Woche 52/2024: Alternative Tischmanieren und Raclette über Teelichtern

Montag: Weiterhin sind wir in Beaune, Frankreich. Nachtrag zu gestern Abend: Wir waren zum Essen in einem Restaurant, das wir schon von früheren Besuchen kennen und schätzen. Es ist gut, nicht sehr teuer und der Service sehr freundlich. Während des ersten Ganges betrat ein jüngeres Paar mit einem etwa zwei Jahre alten Kind den Raum, sie wurden am Nebentisch platziert. Das Kind zeigte sich lebhaft, es lief herum, plapperte, quengelte, eine alles in allem altersgerechte Verhaltensweise, die vielleicht bei denjenigen, für die Kinderliebe nicht an oberster Stelle steht, ein gewisses Störgefühl auszulösen vermag. Bald warf das Kind das Blumentöpfchen vom Tisch, das nun, getrennt nach Topf, Pflanze und Erde auf dem Boden lag. Die Eltern scherte es nicht weiter, auch sahen sie sich nicht veranlasst, das Malheur zu beheben oder wenigstens zu melden. Als die freundliche Bedienung das sah, zeigte sie sich wenig erfreut. Offenbar hatte man mehr compréhension für kindliche Lebhaftigkeit erwartet, kurz darauf wurden Kind, Malsachen und alles andere zusammengepackt und sie verließen abschiedslos das Lokal. Am Nebentisch, also unserem, wurde dies mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, beinahe hätten wir applaudiert. Dem Kind ist kein Vorwurf zu machen. Doch was geht in solchen Eltern vor?

Unser Tischgewächs blieb unbehelligt

Interessant an einem Hotelaufenthalt sind stets auch die anderen Gäste und ihre Verhaltensweisen. Ich vermute, wer in der Gastronomie oder Hotelbranche arbeitet, erlebt vieles, womit man erfolgreich ein Buch oder Blog füllen könnte. (Für entsprechende Blogempfehlungen wäre ich dankbar.) Beim Frühstück fiel mir heute der vielleicht zwanzigjährige Angehörige einer größeren Familie auf, der ungefähr im Minutentakt das Büffet aufsuchte, um noch etwas nachzuholen. Das ganze in kurzen Hosen. Nicht dass ich dem Anblick junger Männerbeine grundsätzlich abgeneigt wäre, aber warum trägt er im Dezember in einem Fünfsternehotel kurze Hosen? Muss der sich oder anderen etwas beweisen?

Sehr nett im übrigen das ältere Ehepaar aus Freiburg, mit dem wir abends in der Hotelbar ins Gespräch kamen. Offensichtlich sind wir nicht die einzigen, die das Verhalten und Auftreten anderer Gäste interessant finden.

Das Hotel hat drei Stockwerke, somit ist es den meisten Menschen möglich, auch ein Zimmer im oberen Stock über die Treppen zu erreichen. Dennoch folgen die meisten Gäste der natürlichen Bequemlichkeit und nehmen den Aufzug, nur selten begegnet mir jemand im Treppenhaus. Im Erdgeschoss gibt es einen Fitnessraum. Dank Aufzug ist er auch für Bewegungssuchende aus den oberen Stockwerken jederzeit bequem erreichbar.

Die Hotelbar. In dem Topf neben dem Feuer wird ausgezeichneter hausgemachter Glühwein warmgehalten, wir haben ihn mehrfach für Sie probiert.

Dienstag: Der Heiligmorgen begann nicht allzu spät und recht entspannt. Nach dem Frühstück gingen wir eine Runde durch die Stadt, die gut gefüllt war mit Autos und Menschen in letzten Besorgungsabsichten für die bevorstehende fête la Noël. Einige Geschäfte, unter anderem Textilläden, hatten bis achtzehn Uhr geöffnet, für Spätentschlossene oder mögliche Weihnachtsverweigerer.

Nach dem Stadtbummel machten wir einen Spaziergang durch den nahegelegenen Parc de la Bouzaise, wo sich Blesshühner und eine Kleingruppe Gänse (neben graugemusterten Wildgänsen auch eine weiße, letztere vielleicht kurz zuvor dem Braten entkommen) vom Fest unbeeindruckt zeigten.

