Woche 11/2025: Einfache Lösungen und liederliche Possessiv-Verschiebungen

Montag: Neben der montagsüblichen Unlust lag eine gewisse – wie nennt man das Gegenteil von Vorfreude? Vorfurcht, Bammel? Na Sie wissen schon – so etwas lag über dem Tag wegen der Zahnziehung am Nachmittag. Die war dann gar nicht so schlimm. Selbst die Injektionen des Betäubungsmittels spürte ich nicht, obwohl der Zahnarzt mehrfach „Das drückt jetzt etwas unangenehm“ sagte, während er stach und spritzte. Etwas unangenehm das anschließende, gefühlt minutenlange Zerren und Ruckeln, vermutlich ging es viel schneller, jedenfalls auch das völlig schmerzfrei. Dann war mir zunächst nicht klar, ob der Zahn schon raus oder eine Unterbrechung zum Werkzeugwechsel erforderlich war. Doch als er mich aufforderte, langsam zuzubeißen, wusste ich, es war überstanden, alles in allem dauerte es vielleicht eine Viertelstunde.

Anschließend musste ich zwei Stunden lang auf ein Stück Vlies beißen, was mich beim Sprechen beeinträchtigte. Aber das kommt mir ja generell entgegen, gerade am Montag. „Ich kann schweigen wie ein Grab“ sagt, wer Diskretion verspricht. Ich kann schweigen wie ein Ostwestfale am Montag, das ist noch etwas ruhiger.

Dienstag: Ich würde mich nicht grundsätzlich als verstockt charakterisieren, manchmal dauert es halt etwas länger, bis Gewohnheiten, die für andere längst selbstverständlich sind, auch bei mir auf zumindest probeweise entgegengebrachtes Interesse stoßen. So benutzte ich im Büro heute erstmals zwei Bildschirme, nachdem der Kollege vom Schreibtisch gegenüber mir kurz gezeigt hatte, wie das geht. Für die Zusammenführung zweier Dokumente erwies sich das als sehr hilfreich, komme ich nicht umhin einzugestehen, daher ist nicht auszuschließen, dass ich das künftig öfter machen werde.

Der Frühling macht Pause, der Fußweg nach Hause erwies sich bei Nieselregen und kaltem Wind von vorne als äußerst ungemütlich. Normalerweise hätte ich daher die Stadtbahn genommen, allein die fuhr nicht wegen Streiks. (Das ist keine Anklage, ich habe dafür Verständnis und finde es lächerlich, wenn behauptet wird, irgendjemand würde für Tarifforderungen in Geiselhaft genommen.) Alternativ hätte ich mit dem Bus fahren können. Zwar streikten auch die Busfahrer der Stadtwerke, aber das Subunternehmen mit den blauen Bussen, die im Gegensatz zu den Stadtwerkebussen stets blitzsauber sind, fuhr. Allerdings erschien mir aufgrund der Menschenmenge an der Haltestelle der Fußmarsch als das kleinere Übel.

Die Stelle, wo bis gestern Nachmittag ein entkrönter Weisheitszahn steckte, zeigt sich ruhig, weder Schmerz noch Schwellung machen sich bemerkbar. Wirklich rein zufällig bekommt morgen auch der Liebste einen Zahn gezogen, sein Termin steht schon länger fest, während meiner sich kurzfristig letzte Woche ergab. Hoffen wir also, dass es auch bei ihm so problemlos läuft.

Mittwoch: Heute vor fünf Jahren wurde weltweit die Covid-19-Pandemie ausgerufen, wohl keiner hätte da vermutet, wie lange uns dieses Unheil begleiten würde. Unglaublich, wie lange das schon her ist. Meine persönlichen Erinnerungen und Gedanken dazu habe ich vor längerer Zeit hier aufgeschrieben.

„Ich bin für einfache Lösungen“ sagte eine in der Besprechung. Niemals hörte ich jemanden sich als Freund komplizierter Lösungen bekennen, was eigentlich erstaunlich ist angesichts der zahlreichen unnötigen Komplikationen überall, nicht nur im beruflichen Umfeld. Allein das Einschalten des Radios in der Küche: Früher drückte oder drehte man einen Knopf am Apparat, heute diskutiert man mit Siri.

Auch der Liebste hat seine Zahnziehung gut überstanden, somit verfügt dieser Haushalt ab dieser Woche über zwei Zähne weniger. Viel weniger sollten es aber auch nicht werden in nächster Zeit.

Ansonsten empfand ich ganztägig Vorfreude auf morgen, denn morgen habe ich frei, es ist kleine Woche. Wie ich den Tag verbringen werde hängt vom Wetter ab, jedenfalls wird keine Langeweile aufkommen, so viel ist sicher.

