Woche 33/2024: Menschen mit Donnerstagesfreizeit und Schraubverschlussempörung

Montag: Zu den regelmäßigen Gewohnheiten gehört es, nach dem Mittagessen den Pressespiegel zu sichten. Darin heute: »Mitarbeiterin packt aus – Kunden irritiert: „Hä?“« – Eine Artikelüberschrift des Qualitätsmediums Der Westen online.

Nach einem unhektischen Arbeitstag mit dank mehrerer Besprechungen viel Zeit zum aus dem Fenster Schauen erforderte das Ehrenamt meine Anwesenheit in Bad Godesberg. Da die Arbeitsstelle auf halber Strecke liegt, verzichtete ich auf die vorherige Fahrt nach Hause. Stattdessen überbrückte ich die Zeit bis zum vereinbarten Treffen auf der Terrasse einer Gaststätte am Rheinufer, wo ich wegen erheblicher Hitze und einem Anflug von Vernunft folgend Apfelschorle statt des üblichen Bieres bestellte. Die Radfahrt nach Bad Godesberg fühlte sich an, als strampelte ich einem riesigen Föhn auf mittlerer Wärmestufe entgegen.

Zurück geriet ich in Ausläufer des unangekündigten und einzigen Regenschauers weit und breit. Der brachte willkommene Feuchte auf Hemd und Hose, jedoch nicht die Spur von Abkühlung.

(WetterOnline)
Abendglas während der Erstellung vorstehender Notizen. Man muss es mit der Vernunft nicht gleich am Wochenbeginn übertreiben.

Dienstag: Auch für heute war erhebliche Sommerglut angekündigt. Bereits morgens auf dem Fußweg in die Werktätigkeit wählte ich möglichst schattige Pfade. Im Büro blieben die temperaturbedingten Gänsehautmomente aus, andere ohnehin. Obwohl auf der Südseite des gläsernen Turmes gelegen, ist es meistens auch ohne klassische Klimaanlage dank einem ausgeklügelten System von Luftströmungen und Wasserkühlung angenehm temperiert. Dennoch war ich heute dankbar für den Standventilator, den ein Vorbewohner zurückgelassen hat.

Weg ins Werk

Nachmittags trafen die angekündigten Regenfälle mit Gewitter ein und lenkten meine Aufmerksamkeit ab von einer Besprechung, der ich mit mäßigem Interesse lauschte. Bis eine sagte „Vielleicht kann Carsten sagen, ob das so ist.“ Mit meiner rheinisch-ausweichenden Antwort „Normal ja“ waren die Teilnehmer zufrieden, ich konnte mich weiter der Wetterbeobachtung widmen.

Laut Epubli-Abrechnung hat im Juli jemand das Buch gekauft. Ich bedanke mich herzlich und wünsche viel Vergnügen.

Mittwoch: Heute war es deutlich weniger heiß. Unverändert hitzig dagegen weiterhin die allgemeine Aufregung über fest verbundene Schraubverschlüsse an Einwegflaschen und Getränkepackungen, die Tageszeitung widmet dem Thema gar eine Glosse auf der ersten Seite. Meine Güte, die stellen sich aber auch an, ich verstehe die Empörung nicht. Weder stört mich die angebundene Kappe in praktisch-ästhetischer Hinsicht, noch erschwert sie es mir nennenswert, Milch in den Kaffee zu gießen oder Wasser aus der Flasche zu trinken.

Die nachlassende Außentemperatur findet auch Ausdruck im aktuellen Galeria-Prospekt, wo die ersten Daunenjacken und -westen angeboten werden. Bald müssten auch wieder die ersten Spekulatius, Lebkuchen und Dominosteine in den Läden ausliegen, was die Traditionsempörten vermutlich schon sehnlich erwarten. Und Nougat-Marzipan-Baumstämme, auf die ich mich ohne jede Empörung freue.

Im Briefkasten lag heute der Änderungsvertrag des Arbeitgebers meine neue künftige Arbeitszeit betreffend, den ich sogleich mit Vergnügen unterschrieb. Damit ich mich schonmal an Viertagewochen gewöhne, habe ich für morgen den nächsten freien Inseltag gebucht.

