Woche 33/2025: In sicherem Abstand

Montag: Eine der wesentlichen Aufgaben des Tages war es, einen Karton Wein auf dem Fahrradgepäckträger zum Büro zu transportieren, auf dass ihn der liebe Kollege, wenn er demnächst nach seinem und in meinem Urlaub in Bonn ist, übernehmen kann. (Ich schrieb erst: nach seinem und während meines Urlaubs, das las sich unrund. Korrekt, indes noch unrunder hätte sich „nach seinem Urlaub und während meines Urlaubs“ gelesen. Egal.) Lieber S., der Wein ist unbeschädigt angekommen, er steht im Hochschrank hinter meinem Schreibtisch. Einen schönen Urlaub euch weiterhin!

Ansonsten verlief der Arbeitstag in gewohnter Montagsmüdigkeit und -unlust. Im übrigen war es sehr ruhig, weil viele Kollegen und Chef Urlaub haben. Er sei ihnen von ganzem Herzen gegönnt.

Morgens ließ eine Mischung aus Sonnenstand, Rhein und Reflexion eines der UN-Hochhäuser in Sichtweite sehenswert glitzern:

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Es ist wieder sehr warm. Auch das beklage ich nicht, denn, analog zu Karl Valentin, klagte ich, wäre es trotzdem warm. Als Kind mochte ich Sommerhitze nicht. Nicht wegen der Hitze an sich, sondern weil ich dann genötigt wurde, kurze Hosen zu tragen. Das tat ich ungern wegen meiner dünnen Beine, die mir von anderen, bei denen nicht nur die Beine wesentlich dicker waren, ständig eingeredet wurden.

Dienstag: Der Fußweg ins Werk verlief sonnenbeschienen, jedoch nicht mehr ganz so warm; ohne Jacke gut auszuhalten. Dabei lag schon eine Anmutung von Spätsommer in der Luft.

Spätsommer

In letzter Zeit fallen mir zunehmend Radfahrer auf, die einen Helm mit sich führen, ihn jedoch nicht auf dem Kopf tragen, wo er im Falle des Unfalls den größten Nutzen entfaltete, sondern ihn während des Fahrens materialschonend-lässig am Lenker baumeln haben. Vielleicht gab es das schon immer, manchmal fallen einem Dinge, die es schon lange gibt, ja erst spät auf. Bei mir war es zum Beispiel der Schmetterlingsflieder, auch als Sommerflieder bekannt, den ich erstmals bewusst 1990 während des Grundstudiums in Köln wahrnahm. In Ostwestfalen, wo ich mich zuvor die meiste Zeit aufgehalten hatte, nur war er mir nie aufgefallen, obwohl es ihn dort mit Sicherheit auch gab und gibt. Zurück zu den unbehelmten Radfahrern, übrigens aller Geschlechts- und Altersklassen, somit lässt es sich nicht als pubertärer Leichtsinn abtun: Warum machen die das? Meinen die, den Helm im Sturz, kurz vor dem Aufprall noch schnell aufsetzen zu können?

Bleiben wir im Kopfbereich: Vor allem im asiatischen Raum gilt Gesichtsverlust als großes persönliches Unglück, wobei er manchen Menschen, nicht nur in Asien, wenn man sie sich so anschaut, nicht unbedingt zum Nachteil gereichen würde. Einen speziellen Fall davon sah ich morgens am Rheinufer:

Wozu mag es vorher gedient haben? Nach einem unterleibserfreuenden Spielzeug sieht es eher nicht aus, auszuschließen ist es aber nicht.

Auf dem Fußweg zurück, nun deutlich wärmer, überholte mich ein Läufer mit Schriftzug auf dem Rücken des T-Shirts: „Reden kostet nichts. Schweigen schon.“ Das gefällt mir, auch wenn ich es nicht ganz verstehe. Man kann sich – auch mit Helm – um Kopf und Kragen reden; ähnliche Folgen durch Nichtreden sind mir unbekannt. Ich werde darüber nachdenken.

