Woche 2: Streckenweise erotisch

Montag: Der britische Ökonom John Maynard Keynes behauptete bereits 1930, hundert Jahre später müssten die Menschen nur noch fünfzehn Stunden in der Woche für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Welch wunderbare Vorstellung: Gegen zehn ins Büro, drei Stündchen wirken, dann ab nach Hause, weiter am Bestseller schreiben, auf dass er endlich fertig werde, oder auf was man sonst gerade Lust hat. Wie der niederländische Experte Rutger Bregman die SPIEGEL-Leser wissen lässt, wäre das bereits heute möglich, wenn wir nur nicht so konsumversessen wären. Also alles die Schuld von Amazon.

Wobei ich nicht klage. Wenn es gut läuft – Gnade des Alters – genieße ich 2030 bereits den Ruhestand. Bis dahin quäle ich mich halt noch ein paar Jahre morgens aus dem warmen Tuch, Komfortzone verlassen uns so, Sie wissen schon.

Dabei war der erste ernstzunehmende Arbeitstag des Jahres gar nicht so schlimm. Die Montagsmelancholie hielt sich in den üblichen Toleranzen. Auch dass die Präsentation, deren Vollendung erst für kommende Woche vorgesehen war, nun bereits morgen fertig sein muss, verursachte mir keine größere Unruhe. Dass ein Termin den anderen jagte – geschenkt.

Während des Mittagsmahls in der Kantine erhielt ich auf meinem privaten Telefon einen Anruf von einer unbekannten 0800-Nummer. Da ich generell ungern telefoniere und man zudem nicht mit vollem Mund spricht, nahm ich das Gespräch nicht an. Vielleicht ist mir dadurch die Chance auf den vorgezogenen Vorruhestand entgangen. Ich werde es nie erfahren.

Die abends in der Bahn lautstark mit reichlich „Sch“-Lauten telefonierende Frau („Isch kann nisch …“) rief bei mir keine Aggressionen hervor, höchstens ein Bedauern darüber, dass kein notierenswerter Satz dabei heraus kam. Selbst die beiden Tussis, die displaystarrend vor der grünen Fußgängerampel und somit im Weg stehen blieben, ließen mich nur kurz unmerklich knurren.

Apropos knurren: Laut Zeitungsbericht ist der beliebteste Hundename in Deutschland „Max“, so wie mein Großvater mütterlicherseits. Dazu fällt mir jetzt auch nix besonderes ein. Hundebesitzer werde ich ohnehin niemals verstehen.

Dienstag: Man sagt/schreibt jetzt offenbar „Mock-Up“, wenn man „Entwurf“ meint, jedenfalls las ich diesen mir bislang fremden Begriff in einer Mail, eher zufällig, da es sich um eine Cc-Mail handelte, und Cc-Mails lese ich grundsätzlich nur Freitags in ungeraden Wochen.

Der Kollege des Liebsten heißt übrigens Claas. Hieße mein Kollege so, und legte er dazu noch geschäftlichen Übereifer an den Tag, würde ich ihn wohl „Business-Claas“ nennen, nur hinter seinem Rücken, versteht sich.

Schön, dass es woanders ähnlich ist.

Warum sagen die Nachrichtensprecher eigentlich „Jepege“, wenn sie über die kurdisch-syrische YPG berichten, und nicht „Üpsilonpege“? Oder „Ueipidschi“?

Mittwoch: „Dein Frühstück to go“ plakatiert der bekannte Betreiber von Stätten gesenkter Gastronomie an einer Reklamesäule. Ja, zum Weglaufen. Dabei ist das mit dem Weglaufen im Moment gar nicht so einfach: Seit gestern schmerzt ohne erkennbaren Anlass der linke Fuß beim Gehen und er ist leicht geschwollen, lässt mich gar humpeln (was den Geliebten erheitert, so hat es auch sein Gutes). Er wird seine Gründe haben. Also der Fuß; der Geliebte vielleicht auch.

Donnerstag: Sozusagen auf dienstliche Veranlassung hatte ich heute Gelegenheit, das GOP-Theater zu besuchen. Was dort auf der Bühne dargeboten wurde, also nicht die Ansprache des Chefs, sondern die Akrobatik des Ensembles, war beeindruckend und streckenweise ausgesprochen erotisch.

Freitag: Die wichtigsten Informationen erhält man oft unverhofft im Aufzug. Zum Beispiel die, dass man ab heute nicht mehr „Frohes neues Jahr“ sagen darf, weil das gegen die Knigge-Gebote verstößt oder nicht mehr in der Oktave ist oder was weiß ich warum nicht.

Der Fuß schmerzt unterdessen immer noch. Man sagt und schreibt übrigens nicht mehr „Was soll das“ oder „what the fuck“ / „WTF“, sondern nun heißt es „dafuq“. Sagt nicht Knigge, sondern der Sohn des Kollegen.

Samstag: Ich gratuliere dem bekannten Möbelhändler aus dem ostwestfälischen Porta-Westfalica zum neuen Geschäftsführer und wünsche viel Spaß damit.

Am Abend Prunksitzung der Karnevalsgesellschaft Fidele Burggrafen Bad Godesberg, deren Musikzug ich seit drei Jahren gesanglich zu unterstützen mich bemühe. Nicht mit der Qualität von Tommy Engel oder Marie-Luise Nikuta, doch ging ich bislang davon aus, durch jahrelange Chorerfahrung einigermaßen ausreichend singen zu können. Nach der Veranstaltung erntete ich von einer mir unbekannten jungen Dame dazu nämliches zweifelhafte Lob: „Wir finden dich total kultig, weil du überhaupt nicht singen kannst.“ Das saß. Danach brauchte ich Kölsch. Viel Kölsch.

Sonntag: Die Nacht träumte ich, den nächsten Auftritt der Burggrafen wie Troubadix gefesselt und geknebelt hinter der Bühne zu verbringen.

Ansonsten ein ruhiger, verregneter Tag. Zur Schonung des noch immer geschwollenen Fußes muss ich leider auf den Sonntagsspaziergang verzichten. Während der Niederschrift dieser Zeilen dringen aus der Nachbarwohnung Kopulationsgeräusche an mein Ohr. Es sei ihnen gegönnt.

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