Das Laufen am Abend war heute trotz gemäßigter Temperatur sehr anstrengend, ich beendete es nach Erreichen der per Selbstverpflichtung definierten Mindeststrecke. Daran änderte auch nichts die Musikbegleitung, deren Fehlen ich kürzlich noch als ungelöstes Problem schilderte. Die Lösung ist einfach: Versuchsweise verstaute ich das Telefon in der Tasche der Laufhose, wo es wesentlich weniger störte als befürchtet. Manchmal muss man einfach mal machen.

Donnerstag: Inseltag. Die Idee, mich wegen der Wärme lieber an den Rhein zu legen, verwarf ich zugunsten einer Wanderung auf den Rodderberg südlich von Bonn. Der liegt etwa zwanzig Kilometer von der Haustür entfernt, daher war keine Anreise mit öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln erforderlich. Nach einem kleinen Frühstück im französischen Café in der Innenstadt machte ich mich auf. Da der Weg zu großen Teilen durch den Wald führte, waren Sonne und Wärme kein Problem, nur ein paar Abschnitte zwischendurch und die letzten Kilometer vor dem Ziel waren etwas anstrengend, da unbeschattet.

Während des Anstiegs auf den Venusberg waren mehrere umgestürzte Bäume zu übersteigen und unterkriechen; vor allem letztes für einen in Limbo ungeübten Siebenundfünzigjährigen mit Rückenproblemen kein Vergnügen.

Auch heute staunte ich wieder, wie viele Menschen diesseits des Rentenalters mit Donnerstagesfreizeit es augenscheinlich gibt. Mitten im Wald saß ein junger Mann auf der Bank und spielte auf einer Mundharmonika „Yesterday“ von den Beatles, nicht perfekt, aber recht anrührend.

Kleines Glück am Wegesrand: Was kann besser schmecken als eine Pflaume frisch vom Baume?

Merke: Wanderer, wenn dir das Schicksal Brombeeren reicht, dann iss Brombeeren.

Etwa fünf Stunden nach Abmarsch erreichte ich das Ausflugslokal am Rolandsbogen mit Blick auf das Rheintal, wo die Mühen mit Currywurst an Pommes und bayrischem Bier belohnt wurden. Passend zog schattenspendende Bewölkung auf.

Zurück ging es mit der Bahn ab Rolandseck. Am gleichnamigen Bahnhaltepunkt, wo stündlich zwei Züge halten, fragte ich mich, welche betriebswirtschaftlichen Erwägungen der Entscheidung zugrunde liegen, für die Reisenden auf dem Bahnsteig genau zwei Sitzplätze bereitzustellen, zumal im ehemaligen Bahnhofsgebäude das Arp-Museum residiert, das auch von älterem Publikum besucht wird. Plus eine Streugutkiste, auf der ich während vorstehender Überlegung saß.

Sehen Sie:

Hinweg durch die Südstadt
Für Frau Lotelta: Auch auf dem Venusberg wachsen Stechpalmen
Immer wieder erfreulich, wenn das Offensichtliche per Schild bestätigt wird
Stadtteil Heiderhof: Plötzlich und unerwartet Wohnblocks am Waldrand
Rodderberg-Gipfel mit Siebengebirge im Hintergrund
Auch ein Gipfelbuch gibt es da
Blick in Richtung Bonn mit Rhein und Mutterhaus (Suchbild)
Ausblick von der Restaurant-Terrasse Richtung Süden
Der Rolandsbogen
Unterhalb des Rolandsbogens ein Denkmal zu Ehren von Ferdinand Freiligrath. Laut Beschilderung war er nicht nur maßgeblich am Wiederaufbau des Bogens beteiligt, von ihm stammt auch der Satz „Wir sind das Volk“, der 1989 in der DDR beliebt war und der heute von sogenannten Spaziergängern und anderen zweifelhaften Charakteren missbraucht wird
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Verfall in Rolandseck

Bemerkenswert: Im Gegensatz zur letzten Wanderung trug ich dieses Mal nicht einen einzigen Insektenstich davon.