Nach Rückkehr im Hotel gönnten wir uns vor dem heiligen Abend noch etwas Ruhe. Während ich auf dem Sofa die Zeitung und Blogs las, waren von den Lieben nebenan bald leise Schlafgeräusche zu vernehmen. Zwischendurch zuckte immer wieder das Datengerät auf von den tagesüblichen Grüßen und Wünschen in diversen WhatsApp-Gruppen. Im erweiterten Sinne mit Festbezug traf außerdem per Mail eine Empfehlung für bessere Erektionen ein.

Trotz gegenseitigen Nichtschenkpaktes blieben wir dann doch nicht ganz unbeschoren, woher auch immer die Geschenke kamen.

Den Abend verbrachten wir im Hotelrestaurant, wo ein siebengängiges Festmenü in passender Weinbegleitung gereicht wurde. Das war ausgezeichnet, wenn auch des Guten etwas zu viel: Spätestens ab dem vierten Gang konnte ich außer wenigen Probierhappen kaum noch was essen, das zu jedem Gang extra gereichte Brot blieb unangerührt. Das ist nur schwer mit meiner Flüchtlingskinderziehung zu vereinbaren, wonach Teller grundsätzlich leergegessen werden. Allerdings setzt die Magenkapazität hier natürliche Grenzen. Immerhin kam kein Wein um, immer das Positive sehen.

Zuviel des Guten war auch die musikalische Begleitung durch zwei Damen, die mit Geige und Harfe von Raum zu Raum zogen. Sie spielten sehr gut, sogar Stücke von ABBA und Queen, allerdings war es zu laut für Tischgespräche. Deshalb waren wir ihnen nicht böse, als sie weiter zogen und andere Gäste erfreuten.

Nach dem Essen suchten wir mit dem Paar aus Freiburg nochmals für ein Nachtglas die Hotelbar auf. In der Ecke neben dem Kamin saß ein jüngerer Mann augenscheinlich indischer Physiognomie, beschäftigt mit Buch, Datengerät und Getränken. Der saß da schon so, als wir Stunden zuvor ins Restaurant aufgebrochen waren, und er wirkte nicht unzufrieden.

Hotelfensterblick, morgens, mit Weinbergen der Côte d’Or im Hintergrund
Im Parc de la Bouzaise
Sofablick. Mehr braucht es manchmal nicht zur Zufriedenheit.
Nächstes Jahr aber wirklich nichts. (Foto: der Geliebte)

Mittwoch: Beim Aufwachen erwog ich, heute nichts oder überhaupt niemals mehr etwas zu essen. Das späte Frühstück – wir waren die letzten im Frühstücksraum, das Personal war schon mit dem Abräumen des Buffets beschäftigt – fiel mit einem Croissant und einem Pain au chocolat jeweils im Kleinformat, einem Glas Saft und einer Tasse Kaffee entsprechend geringfügig aus.

Mittags deckte ich meinen Bedarf an etwas Bewegung und frischer Luft mit einem Spaziergang über die Remparts, die zu etwa Dreivierteln erhaltene alte Stadtbefestigung um die historische Innenstadt von Beaune. Im Gegensatz zu den vergangenen Tagen waren kaum Autos auf den Straßen, nur wenige Menschen flanierten und führten ihre Hunde oder Kinder aus. Aus einem Fenster drangen Fetzen von „All I Want For Christmas“ von Mariah Carey an mein Ohr, dem in diesen Tagen kaum zu entkommen ist. And Aaaaaahahahahaii …

Nachmittags wurden die meisten Sachen einschließlich getätigter Einkäufe gepackt und ins Auto geladen, auf dass wir morgen zeitig nach Hause aufbrechen können. Wie üblich begleitet von Diskussionen zwischen meinen Lieben. Laut einem beliebten Klischee zerbrechen Ehen an falsch gedrückten Zahnpastatuben. Wie viele Partnerschaften mögen wegen unterschiedlicher Auffassungen über das richtige Packen des Autos bei der Urlaubsabreise in Schieflage geraten?

