Woche 6/2023: Geklapper und Geplapper

Montag: Schontag. Einen Teil der Arbeitszeit verbrachte ich mit der Beantwortung von Gratulationen, die mich erst heute erreichten, da dienstliche Kommunikationskanäle außerhalb der üblichen Bürozeiten deaktiviert sind, auch und gerade zu Geburtstagen und ähnlichen Anlässen, da bin ich sehr konsequent.

Ein kleines Heiterlein am Rande: Bereits vor drei Wochen veröffentlichte ich auf der werksinternen virtuellen Pinnwand ein Bild, das ich morgens während des Fußweges gemacht hatte und wie ich es hier in ähnlicher Form schon häufig gezeigt habe: der Rhein, im Hintergrund Mutterhaus und Langer Eugen, Morgenröte und darüber beeindruckendes Gewölk. Dazu schrieb ich nicht allzu originell „Heute Morgen auf dem Weg ins Werk“ oder so ähnlich. Das gefiel der internen Kommunikationsabteilung offenbar so gut, dass sie daraus eine kleine Aktion machten, sogar mit eigenem Hashtag #weginswerk. Noch bis diese Woche sind die Kollegen aufgerufen, ebenfalls Bilder ihres Arbeitsweges zu posten, zu gewinnen gibt es einen Gutschein für einen Kaffee an einer örtlichen Kaffeebude. Ich selbst habe, außer Konkurrenz und gleichsam als Initiator der Aktion, bereits meinen Gutschein erhalten. Jetzt muss ich nur noch diese Bude finden und einmal über meinen Schatten springen, da ich Kaffee aus Pappbechern grundsätzlich ablehne.

Die Zeitung berichtet über eine Landwirtin aus der Uckermark, die per Instagram stets mit einem Augenzwinkern aus ihrem Arbeitsalltag influenciert. »Ihren Mann hat sie beim Melken kennengelernt«, so die Zeitung. Romantik im Rinderstall.

Abends hörte ich vom Sofa aus Trommelnde durch die Innenstadt ziehen, vermutlich keine Karnevalskapelle sondern die montagsüblichen Unmutsgänger. Gegen was gehen die eigentlich jetzt, da Corona und die Schutzmaßnahmen weitgehend abgeschafft sind? Vielleicht gegen den Montag an sich.

Dienstag: Vergangene Nacht träumte ich vom Frühstück. Vor mir standen gruppiert gleich vier Frühstückseier, auf die ich großzügig Salz streute, das eine seltsam puderige Konsistenz aufwies und langsam hernieder wölkte; dadurch wurden nicht nur die Eier, sondern auch das Tischumfeld eingesalzen. Erst dann bemerkte ich, dass die Eier noch gar nicht gepellt waren. Ehe das große Geschrei einsetzte, wachte ich lieber auf.

Morgens war es kalt. Rauhreif lag auf Autos, Sitzbänken und Moospolstern, die Pfützen am Rheinufer eisbekrustet. Am aufblauenden Himmel über dem Siebengebirge waren Flugzeuge zu sehen, die mit ihren nur kurzen Kondensstreifen wie Kometen wirkten, die in unterschiedliche Richtungen zogen.

#weginswerk heute ohne Gewölk, dafür, wenn Sie genau hinschauen, mit zwei Kometen

Auf dem Weg zur Kantine sah ich mittags die ersten Krokus- und Narzissenblüten des Jahres; nur weniges vermag in mir mehr Optimismus auszulösen alle Jahre wieder. Vielleicht Wackelpudding, den gab es heute zum Dessert.

„Gib mir bitte den Kontext“, hörte ich auf dem Rückweg eine beim Laufen in ihr Telefon sprechen. Was Leute so sagen, denen „Um was geht es“ oder „Hä?“ zu profan klingt.

Mittwoch: »Frankreich lässt Wein zu Alkohol verarbeiten« wird gemeldet. Was für eine Nachricht.