Donnerstag: Der freie Tag begann mit dem Frühstück im Kaufhof-Restaurant, wie üblich gut besucht von Personen überwiegend im Rentenalter.

Danach wanderte ich durch die Südstadt, die Ortsteile Kessenich, Dottendorf und Friesdorf über den Venusberg, durch das Melbtal zurück bis Poppelsdorf. Das Wetter blieb trocken, ab und zu schimmerte die Sonne als blasse Scheibe durch den Dunst. Von der Temperatur her ließ es sich ohne Schal und Handschuhe gut aushalten. Dennoch hätte ich bei der nächsten Wanderung gegen ein paar Grad mehr nichts einzuwenden, auch Blätter auf den Bäumen wären wieder ganz schön.

Muschelpilze oder Pilzmuscheln auf dem Venusberg
Melbtal bei Ippendorf
Brücke über das Melbtal
Unbekanntes Tier. Immerhin schaut es freundlich

In Poppelsdorf besuchte ich spontan den botanischen Garten, das macht man auch viel zu selten. Beeindruckend die Gewächshäuser, in denen verschiedene Klimazonen mit entsprechender Vegetation nachgestellt werden. Beim Betreten beschlug sofort die Brille, daher konnte ich die exotische Flora zunächst nur erahnen.

Botanischer Garten I
Botanischer Garten II

Praktischerweise befindet sich direkt am botanischen Garten ein Restaurant mit Currywurst auf der Karte. Ein paar Tische weiter rechts saßen vier Personen, darunter ein junger Mann, dem die Natur eine gewisse Schönheit verliehen hat, augenscheinlich war er sich dessen bewusst. Allein durch permanentes Kauen eines Kaugummis setzte er seiner Attraktivität enge Grenzen. Das wusste er vermutlich nicht.

Zu meiner Linken saß eine Frau mit einem etwa sechsjährigen Jungen, unterstellt Mutter und Sohn. Mehrfach versuchte das Kind, mit der Mutter ins Gespräch zu kommen, doch hatte es keine Chance gegen das Datengerät, dem Mutters vollständige Aufmerksamkeit galt. Mir tun solche Kinder immer leid. Oft ist zu lesen von Studien, wonach sich übermäßiger Mobiltelefon-Gebrauch negativ auf die kindliche Entwicklung auswirkt. Ich behaupte, ohne es belegen zu können, das Gebrauchsverhalten solcher Eltern richtet genauso großen Schaden an.

Freitag: Im Büro war gut zu tun, da auch gestern einiges aufgekommenen war. Der Preis des freien Tages, den ich – neben etwas weniger Gehalt – gerne zu zahlen bereit bin. Es ließ sich gut abarbeiten, ich fühlte mich motiviert und kompetent, das ist ja auch mal ganz schön und nicht selbstverständlich. Laut einem Zeitungsbericht fühlen sich nur noch neun Prozent der Arbeitnehmer emotional in starkem Maße mit ihrem Unternehmen verbunden. Aber vielleicht kann man auch mit einer gewissen Distanz gute Arbeit leisten; nur weil ich nicht bei jeder neuen Verkündigung in Jubelgesänge einstimme, bedeutet das noch lange nicht die innere Kündigung. Wie ich schon früher ausführte: Uns verbindet ein Arbeitsverhältnis, keine Liebesbeziehung.

„Die Information ist outdated“ las ich in einer Mail und fragte mich mal wieder, was Leute damit bezwecken, wenn sie sich so ausdrücken. Vielleicht bin ich auch langsam ausdatiert.

Im heimischen Gehege hat sich eine am Dienstagabend jäh aufgekommene, hier nicht näher auszuführende Disharmonie, deren Grund verschwiegen wurde, offenbar wieder aufgelöst. Wäre ich Kafka, würde ich daraus vielleicht eine verstörende Novelle formulieren. Da ich nicht Kafka bin, belasse ich es bei diesen Zeilen und freue mich auf das erste gemeinsame Glas Champagner des Wochenendes.

Samstag: Im Briefkasten lag ein persönlicher Brief, über den ich mich freue. Lieber T., Antwort folgt. (Lieber M., auch dir bin ich noch eine Antwort schuldig, ich weiß.)