Nach dem Abendessen nahmen wir den letzten Vin Chaud à la maison in der Hotelbar. Der Inder hatte sich dort inzwischen über drei Sessel häuslich eingerichtet und wirkte weiterhin sehr zufrieden. Die Sitzgruppe gegenüber belegten ein Mann und zwei Teenagerjungs, letztere mit Alpaka-Frisuren. (Diese Bezeichnung für die aktuelle Haarmode junger Männer las oder hörte ich kürzlich irgendwo und finde sie sehr trefflich.) Gesprochen wurde fast nicht, alle drei waren intensiv mit ihren Datengeräten beschäftigt. Manchmal hielt einer dem anderen das Gerät vor die Nase, der grinste dann kurz und widmete sich wieder dem eigenen. Unterbrochen wurde ihr Tun durch einen zwischenzeitlich servierten Imbiss, der mit alternativen Tischmanieren vertilgt wurde, den Blick möglichst wenig vom Bildschirm abgewandt. Sie hatten auf ihre Weise Spaß, nehme ich an.

Rempards mit Moosansicht
Rempards mit Burgund-typischer Dachdeckkunst

Donnerstag: Nachdem auch die letzten Sachen ohne größeren Zank im Auto verstaut waren, verließen wir vormittags Beaune. „Passt bitte gut auf euch auf, die Welt wird nicht besser“, gab uns die Frau des netten Freiburger Ehepaars mit auf den Weg, womit sie zweifellos recht hat.

Auch an der Grenze zu Luxemburg gibt es Kontrollen gegen illegale Einreise. Etwas rätselhaft der Kontrollposten bei Trier: Er ist erst weit hinter der Grenze eingerichtet, nach einem Parkplatz und einer Abfahrt auf deutschem Gebiet. Schleusern wird es somit recht einfach gemacht, ihrem Geschäft nachzugehen. Bestimmt hat man sich dabei was gedacht.

Nach entspannter und sonnenbeschienener Fahrt kamen wir am späten Nachmittag in Bonn an. Dort waren die letzten fünf Törchen des Adventskalenders „Edle Tropfen in Nuss“ abzuarbeiten, was der Ankunft eine gewisse Leichtigkeit verlieh. Zum Abendessen besuchten wir den persischen Lieblingsitaliener. Nach einer Woche mit französischer Küche ist eine Steinofenpizza auch mal wieder ganz schön.

Für den letzten Urlaubstag morgen habe ich einen Wanderbeschluss gefasst.

Freitag: Mittags brach ich auf zur Wanderung, wegen der jahreszeitlich beschränkten Tagesbelichtung nicht sehr lang. Mit dem Bus fuhr ich bis Holzlar, von dort wanderte ich bei Sonnenschein über den Ennert und den mir bislang unbekannten Finkenberg zwischen Küdinghoven und Beuel zurück nach Bonn. Unterwegs begegneten mir vergleichsweise viele Menschen, was am Brückentag zwischen den Jahren liegen mag, viele haben frei, zudem ist die Strecke stadtnah. Jedenfalls war es wieder beglückend, auch wenn die meisten Bäume kahl Winterschlaf halten. Immerhin zeigen sich Moose und Stechpalmen verlässlich dauergrün.

Nach Ankunft in der menschenvollen Bonner Innenstadt belohnte ich mich für die Mühen mit einer Feuerzangenbowle auf dem Remigiusplatz, wo der Weihnachtsmarkt erstmals in diesem Jahr ein paar Tage länger geöffnet bleibt und zum Dreikönigsmarkt wurde, irgendwie muss es ja heißen. Neben mir bestellte und bekam jemand einen Lumumba. Wir kürzlich zu lesen war, soll man das nicht mehr sagen, weil es wohl irgendwie rassistisch ist. Herrje. Ohne Zweifel halte ich es für richtig, nicht mehr Mohrenkopf oder Zigeunerschnitzel zu gebrauchen, auch wenn mir die Diskussion darum bisweilen etwas hysterisch erscheint. Aber Lumumba? Was kommt da demnächst noch? Vielleicht Granatapfel, Götterspeise, Russisches Brot oder Matjes nach Hausfrauenart? AfD und Freie Wähler werden sich freuen, fürchte ich.