Während der Rückfahrt vom Werk erfreute ich mich wieder an Mitradfahrern, die sich einer roten Ampel nähern, kurz vorher auf den Gehweg wechseln und hinter der Ampel wieder zurück auf die Straße. Als ob das irgendwie erlaubter wäre als direkt bei Rot weiterzufahren.

Auf Twitter las ich einen Thread, was ich für gewöhnlich nicht tue. Aber diesen sollten Sie lesen, wenn Sie sich am perfekten Umgang mit einem A…loch erfreuen möchten.

Abends holte ich für uns Gyros von Janni, dem Griechen unseres Vertrauens. Aus irgendeinem Grund sind wir immer noch per Sie, was einerseits überhaupt nicht schlimm ist, sich andererseits seltsam anfühlt. Vielleicht, weil wir mit den griechischen Gastwirten meiner jüngeren Jahre in Bielefeld-Stieghorst ganz selbstverständlich per Du waren, das hatte nichts zu tun mit deutscher Überheblichkeit gegenüber dem Migranten, das war einfach so, auf Augenhöhe, wie man heute sagt. Christos, Dimi – und Zeus, der hieß wirklich so, vielleicht ließ er sich auch nur so rufen. Irgendwie haben Janni und ich den Zeitpunkt verpasst, zum Du überzugehen, jetzt käme es mir komisch vor, zu sagen „… übrigens ich bin Carsten.“ Nicht, dass ich das nicht wollte, vielleicht ergibt es sich noch; wenn nicht, ist es völlig in Ordnung. Der Ablauf ist immer derselbe: Ich rufe an, bestelle das Gewünschte, Antwort: In einer Viertelstunde kann ich es abholen. Ich mache mich auf den Weg, gut zehn Minuten zu Fuß. Nach Ankunft dauert es dann nochmals zehn bis fünfzehn Minuten, bis es fertig ist, also genau eine Bierlänge, Janni hat gezapftes Bier im Angebot. Ich mag ihn, sein Gyros sowieso, egal ob per Du oder Sie.

Donnerstag: Die Stadt Bonn rühmt sich, in der Innenstadt einen Zebrastreifen in Regenbogenfarben angelegt zu haben als Zeichen für Toleranz und Vielfalt, die in Regenbogenzusammenhängen gerne verwendeten Floskeln sind hinlänglich bekannt. Allerdings, so räumt man ein, handelt es sich hierbei nicht um einen echten Zebrastreifen im Sinne der Straßenverkehrsordnung, vielmehr kreuzt der Überweg eine für den allgemeinen Autoverkehr gesperrte Straße, wo die Fußgänger sowieso Vorrang haben. So weit reicht die Toleranz (der StVO) dann doch nicht.

Darf man überhaupt noch „Zebrastreifen“ sagen, oder zieht man damit Zorn und Empörung von Peta auf sich?

Gelesen in der PSYCHOLOGIE HEUTE:

»Da digitale Geräte Bindungsbedürfnisse schneller und auf scheinbar einfachere Weise per Klick befriedigen, bergen sie auch die Gefahr, zwischenmenschliche Beziehungen zulasten von Mensch-Maschine-Interaktion zurückzudrängen. Diese Problematik deutet sich allerorten etwa bei einem Blick auf die Spielplätze hierzulande an: Nicht wenige Eltern schauen nur mehr in ihr Smartphone, während im Hintergrund ihr Kind spielt.«

Susanne Donner: Die Vermessung des Lebens

Gleiches gilt für Kinderwagen schiebende Eltern, während ihr Kind Kontakt mit ihnen sucht, ich prangerte es bereits an.

Freitag: Über der Friedrichstraße in der Bonner Innenstadt hängen zurzeit Banner großer Karnevalsgesellschaften der Stadt. Abends auf dem Weg zur Friseurin hörte ich dort einen Vater zum Kind sagen: „Karneval wird von Vereinen organisiert. Die haben manchmal komische Namen wie Bonner Stadtsoldaten.“ Der war wohl nicht von hier.