Freitag: Spontan ging ich heute zu Fuß ins Werk, gleichsam als Ersatz für den freien Tag gestern, obwohl gestern genug Gehgelegenheit bestand. Künftig werde ich öfter freitags statt donnerstags zu Fuß gehen, wenn ich am Donnerstag frei habe, um auf meine zwei Fußmärsche wöchentlich zu kommen, die sind mir, nun ja: wichtig. Ob ich dadurch auf zehntausend Schritte komme weiß ich nicht und es ist mir auch egal. Mir ist es ein Rätsel, warum so viele Leute Wert legen auf diese tägliche Schrittzahl. Ich nutze nicht mal ein Gerät, um die Zahl meiner Schritte zu ermitteln.

Dass das heute nur eine mäßig gute Idee war, fiel mir erst unterwegs ein. Zum einen hatte ich am späten Nachmittag einen Gesundheitstermin, der zeitige Rückkehr erforderte, zum anderen musste ich heute ausnahmsweise den Rechner mit nach Hause nehmen, da ich kommenden Montag aus Geschäftsreisegründen mittags zu Hause abgeholt werde. Somit muss ich mich bis mittags ins von mir höchst ungeliebte Heimbüro begeben, weil es vom Gesamtablauf her praktischer ist als erst ins Büro zu fahren und mich von dort abholen zu lassen. Manchmal lässt es sich nicht vermeiden. Somit wäre das Fahrrad heute die bessere Wahl gewesen, stattdessen fuhr ich rechnerbepackt mit der Bahn zurück. Einfach mal machen ist eben doch nicht immer die beste Wahl.

Samstag: In der Tageszeitung heute mehrere Leserbriefe mit Schraubverschlussempörung (siehe Mittwoch) und andere zur Anfang der Woche von der FDP geäußerten Forderung, die Städte müssten autofreundlicher werden. (Wirklich Anfang dieser Woche, nicht 1964.) Allesamt äußern sie sich sehr kritisch dazu, was mein Weltbild etwas gerade rückt, vernimmt man doch sonst in dieser Stadt immer wieder Empörung, wenn für die Anpflanzung neuer Bäume ein paar Parkplätze wegfallen.

Nach dem Frühstück und der Zeitungslektüre verband ich den samstäglichen Altglasgang mit einem Spaziergang durch die Nordstadt, trotz merklicher Abkühlung durch Regen in der vergangenen Nacht und dichter Bewölkung war es in kurzen Hosen gut auszuhalten. Auf dem Weg ging ich an einem großen Reklamebildschirm vorbei, darauf zu lesen: „Feier den Sommer mit einem Zero Waste Picknick“. Dass wir nicht nur durch Werbung ständig mit lächerlichen Anglizismen belästigt werden ist kaum noch der Notiz wert. Allerdings sollten auch Angehörige der Höllenzunft Werbetexter zumindest Grundzüge korrekter Grammatik beherrschen.

Rheinblick mit Bewölkung

Immer weniger zu Fuß gehen müssen nach meiner Beobachtung Hunde. In letzter Zeit sind zunehmend Hundebesitzer zu sehen, die ihre Lieblinge statt an der Leine (wenn überhaupt) in einer Art Kinderwagen, Fahrradanhänger oder gar eigens dafür angefertigten Rucksäcken transportieren. Die können unmöglich alle gehbehindert sein.

Sonntag: In der Sonntagszeitung las ich das Wort „Hypergraphie“, es bezeichnet einen übersteigerten Drang zum Schreiben. Was es alles gibt.

In derselben Zeitung schreibt Rainer Hank über Titel:

Bei uns in Berlin haben wir zwei Vizekanzler, wobei nur einer den Titel offiziell trägt. Der Senior Vice Chancellor heißt Robert Habeck. Der Associate Vice Chancellor heißt Christian Lindner. Dass die beiden wichtig sind, sieht man daran, dass sie sich streiten.

(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

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Kommen Sie gut durch die Woche, möglichst ohne Streit.

