Woche 3: Skandal im Karneval

Montag: Wohl wissend um den in olfaktorischer Hinsicht zweifelhaften Ruf des Eigenlobes möchte ich dennoch nicht verschweigen, mich heute über das Kompliment „Du malst Bilder mit Worten“ sehr gefreut zu haben. – Auch die Kommunikationsabteilung eines großen Konzerns greift zum Wortpinsel und taucht ihn tief ein in die Farbe der Formulierungen, wobei das Ergebnis eher abstrakt-expressionistisch anmutet: „Digitale Vertriebskanäle sind zu einem wesentlichen Bestandteil unserer kommerziellen Stärke und unseres Leistungsversprechens geworden. Aus diesem Grund werden wir wichtige digitale Themen mit Bezug zur Kundenorientierung mit unseren digitalen Kompetenzen in Customer Solutions & Innovation (CSI) bündeln. Dies ist eine logische Erweiterung der kommerziellen Schnittstellenfunktion, die CSI in der Vergangenheit erfolgreich gespielt hat. Im Rahmen des zukünftigen CSI-Setups werden u.a. die folgenden digitalen Themen angegangen: […] Den (!) Aufbau kommerzieller Funktionen, um unsere API-Strategie zu orchestrieren (!!) und mit großen 3PV-Initiativen in Kontakt zu treten und somit Marktführer […] zu werden.“ Es ging noch weiter, doch hätte ich beim Weiterlesen mit großer Wahrscheinlichkeit den Verstand verloren.

Dienstag: Ich habe einen recht unspektakulären Bürojob mit schöner Aussicht in einem großen Unternehmen. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Mittwoch: Trotz allem sind Besprechungen und Tagungen etwas Wunderbares. Ich sitze im Warmen, trinke Kaffee, gehe meinen persönlichen Gedanken nach und werde zudem gut dafür bezahlt.

Donnerstag: Zum Thema E-Mails schrieb Corinne Maier in ihrem schon erwähnten Buch dieses:

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Freitag: Skandal im Karneval: Der Sessions-Orden der Kar­ne­vals­frün­de Dur­schlö­scher weckt die Empörung zahlreicher Bonner Katholiken, weil er die Form einer sogenannten Monstranz aufweist, die statt einer Hostie ein Kölschglas beherbergt. „Wie weit soll un­se­re Ge­sell­schaft noch sin­ken, was Ach­tung und Re­spekt vor den Ge­füh­len an­de­rer Mit­men­schen an­geht?“, wird eine gewisse Mar­git S. in der Zeitung zitiert. Auch Stadtdechant Wilfried Schumacher reagiert schmallippig und wirft den Jecken vor, statt vor dem Herrgott die Knie vor einem alkoholischen Getränk zu beugen. Das erscheint bemerkenswert aus dem Munde des Vertreters einer Glaubensgemeinschaft, die traditionell das Kreuz anbetet, welches ursprünglich den daran Genagelten auch nicht gerade Achtung und Respekt erwies. O ja, ich bin sehr für Religionsfreiheit. Eine Welt frei von Religionen wäre wohl eine friedlichere.

Samstag: Zwei Auftritte unserer Karnevalsgesellschaft: Am Vormittag zum Prinzenempfang in einem Godesberger Autohaus, abends auf der „Miljöhsitzung“ der KG Sternschnuppen in Beuel. Über die Notwendigkeit, in einem Autohaus aufzutreten, kann man geteilter Meinung sein (trotzdem machte es Spaß), der Auftritt am Abend erscheint mir dagegen sehr wichtig. Vor wenigen Jahren wäre mir das noch ziemlich schnuppe gewesen, auch wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, eine solche Sitzung zu besuchen, doch sehe ich das heute aus naheliegenden Gründen anders: Möglicherweise ist das allgemeine Interesse an solchen traditionellen Karnevalsfeiern im Schwinden begriffen. Man geht heute lieber zu den großen, kommerziellen Massenveranstaltungen wie in Kölnarena oder Telekom-Dome statt auf die kleinen, von örtlichen Vereinen getragenen Sitzungen. Manche Besucher lassen dort Anstand und Höflichkeit vermissen, indem sie Wortbeiträge auf der Bühne ignorieren und stattdessen lieber mit ihren Begleitern quatschen und Selfies anfertigen. Wenn ich durch meine aktive Beteiligung bei den Fidelen Burggrafen einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, diese Entwicklung etwas zu verzögern und denjenigen, die daran noch Interesse haben, Freude zu bereiten, so mache ich das sehr gerne.