Mittwoch: Aus einem Zeitungsartikel über den Drang mancher Männer, sich in der Öffentlichkeit mit freiem Oberkörper zu zeigen: „… Aktivistinnen und Aktivisten, die für geschlechtsneutrale Körper eintreten, sei ein entblößter Männer-Oberkörper ein Dorn im Auge.“ Geschlechtsneutrale Körper? Ich möchte das nicht. Im selben Artikel heißt es auch: „Doch bei nackten Oberkörpern bleibt eine Geschlechterkluft (Gender Gap)“. Das muss dieses Sommerloch sein.

Das neue Buch von Max Goldt ist eingetroffen. Es kommt nach ganz oben auf den Stapel der ungelesenen, ich freue mich sehr darauf.

Aber?

Donnerstag: „Achtziger und die größten Klassiker“ spielt der Radiosender WDR 4 nach eigenem Bekunden. Deshalb war ich morgens entsetzt, als sie, gerade als ich wehrlos unter der Dusche stand, dieses furchtbare, nicht endende etwa 44-strophige, bislang im Nachbarsender WDR 2 rauf- und runter gespielte Wellerman-Lied brachten, das mich danach noch längere Zeit ohrwurmte.

Auf dem Fußweg zum Werk begegnete mir eine etwas abgerissene Person unklarer Binärität, vertieft ins Selbstgespräch mit verteilten Rollen. Mal sprach sie ruhig wie mit einem Gegenüber, dann schrie sie so unschöne Sätze wie „Halt endlich dein Maul, du Schlampe!“, auch das Wort „Fotze“ fiel mehrfach, ehe sie wieder im ruhigen Ton sprach. Irgendwo hörte oder las ich mal einen Satz, der sinngemäß lautete: „Jeder kämpft seinen eigenen Kampf, von dem die anderen nichts ahnen.“ Wir ahnen nicht, welchen Kampf diese Person führt, jedenfalls erscheint ein Wellerman-Ohrwurm dagegen als ein zu vernachlässigendes Problem.

Passend zum gestern erwähnten Zeitungsartikel kam mir am Rheinufer ein Läufer ohne T-Shirt entgegen, dessen Körper zum Glück weder geschlechtsneutral noch mir ein Dorn, eher eher ein Lusttränchen im Auge war. Aber ich bin ja auch kein Aktivist.

Kurz vor Ankunft am Turm sah ich im Rheinauenpark unter einem Baum einen blonden jungen Mann in sommerlicher Sportbekleidung, der etwas am Boden herumnestelte (komisches Wort, fällt mir gerade auf), dann zog er sich die Schuhe aus, kniete sich hin, beugte sich nach vorne in Richtung Osten und verharrte so für längere Zeit. Als Religionen skeptisch begegnender Mensch fand ich das irritierend, zumal er nicht dem derartiges praktizierenden Kulturkreis zugehörig aussah. Aber was weiß ich schon.

Gelesen im Kieselblog und zustimmend genickt:

Ich glaube, dass wir Menschen plappern wie Affen sich lausen: Es handelt sich um ein soziales Ritual. Eigentlich ist es dabei zweitrangig, um welches Thema es geht – hauptsache, wir teilen mit, wie wir uns fühlen und unser Gegenüber tut das auch (wobei komplett egal ist, was das Gegenüber sagt oder fühlt).

Das Problem an der Sache ist, dass ich Geplapper nicht kann. Ich denke immer, es würde richtig gesprochen werden, es gäbe immer einen richtigen Austausch. Auch wenn ich rational verstehe, wie wichtig die soziale Fellpflege ist, bin ich dazu nicht wirklich fähig. Entweder gehe ich dann in ein richtiges Gespräch (bzw. versuche ich es), oder ich stehe stumm da und lächle, denn ich weiß ja nicht, wie ich plappermäßig korrekt reagieren soll.

Vielleicht ist das gemeint mit Schweigen kostet, siehe oben: Viele Menschen kostet es Mühe und Überwindung, mal die Klappe zu halten.