Ennert-Wald im Winterschlaf
Hardweiher
Moosansicht
Stilleben auf dem Finkenberg
Der Rhein mal von der anderen Seite

Samstag: Seit Mitternacht darf wieder Silvesterknallwerk verkauft werden. Wie das Radio morgens meldete, hatten die ersten Licht-Schall-Rauchfreunde bereits seit dem Nachmittag vor den Verkaufsstellen gewartet. Zu den Nebenwirkungen hinsichtlich Müll und Lärm befragt, antworteten sie, das hätten sie auf dem Schirm. Dann ist es ja gut.

Nicht auf dem Schirm, sondern auf dem Sofa verbrachte ich große Teile des Tages und war damit sehr zufrieden.

Abends gab es Raclette über Teelichtern, die Öfchen befanden sich in dem am Dienstag gezeigten Geschenkeberg. Das funktioniert erstaunlich gut, schmeckte bestens und machte satt. Und das Spielerische kam auch nicht zu kurz.

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Sonntag: Im Gegensatz zu den Vortagen blieb dieser Tag trüb und kalt, die Pfützen auf den Wegen waren gefroren. Den letzten Sonntagsspaziergang des Jahres verband ich mit einer Probefahrt der neuen Straßenbahnwagen. Zum Glück kam auch gleich einer, im Moment fahren sie noch im Mischbetrieb mit den alten auf der Linie 61. Damit fuhr ich bis bis zur Endhaltestelle in Auerberg und flanierte am Rhein entlang zurück, ein gut einstündiger Marsch, den ich so noch nicht gegangen war. Die neuen Wagen laufen sehr ruhig, was dem an Straßenbahnzügen nicht so interessierten normalen Fahrgast vielleicht gar nicht auffällt.

Wagen 2253 verlässt die Endhaltestelle in Auerberg
Rheinufer gegenüber Graurheindorf

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und einen guten Start in ein neues, möglichst angenehmes Jahr. Vielen Dank, dass Sie meinen Gedanken und Erkenntnissen hier wöchentlich folgen. Passen Sie gut auf sich auf, die Welt wird voraussichtlich nicht besser.

Woche 50/2024: Verwendungsfreie Wörter und angemessene Getränkebegleitung

Montag: Aus einer Intranet-Mitteilung: „Was sieht man lieber als lächelnde Kinderaugen? Nichts.“ Ungeachtet der Frage, wie man Augen zum Lächeln bringt – als eher antinatalistisch eingestellter Mensch entzücken mich derlei Anblicke nicht übermäßig, dennoch würde ich sie einer oben nahegelegten Erblindung ganz klar vorziehen.

Was nur wenig entzückt ist Liederlichkeit in der Berichterstattung. Liebe dpa, Kohlenmonoxid ist ein unsichtbares und geruchloses Gas, mit Rauch kaum zu verwechseln, das sollten Sie wissen.

(Aus General-Anzeiger Bonn)

Ebenfalls nicht zu verwechseln aufgrund unterschiedlicher Bartpracht sind die zwei syrischen Brüder, die nebenan den Friseurladen unseres Vertrauens betreiben und schon lange in Deutschland leben. Dort war ich am Abend zur Nachschur. Da ich annehme, dass sie es heute schon ganz oft beantworten mussten und in den kommenden Tagen weiterhin müssen, verzichtete ich darauf, sie nach ihrer Einschätzung der aktuellen Entwicklungen in ihrem Heimatland zu fragen. Aus ähnlichen Gründen vermeide ich es grundsätzlich, jemanden mit einem augenscheinlich verarzteten Körperteil nach der Ursache zu fragen.

