Woche 20: Kontaktpersonennachverfolgung

Montag: Es mag Zeichen einer gewissen Weicheiigkeit meinerseits sein, die ich gar nicht in Abrede zu stellen versuche, jedenfalls nutzte ich heute wegen Regens zum ersten Mal seit sieben Wochen statt Fahrrad wieder die immer noch ziemlich leere Stadtbahn, um ins Werk zu gelangen, selbstverständlich mit der vorgeschriebenen Schutzmaske.

Ziemlich leer blieben auch die Plätze der Außengastronomie, die seit heute wieder öffnen darf, was ich in erster Linie auf das unfreundliche Wetter zurückführe. Wie auch immer – schön, dass sie wieder geöffnet haben. (Ich erspare mir und Ihnen hier einen Satz, in dem „ein Schritt in Richtung Normalität“ vorkommt.)

Der normale Wahnsinn auch im Werk: „Ich schicke euch dazu noch Slides und Co.“, sagt der Projektleiter.

Dienstag: „Heute Abend hätte ich gerne überbackene Camembertspitzen mit Preißelbeeren“, sagte der Geliebte am Morgen. Anscheinend hatte er wieder was Komisches geträumt. Oder wir sollten ihn nicht immer so verwöhnen.

Dass die Österreicher einen sehr speziellen Humor haben, wissen wir spätestens seit der Krimiserie „Kottan ermittelt“. Ein weiterer Beleg geht aus Pressemeldungen (nicht im Postillon) hervor, demnach dürfen in Österreich Blasmusiker wieder spielen – mit Mundschutz. Vielleicht sind unter derselben Voraussetzung bald auch Pornoproduktionen wieder erlaubt.

„Bleib stark – kauf vor Ort“, las ich abends in den Schaufenstern mehrer Geschäfte in der Innenstadt. Während ich überlegte, was das eine mit dem anderen zu tun hat, ob es sich nicht vielmehr gegenseitig ausschließt, erfordert es doch für viele Menschen eine gewisse Stärke, gerade nichts zu kaufen, sah ich vor der Filiale einer großen Textilkette junge Menschen in einer langen Schlange stehen. Da verstand ich.

Irritierende Bildunterschrift in der Zeitung: „Die Villa am Kurpark in Bad Godesberg blickt auf fast 50 Jahre erfolgreiches Lernen zurück.“ Was mag sie in der Zeit gelernt haben?

Mittwoch: Immer wieder möchte ich aus der Haut fahren, wenn in einer Besprechung für Zuspätkommer alles bisher Gesagte nochmal wiederholt wird.

Aus der Haut fahren wollte auch eine Kollegin, nur drückte sie es etwas anders aus: „Da kriege ich Schnappgeräusche!“, sagte sie. Eine Kostprobe ersparte sie uns freundlicherweise, auch wenn das bestimmt einen gewissen Unterhaltungswert gehabt hätte.

Wer glaubt, das Attribut „atmungsaktiv“ sei bestimmten Kleidungsstücken vorbehalten, irrt. Laut Mitteilung des Chorverbandes sind Proben in „atmungsaktiven Fächern“, insbesondere Gesang und – im Gegensatz zu Österreich – Blasinstrumente, bis auf weiteres nicht erlaubt. Somit sind meine freien Abende mittwochs und donnerstags erstmal gesichert, was zu beklagen mir fernliegt.

Donnerstag: Seit einigen Wochen bietet die Kantine nur Essen zum Mitnehmen in eingeschränkter Auswahl an, ich berichtete. Hatte man sonst die Wahl zwischen sechs oder sieben Gerichten plus Pizza, großer Salatbar und Dessertbuffet, gibt es nun neben Pizza und fertig portioniertem Salat genau ein täglich wechselndes Tagesgericht, das ich konsequent nehme. So esse ich ab und zu Sachen, die ich früher wohl eher nicht gewählt hätte, und stelle fest: Vor allem die vegetarischen Gerichte schneiden geschmacklich sehr gut ab. Nur die Dessertauswahl vermisse ich etwas.

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Vor der Kantine begegnete mir einer, der in Anzug und mit Krawatte völlig aus der Zeit gefallen schien.

Freitag: Die gute Nachricht des Tages verkündet, ab kommender Woche kann man wieder in der Kantine essen, wenn auch mit eingeschränktem Angebot und unter den bekannten Abstandsregelungen.

Zufällig entdeckt: Die Mutter aller Imagefilme.

Samstag: Seit einiger Zeit fühle ich mich beim Duschen irgendwie beobachtet.

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Abends aßen wir erstmals seit Wochen wieder in einem Restaurant in der Innenstadt, was hatte ich mich darauf gefreut! In der Annahme, andere freuten sich ebenso, hatte ich tagsüber extra für uns reserviert und erwartete abends ein im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten volles Haus. Jedoch war erstaunlich wenig los, was mich etwas irritierte. Trauen sich die Leute noch nicht?

Sonntag: Das erste Weizenbier unter freiem Himmel, auf das ich mich nicht minder gefreut hatte, nahm ich heute im Rahmen des Sonntagsspaziergangs auf dem Münsterplatz zu mir.

Zuvor muss man zur „Kontaktpersonennachverfolgung“, ein wunderbares Wort, einen Zettel ausfüllen mit Name und Telefonnummer. Die Richtigkeit der Angaben wird nicht geprüft, man könnte also irgendwas schreiben, mache ich natürlich nicht. Schräg hinter mir saßen zwei an einem Tisch. Als ein dritter dazukam, fragte die Bedienung: „Wohnen Sie zusammen?“ Vor kurzem hätte das zur Gegenfrage „Was geht Sie das denn an?“ geführt, heute ist es selbstverständlich.

Mit einer neuen Selbstverständlichkeit gab ich dem Bettler, der an meinen Tisch trat, einen Euro, weil ich annehme, die haben es jetzt besonders schwer. Vielleicht ist das Unsinn, leicht hatten die es vorher auch nicht.

Skurril: Ein Mann lief in Socken über den Platz, seine Schuhe trug er materialschonend an den Schnürsenkeln baumelnd in der Hand. Vielleicht ein Leisetreter.