Woche 21/2024: Es hat keine Eile

Montag: Ein sonniger, ruhiger Pfingstmontag ohne notierenswerte Ereignisse, jedenfalls im persönlichen Erlebnis. Auf der Treppe zur Innenstadt, die nach Wochenenden üblicherweise vollgemüllt ist mit Glasscherben, Zigarettenkippen, Durstlöscherpackungen und anderem Unrat, stand eine große Lachgaskartusche, drumherum eine größere Anzahl schwarzer Luftballons. Was halt so erforderlich ist, um in Stimmung zu kommen und zu bleiben. Ob das besser oder schlechter ist als die vergorenen Getränke, die uns gestern Abend beim Grillen begleiteten, kann und möchte ich nicht beurteilen.

Dienstag: Der Rhein führt nach den Regenfällen der vergangenen Woche im Saarland und in Rheinland-Pfalz viel Wasser, wie morgens auf dem sonnenbeschienen Fußweg in die neue Arbeitswoche zu besichtigen war.

Vergleichen Sie gerne mit den Vorwochen

In den Büros nebenan wenig Betrieb, auch ich hatte meine Zelle für mich allein, woran nichts auszusetzen ist. Mein Arbeitstag endete frühzeitig, was nicht ein Ausdruck nachpfingstlicher Arbeitsunlust war, vielmehr stand am Nachmittag der nächste Termin beim Orthopäden an. Der ließ mich erst eine halbe Stunde warten, dann wurde wieder gebogen, massiert, akupunktiert, geklopft und elektrisiert, zum vorerst letzten Mal, wie wir übereinkamen. In den nächsten Tagen muss ich dann mal eine Physiotherapiepraxis mit Krankengymnastik an Geräten (KGG) finden. Es hat keine Eile.

Gelesen bei Herrn Kiezschreiber und zustimmend genickt:

»Warum hatte die Generation meiner Eltern keinen Burn-Out? Weil sie klar zwischen Berufs- und Privatleben, zwischen Arbeit und Familie trennen konnte. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, so sagte man damals. Heute ist Burn-Out ein Massenphänomen, weil viele glauben, diese Grenzen nicht mehr respektieren zu müssen.«

Mittwoch: Aus hier nicht näher darzulegenden Gründen ein Tag für den A die südliche hintere Körperregion.

Während des Mittagessens wurde fast nur über Fußball gesprochen. Nachmittags als Ohrwurm in Dauerschleife Lena Valaitis mit José, dem Straßenmusikanten, woher und warum auch immer. Das hat den Tag nicht besser gemacht.

Donnerstag: Abends nahm ich mit den Wahl-O-Mat vor. Das Ergebnis überrascht: An erster Stelle, gleichauf mit der veganen V-Partei3, von der ich noch nie hörte, die Freien Wähler, die ich dank Herrn Aiwanger ganz bestimmt nicht wählen werde. Erst an fünfter Stelle die SPD, bei der ich mir auch nicht sicher bin, ob sie noch die beste Wahl ist. Etwas dahinter die GRÜNE, auf einer Höhe mit Die Partei von Herrn Sonneborn, auch das ist interessant. Weit dahinter die FDP, aber noch vor CDU/CSU, wie kann das sein. Letztere wiederum ist gleich bewertet wie die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung, diese seltsamen Vögel, die das ewige Leben anstreben. Andererseits, das versprechen die Christen auch seit zweitausend Jahren, insofern passt es. Immerhin, das ist beruhigend: An letzter Stelle kommt die AfD. – Und wo mache ich nun das Kreuzchen?

Lichtblick am Abend

Freitag: Jeden Freitag haben wir Team(s)besprechung, in der jeder und jede sagt, was sie in der zurückliegenden Woche gemacht haben. Die einen gehen dabei mehr ins Detail, die anderen weniger. Ich zähle mich eher zu den anderen. Manche – immer dieselben – Kollegen sagen, wenn sie dran sind, nach einigen Sekunden Stille: „Ich sollte mich erst entmuten.“ Jede Woche. Das ist nicht schlimm, es ist bezahlte Arbeitszeit.

