Montag: Der Einzelhandel beklagt Umsatzeinbußen und Mehrkosten durch 2G-Kontrollen. Haben sie es noch nicht verstanden? Die Zeitung zeigt zu diesem Thema ein „junges Pärchen“, das vor dem Betreten eines Bonner Parfümfachgeschäftes ordnungsgemäß Impfnachweise vorlegt. Ab wann, beziehungsweise wodurch wird ein Pärchen eigentlich zum Paar? Jedenfalls nicht durch Zuwachs einer weiteren Person. Aber wahrscheinlich ist die Frage so unnötig wie die, von was ein Kaninchen die Verkleinerungsform ist.
Die Linke-Partei sei in einer „durchaus existenziellen Situation“, wird die Vorsitzende in der Zeitung zitiert. Sind wir nicht alle in einer existenziellen Situation?
Wie ich nicht aus der Zeitung, sondern eher zufällig durch Bloglektüre erfahren habe, gibt es in Aschaffenburg die Stiftskirche St. Peter und Alexander. Danach summte ich über längere Zeit das Lied von der kleinen Kneipe in unserer Straße vor mich hin.
Ansonsten befielen mich heute vorübergehend Mikroaggressionen, wenn auch nur theoretisch.
Dienstag: Eine möglicherweise vollständige Liste der Wortneuschöpfungen im Zusammenhang mit der Seuche finden Sie hier.
John Miles ist tot. Das hier wird niemals sterben.
Kantinengedanke am Mittag: Manchmal lautet die Antwort auf die Frage nach Glücksmomenten einfach „Erbsensuppe“.
Mittwoch: Der Aktienindex DAX ist gestiegen. Dazu die Zeitung: »Gute Konjunkturnachrichten und nachlassende Sorge wegen der Virusvariante Omikron trieben sämtliche Branchen nach oben.« Es war die Ausgabe von heute, nicht eine aus ferner Zukunft. Entweder leben die Börsenmenschen in einer Parallelwelt oder ich.
Ansonsten verdiente dieser Tag bereits von frühester Morgenstunde an das Prädikat „Auch das noch“, was sich erst mit einem erlösenden Anruf am späten Abend einigermaßen legte.
Donnerstag: Ich wurde zu einem Sync Call geladen. Bewundernswert, auf was für Wörter manche kommen, um geschäftig zu wirken.
Abends stand ich mit dem Fahrrad ungefähr zwanzig Minuten in der Bonner Südstadt vor geschlossenen Schranken und sah zu, wie in beide Richtungen ein Zug nach dem anderen durchfuhr, der letzte blieb gar mitten auf dem Überweg stehen. Wie lange er dort stand, weiß ich nicht, da ich mich schließlich für einen anderen Weg entschied. Sind solche Bahnübergänge womöglich Teil eines Sozialexperiments? Vielleicht beobachten weiß bekittelte Forscher durch Überwachungskameras die Wartenden und führen über Listen auf Klemmbrettern genaue Statistiken darüber, ab welcher Wartezeit sich die ersten abwenden und wie lange die letzten bleiben, ehe auch sie begreifen, dass sich die Schranken niemals mehr heben werden. Vielleicht ließe sich daraus auch eine schöne Verschwörungstheorie über die von der Bahn betriebene Spaltung der Gesellschaft erdenken: der Pofalla-Plan.
Freitag: „Über eine Auftragserteilung und kreative Zusammmenarbeit würden wir uns freuen“, steht unter einem Angebot. Gute, meinetwegen auch erfolgreiche Zusammenarbeit wäre meinem Vertrauen förderlicher, aber das ist wohl in meiner natürlichen Beamtenmentalität begründet.
Samstag: Mittags erhielten wir den dritten Stich. „Zwei Tage lang kein Alkohol“, sagte der Impfarzt. Das geht nun wirklich zu weit, da kann man die Impfgegner schon ein klein wenig verstehen.
Das dümmste Wort des Tages stand in einer Reklameanzeige in der Tagezeitung: „Lammfell-Advents-Shopping“.
Wo wir gerade bei Reklame sind – sofern auch Sie zu denjenigen gehören, die noch lineares Fernsehen schauen: Geht Ihnen diese Anita Frauwallner aus der Werbung für irgendeinen bakteriellen Zaubertrank auch so auf den Zeiger?
Sonntag: Aufgrund der am Mittwoch angedeuteten Ereignisse ist es zurzeit vorübergehend sehr ruhig in der Wohnung, zu ruhig. Ein wenig vermisse ich des Geliebten Vorwurf „Du siehst die Arbeit nicht.“ Selbstverständlich sehe ich sie, wie sollte ich ihr sonst aus dem Weg gehen?
Zu erledigende Geldgeschäfte ließen mich am frühen Nachmittag die örtlich Postbankfiliale aufsuchen. Vor dem rechten von drei Automaten, direkt am Fenster zur Fußgängerzone, lag ein Mann, augenscheinlich obdachlos, vielleicht aber auch nicht, das steht da ja nicht dran. Er lag da auch nicht so, wie Obdachlose es sich üblicherweise über die Wintermonate in Vorräumen von Bankfilialen, nun ja: bequem machen, sondern eher, als sei er dort einfach umgefallen. Nach kurzem Zögern rüttelte ich an ihm, fragte, ob er Hilfe benötige, woraufhin er kurz die Augen öffnete, Unverständliches murmelte und sie wieder schloss. Daher wählte ich – zum zweiten Mal innerhalb einer Woche, das nur am Rande – den Notruf, man fragte nach meinem Namen (Antwort: „K.., wie der Politiker“) und bat mich, bis zum Eintreffen des Rettungswagens zu warten. – Währenddessen suchten mehrere Bankkunden die Filiale auf, zogen ihr Geld oder Kontoauszüge, sahen den Mann zweifellos dort liegen, er war nicht zu übersehen, und gingen wieder, ohne sich darum zu kümmern. Es liegt mir fern, mich moralisch über sie zu erheben, zu oft schon sah ich selbst augenscheinlich Obdachlose irgendwo liegen, ohne mich darum zu kümmern, dachte, sie seien einfach nur betrunken, irgendwer würde sich bei Bedarf schon kümmern; ich würde zwar gerne selbst, aber in diesem Moment war es gerade sehr ungelegen. Auch schließe ich nicht aus, künftig wieder einfach weiterzugehen, die mögliche Hilfsbedürftigkeit aktiv übersehend, weil gerade Wichtigeres keinen Aufschub duldet.
Als die Rettungssanitäter eintrafen, fragte einer, ob ich den Mann kennte, nach Verneinung konnte auch ich gehen, von Fragen begleitet: Wie lange mochte er dort schon gelegen haben, von wie vielen Bankkunden und Passanten ignoriert? Vor allem, und die Frage stelle ich mir schon lange immer wieder: Warum müssen in einem Land wie unserem immer noch so viele Menschen obdachlos sein?
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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche mit Glücksmomenten und ohne Notfälle.