Vor 125 Jahren wurde Berthold Brecht geboren. Aus unerfindlichen Gründen verwechsele ich ihn immer mit Heinrich Böll, vielleicht weil wir beide in der Schule lesen mussten und ich mit beiden nicht viel anfangen konnte. Eine ähnliche unerklärliche Verwechslungsneigung habe ich bei den Paaren Andy Warhol und Oscar Wilde, Wolfgang Bos- und Bodo Hombach sowie den WDR-Wettermännern Sven Plöger und Karsten Schwanke, wobei letztere wirklich schwer auseinander zu halten sind.

Samstag: Aus karnevalistischem Anlass fuhren die Lieben und ich mit dem Wagen nach Stuttgart. Ein sich leerender Tank und eine sich füllende Blase geboten einen Zwischenhalt an einer Tank- und raststelle. Damit auch während der entgeltlichen Erleichterung keine Langeweile aufkommt, sind dort in die Pissoiere oberhalb der Strullöffnung Monitore angebracht. Darin lief allerdings nur auf schwarzem Hintergrund ein rotierender Wartekreisel, daneben stand „Android starting“. Für einen Euro Pullergebühr kann man etwas mehr Urinalunterhaltung erwarten.

Abends nahmen wir teil an der Sitzung der Karnevalsgesellschaft Zigeunerinsel Stuttgart, die heißt wirklich so, mich stört es nicht, das wird seine Gründe haben. Neben weiteren war auch eine Kölner Garde zugegen, die eine größere Menge Freikölsch mitgebracht hatte, woran auch wir Bonner uns laben durften. Nicht nur, aber auch das führte dazu, dass ich bereits vor Mitternacht im Bett lag, was mich gleichfalls nicht störte.

Sonntag: Zu den Orten, an denen ich mich morgens besonders ungern aufhalte, gehören Hotelfrühstückssäle, besonders wenn sie groß und voller Menschen sind, die durcheinander laufen, Warteschlangen vor Kaffee- und Saftzapfstellen bilden und den Raum mit Geplapper und Geklapper füllen. Während mein Morgenappetit nur für einen Teller Müsli, eine Tasse Kaffee und zwei (hinreichend große) Gläser anzitroniertes Wasser reichte, staunte ich einmal mehr, was andere morgens schon von den Buffets zu ihrem Tischen trugen und verzehrten.

Während der Rückfahrt nahm ich zum ersten und voraussichtlich letzten Mal an einem Radioquiz teil. Es galt, folgende Frage korrekt zu beantworten, sie hätte auch Bestandteil einer Büttenrede im rheinischen Karneval sein können: Eine Ellok fährt von Norden nach Süden, der Wind bläst von Osten. In welche Richtung weht der Dampf? (Kein Tusch.) Ungefähr eine Viertelstunde lang wurde die Frage von der Sprecherin und dem Sprecher zunehmend hysterisch wiederholt, dazu die Nummer, unter der man anrufen sollte. Mit jeder Wiederholung erhöhte sich die zu erzielende Gewinn, am Ende waren es tausend Euro. Es riefen Leute an, sagten „nach hinten“ oder „nach oben“. Irgendwann wurde es mir zu bunt, ich wähle die Nummer und verstand spätestens beim zweiten Versuch: „Leider knapp verpasst. Dieser Anruf kostete fünfzig Cent“, sagte eine automatische Stimme. In die Falle getappt. Ein wenig fühlte ich mich veräppelt bis betrogen. Erst ganz am Ende der Sendung nannte eine Anruferin die richtige Lösung, die ich nicht wiedergeben muss, da ich davon ausgehe, Sie kennen sie längst.

Bei Frau Kaltmamsell las ich das schöne Wort „Dyslexie“, laut Duden die mangelnde Fähigkeit, Wörter oder zusammenhängende Text zu lesen, zu verstehen oder zu schreiben. Kenne ich, nicht nur wie Frau K. in lyrischen Zusammenhängen, sondern auch in werktätlichen Angelegenheiten, da es sich augenscheinlich immer mehr verbreitet, Mails und Nachrichten vor dem Absenden nicht noch einmal korrektur zu lesen.

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Kommen Sie gut durch die neue Woche.

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