Woche 41/2023: Weitestens bis nach Wesseling

Montag: Morgens auf der Radfahrt ins Werk wurde ich kein einziges Mal von einer roten Ampel aufgehalten, das kommt nicht oft vor. (Gut, die am Hofgarten, die sonst immer grün ist wenn ich komme war schon ziemlich dunkelgrün, aber sie hielt mich nicht auf. *Hüstel*) Ich will das nicht überbewerten, gar als Omen für den Tag oder die Woche sehen, doch war der Start in die Woche vergleichsweise angenehm mit angemessener Arbeitslust und einem nicht gar so tiefen Müdigkeitsloch am frühen Nachmittag.

Mittags nach ungestörtem Essen ging ich eine Runde durch den Park, heute mal in entgegengesetzter Richtung als sonst. Oft führt es zu ganz neuen Perspektiven, wenn man einen Weg andersherum geht, das als Philosophie zum Montag.

Mittags im Park

Auf dem Heimweg kam es beinahe zu einer Kollision mit einer Radfahrerin, die von links von einem abschüssigen Seitenweg auf den Radweg am Rhein schoss, ohne sich um den Querverkehr zu kümmern. Meine Unmutsäußerung erwiderte sie mit einem abfälligen „Ja ja ja“. Dass ich ihr kurz darauf, als sie mich überholte, keine weiteren Beschimpfungen hinterherrief, werte ich als Zeichen der Selbstbeherrschung. Es hätte ja auch nichts genützt. Ja ja ja.

Abends zu Hause

Dienstag: Vergangene Nacht schlief ich schlecht, ohne einen Grund benennen zu können. Weder ging von der Nebenmatratze besondere Unruhe aus, noch plagten mich Schmerzen oder Sorgen. Vielleicht fehlte dem Körper die gewohnte Alkoholzufuhr am Vortag. Das wäre zweifellos bedenklich.

»Parkplätze retten« und »Ausgewogene Verkehrspolitik für mehr Kauflust« fordert die Initiative Vorfahrt Vernunft auf großen Plakaten in der Innenstadt. Parkplätze, Kauflust und Vernunft im selben Atem- beziehungsweise Schriftzug zu nennen zeugt von einer gewissen Ignoranz.

Die Neigungsgruppe Gendergegner:innen hat neue Aufkleber beschafft und bringt sie an öffentlichen Orten an. Immer wieder bemerkenswert, wofür manche Zeit und Geld haben.

Morgens am Rhein fuhr ein Frachtschiff mit dem Namen „Amoureus Meppel“ vorbei. Das wäre ein schöner Romananfang: »Als Amourreus Meppel morgens nach schlecht durchschlafener Nacht erwachte, spürte er, dass dieser Tag die entscheidende Wendung in seinem Leben bringen würde.« Mein Tag verlief und endete hingegen in gewohnten Bahnen und bis zum Zeitpunkt der Niederschrift ohne nennenswerte Wendungen. Das ist nicht zu beklagen.

Mittwoch: Bereits am frühen Morgen wurde ich im Bad getadelt, nachdem beim Zähneputzen einige Wassertropfen auf den Boden geraten waren. Meine Entgegnung, genau deswegen seien Bäder üblicherweise mit Fliesen ausgelegt statt mit Edelvelours, blieb zunächst unwidersprochen.

Heute war es wieder sehr warm. Trotzdem lief ich abends nach erkältungsbedingt zweiwöchiger Pause wieder, es lief sich ganz gut. Am Rhein kamen mir im rasenden Tiefflug Scharen von Halsbandsittichen entgegen auf dem Weg zu ihren Schlafbäumen an der Nordbrücke, wo sie auch heute wieder die Umgebung darunter großflächig vollkötteln werden, während Hundehalter, jedenfalls die anständigen, die Ausscheidungen ihrer Lieblinge ordnungsgemäß in Beutelchen aufsammeln und entsorgen.

Morgen soll es regnen. Morgen habe ich einen Tag frei. Was will man machen.

