Es war Liebe auf den ersten Blick. Als ich dich im Schaufenster sah, wusste ich: Du musst es sein. Zwar zeigten sie mir im Geschäft noch ein paar ander Fahrräder, die auch gut waren, aber ich wollte das rote aus dem Schaufenster, kein anderes. Ja, ein bisschen habe ich dich geliebt, also jedenfalls im Rahmen psychischer Unauffälligkeit. Und ich glaube, ich war immer gut zu dir, pflegte dich; als ausgewiesener Schönwetterfahrer trieb ich dich nie bei Kälte und Regen hinaus. Wir machten schöne Fahrten miteinander, durch die Siegaue, und immer wieder zu einem meiner Lieblingsorte, dem Rheinufer vor Oberkassel, wo ich jetzt gerade unter den hohen Bäumen liege und diese Zeilen schreibe.
Leider ohne dich, denn am vergangenen Samstag haben sie dich gestohlen, von einem Ort, wo ich dich in Sicherheit wähnte, unserer Garage. Du warst angeschlossen, aber das hielt sie nicht davon ab. Ich bin sehr traurig, das letzte, was mir von dir blieb, ist dieses Bild, ein durchtrenntes Fahrradschloß und ein Aktenzeichen der Polizei.
Machs gut, mein geliebtes Fahrrad, wo auch immer du jetzt bist! Und wer auch immer dich jetzt fährt: Leite ihn in eine Rillenschiene der Straßenbahn, auf dass er stürze und sich einen komplizierten Beinbruch mit großen Schmerzen und langwieriger Therapie zuzieht. Mindestens.