Vielleicht wurde er/sie/es in der Fußgängerzone von einem radelnden Speisesklaven umgemäht. Über nämlichen Berufsstand ergeht sich Herr Gunkl in interessanten Betrachtungen:

„Im Fernsehen gibt es gleichermaßen echt viele Kochsendungen und echt viel Werbung für Essensbringdienste. Das ist nur dann ein Widerspruch, wenn man nicht weiß, daß die Menschen, die Pornos anschauen, sich sehr selten an interpersoneller Lustventilation beteiligen. Es geht nicht darum, das nachzumachen, sondern man sieht’s halt gern, und die in der Darstellung gezeigte Problemlösung wird in der billigstmöglichen Art erledigt.“

Dienstag: Um fünf Uhr früh erwachte ich aus einem unspektakulären Traum, dessen Inhalt sogleich verflog, und schlief bis zum Wecker eineinhalb Stunden später nicht mehr ein, obwohl mich weder trübe Gedanken noch Schmerzen noch störende Schlafgeräusche von nebenan daran gehindert hätten. Stattdessen fiel mir ohne erkennbaren Grund ein weiteres komisches Wort ohne akuten Verwendungszweck ein, das ich mir immerhin merkte, um es nach dem Aufstehen für einen eventuellen späteren Gebrauch zu notieren: Pudelzucker. Weitere früher notierte, bislang verwendungsfreie Wörter sind: Antischocken, Apothekalypse, Bedonis, Blamierraupe, Eisprung-Weltrekord, Hedonistan, Inflatulenzer, Kackordnung, Katholiker, Konsensmilch, Nudistan, Pfarrerflucht, Pilsener Urknall, Reiseamboss, Rekanalisation, Reinhardsgebot, Reinheitsgebet, Schnapsatmung, Stinktanga, Tindermädchen, Wixiklo. Immerhin werden Stinktanga und sechs weitere von der Rechtschreibprüfung nicht beanstandet, Sie dürfen gerne raten, welche. Ansonsten dürfen Sie sich gerne bedienen, wenn Sie eins oder mehrere gebrauchen können.

Ohne erkennbaren Sinn auch, was morgens im Radio gemeldet wurde: Die Jura-Studenten der Uni Bielefeld müssen ihre Examensklausuren im siebzig Kilometer entfernten Hamm schreiben, weil an der heimischen Hochschule die Toiletten defekt sind. Einige reisen sogar am Vortag an, um pünktlich zu erscheinen. Manches muss man nicht verstehen. Warum stellt man in Bielefeld keine Toilettenwagen oder WDixiklos auf, sind die den Herrschaften in der kalten Jahreszeit nicht zumutbar? Warum ausgerechnet Hamm?

Warum nicht zum Beispiel Duisburg? Von dort erreichte mich heute der nächste Brief des Blogkollegen. Dieses Mal nicht handschriftlich, sondern mit einer echten Schreibmaschine geschrieben, einschließlich weniger über-x-ter Tippfehler, die dem Brief schon optisch eine individuelle Anmutung verleihen. So einen habe ich schon lange nicht mehr gesehen, geschweige denn im Briefkasten gehabt. Lieber M., herzlichen Dank dafür! Antwort folgt. Demnächst.

Mittwoch: Kollegen, die schon morgens um acht bei Ankunft im Büro „Mahlzeit“ sagen, verfügen auch über einen sehr speziellen Humor.

Kantinengespräch während der Mahlzeit, nachdem die Kollegin begeistert von unserer Lesung vergangene Woche erzählt hatte: „Was, du bloggst? Ein Buch hast du auch geschrieben? Warum weiß ich davon nichts?“ – Vielleicht zur Wahrung des Bürofriedens.

Die Tage hat ein Frachtschiff auf der Mosel ein Schleusentor schwer beschädigt, voraussichtlich werden sich die Reparaturarbeiten bis März hinziehen. Bis dahin wird die Schleuse nicht passierbar sein, zurzeit hängen siebzig Schiffe fest. Der erwartete Schaden für die Wirtschaft ist immens:

General-Anzeiger Bonn

Wort des Tages, aus einem Versprecher des Geliebten und sogleich notiert: Eierzangenbowle.