Donnerstag: Ursprünglich geplant für den heutigen Inseltag war eine Wanderung auf dem Rheinsteig von Linz nach Bad Honnef. Aufgrund des angekündigten Regens war schon gestern klar, daraus wird nichts, dennoch hielt ich an dem freien Tag fest. Wie erwartet regnete es morgens. Anstatt früh aufzustehen, ließ ich es ruhig angehen und begann den Tag mit einem externen Frühstück in dem Café, an dem ich jeden Morgen vorbei komme, wo ich indes noch nie gefrühstückt hatte. Ich war sehr zufrieden und es war eine gute Entscheidung, bereits um kurz nach neun hinzugehen, ab zehn füllte es sich deutlich. Haben die alle nichts zu tun? Kein Wunder, dass die Wirtschaft schwächelt, wenn alle statt zu arbeiten in Cafés herumlungern.

Da es nach dem Frühstück aufhörte zu regnen, beschloss ich, doch noch zu wandern, spontane Alternative: am linken Rheinufer Richtung Köln, so dass ich bei eventuell wiedereinsetzendem Regen jederzeit abbrechen und mit der Bahn zurückfahren konnte. Tagesziel: ungefähr drei bis vier Stunden, weitestens bis nach Wesseling. Die vorsichtshalber eingesteckte Regenjacke und den Regenschirm benötigte ich nicht, im Gegenteil, es hellte zunehmend auf, die Sonne schien, auf halber Strecke verschwand auch die andere Jacke im Rucksack.

Kurz nach vierzehn Uhr erreichte ich bereits Wesseling, nicht unbedingt die strahlendste Perle der Städtebaukunst. Da ich für das übliche Belohnungsbier keine ansprechende Gastronomie vorfand, belohnte ich mich stattdessen im einem großen Supermarkt angegliederten Selbstbedienungs-Café mit Kaffee und einer vorzüglichen Rosinenschnecke. Danach begann es zu regnen, so dass ich für den Weg zur Bahnhaltestelle in Wesseling den Schirm doch nicht ganz umsonst mitgeschleppt hatte. Insgesamt war es wieder beglückend.

Herbst hinter Bonn
Bei Bornheim-Hersel
Man macht es sich in der Sonne gemütlich
Industrieromantik kurz vor Wesseling
Gleichfalls

Gehört, gesehen und gelesen:

Auf dem Weg vom Frühstück nach Hause begegnete mir auf der Kreuzung eine aufgetakelte Schickse mit gepierctem Nasenflügel, die in ihr flach vor den Mund gehaltenes Telefon sagte: „… breitbeinig und willig …“. Dass sie dabei von sich selbst sprach, ist nicht anzunehmen, in diesem Fall allerdings auch nicht ganz auszuschließen.

An einem Lampenpfahl am Rhein klebt ein Zettel. Bevor ich den Inhalt wiedergebe, ein Hinweis an alle, die Lampenpfähle mit Zetteln bekleben: Wenn Sie beabsichtigen, dass andere Ihre Nachricht lesen, sollten die Zettel nicht wesentlich breiter als zehn Zentimeter sein, damit man nicht mehrfach halb hin und her um den Pfahl laufen muss, um den Text zu erfassen. Hier der Inhalt: »Davidoffs Brille blieb auf dieser Bank liegen. Um als Arzt praktizieren zu können, benötigt man beruflich eine Brille. Ich bitte den Finder um Rückgabe unter der Rufnummer 0176 …«. Dass für den Arztberuf neben einem abgeschlossenen Medizinstudium auch eine Sehhilfe erforderlich ist, war mir neu.

Im Café in Wesseling saßen am Nebentisch vier ältere Leute, deren einer nicht gut auf die Politiker zu sprechen war, insbesondere nicht Friedrich Merz. Immerhin. Dann sagte er sinngemäß: „Was wir wieder brauchen ist einer, der richtig durchgreift. Den hatten wir nur einmal, das war …“ Oh nein, jetzt kommt’s, dachte ich, aber nein: „… Helmut Schmidt.“