Unerwartet geriet ich in eine Besprechung auf Englisch. Als wenn das ob meiner verbesserungsbedürftigen Englischkenntnisse nicht schon schlimm genug wäre – einer der Teilnehmer war Inder. Hätte er in seiner Muttersprache gesprochen, hätte ich nicht viel weniger verstanden.

Auch Kurt Kister beschäftigt sich mit den Parteien zur Europawahl:

»Weil ich am 9. Juni nicht im heimischen Wahllokal sein kann, füllte ich jetzt den Briefwahlzettel für die Europawahl aus. Er ist lang, und man kann sich zwischen drei Dutzend Parteien entscheiden. Es ist ein bisschen wie auf einer Website: Je weiter man nach unten scrollt, desto seltsamer werden die Angebote. […] Besonders angetan hat es mir die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung“. Keine Sorge, ich werde jetzt und im Folgenden nicht erläutern, was diese Parteien von sich selbst sagen und was sie wollen. Das kann man, wenn’s einen interessiert, nachlesen. Aber ein EU-Kommissar für langes Leben, am besten für die Abschaffung von Krankheiten überhaupt, wäre eine feine Sache. […] Auch gut hören sich zwei Parteien an, in deren Namen das vorkommt, was einerseits Grundlage jeder Politik sein sollte und andererseits das, was Politik erreichen sollte. Das eine ist die „Partei der Vernunft“, der ich mich, ohne bis dato gewusst zu haben, dass es sie gibt, schon lange angehörig fühlte, wenn auch nicht im parteiorganisatorischen Sinne. Und das andere ist die „Partei des Fortschritts“, deren Namensmilieu ich mich nicht nur als Wanderer verbunden fühle, sondern auch als jemand, der daran glaubt, dass es trotz allem besser werden kann, als es schon mal war.«

Zum Gesamttext bitte hier entlang.

Übrigens ist die Erdbeere keine Frucht, sondern eine Scheinfrucht, steht in der Zeitung. Welch wunderschönes Wort.

Ein anderes schönes Wort hörte ich in der oben genannten Teambesprechung: gottseidankerweise.

Samstag: Anlässlich fünfundsiebzig Jahre Grundgesetz war der Bundespräsident in Bonn, zu Tausenden strömten die Leute ins ehemalige Regierungsviertel, deshalb nahmen wir Abstand von einem Besuch. Auch die Letzte Generation beteiligte sich laut Zeitung mit einer eigenen Aktion, dazu ein Sprecher: »Der Tag der Demokratie wird in Bonn, seiner Wiege, an diesem Tage ganz besonders gefeiert.« Bestimmt fallen auch Ihnen die diesem Satz innewohnenden Fehler sofort auf.

(Ich könnte nun berichten, dass ich stattdessen eine Modelleisenbahnbörse in Wesseling besuchte, wo ich nichts kaufte, dafür an einem Servicetisch ein freundlicher und geduldiger Herr nur gegen eine Spende zwei defekte Triebfahrzeuge aus meiner Sammlung wieder ans Laufen brachte, worüber ich mich sehr freute, nehme allerdings an, das wird Sie nicht interessieren.)

Bekanntlich lehnte Bayern das neue Grundgesetz ab. Das hielt uns gottseidankerweise nicht ab von einem bayrischen Abend zu Hause mit Weißwurst, Wurstsalat, Obatzda, Brezen, Blasmusik und Bier.

Pfundig

Sonntag: Der Sonntagsspaziergang führte heute erst am späteren Nachmittag über die Rheinbrücke nach Beuel zur vergnüglichen Lesung der TapetenPoeten. Übrigens, falls Sie am 8. September in der Nähe sein sollten und nichts Besseres zu tun haben: Dann habe ich die Ehre, dort wieder was vorlesen zu dürfen, schauen Sie also gerne rein. Selbstverständlich sind Sie auch zu anderen Terminen willkommen, wenn ich nichts vorlese.

Auf das Schild?

***

Danke fürs Lesen, kommen Sie gut durch die Woche.

Hinterlasse einen Kommentar