Frohes Fest (gesehen auf dem Bonner Weihnachtsmarkt, ansonsten versichere ich, damit nichts zu tun zu haben)

Donnerstag: Ich war nicht selbst dabei, jedenfalls wurde mir durch eine verlässliche Quelle folgender Satz aus einer Besprechung zugetragen: „Das ist doch eine Milchpersonrechnung.“ Übrigens heißt es in bestimmten Kreisen wohl nicht mehr „Mutter“, sondern „milchgebende Person“. Immerhin wurde „Milch“ noch nicht durch „Nachwuchsnährsekret“ ersetzt.

Freitag: Der Tag begann mit einem regelmäßigen Zahnarztbesuch, ansonsten lag eine gewisse Müdigkeit darüber. Ein Zusammenhang mit einem kollegialen Weihnachtsmarkbesuch am Vorabend ist nicht völlig auszuschließen.

Beim Mittagessen wurde ich Opfer eines langen Monologs zu Brandbekämpfung. Der Kollege ist Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, was ohne Frage zu loben ist. Doch schafft er es immer wieder, von jedem beliebigen Thema zu seinem Lieblingsthema zu wechseln, schlimmstenfalls zeigt er dazu auf seinem Telefon Bilder von Feuerwehrfahrzeugen. Ich mag nicht auf anderer Leute Telefone schauen, es ist eine Unflätigkeit, sie mir ungefragt vor die Nase zu halten. Bei solchen Anlässen gelingt es mir ganz gut, Zuhören zu simulieren, ab und zu fließt automatisch ein „Aha“ oder „Mmh“ ein, manchmal sogar „Sieh mal an“ und ähnliche scheinbare Interessensbekundungen, während ich gedanklich woanders bin und hoffe, der Redefluss des Gegenübers möge bald versiegen. Immer wieder erstaunlich, dass die Leute das nicht merken. Eigentlich ist das sehr unhöflich von ihnen.

Gehört in einer Besprechung: „Das halte ich für kreuzgefährlich.“ Verstehe ich nicht, allerdings wollte ich den Verlauf durch Nachfragen nicht unnötig in die Länge ziehen.

In einer anderen Besprechung zuckte der Sprachnerv etwas, als nämliches gefragt wurde: „Braucht ihr das detailliert oder etwas high leveler?“

Samstag: Ein angenehmer Tag mit den üblichen Samstäglichkeiten ohne besonderen Notierenswert.

Laut kleiner kalender ist heute Affentag. Aus der Beschreibung: „Der Affentag soll durch individuelle Aktionen begangen werden, beispielsweise indem man sich mit einem Affenkostüm verkleidet oder wie ein Affe spricht und gestikuliert.“ Sprechen wie ein Affe? In dieser Hinsicht machen sich viele Mitmenschen täglich zum Affen.

Abends waren wir auf der Weihnachtsfeier der Karnevalsgesellschaft. Traditionell gab es das rheinische Gericht auf Kartoffelbasis, das je nach Laune, Postleitzahl oder was weiß ich mit unterschiedlichen Bezeichnungen auf den Teller kommt, unter anderem Külles, Kesselsknall, Döppekuchen. Schmeckt jedenfalls sehr gut. Dazu gab es eine angemessene Getränkebegleitung; gelacht und gesungen wurde auch.

Sonntag: Gelesen bei Herrn Buggisch und zustimmend genickt:

Taylor Swift, jenes musikalische Phänomen, das mir Rätsel aufgibt. Rätsel Nummer 1: Wie heißen ihre Songs? Ich kann spontan keinen einzigen Titel nennen. Rätsel Nummer 2: Wie klingen ihre Songs? Ich habe spontan keine einzige Melodie von ihr parat. Und ich bin eigentlich ziemlich gut in so was. Ich mag Musik, ich höre viel Musik, und meine Frau staunt immer ein bisschen, wenn ich bei einem Lied im Radio nach 3 Sekunden Künstler und Titel nennen kann. Aber zugegeben: Das ist Musik aus andern Zeiten. Es ist also gar nicht so, dass ich Taylor Swifts Musik nicht mag. Sie existiert für mich nicht.

