Woche 51: Frauentausch und Feinstaub

Montag: Am Morgen höre ich beim Zähneputzen im Radio von einer Familie, die ihren Weihnachtsbaum „Annegret“ nennt. Seitdem bekomme ich nicht mehr das Bild aus dem Kopf von einer Tanne mit kurzen, dunklen Nadeln und markanter Brille, die ununterbrochen „Can’t You Feel It“ singt. (Nur noch eine Woche und zwei Tage, dann ist es erstmal wieder überstanden. Und nein – ich habe heute Morgen noch keinen Alkohol zu mir genommen.)

Hier was Lesenswertes: Paul Kaufmann über „Sucht“.

Dienstag: Um die Pflanzen in unseren Büros kümmert sich ein externer Gieß- und Pflegedienstleister, regelmäßig kommen eine junge Dame und ein junger Mann, um den Wasserstandsanzeiger abzulesen, zu gießen, vertrocknete Blätter abzuzupfen und nach Schädlingsbefall zu schauen. Der einst attraktive junge Pflanzenpfleger trägt seit einiger Zeit eine sehr unvorteilhafte Frisur, ich weiß nicht wie man die nennt, auf beiden Seiten ein Scheitel, das Deckhaar hochgebunden, anfangs zu einem Dutt, mittlerweile Pferdeschwanz. Jeder wie er mag, keine Frage. Bei Männern mit Pferdeschwanzfrisur ist für mich indes eine rote Linie der Toleranz überschritten.

Bleiben wir noch etwas beim Thema Haare: Am Abend lese ich in der Zeitung die Artikelüberschrift „Blick auf 500 stachelige Schönheiten“. Meine Hoffnung auf einen Bericht über den Wettbewerb „Mister Bodyhair 2018“ wurde enttäuscht, es ging nur um Seeigel.

„Bestattungen werden günstiger“, so eine andere Überschrift. Und jetzt? Soll ich jetzt sterben oder was?

Mittwoch: Ich möchte abwechselnd schreien und in die Tischkante beißen, weil einigen hohen Herrschaften tausend Dinge einfallen, die noch in diesem Jahr erledigt werden müssen, weil sonst die Welt untergeht oder Schlimmeres passiert. Dann begegne ich Kollegen S in der Kaffeeküche, dessen wesentliche Aufgabe darin besteht, von morgens bis abends mit Kunden A zu telefonieren, und ein Lächeln ziert mein Antlitz. Wenn es mal nicht so gut läuft, nützt es nichts, sich am noch größeren Unglück anderer zu orientieren. Andererseits ist es besser als nichts.

Donnerstag: „Ich mag kein Marzipan“, sagt die Kollegin. Meine Verwunderung wäre nicht größer, hätte sie bekanntgegeben, nicht zu atmen.

Was mich auch wundert: Alle Welt klagt und lästert über „Last Christmas“, ob zu recht oder nicht, mag jeder für sich entscheiden. Aber was ist mit „Thank God It’s Christmas“ von Queen? Das ist doch mindestens genauso furchtbar.

Was Freddy Mercury für Queen, ist Beethoven für Bonn. Letzteren als „Klangtitan“ zu bezeichnen, wie es die Zeitung heute tut, erscheint mir indes albern. Um Beethoven machen die Bonner schon gerne viel Buhei. Viel mehr freuen können Sie sich meiner Meinung nach über den Rhein, der durch die Stadt fließt. (Oder an ihr entlang, je nach Sichtweise, je nachdem, ob man Beuel als Teil von Bonn betrachtet oder noch immer lieber in den Grenzen von vor 1969 denkt, was mehr Bad Godesberger, Beueler und andere tun als man als Zugezogener für möglich hält.) Weil es am Rhein so schön ist, und weil Gehen glücklich macht, jedenfalls mich, ging ich am Nachmittag zu Fuß vom Werk nach Hause. Vor mir ging langsam eine Dame, immer wieder blieb sie mit angewinkelten Armen und gesenktem Blick stehen. Schnell war mein Urteil gefällt: Wieder so eine dusselige Digital-Sklavin, die vor Displaystarren das Gehen vergisst. Als ich sie überholte, sah ich sie nicht mit einem Datengerät beschäftigt, sondern etwas in ein Notizbuch schreiben. Prompt wurde sie mir sympathisch. Menschen sind schon komisch, davon nehme ich mich selbst nicht aus.

Komisch und bezeichnend für den menschlichen Wahnsinn ist auch die Sendung „Frauentausch“, besonders wenn eine der zu tauschenden Frauen Thomas heißt.

KW51 - 1

Freitag: „Dann will ich es auch nicht unnötig in die Länge ziehen“, sagt der Initiator einer vorzeitig zum Schluss gekommenen Skype-Besprechung. Ein schöner Satz, den man viel öfter hören möchte. Gilt er nicht für alle Lebensbereiche, letztlich gar für das Leben an sich?

Samstag: Die Deutsche Umwelthilfe fordert ein Verbot von Silvesterfeuerwerken und Böllern, um die Feinstaubbelastung in den Städten zu senken. Wer Herrn Resch und seinen Leuten zurufen möchte, nun aber mal die Luft anzuhalten, liefert bereits das richtige Stichwort: Warum nicht auch das Armen verbieten? Werden dadurch doch erhebliche Mengen Kohlendioxid freigesetzt. Und alle anderen Probleme wie Dieseldunst und Fahrverbote würden sich dadurch in kürzester Zeit von selbst lösen.

Nicht mehr verboten ist hingegen auf Mallorca das Töten von Stieren durch Toreros, wie das spanische Verfassungsgericht entschieden hat. Eine zweifelhafte Organisation namens „Stiftung Kampfstier“ (was es alles gibt) sah in dem aufgehobenen Verbot gar eine „Barbarei“ (wohlgemerkt nicht in der Tötung, sondern ihrem Verbot), hierdurch werde „der Stierkampfkunst ihre Essenz genommen, nämlich der Tod“. Das muss man sich ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen.

Sonntag: Sonntägliches Kirchengeglocke wird ja zunehmend als Belästigung und Ruhestörung empfunden. Es sei denn, es klingt so – die Höllenglocken einmal anders:

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Ich wünsche allen Leserinnen, Lesern und Lesexen schöne Feiertage! Falls Ihnen irgendwo die in diesen Tagen viel gepriesene Besinnlichkeit begegnet: Greifen Sie zu, sie ist ein sehr seltenes Gut, gerade zur Weihnachtszeit!

 

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