Freitag: Was schön war: Ruhe im Büro, mehrere Haken in der Outlook-Aufgabenliste, roter Wackelpudding mittags als Dessert, anschließend ein Spaziergang durch den Park, die vorläufige Entschärfung eines Konflikts (machmal wünsche ich mir ein Teinihaus, für das nur ich einen Schlüssel habe) und gemeinsames Grillen, Essen und Trinken am Abend.

Samstag: Über Nacht hat es sich deutlich abgekühlt, die Sonne blieb ganztägig hinter einer dicken Wolkendecke versteckt. Dennoch ließ es sich weiterhin gut jackenlos und kurzärmlig draußen aufhalten. Wie üblich verband ich den Leergutentsorgungsgang mit einem Spaziergang an den Rhein. Dort, am Rheinufer hatten die Grünen unter einem gleichfarbigen Sonnenschirm einen Informationsstand aufgebaut. Um nicht angesprochen zu werden, schaute ich im Vorbeigehen betont desinteressiert und beschleunigte den Schritt ein wenig. Nicht, weil ich eine Abneigung gegen diese Partei hegte, ganz und gar nicht, sondern weil ich generell ungern zu einem Gespräch mit Fremden genötigt werde. In sicherem Abstand setzte ich mich auf eine Bank, schaute den vorübergehenden und -radelnden Menschen mit und ohne Hunden zu und las Blogs. Einige Passanten, die aus Richtung der Grünen kamen, hielten ein Faltblatt der Partei in der Hand, das sie sich vielleicht aus Interesse, vielleicht aus Höflichkeit in die Hand drücken gelassen hatten. Wie viele davon mögen ungelesen im Abfall entsorgt werden.

„Kuck mal wie tief … oder wie flach“ rief eine Radfahrerin ihrem Begleiter zu und deutete auf den Fluss, der zur Zeit wenig Wasser führt. „Ja“ lautete die knappe Antwort, offenbar hatte er verstanden, was sie meinte.

„Mittwoch ist Lesetag“ stand auf dem Stoffbeutel, der an einem anderen Radfahrer hing. Warum nur Mittwoch? Und warum gerade an diesem Tag? Wird an den übrigen Tagen nicht gelesen? Aber jedem wie er mag.

Hier ist, regelmäßige Leser und -innen ahnen es, Samstag Fragetag.

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Frage Nr. 9 lautet: „Was machst du morgens als Erstes?“ Das hängt vom Tag ab, oder kommt darauf an, wenn Ihnen das lieber ist: An Arbeitstagen den Radiowecker ausschalten, wenn die Halb-sieben-Nachrichten durch sind, am Wochenende das iPad heranholen, um etwas zu lesen, bis das Bad frei ist; bei mir ist nicht nur Mittwoch Lesetag. Als allererstes aber, das ist mir jetzt etwas unangenehm, doch Frage ist Frage, bohre ich, einer langjährigen Angewohnheit folgend, ausführlich in der Nase. Das bleibt bitte unter uns.

Sonntag: Der Tag begann zunächst kühl, weshalb zur Lektüre der Sonntagszeitung auf dem Balkon ein Jäckchen angebracht war. Das führte zur Erheiterung meiner weniger kälteempfindlichen Lieben, aber ich kann es nicht ändern. Wer nicht frieren will, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Zum Spaziergang am Nachmittag wärmte es merklich auf, sodass ich das Jäckchen ablegen konnte. Auch auf der anderen Rheinseite gibt es einen schönen Biergarten mit Ausschank bayrischen Bieres, der gut besucht war und sich in den Spaziergang integrieren ließ.

Beobachtung: Nicht nur die Fahrer von Renn- und Lastenfahrrädern zeigen oft bemerkenswerte Rücksichtslosigkeit gegen andere Verkehrsteilnehmer, sondern auch auch manche Nutzer elektrisch angetriebener Rollstühle, die ohne jede Hemmung durch die Fußgängerzone rasen und sich dabei, das ist jetzt nur eine empirisch nicht belegte Vermutung, völlig im Recht glauben.

Was ist nur los mit diesen Menschen?

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die Woche.

17:30