Beim Spaziergang sah ich erstmals einen der neuen Straßenbahnwagen in freier Wildbahn. Im Übrigen zeigte sich der Tag, nach anfänglich blauen Stellen am Himmel, dezembrig-grau. Aber das mag ich ab und an durchaus ganz gerne.

Rheingrau
Wagen 2253 auf dem Weg nach Auerberg. Hübsch, finde ich.

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Kommen Sie gut durch die vorletzte Woche des Jahres.

Woche 51/2021: Konsumskepsis mit Weinbegleitung und Schleichkatzen

Montag: Kurz vor Jahresende steht der Umfang der anstehenden Aufgaben in einem günstigen Verhältnis zur Anzahl der Stunden auf dem Gleitzeitkonto. Dies ermöglichte heute einen sehr zeitigen Feierabend, und die Hoffnung scheint begründet, dass sich daran in dieser und der kommenden Woche nicht mehr viel ändern wird.

Ansonsten habe ich zurzeit wenig Hoffnung: In diesen Tagen ist immer wieder zu lesen, Omikron sei keine Welle, sondern eine Wand. Ich verstehe nicht, was das bedeuten soll, merke indes, wie mich das belastet, nervt, was mit mir macht, wie Sprachfrevler es ausdrücken: die Unsicherheit, was bald auf uns zukommen mag, die Aussichtslosigkeit, es könnte in absehbarer Zeit besser werden. Und ich merke, wie ich zunehmend gereizt reagiere auf Menschen, meine Lieben gar, auf Geräusche aller Art wie Waschmaschine, Fernseher, Telefon. Vielleicht ist es auch nur der übliche Montagsverdruss oder der Vollmond, und schon morgen begegne ich den derzeitigen Imponderabilien wieder mit angemessenem Leichtsinn.

Dabei sollen Momente der Freude nicht unerwähnt bleiben: „Die sehen wirklich toll aus. Und die schwimmen alle oben, das haben die sonst nie gemacht.“ (Wer das bei welcher Gelegenheit gesagt hat, sei verschwiegen. Denken Sie sich einfach was Schönes aus.)

Dienstag: Heutet ist der kürzeste Tag des Jahres. Immerhin darauf kann man sich noch verlassen. Und es besteht Hoffnung, dass die Tage ab morgen wieder länger werden. Auch meine Laune erhellt sich etwas, obwohl sich an den allgemeinen Umständen nichts geändert hat. Manchmal ist das so.

Die Zeitung berichtet über den „Spaziergang“ von etwa achthundert Querpfeifen und ihren Freunden gestern Abend durch die Bonner Innenstadt. Initiator war eine Gruppe mit dem Namen „Studenten stehen auf“, was der Grund dafür sein mag, dass der Marsch erst abends stattfand. Eine Teilnehmerin äußerte gegenüber der Zeitung, sie sei »für das Grundgesetz und verstehe nicht, wieso wir unsere Grundrechte entzogen bekommen haben«, auch sei sie weder Querdenk- noch Verschwörerin. Dafür offenbar eine Idiotin.

Dazu passend wird ein Polizist im SPIEGEL zitiert: »Setzt einfach eure Masken auf und erspart uns euren Wohlstandstrotz.«

Melanie S. aus B. beklagt in einem Leserbrief an den General-Anzeiger, sie sei auf dem Weihnachtsmarkt von einem Mann „aus der aggressiven Bettlerszene“ beleidigt worden, nachdem sie nichts rausrücken wollte. »Für mich ist das ein wesentlicher Grund, mehr im Internet einzukaufen«, so die Dame, sich im Netz vor Beleidigungen und Pöbeleien offenbar sicher wähnend. (Bitte denken Sie sich an dieser Stelle Hintergrundgelächter vom Band.)

Abends hier gelesen: »Dreimal werden wir noch wach, Heißa, dann ist Donnerstach«. Das wäre keiner Erwähnung wert, wäre mir nicht exakt dieser Satz – nur mit „Zweimal“ statt „Dreimal“- heute Mittag beim Verdauungsspaziergang durch den Rheinauenpark eingefallen, also bevor ich ihn abends las. Hätte es irgendeine Relevanz, wäre ich bereit, das zu beschwören.

