende Mentalität in einem beliebigen nieder-oder oberbayrischen Kaff erwähhnt. Nun gilt die Bevölkerung Skandinaviens in jeder Hinsicht sehr liberal und offen. Und das kaufe ich auch ab … denn ansonsten hätte es in meiner Jugend nicht die lägendären Schwedenpornos ggeben. 😉

    Aber jetzt stell dir mal vor, es würden die ärmsten Deutschen nach Skandinavien auswandern, weil es dort wesentlich komfortablere Lebensbedingungen herrschen. Und die meisten von denen kämen aus Oberniederbayern … aber würden natürlich ihre Mentalität dorthin mitbringen. Und sei es, weil das das einzige Stück Heimat ist, was sie in der Fremde haben.

    Genauso verhält es sich aber m.E. mit diesen „Südländern“, die durch die Emigration nach Deutschland ihrer Armut entfliehen wollen (Wobei du dir unter deren Armut getrost die eines oberniederbayeischen Bergdorfs hoch 5 vorstellen kannst). Natürlich wird von deren Älteren niemals jemand ein Auto als „schwul“ bezeichnen. Und die Jugendlichen, die das heute tun, werden es in 5 Jahren auch nicht mehr machen. Aber die Mentalität wird bleiben. Und dass die über Homosexualität nicht allzu positiv denken, sollte dir klar sein.

    Insofern würde ich dir auch nicht empfehlen, irgendeinem jungen Menschen mit Migrationshund europäische Liberalität auf ganz praktische Weise „näher bringen“ zu wollen. Es sei denn, du magst nicht nur mit deinem eigenen Leben spielen, sondern auch mit dem Leben anderer.

    Warum es „beruhigend“ ist, dass die Idioten niemals aussterben … das musst du mir erklären.

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  6. Stancer September 2, 2011 / 16:45

    Also: Es geht mir in meinen oben stehenden Versen nicht darum, die noch weit verbreitete Verdammung der Homosexualität zu beklagen. Obschon das durchaus beklagenswert ist, sind wir uns wohl einig, dass es auch noch in hundert Jahren Menschen geben wird, die uns am liebsten hängen oder brennen sehen würden, und zwar nicht nur in Teheran oder Eichstädt.

    Ich versuche nur deutlich zu machen, dass es dafür meines Erachtens kein schönes Wort gibt, also eins, das weder nach Schimpfwort noch Diagnose klingt. Deine Analogie zum Anfressen eines fetten Bauches erschließt sich mir allerdings nicht.

    Das mit den nicht aussterbenden Idioten sollte Ironie sein, ist wohl nicht ganz deutlich geworden.

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  7. Jannis Plastargias September 5, 2011 / 11:30

    interessante diskussion! 😉
    ich finde den wunsch berechtigt, ein nicht belastetes wort für die männerliebe zu finden.
    es geht um das bewusstsein.
    diskriminierte gruppen wie sinti und roma dürfen sich selbst zigeuner nennen, so wie sich menschen mit dunkler hautfarbe selbst „nigger“ oder „neger“ nennen dürfen. und so ist es auch eine ganz andere sache, wenn sich homosexuelle menschen tuntig oder tuckig nennen. aber wenn ich etwas „schwul“ nenne oder „behindert“, dann meine ich das negativ. und es ist mir egal, wie alt diese menschen sind, die diese worte so gebrauchen. das hat nix mit migrationshintergrund oder nicht zu tun. sondern mit bildung und intelligenz. oder eben das fehlen der beiden.
    da andere beispiele heranzuziehen ist so einigermaßen unergiebig, denn wie sagt man: äpfel mit birnen vergleichen ist nicht so klug. 😉
    und wenn man ganz sozialarbeiterisch an die sache gehen möchte, dann doch lösungsorientiert: wie könnte man die männerliebe denn nennen?

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  8. murmeltiertag Oktober 7, 2011 / 21:25

    Ich bin zwar nicht „erkältet“, aber wie wäre es mit: Teetrinker, Nichtraucher oder Fährmann?!

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