In Wesseling ging ich an einer Gruppe vorbei: ein kleiner Junge auf einem Spielzeugtraktor, drei oder vier Erwachsene und zwei große Hunde, ein weißer Labrador-Mischling oder ähnliches, der andere ähnlich groß und augenscheinlich genauso gutmütig. Der Junge schrie herzerweichend, weil der Labradormischling schwanzwedelnd direkt vor ihm stand, der andere Hund dahinter. „Willst du den Hund mal streicheln? Kuck mal, der ist ganz lieb. Streichel ihn doch mal“, sagte eine der Frauen zu dem Jungen. Doch der wollte nicht, schrie stattdessen weiter und war nicht zu beruhigen, ganz offensichtlich hatte er Todesangst. Es steht mir nicht zu und normalerweise habe ich kein Interesse daran, anderen Leuten Erziehungsratschläge zu geben, doch hier war ich kurz davor, einzugreifen. Der Junge tat mir sehr leid, hoffentlich wird er nicht später zum Hundehasser.

Laut Zeitung hat Mono heute Namenstag. Der Einohrige.

Freitag: Gute Nachricht, auch wenn Freitag der dreizehnte ist: Kurt Kister ist wieder da mit seiner Wochenkolumne Deutscher Alltag. In dieser Woche erfreut er unter anderem mit diesem Satz: »„Unsere“ Gegenwart wird, so glaube jedenfalls ich, weniger von künstlicher Intelligenz (KI) als vielmehr von natürlicher Unintelligenz (NU) gesteuert.« Möge er trotz Ruhestand noch lange für uns schreiben.

Samstag: Auch heute schien die Sonne, wobei es über Nacht deutlich kühler geworden ist und wohl auch vorerst bleiben soll. Deshalb tauschte ich die leichte Jacke der letzten Monate gegen die Daunenjacke und ich bin fest entschlossen, sie in den nächsten Wochen zu tragen. Auch wenn andere weiter in kurzen Hosen rumlaufen.

In der Zeitung die üblichen Nachrichten: Krieg in der Ukraine und jetzt Israel, Erdbeben in Afghanistan, bekloppte Amerikaner, Erstarken der AfD. Alle irre. Es gelingt mir immer weniger, über solche Dinge angemessen entsetzt zu sein. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist.

Abends feierten wir das vom Karnevalsverein ausgerichtete Oktoberfest mit bayrischem Bier, Blasmusik und reichlich kultureller Aneignung zahlreicher Besucher in Form von Lederhosen und karierten Hemden. (Da ich zuletzt im Alter von etwa acht Jahren eine Lederhose hatte, erkläre ich mich diesbezüglich unschuldig.) Auf der Rückfahrt kam es zu einer anstrengenden Diskussion zwischen dem Taxifahrer, nach eigenen Angaben palästinensischer Abstammung, und dem Liebsten über Islamismus, Religion, Gewalt und den Angriff auf Israel. Während ich hinten saß und die Augen verdrehte, sah ich mich bestätigt in der Überzeugung, niemals mit Fremden über Politik zu diskutieren.

Sonntag: Das Entsetzen traf morgens ein, gerne hätte ich darauf verzichtet. Schon als ich die Nachricht auf dem Telefon sah, kannte ich aufgrund der Absenderin den Inhalt, bevor ich sie gelesen hatte. Schlechte Neuigkeiten Kollegen M. aus unserem Team betreffend. Vor kurzem war er nach einer Urlaubsreise zusammengebrochen, seitdem lag er im Koma, sein Zustand kritisch. Persönlich sahen wir uns nicht sehr oft, weil sein Arbeitsplatz in Norddeutschland war, dafür trafen wir uns mindestens ein- bis zweimal wöchentlich in virtuellen Runden. M. war ungefähr in meinem Alter, was mal wieder zeigt, wie unerwartet und schnell es vorbei sein kann. Sowohl fachlich als auch menschlich wird er uns sehr fehlen. Das wird die kommenden Arbeitstage und -wochen in einen Grauschleier hüllen.

Gerne würde ich diesen Wochenrückblick positiv beenden, nur fällt mir gerade nichts ein; verzeihen Sie bitte.

Abends holte ich für uns Gyros vom Griechen unseres Vertrauens. Damit die Woche doch noch etwas positiv endet.

Spaziergangsbild mit dunklen Wolken

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Kommen Sie gut durch die Woche, möglichst ohne Entsetzen.