Montag: „Dazu hätte ich gerne noch etwas Input, aber das können wir hinterher offline machen.“ Was schlaue Menschen in Meetings so sagen.
Apropos offline: Zu den deprimierendsten Anblicken zähle ich jenen junger Eltern, die Kinderwagen schiebend gelangweilt auf ihr Datengerät schauen.
„Polizei blitzt im Kreis“, steht in der Zeitung. Ein physikalisches Wunder offenbar.
Dienstag: Was ich gestern über junge Eltern anmerkte, gilt sinngemäß auch für viele Kantinenbesucher, denen es offenbar nicht möglich ist, in Ruhe eine Mahlzeit zu sich zu nehmen, ohne dass mindestens zwei Mobiltelefone neben dem Teller liegen, auf die sie während der Nahrungsaufnahme im Minutentakt draufzuschauen gezwungen sind.
Mittwoch: „Pop up“ ist das neue „Mal eben“. Auch so ein dummer Coronanglizismus, den viele für alles Mögliche nachplappern. Demnach ist ein Wochenmarkt wohl eine Pop up Shopping Mall.
Donnerstag: Heute ist Weltpostkartentag. Warum auch nicht, irgendwas ist ja immer.
„Ich bin auf Dienstreise“ lässt jemand nicht per Postkarte, sondern Mail-Abwesenheitsmeldung wissen. Das habe ich lange nicht mehr gelesen.
„Das beißt sich ein bisschen von vorne bis hinten in den Schwanz, wie man auf neudeutsch sagt“, sagt einer in der Besprechung. Altdeutsch dann wohl in den Schweif.
Freitag: Mittags beobachtete ich in der Kantine interessante Szenen. Dort herrscht seuchenbedingt eine klare Einbahnstraßenregelung: Vorne rein und hinten raus, von Sicherheitsleuten streng überwacht und durchgesetzt; wer einmal den Saal verlassen hat, darf nicht wieder rein, jedenfalls nicht durch den Ausgang. Nun befinden sich aber die beliebtesten Plätze auf der Terrasse, also draußen, wie bei Terrassen üblich. Dort ist das Platzangebot, wie drinnen auch, aus bekannten Gründen zurzeit stark eingeschränkt. Das hielt die Gernedraußenesser nicht davon ab, mit ihrem Tablett direkt raus zu marschieren, wo trotz Hitze bald alles belegt war, wodurch Nachkommende keinen Platz mehr fanden. Was tun? Klar: Wieder rein. Doch halt, dieser Weg war aus oben genannten Gründen versperrt, die Sicherheitsleute verweigerten gnadenlos den Rückweg in den Saal. Somit blieb den armen Hungrigen nichts anderes übrig, als mit dem Tablett in der Hand, auf dem das Mittagsmahl langsam erkaltete, zu warten, bis jemand fertig war und Platz machte. Irgendwann merkten die Sicherheitsleute das und wiesen weitere Leute auf dem Weg nach draußen auf die Aussichtslosigkeit ihres Vorhabens hin, woraufhin sie vor Verlassen des Gebäudes umkehrten und drinnen aßen. – Ich frage mich: Warum essen wir, und da schließe ich mich selbst mit ein, so gerne draußen, trotz unbeschatteter Sonnenglut, Wespenflug und „nur Kännchen“, im Winter auch durch Heizpilze oder -strahler gewärmt? Immerhin unterbinden mittlerweile immer mehr Städte aus gutem Grund letzteres.
Ansonsten in dieser Arbeitswoche gehört, gelesen und notiert: „Das ist ein klassischer Sonderweg.“ – „Ich scribbel das mal runter.“ – „Digitalisierung wird bei [uns] groß geschrieben.“ – “ Wir dürfen nicht nur den Happy Flow betrachten.“
Samstag: In einem amüsanten Leserbrief an den General-Anzeiger schreibt Lothar S. zum Thema „Toskana in Deutschland“:
Werden doch schon seit vielen Jahren alle nur erdenklichen mehr oder weniger reizvolle Gegenden Deutschlands von einfallslosen Tourismus-Marketing-Leuten so tituliert. So finden sich in Deutschland nach meinen Recherchen Toskanen von der Uckermark im Osten über den Kraichgau, auch „badische Toskana“ genannt, bis hin zum Markgräflerland im Westen, der „deutschen Toskana zwischen Freiburg und Basel“. In Nord-Süd-Richtung finden sich Toskanen von Schleswig-Holstein irgendwo um Grömitz herum über Rheinhessen bis zum Hegau am Bodensee. Der Prozess der Toskanisierung deutscher Tourismus-Regionen scheint in Kürze abgeschlossen zu sein.
Über die Wörter „Toskanen“ und „Toskanisierung“ habe ich mich sehr gefreut.
Sonntag: Zu den unschönen, sich gleichwohl größerer Beliebtheit erfreuenden Schottergärten in Vorstadtsiedlungen schreibt die FAS:
Vom Wohnen auf einer Autobahnbaustelle unterscheidet sich das umschotterte Einfamilienhaus nur dadurch, dass es keinen begrünten Mittelstreifen hat.
Unschön auch die Geräusche aus dem Nebenhaus. Offenbar hat sich der Nachbar angewöhnt, sein Husten in ein ekelerregend-lautstarkes Würgen münden zu lassen, woran er uns seit ein paar Tagen etwa im Zehnminutentakt teilhaben lässt. Dann lieber die Singstarkrähe von gegenüber, die in dieser Woche allerdings auf gesangliche Darbietungen verzichtete.
Das Thema Wohnqualität liegt augenscheinlich auch den Parteien am Herzen; zur bevorstehenden Kommunalwahl in Bonn plakatieren sie:
Sprachlich ähnlich geglückt auch diese Werbung einer anderen Partei:
Eher keine Empfehlung zur Wahl ist in diesem Schild zu vermuten, wenngleich sich Bezüge zu bestimmten Parteien herstellen ließen:
Im Übrigen verlief die Woche weitgehend in Harmonie. Aufkommende atmosphärische Störungen lösten sich schnell auf, wie diese: „Reißt du dich jetzt mal zusammen?“ – „Nein, ich bin schon zusammengerissen.“
Ich esse im Moment, also in Corona Zeiten lieber draussen, da Aerosole und Innenräume im Momente so eine Sache sind, vermutlich hatten die Arbeitskollegen so etwas im Kopf, im Grunde nicht unbedingt ein falscher Ansatz, jeder schützt sich, so gut er kann.
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Das verstehe ich. Wobei es die Vorliebe zum Freiluftessen ja schon lange vor Corona gab, zudem sind die Plätze in unserer Kantine zurzeit sehr weit auseinander.
Viele Grüße nach Bielefeld!
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