Sonntag: Ich weiß, mittlerweile ist es ausgelutscht und nicht mehr besonders erheiternd, sich wegen überflüssiger Apostrophen und fehlender Bindestriche zu ereifern. Dennoch möchte ich Ihnen das Schild eines Instituts in der Bonner Inneren Nordstadt, welches sich ausgerechnet der Förderung von Sprache und Bildung widmet, nicht vorenthalten.

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Abgeschrieben: Der kommunikationsfreie Tag

Schon mehrfach* beklagte ich die Versklavung der Menschheit durch ihre Datengeräte, welche auch mich längst in ihre Ketten gelegt hat. Es ist uns nicht mehr möglich, einfach mal ein paar Minuten lang nichts zu tun: in der Bahn, in der Warteschlange, auf dem Klo. Die Angst, etwas zu verpassen, hat uns fest in ihrem Griff. Doch bin ich nicht alleine mit meinem Unbehagen, mittlerweile warnen Experten sogar vor einer Sucht und raten zur mobilen Mäßigung. Als wenn das so einfach wäre…

Einer, der die kommunikative Knechtschaft ebenfalls nicht länger als gottgegeben hinnehmen will ist Jannis. Er hat für sich einen „kommunikationsfreien Tag“ je Woche beschlossen, worüber er in seinem Blog schmerzwach schreibt. Mit seiner freundlichen Erlaubnis darf ich den Text hier wiedergeben.

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Ich kann mich noch erinnern, wie ich im Jahre 1997 ohne Mobiltelefon auf einem Musikfestival (Pink Pop in den Niederlanden) unterwegs war und meine Freunde verlor – was schlimmer für sie war als für mich, da ich die Geldbörsen für sie aufbewahrt hatte. Sie hatten von der Bühne springen wollen, stage diven – tja, und obwohl wir einen Treffpunkt für Fälle des Nichtfindenkönnens ausgemacht hatten, klappte das nicht … Was ich damit sagen möchte: Ich war also sehr spät dran damit, ein Mobiltelefon zu erwerben, sehr viel später sogar, ich glaube, das war 2001 oder 2002. Und ich benutzte es wirklich nicht oft. Auch mit dem Internet am Smartphone war ich sehr, sehr spät dran. Umso erstaunlicher ist nun meine Sucht.
Es ist kaum zu glauben: Schaue ich zuhause einen Film oder eine Serie, blicke ich ständig auf mein Smartphone, sitze ich in der Bahn das gleiche Spiel, selbst beim Kaffee Trinken mit Freunden, immer, immer wieder muss ich schauen, ob neue Nachrichten, Emails oder whatever ankommen. Und beantworten. Ständig ist irgendwas. Ständig muss ich etwas organisieren, besprechen, posten, liken, faven, retweeten und was es sonst noch alles gibt. Die Frage nach dem Warum ist schon längst nicht mehr die Kernfrage. Es ist eben so. Es ist eine Sucht – und es ist unsere moderne Gesellschaft. Ohne die Schuld von mir selbst weisen zu wollen, es ist nun eben so.
Nun habe ich diesen „kommunikationsfreien Tag“ eingeführt in diesem Jahr. Zum Selbstschutz. Um endlich mal einen Tag GANZ abzuschalten. Kein Social Media, keine Emails, keine Whatsapp, SMS, keine Anrufe. Nicht arbeiten. Einfach nur chillen. Für mich sein.
Aber es ist schwer. Wirklich schwer. Ich befinde mich in einer Situation, in der ich ständig ein Projekt im Nacken habe, ständig etwas zu tun, immer muss etwas beantwortet und bedacht werden. Es ist eben so. Ich kann nicht aus meiner Haut. Schließlich macht es mir auch großen Spaß! Aber es geht so nicht. Ich brauche mal Abstand, mal einen Tag Kurzurlaub von all dem. Ruhe. Aber ich muss etwas dafür tun. Ich schalte mein Smartphone auf Flugmodus, damit ich den Wecker oder Musik nutzen bzw. hören kann. Doch ich zucke immer wieder, während ich einen schönen Film schaue, möchte herausfinden, ob es etwas Neues gibt. Ich zucke, weil ich zwischendurch an meine Projekte denken muss. Aber nein, an diesem kommunikationsfreien Tag muss ich abschalten, muss ich es aushalten, nichts zu tun! Obwohl ich Zeit habe. Nein, das muss sein. Weil alles viel zu viel ist. Viel zu viel Kommunikation.
Ich brauche diesen kommunikationsfreien Tag, muss ihn mir aber von mir selbst abtrotzen!

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Wünschen wir Jannis, dass er die Datendiät durchhält! 

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Nämlich hier, da und dorten.