Woche 46/2023: Bulkbatches, Bühnenpräsenz und bewegte Bilder

Montag: Die IG Metall fordert die 32-Stunden-Woche bei 8,5 Prozent mehr Lohn, meldete morgens das Radio. Wenn die das durchkriegen, schule ich auf meine alten Tage noch um zum Stahlträger.

WDR 4 fragte seine Hörer, was sie tun, um trotz Herbstwetter glücklich zu bleiben. Ich verstehe die Frage nicht: wieso trotz?

Herbstliches Regenwetter nötigte mich, statt mit dem Fahrrad mit der Bahn zum Werk zu fahren; wegen Bauarbeiten endete sie eine Haltestelle vor der üblichen, so dass sich noch ein grundsätzlich willkommener Fußweg anschloss. Zurück nahm ich zur Abwechslung den Bus. Kurz nachdem ich ihn verlassen hatte, begann es heftig zu regnen, daher kam ich trotz Schirm mit nassen Füßen zu Hause an. Das kann meine Freude am Herbst nicht schmälern. Auch nicht, dass der Schirm, ein zusammenschiebbares Taschenprodukt des Premium-Herstellers, heute irreparabel entzwei ging. Nichts hält ewig.

Abends erhielt ich die Einladung zu einem vorweihnachtlichen Schreibvorhaben; darüber habe ich mich trotz der nicht gerade leichten Aufgabenstellung sehr gefreut und zugesagt.

Dienstag: Entschleunigung ist auch eines der beliebten Zeitgeistwörter. Nur weniges entschleunigt mich gründlicher als das Wort „DRINGEND“ im Betreff einer Mail.

Mittags nach dem Essen

Auf dem Rückweg in der Bahn saß mir ein junges Paar gegenüber, innig miteinander beschäftigt. Schon immer finde ich öffentliche Liebesbekundungen abstoßend, unabhängig von Alter, Vorliebe und Geschlechterkombination.

Spontaner Gedanke ohne jeglichen aktuellen Bezug: „Splitterfasernackt“ ist auch so ein Wort, das bei genauer Betrachtung keinen Sinn ergibt.

Mittwoch: In Kolumbien herrscht eine Nilpferdplage, steht in der Zeitung. Zur Dezimierung des Bestandes erwägt man, die Tiere »unter moralischen Aspekten einzuschläfern«, wofür ein »ethisches Euthanasieprotokoll« erstellt wurde. Das ist gewiss viel besser, als sie einfach abzuknallen. Eine andere Möglichkeit sei die Sterilisation für ca. neuntausend Euro je Tier, allerdings befürchtet man, dass sie die Narkose nicht vertragen und womöglich gar sterben. Dann doch lieber moralisch einwandfrei einschläfern.

Ich bin etwas unzufrieden: Nachdem meine Lieben von einer Erkältung heimgesucht worden sind, hat es nun auch mich wieder erwischt, dabei liegt meine letzte Erkältung noch nicht lange zurück, im Grunde bin ich seit Wochen mal mehr, mal weniger erkältet. Immerhin sind Appetit und Geschmackssinn nicht beeinträchtigt. Leider fällt der für morgen geplante Wandertag dadurch aus. Ich werde den Tag dennoch freinehmen, mir wird nicht langweilig werden.

Donnerstag: Inseltag. Statt der geplanten Wanderung durch herbstbunte Wälder des Siebengebirges Frühstück im Café, danach verbrachte ich viel Zeit körperschonend auf dem Sofa und holte Leserückstände auf. Ohnehin war für heute Regen angekündigt und die Anreise nach Linz wäre vom Bahnstreik beeinträchtigt gewesen. (Dass der Regen weitgehend ausblieb und ein paar Bahnen fuhren, soll mich rückblickend nicht ärgern, wegen der Erkältung wäre es so oder so kein Genuss gewesen.)

In der Innenstadt wurden derweil die Weihnachstmarktbuden aufgebaut für den bevorstehenden Besinnlichkeitstrubel.

Gelesen beim Realitätsabzweig: »Zerfällt die Gesellschaft immer weiter in ideologische Lager, die nur noch den eigenen Nachrichtenkanälen glauben und die letztendlich anstreben, möglichst wenig mit den Abweichlern da drüben zu tun zu haben? Es wird nicht einfach werden.« Zum lesenswerten Artikel bitte hier entlang.

Gelesen bei Frau Brüllen: »… dass ich für einen drug product release test ein Mischmuster von verschiedenen Samplingpunkten im Prozess nehmen muss, damit das Testmuster repräsentativ ist für den gesamten Batch? Achtung: es geht um das tatsächliche Testen im Labor, nicht das tatsächliche Sampling des Bulkbatches.« Ich habe keinen Schimmer, um was es geht, jedenfalls klingt es toll. Vor allem Bulkbatches.

Freitag: Da ich mich morgens erkältungsbedingt ziemlich dusig im Kopf fühlte und im Büro vermutlich keine Dringlichkeiten anstanden, nichts, was nicht auch noch am Montag oder später erledigt werden kann, meldete ich mich krank. (Heimbüro ging nicht, weil der Rechner sich befindet, wo er hingehört: im Büro.