Laut kleiner kalender ist heute Sprachlos-Tag. Was soll man dazu sagen. Immer wieder sprachlos machen mich liederliche Possessiv-Verschiebungen in Zeitungsartikeln, heute im General-Anzeiger gleich zweimal:

„Dem Vorschlag hatte die Bezirksvertretung Bonn in seiner jüngsten Sitzung zugestimmt.“

„Nur, weil eine Brücke in seiner Bauweise ziemlich gut konstruiert wurde, …“ (Aus einem Leserbrief)

Apropos Kalender: Heute vor zwanzig Jahren zogen wir in diese Wohnung am Rande der Inneren Nordstadt, zentral und dennoch ruhig gelegen. Ziemlich genau ein Jahr später als vertraglich vereinbart, weil das Haus nicht früher fertig geworden war. Nach wie vor fühlen wir uns hier sehr wohl und ich bin guter Hoffnung, das war bis zum finalen Auszug der letzte Umzug. Aber man weiß nie, vielleicht zieht es uns irgendwann noch aufs Land.

Sonntag: Ein Tag wie aus dem Musterbuch der Wochentage mit Ausschlafen, Frühstück mit den (wieder) Lieben, Sonntagszeitung, darin nichts Erwähnenswertes. Nachmittags ein langer Spaziergang ans andere Ufer, es war sonnig und nicht ganz so warm wie vergangenen Sonntag, so dass es sich mit Jacke gut aushalten ließ. Der Lieblingsbiergarten ist noch geschlossen.

Die Mirabellen blühen
Der Huflattich auch

Abends schrieb ich einen lange überfälligen Brief, nachdem es gelungen war, den mittlerweile eingetrockneten Füller wiederzubeleben. Ich gelobe Besserung.

Zum guten Schluss: Erfreulich in dieser Woche waren zwei problemlose Zahnziehungen, ein Wandertag und ein erhaltener Brief.

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche. Genießen Sie die Sonne.

Über Selbstgespräche

„Man kann nicht nicht kommunizieren“ – so das erste Axiom des bekannten Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick. Besonders deutlich wird dies am Rheinländer: Er redet, wo er geht und steht, wobei die Theorie, dass Kommunikation stets von einem Sender an einen Empfänger gerichtet ist, bei ihm eine eher untergeordnete Rolle spielt; er schwaad* vor sich hin, egal ob gerade jemand zuhört oder es gar jemanden interessiert, die reine Geräuschentwicklung steht im Vordergrund, Stille macht ihm Angst.

Das Gegenteil vom Rheinländer ist der Ostwestfale. Er redet ungern und nur das nötigste, wodurch ihm – völlig zu unrecht – der Ruf der Sturheit und Unnahbarkeit anhaftet. Ich bin Ostwestfale, daher schon von Natur aus kein Freund des gesprochenen Wortes, erst recht nicht morgens vor neun. Meine Kollegen wissen das, selbst die Rheinländer unter Ihnen bringe ich mit meiner frühen Einsilbigkeit zum Schweigen.

Ganz anders jedoch, wenn ich mich alleine wähne, dann sprudeln sie aus mir hinaus, die Worte, gar ganze Sätze, die so lange in meinem Westfalenhirn gefangen waren, gleichsam als habe eine unsichtbare Hand die Tore der Schweigeschleuse geöffnet. Das kann überall sein: unter der Dusche, im Bett, im Büro, auf dem Klo, auf der Straße oder im Auto. Auch die inhaltliche Bandbreite der freigesetzten Verbalemissionen ist mannigfach: vom Liedtext, den das Ohr morgens im Radio aufgeschnappt hat – gerne auch sehr frei und sehr falsch vom englischen ins deutsche übersetzt, zum Beispiel „schau nicht zurück in Enger, hörte ich sie sagen…“, über Beschimpfungen des soeben am Telefon verabschiedeten Gesprächspartners, Kommentierung der gerade ausgeübten Tätigkeit (besondere Vorsicht auf dem Klo), ständige Wiederholung der soeben ergangenen Ermahnung des Chefs, seinen Tonfall und seine Stimme persiflierend, eine sinnlose Werbebotschaft, bis hin zu einer jäh und grundlos erinnerten Gedichtzeile; erlebtes, geträumtes, aus dem Zusammenhang gerissenes, ausgedachtes, absurdes, vergangenes, künftiges, kritisches, mitunter peinliches.

Man kann nicht nicht kommunizieren? Ich kann es, mangels Empfänger sogar sehr wortreich. Herr Watzlawick hätte seine Freude an mir und müsste seine Axiome überdenken.

Übrigens: In letzter Zeit passiert es mir immer häufiger, dass jemand von nebenan fragt: „Was hast du gesagt?“ und ich die Situation durch ein hingemurmeltes „Ach nichts, ich habe nur laut gedacht“ zu retten versuche, während ich nach einer halbwegs plausiblen Erklärung suche, warum ich gerade „Fischers Fitz fickt frische Frösche“ laut denke. Entweder altersbedingte Unaufmerksamkeit oder eine schleichende Verrheinländerung. Aber vielleicht hatte Watzlawick ja doch recht.


* schwaade: kölsches Verb für schwätzen