Auch mittags war es noch ziemlich frisch.

Mittwoch: Am für mich letzten Arbeitstag der Woche ging ich trotz Kälte zu Fuß ins Werk.

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Die Hoffnung auf ein wärmendes Getränk auf dem Rückweg erfüllte sich leider nicht, weil der Verkaufsstand am Rheinpavillon (zweites Bild oben) gerade erst öffnete. Nachteil des frühen Feierabends.

Donnerstag: Während andere mit mehr oder weniger großer Freude Driving home for Christmas praktizierten, verbrachten wir die Weihnachtstage an der Mosel. Man ist schon schäbiger untergekommen.

Unsere Zimmerbeleuchtung

Freitag: Heiligabend. Unser Hotelzimmer verfügt über einen Erker mit Blick auf den Fluss, wo es sich vorzüglich sitzen und lesen lässt, zwischendurch immer wieder mit einem Blick in das wolken- und nebelverhangene Moseltal. Hier sitzen- und lesenzubleiben, bis Weihnachten vorbei ist, ist ein reizvoller Gedanke, der sich allerdings nur schwer umsetzen ließe.

Unsere Gemächer

Im Ort gibt es übrigens einen Fachbetrieb für Klangschalen und Zubehör, falls Sie da mal Bedarf haben.

Samstag: Rückblickend war der Heilige Abend schön. Kurzzeitig entstand leichte Hektik, nachdem wir eher zufällig um kurz vor sechs erfahren hatten, dass das gebuchte Weihnachtsmenü bereits um achtzehn statt angenommen zwanzig Uhr beginnt. Es verlief dann dennoch sehr zufriedenstellend. Auch der zuvor vereinbarte Nichtschenkungspakt wurde von allen eingehalten, was die Zufriedenheit nochmals steigerte. Für mich, der alles hat und weder weiß, was er sich wünschen noch den Lieben schenken soll, und dem eine wachsende Konsumskepsis innewohnt, ist es höchst entspannend, sich darüber keine Gedanken mehr machen zu müssen.

Auch die Auswirkungen der gestrigen Weinbegleitung hielten sich am Morgen in Grenzen. Dennoch ließen wir den Tag ruhig angehen. Während ich diese Zeilen im gestern besungenen Erker niederschreibe, mit Blick auf das immer noch regnerisch bewölkte Moseltal, sind vom Bett gegenüber regelmäßige Atemgeräusche zu vernehmen. Mehr Besinnlichkeit ist kaum vorstellbar.

Man beachte, nicht eine einzige Lichterkette ist zu sehen. Dennoch war es sehr besinnlich, trotz Aussicht auf das Gewerbegebiet am anderen Ufer.

Falls auch Sie Religion und Christentum im Allgemeinen sowie Weihnachten im Besonderen mit Skepsis begegnen, sollten Sie das hier lesen.

Sonntag: Nach Rückkehr von der Mosel wirkte die eigene Wohnung vorübergehend etwas klein und schlicht.

Was anderes: Sie wollten schon immer mal eine Straßenbahn fahren? Dann bitte hier entlang. Die Kunst liegt darin, den Wagen an den Haltestellen so passend am Bahnsteig anzuhalten, dass die Fahrgäste ein- und aussteigen können, also wie in echt. Doch Vorsicht, es kann ein wenig süchtig machen. Vielen Dank an Thomas für den Link!

Auch diesen Rückblick beschließe ich mit einigen Bildern der Woche.

Schlosshotel Lieser in Lieser an der Mosel. Nicht die günstigste Unterkunft am Ort, doch sehr zu empfehlen.
Reben im Winterschlaf
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Stilleben mit Rädern
Darüber nachzudenken, welchen Weg diese Kaffeebohnen gegangen sind, ehe sie in der Tasse ihre intensive Geschmacksfülle entfalten, könnte sich negativ auf die Kaufentscheidung und den Aromagenuss auswirken.

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Ich hoffe, Sie sind gut durch die Weihnachtsfeiertage gekommen und wünsche Ihnen nun eine angenehme Woche „zwischen den Jahren“.