Zeitig aufstehen musste ich dennoch, zum einen für die Krankmeldung, zum anderen, weil ich morgens einen Zahnarzttermin hatte. Mein Hinweis auf die Erkältung wurde in der Praxis zur Kenntnis genommen, indes für die vorgesehene Zahnbehandlung (nur regelmäßige Reinigung) nicht als hinderlich angesehen. Wenn es nicht mehr ginge, könnte man ja abbrechen. Es ging gut, der Hustenreiz setzte erst später wieder ein, als ich auf dem heimischen Sofa vor mich hin genas. (Ja, ich habe in der Duden-App nachgeschaut, ob geneste oder genas korrekt ist.)

„Ich werde dich pflegen bis ins hohe Alter“, versprach der Geliebte. Vielleicht habe ich ja Glück und werde nicht so alt.

Gelesen in der Zeitung: »Betrunkener Mann schläft in Gleisbett ein«

Seit geraumer Zeit spotte ich regelmäßig über die Generation Genau, vor allem jüngere Kolleginnen (ja, nach meiner Beobachtung und ohne Wertung meistens weiblich), die gerne das Wort „genau“ als Füllwort in Besprechungen verwenden. Über Frau Kaltmamsell wurde ich auf eine wissenschaftliche Abhandlung aufmerksam, die sich genau diesem Phänomen widmet, bezeichnet als „Powerpoint-Genau“. Vielleicht gibt es ähnliches demnächst oder bereits heute schon auch über „quasi“ und „tatsächlich“. Für Hinweise wäre ich dankbar.

Samstag: Heute war die offizielle Sessionseröffnung des Godesberger Karnevals, traditionell immer am Samstag nach dem elften Elften. Obwohl auch unsere Gesellschaft dort mit Bühnenpräsenz, Bierbude und Bratwurstverkauf vertreten war, blieben wir zu Hause: der Liebste, weil er erst gestern Abend von einer mehrtägigen Dienstreise aus Paris zurückgekehrt war, der Geliebte, weil er da ohnehin nicht mehr hingeht und ich wegen Erkältung, die langsam abklingt. Da sich das Wetter äußerst novemberlich gestaltete, ist davon auszugehen, dass wir nicht viel verpasst haben.

Stattdessen verlief der Tag nach ein paar aushäusigen Erledigungen (unter anderem drei neue Bücher für den Stapel der ungelesenen aus der Buchhandlung abgeholt) ereignislos mit Lesen und Teetrinken auf dem Sofa, derweil der November auf das Glasdach des Erkers tropfte. Viele andere hätten stattdessen Filme oder Serien geschaut. Ich kann es mir selbst nicht recht erklären, für bewegte Bilder bringe ich immer weniger Interesse auf, das gilt besonders für über Whatsapp zugesandte Filmchen, auch fehlt mir die Zeit dazu; kaum dass die Tageszeitung, das letze Blog gelesen, der neue SPIEGEL durchgeblättert sind, wird es draußen schon wieder dunkel und die Abendkulinarikfrage steht im Raum.

Sonntag: Mittags unternahm ich bei milder Temperatur einen Spaziergang, ab und zu begleitet von ein paar Regentropfen. In dessen Zuge brachte ich halblegal an einem öffentlichen Bücherschrank ein Plakat an, danach besichtigte ich das Rheinhochwasser, das nur wenig Dramatik bot – die Uferpromenade war noch nicht (oder nicht mehr) überflutet.

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Seit nunmehr siebenunddreißig Jahren führe ich regelmäßig Tagebuch, seit fast zwanzig Jahren bevorzugt in Moleskine-Bücher, man gönnt sich ja sonst nichts. Doch ist fraglich, ob ich künftig dabei bleiben werde: Vor ein paar Tagen fing ich ein neues Buch an, weil das vorherige vollgeschrieben ist. Hier stelle ich nun fest, dass die Tinte, mit der ich üblicherweise schreibe, durch die Seiten sickert und das Geschriebene auf der Blattrückseite durchscheint. Sparen die jetzt an der Papierqualität? Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht, können Sie ein anderes Produkt empfehlen?

Die Erkältung ist noch nicht ganz verschwunden, doch soweit abgeklungen, dass einer Werktätigkeit ab morgens nichts entgegensteht. Hurra.

Ein ganz besonderer Gruß geht an meine treue Leserin R., zurzeit im Waldkrankenhaus Bad Godesberg. Liebe R., alles Gute dir, komm bald wieder auf die Beine!

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Kommen Sie gut und möglichst unerkältet durch die Woche.

4 Gedanken zu “Woche 46/2023: Bulkbatches, Bühnenpräsenz und bewegte Bilder

  1. Anonymous November 20, 2023 / 10:05

    „Entzwei“ – ein schönes Wort, welches ich lange nicht gelesen oder gehört habe. Bei Bedarf sollte ich es in meinem Blog auch mal verwenden.

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  2. flusskiesel November 20, 2023 / 11:18

    Die Nilpferdplage in Kolumbien gibt es ja schon einige Jahre. Ich erinnere mich daran, dass ein örtlicher Umweltschützer vorgeschlagen hat, dass man die Nilpferde einfach zum Abschuss und zum Verzehr durch die z.T. sehr arme Bevölkerung dort freigeben könne, aber wie Umweltschützer aus den Industrienationen fanden das nicht gut.

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